Faktencheck

Interner Brief der Klinikgruppe Regiomed enthält unbelegte Aussage über Ansteckungsgefahr durch Geimpfte

In einem Schreiben an die Belegschaft behauptete die Geschäftsführung der Klinikgruppe Regiomed, es sei „falsch“, dass gegen Covid-19 Geimpfte weniger ansteckend seien. Wissenschaftlich belegt ist diese Aussage jedoch nicht. Kürzlich erschienene Studien deuten eher darauf hin, dass Geimpfte das Virus seltener übertragen.

von Nikolas Kill

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Ein roter Punkt hängt in einer Klinik vor dem Zimmer eines Covid-19-Patienten. Das Virus ist durch Aerosole leicht übertragbar – auch wer geimpft ist, kann das Virus noch übertragen. (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Fabian Strauch)
Behauptung
Es sei falsch, dass geimpfte Menschen weniger ansteckend seien als ungeimpfte.
Bewertung
Unbelegt. Das interne Schreiben der Klinikgruppe Regiomed ist echt, die Behauptung darin lässt sich durch den aktuellen Forschungsstand aber nicht belegen. Es gibt mehrere neue Studien, die darauf hinweisen, dass Geimpfte das Coronavirus seltener übertragen.

Auf Facebook und Whatsapp kursiert das Bild eines internen Schreibens der Klinikgruppe Regiomed. In der Mitteilung an die Mitarbeitenden mahnt die Geschäftsführung das Risiko einer Infektion und Übertragung des Coronavirus an – auch im Fall einer vollständigen Impfung. In Sozialen Netzwerken wurde das Schreiben vielfach geteilt.

In dem Dokument heißt es, dass „auch eine abgeschlossene SARS-CoV2-Impfung nicht vor einer Infektion mit diesem Virus schützt“. Und weiter: „Die immer wieder aufgestellte Behauptung, dass Geimpfte weniger ansteckend seien, ist schlicht falsch.“ 

Wir haben die Behauptung, Geimpfte seien genauso ansteckend wie Ungeimpfte, bereits kürzlich in einem Faktencheck überprüft: Zwar stimmt es, dass sich Geimpfte ebenfalls mit dem Coronavirus infizieren und – obwohl sie nicht schwer daran erkranken – ansteckend sein können. Mehrere Studien deuten jedoch darauf hin, dass sie das Virus seltener übertragen.

Regiomed-Geschäftsführung reagiert auf Verbreitung des internen Briefs 

In einer Pressemitteilung reagierte die Geschäftsführung von Regiomed umgehend auf die Verbreitung des internen Briefs in Sozialen Netzwerken. Sie drückte darin am 13. September ihr Bedauern aus, den Brief missverständlich formuliert zu haben: „Unglücklicherweise haben wir ein Dokument anlassbezogen an die Mitarbeiter herausgegeben, das nicht präzise genug formuliert und geprüft worden ist.“ 

Die Intention des Schreibens sei gewesen, die Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass „trotz einer COVID-19 Impfung alle geltenden Hygienemaßnahmen eingehalten werden müssen, um noch besser geschützt zu sein und Risiken größtmöglich auszuschließen“. Weiter heißt es, man sei von der Schutzwirkung der Corona-Impfung überzeugt sind und sehe im Impfen einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Covid-19.

Covid-19-Impfung schützt gegen schwere Krankheitsverläufe, aber bietet keinen vollständigen Infektionsschutz

Klar ist: Obwohl eine vollständige Impfung keinen 100-prozentigen Schutz vor einer Infektion bietet, schützt sie vor einem schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 – auch bei Infektionen mit der Delta-Variante, wie eine im August 2021 veröffentlichte Studie im New England Journal of Medicine zeigt.

Die Behauptung, Geimpfte seien genauso ansteckend wie Ungeimpfte, beruht auf verschiedenen Studien, die sich mit der sogenannten Viruslast der Infizierten beschäftigen. Eine Preprint-Studie und eine wissenschaftliche Analyse aus den USA (hier und hier) zeigten in den letzten Monaten, dass die Viruslast bei infizierten Geimpften ähnlich hoch sein kann wie bei Ungeimpften. 

In diesen Studien wurden PCR-Testergebnisse untersucht und von dem sogenannten Ct-Wert (Zyklus-Schwellenwert) auf die Menge der Viren im Körper der Person geschlossen („Viruslast“). Je niedriger der Ct-Wert, desto höher ist die Viruslast. Ein niedriger Ct-Wert steht laut RKI häufig in Verbindung mit einer Anzüchtbarkeit des Virus in Zellkulturen – was ein Hinweis sein kann, dass die Person ansteckend ist (Kontagiosität).  

Die Viruslast allein ist allerdings kein Beleg, dass die Viren infektiös sind. Ein PCR-Test reagiert auf bestimmte Sequenzen des Virus-Erbguts; er kann auch positiv ausfallen, wenn die betreffende Person nicht (mehr) ansteckend ist. Die Viruslast sei nur einer von mehreren Faktoren, die bei der Ermittlung der Ansteckungsfähigkeit relevant sind, so das Robert-Koch-Institut. Dem RKI zufolge reicht dieser Wert allein nicht aus, um die Kontagiosität eines Patienten zu bestimmen. Weitere Faktoren seien beispielsweise die seit Symptombeginn vergangene Zeit oder der klinische Verlauf der Infektion. 

Studien: Ansteckungsfähigkeit nimmt durch Impfung wohl ab

Zwei Preprint-Studien aus Singapur und den Niederlanden deuten darauf hin, dass die Impfung die Übertragbarkeit des Coronavirus mindern könnte. Denn die Viruslast nehme bei Geimpften schneller ab als bei Ungeimpften. Aufgrund der kürzeren Zeitspanne, in der Geimpfte eine hohe Viruslast haben, könne man davon ausgehen, dass die Übertragungsrate bei ihnen geringer sei als bei Ungeimpften, erklärte der Virologe Ralf Bartenschlager in einer E-Mail an CORRECTIV.Faktencheck.

Relevant ist außerdem, dass sich Geimpfte insgesamt seltener infizieren als Ungeimpfte. Daher gehen von ihnen auch weniger Übertragungen aus. Darauf weist zum Beispiel das Robert-Koch-Institut hin. 

In einer neuen Preprint-Studie aus Großbritannien wurden außerdem die PCR-Testdaten von tausenden Menschen, die Kontakt zu Infizierten hatten, ausgewertet. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Viruslast womöglich nicht der entscheidende Faktor bei der Frage der Ansteckungsfähigkeit sei. Tatsächlich hatten auch in dieser Auswertung mit der Delta-Variante infizierte Geimpfte eine ähnlich hohe Viruslast wie Ungeimpfte. Doch die Analyse zeige, dass die Zahl der Übertragungen durch geimpfte Personen immer noch niedriger sei, so die Forschenden. Als mögliche Erklärung geben sie an, dass die Viren im Körper von Geimpften schneller zerstört werden könnten und der PCR-Test lediglich auf das Erbgut der nicht mehr infektiösen Viren reagiere. Um das zu belegen, seien aber weitere Studien nötig.   

Fazit: Das interne Schreiben der Klinikgruppe Regiomed ist echt, die Geschäftsführung der Klinikgruppe Regiomed stellte in einer Pressemitteilung klar, dass es unpräzise formuliert worden sei. Die Wirksamkeit der Impfungen zweifle man nicht an. Die Behauptungen, infizierte Geimpfte seien genauso ansteckend wie Ungeimpfte, lassen sich durch den aktuellen Forschungsstand nicht belegen. Es gibt in mehreren Preprint-Studien Hinweise darauf, dass Geimpfte kürzere Zeit ansteckend sind und das Virus daher seltener übertragen. 

Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Studie „Effectiveness of Covid-19 Vaccines against the B.1.617.2 (Delta) Variant“, NEJM: Link
  • Studie (Preprint): „Vaccinated and unvaccinated individuals have similar viral loads in communities with a high prevalence of the SARS-CoV-2 delta variant“: Link
  • CDC-Bericht: „Outbreak of SARS-CoV-2 Infections, Including COVID-19 Vaccine Breakthrough Infections, Associated with Large Public Gatherings — Barnstable County, Massachusetts, July 2021“: Link
  • Studie (Preprint): „Virological and serological kinetics of SARS-CoV-2 Delta variant vaccine-breakthrough infections: a multi-center cohort study“: Link
  • Studie (Preprint): „Virological characteristics of SARS-CoV-2 vaccine breakthrough infections in health care workers“: Link
  • Studie (Preprint): „The impact of SARS-CoV-2 vaccination on Alpha & Delta variant transmission“: Link