Nein, Pfizer hat kein Patent zur „Fernverfolgung“ von geimpften Personen angemeldet
Seit Monaten kursiert in Sozialen Netzwerken weltweit ein angebliches Patent von Pfizer. Der Pharmakonzern, der einen Covid-19-Impfstoff entwickelt hat, habe die „Fernverfolgung“ von geimpften Personen angemeldet, wird behauptet. Ein Blick in das Dokument zeigt: Das ist falsch.
In Sozialen Netzwerken heißt es, der Pharmakonzern Pfizer habe erfolgreich ein Patent in den USA beantragt, zum „Zweck der Fernverfolgung aller geimpften Menschen weltweit“. Genutzt werde dafür Graphenoxid, das angeblich durch Covid-19-Impfstoffe in den Körper gelange. Ein Telegram-Beitrag wurde seit dem 11. Januar mehr als 224.000 Mal gesehen. Auf Facebook kursierte der Beitrag bereits im Oktober 2021 und findet sich in mehreren Sprachen, darunter Englisch, Griechisch und Hebräisch.
Das genannte Patent mit der Nummer „US 11,107,588 B2“ existiert. Es wurde aber nicht von Pfizer beantragt, sondern von zwei Patentanwälten. Sie schlagen darin vor, die Bluetooth-Kommunikation zwischen Mobiltelefonen zu nutzen, um herauszufinden, welche Personen im Alltag die meisten sozialen Interaktionen haben und daher bei Impfstoff-Mangel bevorzugt geimpft werden sollten. Das Patent bezieht sich folglich nicht auf Menschen, die bereits geimpft sind.
Das Patent wurde am 30. November 2020 beantragt, also bevor der Covid-19-Impfstoff von Pfizer mit einer Notfallzulassung in den USA genehmigt wurde. Die Zulassung für den Impfstoff erfolgte am 11. Dezember 2020.
Zudem enthält der Covid-19-Impfstoff laut Angaben des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts, der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und dem US-Hersteller Pfizer kein Graphenoxid, wie wir bereits im August 2021 in einem Faktencheck berichteten.
Das Patent ist nicht von Pfizer, sondern von einer israelischen Anwaltskanzlei
Das Patent ist in der Datenbank des US-amerikanischen Patentamts (USPTO) zu finden.
Im Patent ist die israelische Patentanwaltskanzlei Ehrlich & Fenster eingetragen, darin stehen die Namen Gal Ehrlich und Maier Fenster. Nirgendwo ist ein Hinweis auf Pfizer als Antragsteller zu finden. Der einzige Verweis auf Pfizer befindet sich in einem Abschnitt zu Impfungen, wo Pfizer als Impfstoffkandidat gelistet wird. (Der Patentantrag wurde am 30. November 2020 eingereicht, die Zulassung erhielt der Impfstoff in den USA am 11. Dezember und in Europa am 21. Dezember 2020.)
Pfizer gehört zwar laut einem Firmeneintrag zu den Klienten der Kanzlei. An dem Patent hätten aber weder Pfizer noch andere Unternehmen Interesse gezeigt, schrieb einer der Anwälte und Erfinder, Gal Ehrlich, der AFP im Oktober 2021.
Auch die Faktenchecker von USA Today kontaktierten den Anwalt. Ehrlich antwortete ihnen per E-Mail: „Das Patent hat nichts mit Pfizer oder einem anderen Arzneimittel- oder Impfstoffhersteller zu tun“. Die Erfindung sei im April, Mai 2020 entwickelt worden, als noch kein Impfstoff verfügbar war.
Eine Sprecherin von Pfizer, Kit Longley sagte laut USA Today, es gebe kein von Pfizer eingereichtes Patent, das eine Kontaktverfolgung von geimpften Personen ermöglichen würde.
Es geht in dem Patent nicht um Graphenoxid
In den Social Media-Beiträgen wird behauptet, die angebliche Fernverfolgung von Geimpften werde durch Graphenoxid ermöglicht. Denn wer geimpft sei, habe Graphenoxid im Körper. Dieses verbinde geimpfte Menschen durch „eine Quantenverbindung von pulsierenden Mikrowellenfrequenzen“ mit dem Internet. Im Patent steht davon aber nichts – die Begriffe „Graphenoxid“, „Quantenverbindungen“ oder „Mikrowellenfrequenzen“ (jeweils auf Englisch) tauchen nicht auf.
Tatsächlich geht es in dem Patent um eine Art App. In der Zusammenfassung zur Erfindung steht: Sie biete (durch ein „elektronisches Gerät“ wie beispielsweise ein Smartphone) ein „Verfahren zur anonymen Identifizierung von Personen, die gegen eine infektiöse Krankheit, die durch einen Erreger verursacht wird, behandelt werden sollen“. Die Personen werden identifiziert, indem die App – einfach ausgedrückt – die Zahl der Begegnungen am Tag sammelt, die von ihren Smartphones per Bluetooth erkannt werden. Für diese Personen könnte zum Beispiel bevorzugt eine Covid-19-Impfung vorgeschlagen werden, weil sie besonders häufig andere Menschen treffen (im Patentantrag als „Superspreader“ bezeichnet).
Der Anwalt Gal Ehrlich sagte den Faktencheckern der AFP, seine Erfindung setze Technologien wie Bluetooth ein, um sozial aktive Menschen zu erkennen und beispielsweise für Impfstoffe oder Medikamente zu priorisieren, falls diese knapp sind. Die Idee wird auch in einer Preprint-Studie erläutert, die Ehrlich und Fenster im Jahr 2021 mitverfasst haben.
Graphenoxid ist kein Bestandteil von Covid-19-Impfstoffen
Die Behauptung, dass Impfstoffe angeblich Graphenoxid enthalten, ist nicht neu. Graphenoxid ist ein Stoff, der bei der Oxidation (einer chemischen Reaktion) von Graphen (einem Material aus Kohlenstoff-Verbindungen) entsteht. Es gilt als sehr reißfest und leitfähig. In der Industrie wird Graphenoxid zum Beispiel im Bereich der Elektronik oder der Energiegewinnung, aber auch in der Messtechnik oder Biomedizin eingesetzt.
Wir haben schon im August 2021 recherchiert, dass Graphenoxid nicht in den öffentlichen Listen der Inhaltsstoffe der in Deutschland zugelassenen Covid-19-Impfstoffe auftaucht. Weder beim Impfstoff von Biontech/Pfizer, noch bei Moderna, Astrazeneca oder Johnson & Johnson ist dies der Fall. Auch bei dem von der Europäischen Arzneimittelagentur Ende Dezember zugelassene Impfstoff von Novavax, der demnächst auch in Deutschland zugelassen werden könnte, taucht es nicht auf.
Auf unsere Nachfrage bestätigten uns die Pressestellen der Hersteller Pfizer und Astrazeneca, dass Graphenoxid kein Bestandteil ihrer Covid-19-Impfstoffe sei.
Wir fragten außerdem beim Paul-Ehrlich-Institut nach. Pressesprecherin Susanne Stöcker teilte uns mit: „Graphen / Graphenoxid wird weder in der Herstellung von Covid-19-Impfstoffen noch in der Herstellung anderer in der EU beziehungsweise in Deutschland zugelassener Impfstoffe als Hilfsstoff eingesetzt.“
Auch eine Pressesprecherin der Europäischen Arzneimittelagentur schrieb uns: „Die EMA hat weder bei ihren Bewertungen noch bei laufenden Tests glaubwürdige Hinweise darauf gefunden, dass ein Covid-19-Impfstoff Graphenoxid enthält.“ Graphenoxid sei generell kein anerkannter Hilfsstoff in Arzneimitteln. Die Qualität der zugelassenen Impfstoffe sei „in zufriedenstellender Weise“ festgestellt worden und „wird gemäß den EU-Rechtsvorschriften kontinuierlich und sorgfältig überwacht“.
Fazit: Das Patent wurde von zwei Anwälten angemeldet, die vorschlugen, den Bluetooth-Funkstandard zu nutzen, um die Menge sozialer Interaktionen von Personen zu erkennen. Der Grund ist, dass diese Menschen sogenannte „Superspreader“ werden könnten, weil sie viele Menschen treffen. Sie könnten also bevorzugt geimpft werden. Es geht weder um die Verfolgung bereits geimpfter Menschen, noch hat das Patent etwas mit Pfizer oder Graphenoxid zu tun. Die in Europa zugelassenen Covid-19-Impfstoffe enthalten auch kein Graphenoxid.
Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Patent US 11,107,588 B2: Google Patents (Link), US-Patentdatenbank (Link)
- Inhaltsstoffe der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer (Link), Moderna (Link), Astrazeneca (Link) oder Johnson & Johnson (Link)
- Preprint-Studie „Die priorisierte Zuteilung von Covid-19-Impfstoffen auf der Grundlage sozialer Kontakte erhöht die Wirksamkeit der Impfung“ vom 4. Februar 2021: Link