Video aus Kiew: Warum sich nicht sagen lässt, ob hier ein russisches Militärfahrzeug ein Auto überfährt
Ein Video im Internet zeigt ein Militärfahrzeug, das ein Auto überfährt. In einigen Beiträgen wurde behauptet, es handele sich um einen russischen Panzer in Kiew. Fakt ist: Das Video ist während Russlands Kriegs in der Ukraine entstanden – doch wer in dem Fahrzeug saß, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Triggerwarnung: In diesem Beitrag ist Bildmaterial zu sehen, das die Folgen von Gewalt zeigt.
Ein „russischer Panzer“ habe ein ziviles Auto überrollt, heißt es auf Facebook. Dort verbreitet sich seit dem 25. Februar ein Video aus Kiew in der Ukraine (hier und hier), das bereits einige Medien aufgriffen. Die Behauptung wird auch international verbreitet.
Unsere Recherche zeigt jedoch: Es lässt sich nicht eindeutig sagen, wie es zu dem Vorfall kam und ob das militärische Fahrzeug in dem Video tatsächlich unter russischer Kontrolle stand. Es könnte sich ebenso um ein ukrainisches Gefährt gehandelt haben. Über den Fahrzeug-Typ verfügen sowohl Russland als auch die Ukraine.
Was ist in den Videos zu sehen?
Zu sehen ist in dem Video ein gepanzertes Militärfahrzeug, das über eine Kreuzung auf eine vierspurige Straße fährt und dort plötzlich auf die Spur nebenan abdreht. Dabei überrollt es ein schwarzes Auto, das dort im selben Moment vorbeifährt. Anschließend setzt das Fahrzeug zurück und rollt ein zweites Mal über den Pkw hinweg. Die beteiligten Personen sind in den Aufnahmen nicht zu erkennen.
In Sozialen Netzwerken kursieren weitere Videos, die den Vorfall aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen.
Die Videos entstanden am 25. Februar im Kiewer Bezirk Oblon
Laut Recherchen der Faktenchecker des Observers und von USA Today entstanden die Aufnahmen am 25. Februar und zeigen eine Straßenkreuzung im Bezirk Obolon in Kiew. Auch die Beschreibung eines der englischsprachigen Youtube-Videos bestätigt das: Dort heißt es, der Vorfall habe sich in Oblon abgespielt.
Wir konnten den genauen Ort anhand verschiedener Landmarken bei Google Maps ausfindig machen: beispielsweise anhand der Form des Kreisverkehrs, des Verlaufs der Straßenbahnschienen und der Fußgängerüberwege, die in den Videos zu sehen sind.
Ein weiteres Video auf Twitter zeigt, dass es sich offenbar um eine Verfolgungsjagd handelte. Darin ist zunächst ein Militärjeep zu sehen, der über dieselbe Kreuzung fährt. Mehrere Personen in militärischer Uniform schießen auf den Jeep, eine Person, die auf der Ladefläche war, duckt sich – geht schließlich neben dem Fahrzeug zu Boden und bleibt reglos liegen. Die Kamera schwenkt auf die Straße dahinter – dort fährt das gepanzerte Fahrzeug vorbei, dreht ab und überrollt den Pkw.
Ein weiteres Video zeigt, dass der Fahrer in dem schwarzen Pkw überlebte. Darin ist zu sehen, wie ein Mann aus dem Auto befreit wird.
Was spricht dagegen, dass das Fahrzeug unter russischer Kontrolle stand?
Mehrere militärische Experten identifizierten das Fahrzeug laut den Faktencheckern von USA Today als Strela-10, über den sowohl Russland als auch die Ukraine verfügen. Darum sei es schwer zu sagen, wer die Schuld an dem Zusammenstoß trage. Ein Strela-10 ist kein Panzer, sondern ein Boden-Luft-Raketenwerfer.
Ein Hinweis darauf, dass es sich eventuell nicht um ein russisches Fahrzeug handelt: Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine berichten etliche Beobachter aber, dass russische Fahrzeuge mit dem Buchstaben „Z“ markiert wurden. Auf dem Panzer im Video ist aber kein „Z“ zu sehen.
Während Rob Lee, Doktorand im Eurasia-Programm des Foreign Policy Research Institutes, und einige Medien berichteten, es habe sich um ein ukrainisches Fahrzeug und einen Unfall gehandelt, widersprechen andere: Laut USA Today schrieb der Experte für russische Verteidigungsangelegenheiten, Pavel Luzin – ebenfalls vom Foreign Policy Research Institute –, dass die Farbe des Fahrzeugs „typisch“ für russische Streitkräfte scheine.
Es lässt sich nicht ausschließen, dass ein russischer Soldat im Fahrzeug saß
Die Videos, die den Vorfall zeigen und teils international verbreitet wurden, entstanden laut Recherchen des französischen Observers am Morgen des 25. Februar.
Die Facebook-Seite der ukrainischen Streitkräfte veröffentlichte am selben Tag eine Warnung: Russische Streitkräfte würden von der Nationalgarde der Ukraine beschlagnahmte Fahrzeuge nutzen und einige würden Militäruniformen der Streitkräfte der Ukraine tragen. Entführt wurden demnach zwei ukrainische „Kozak“-Transporter sowie drei Lkw der ehemals sowjetischen Hersteller Kraz und GAZ – ein Strela-10 wird nicht erwähnt. Die Fahrzeuge seien von Obolon aus in das Stadtzentrum von Kiew unterwegs und würden von der ukrainischen Armee verfolgt.
Verschiedene Medien (hier, hier und hier) berichteten darüber, dass zu diesem Zeitpunkt erste Truppen der russischen Armee in Kiew oder in den Außenbezirken Kiews gewesen sein sollen.
Fazit: Richtig ist, dass der Vorfall in Kiew stattfand. Unklar ist jedoch, ob das Fahrzeug von russischen oder ukrainischen Soldaten kontrolliert wurde. Darüber geben weder der Fahrzeugtyp noch die vorhandenen Videoaufnahmen Aufschluss.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Russland-Ukraine-Krieg finden Sie hier.
Redigatur: Sarah Thust, Sophie Timmermann