Faktencheck

Es stimmt nicht, dass 20 Flüssiggastanker so viel Treibstoff verbrauchen, wie alle Fahrzeuge weltweit

Eine Behauptung auf Facebook richtet sich gegen den Transport von Flüssiggas (LNG) mit Schiffen aus den USA nach Europa. Die Behauptung ist allerdings falsch.

von Matthias Bau

Titelbild Flüssiggas
Ein LNG-Tanker in Russland (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Tass / Sergei Krasnoukhov)
Behauptung
Zwanzig Flüssiggastanker mit einer Kapazität von je 140.000 Kubikmetern seien von den USA in Richtung Europa unterwegs. Diese Tanker würden so viel Schweröl verbrauchen, wie alle Fahrzeuge der Welt in einem Jahr umgerechnet an Treibstoff verbrauchen.
Bewertung
Falsch. Die Behauptung bezieht sich auf einige Gastransporte im Dezember 2021. Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik verbraucht die globale Fahrzeugflotte deutlich mehr Treibstoff als zwanzig Flüssiggastanker.

Wie viel Treibstoff verbraucht ein Flüssiggastanker auf dem Weg von den USA nach Europa? Mehrere Facebook-Beiträge stellen dazu eine Behauptung auf, die in Sozialen Netzwerken seit Mitte März zehntausendfach geteilt wurde (hier, hier und hier). Angeblich seien von den USA zwanzig Gastanker in Richtung Europa unterwegs, die so viel Treibstoff verbrauchten, wie alle Fahrzeug auf der Welt in einem Jahr. Die Behauptung ist falsch. 

Auf Facebook wird diese Behauptung über Flüssiggastanker aktuell 10.000-fach geteilt
Auf Facebook wird diese Behauptung über Flüssiggastanker aktuell 10.000-fach geteilt (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung 4. April: CORRECTIV.Faktencheck)

Was ist Flüssiggas und woher kommt es?

Bei Flüssiggas oder LNG („Liquified natural gas“), handelt es sich um Erdgas, das stark heruntergekühlt und dadurch verflüssigt wird. So kann es effizienter gelagert und transportiert werden, zum Beispiel in Schiffen. Diese nennt man auch LNG-Tanker. Der Nachteil: Ein Teil des Gases, das auf diese Weise von den USA nach Europa transportiert wird, wird durch sogenanntes Fracking gewonnen – also durch Bohrungen tief unter der Erdoberfläche. Dabei und beim „Verladen“ des Gases kommt es zum Austritt von Methan, das laut Umweltbundesamt 25-mal umweltschädlicher für das Klima ist als CO2.

Wie viele LNG-Tanker waren im Januar nach Europa unterwegs und wie groß sind sie?

Einer der Facebook-Beiträge verweist als Quelle auf einen damaligen Artikel der österreichischen Boulevardseite Exxpress. Darin hieß es, „zehn US-amerikanische LNG-Tanker nehmen Kurs auf Europa“ und „weitere 20 Schiffe sollen ebenfalls den Atlantik überqueren“. 

Wie eine aktuellere Veröffentlichung der EU-Kommission über den LNG-Handel mit den USA vom 2. Februar zeigt, fuhren im Januar 2022 47 LNG-Tanker in europäische Häfen ein. Aus einer Mitteilung des Bremer Forschungsinstituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) geht hervor, dass die Standardgröße solcher Tanker heute bei 174.000 Kubikmetern liegt. Einer Studie des Unternehmens Shell zufolge liegt die Ladekapazität von LNG-Tankern zwischen 150.000 und 180.000 Kubikmetern. 

Wie viel Treibstoff verbraucht ein LNG-Tanker?

LNG-Tanker werden, anders als auf Facebook behauptet, nicht unbedingt mit „Schweröl“ angetrieben, sondern mit einem Teil des Gases, das sie transportieren, wie eine Studie des International Council On Clean Transportation zeigt (Seite 2 und 3). Dieses sogenannte „boil-off-gas“ ist der Teil des transportierten Flüssiggases, der sich beim Transport erwärmt, ausdehnt und deswegen aus den Tanks abgelassen werden muss. 

Um die Frage zu beantworten, wie viel Treibstoff LNG-Tanker bei ihrer Überfahrt von den USA nach Europa verbrauchen und in welchem Verhältnis das zum Verbrauch aller Fahrzeuge weltweit steht, haben wir beim Umweltbundesamt und beim Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) nachgefragt.

Eine Mitarbeiterin des Umweltbundesamtes führte für uns eine vereinfachte Beispielrechnung anhand eines der Schiffe durch, das in den Facebook-Beiträgen zu sehen ist – der Arctic Princess, die in den Jahren 2018 bis 2020 in Europa anlegte. 

Die Mitarbeiterin des Umweltbundesamts schrieb uns: Würde das Schiff von New Orleans nach Rotterdam bei einer angenommen Leistung von 27 Megawatt und einer Geschwindigkeit von 20 Knoten unter Vollast, also dem ungünstigsten Fall, hin und zurück fahren, so sei mit einem Verbrauch von 3.000 Tonnen Treibstoff zu rechnen. Bei 20 LNG-Tankern wären das also 60.000 Tonnen Treibstoff, die verbraucht würden. Allein in Deutschland seien 2020 rund 49,2 Millionen Tonnen Kraftstoff (Summe aller Kraftstoffe) für den Straßenverkehr verkauft worden. Weltweit seien im Straßenverkehr im Jahr 2020 etwa zwei Milliarden Tonnen Öl verbraucht worden. Der Verbrauch von LNG-Tankern liegt demnach deutlich unter dem Verbrauch, der allein in Deutschland im Jahr 2020 zu verzeichnen war. 

Für das ISL antwortete uns Andreas Hübscher. Er wählte eine andere Herangehensweise an die Berechnung, kommt aber zu demselben Ergebnis wie das UBA: Die globale Fahrzeugflotte verbraucht deutlich mehr Treibstoff als 20 LNG Tanker. 

Hübscher ermittelte zunächst die durchschnittliche Motorengröße eines LNG-Tankers. Im Handel zwischen den USA und Europa läge diese bei 27,7 Megawatt, die Motorenlast sei mit durchschnittlich 85 Prozent anzunehmen. Den Betrieb weiterer Hilfsmaschinen und der Kessel- also LNG-Speicher-Systeme veranschlagte er mit 2,6 und 0,15 Megawatt. Insgesamt sei so von 30,5 Megawatt Leistung auszugehen. Für die Dauer der Hin- und Rückfahrt berechnet Hübscher rund 36 Tage. Bei der weltweiten Fahrzeugflotte gehe er von rund 1,3 Milliarden PKW aus, deren Motorisierung er mit 33,75 Kilowatt bei einer Last von 75 Prozent annehme. So ergebe sich, dass man mit der Energie, die für die insgesamt 383 LNG-Transporte , die es im Jahr 2021 zwischen den USA und Europa gegeben habe, die Welt-PKW-Flotte rund 14 Minuten betreiben könne. Damit sei die Behauptung auf Facebook „mehr als deutlichst widerlegt“. 

Welche Rolle spielt Flüssiggas in Deutschland?

Wie auf der Seite der europäischen Statistikbehörde Eurostat zu lesen ist, macht der Anteil von Gas am europäischen Energiemix 22,3 Prozent aus. Die EU importiert Erdgas und LNG, weil sie ihren Energiebedarf nicht selbst decken kann. So heißt es auf der Seite der Europäischen Kommission, dass Europa nur zehn Prozent seines Erdgasbedarfs durch eigene Förderung decke. 

Energiemix der Europäischen Union: Nach Erdöl ist Erdgas der zweitwichtigste Energieträger
Energiemix der Europäischen Union: Nach Erdöl ist Erdgas der zweitwichtigste Energieträger (Quelle: Eurostat; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Den Großteil des Gases (41 Prozent) importiert die EU aus Russland. Bedingt durch den Russland-Ukraine-Krieg will die EU diese Abhängigkeit reduzieren. Um zwei Drittel sollen die Importe bis Ende 2022 laut Plänen der Europäischen Kommission gesenkt werden. Dafür soll unter anderem die Erzeugung erneuerbarer Energien stärker forciert und der Import von Flüssiggas erhöht werden. Der deutsche Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck besuchte in diesem Zusammenhang Katar, um dort Lieferverträge für Flüssiggas abzuschließen.

Bereits vor dem Russland-Ukraine-Krieg stiegen die Gaspreise in Europa stark, hinzu kamen in Deutschland bereits zu Jahresbeginn leere Gasspeicher. Das führte dazu, dass mehr Gas importiert wurde, zum Beispiel aus den USA

Update 25. April 2022: Wir schrieben fälschlicherweise, Robert Habeck sei Außenminister. Habeck ist jedoch Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

Redigatur: Sarah Thust, Tania Röttger

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Kurzstudie des Umweltbundesamtes „Wie klimafreundlich ist LNG?“: Link
  • Artikel der europäischen Statistikbehörde „Where does our energy come from?“: Link
  • Faktenblatt der EU über den LNG-Handel mit den USA: Link