Faktencheck

Gesichtslähmung von Justin Bieber wird ohne Belege mit Corona-Impfung in Verbindung gebracht

Popstar Justin Bieber hat öffentlich über seine Gesichtslähmung gesprochen und Konzerte abgesagt. In Sozialen Netzwerken kursieren seitdem Beiträge, die den Corona-Impfstoff als vermeintliche Ursache für Biebers Erkrankung nennen. Dafür gibt es jedoch keine Belege.

von Viktor Marinov

Justin Bieber Porträt 2021
Justin Bieber hat öffentlich über seine Erkrankung gesprochen – seitdem wird sie unbelegt mit der Corona-Impfung in Verbindung gebracht (Quelle: Picture Alliance / Evan Agostini / Invision / AP)
Behauptung
Justin Biebers Gesichtslähmung sei eine Nebenwirkung der Covid-19-Impfung.
Bewertung
Unbelegt. Es gibt keine wissenschaftlichen Nachweise für einen Zusammenhang zwischen Justin Biebers Erkrankung – dem Ramsay-Hunt-Syndrom – und dem Covid-19-Impfstoff. Laut Virologinnen und Virologen können verschiedene Stressfaktoren die Erkrankung auslösen. Zudem ist unbekannt, ob Bieber überhaupt geimpft ist.

„Wie ihr sehen könnt, blinzelt dieses Auge nicht, ich kann auf dieser Seite meines Gesichts nicht lächeln, dieser Nasenflügel kann sich nicht bewegen. Diese Seite meines Gesichts ist völlig paralysiert“: So beschreibt Popstar Justin Bieber am 10. Juni die Gesichtslähmung, an der er leidet. Er habe das Ramsay-Hunt-Syndrom, erklärt Bieber auf Instagram. Schon am selben Tag verbreiteten sich die ersten Beiträge auf Sozialen Medien, die Biebers Krankheit mit der Covid-19-Impfung in Zusammenhang brachten. 

„Wie viele von euch bereits wissen haben viele Covid-Impfstoffe zu solchen Krankheiten, zu solchen Gesichtslähmungen geführt“, heißt es etwa in einem Telegram-Beitrag. Ein Nutzer auf Twitter schreibt „Seltene Nebenwirkungen werden immer prominenter“. Solche Beiträge verbreiten sich auf Deutsch und international (hier und hier). Unsere Recherchen zeigen: Es gibt keinen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen dem Ramsay-Hunt-Syndrom und Impfungen gegen Covid-19. Darüber hinaus ist unklar, ob Bieber überhaupt geimpft ist.

Justin Bieber Instagram Ankündigung
Mehr als 59 Millionen Menschen haben (Stand 27. Juni) das Video von Justin Bieber gesehen, in dem er über seine Symptome des Ramsay-Hunt-Syndroms sprach (Quelle: Instagram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Was ist das Ramsay-Hunt-Syndrom?

Nach Biebers Aussage wird seine Gesichtslähmung durch das Ramsay-Hunt-Syndrom verursacht. Das Syndrom ist laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Folge einer früheren Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus, das zum Beispiel Windpocken verursacht. „Das [Windpocken] ist eine ganz normale Krankheit, die man durchmacht“, erklärte uns Virologin Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. „Aber dieses Virus geht nie wieder aus dem Körper weg, sondern bleibt in den Nervenknoten entlang der Wirbelsäule oder im Nervenknoten im Gehirn. Dort versteckt es sich im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Immunsystem“. 

Sei das Immunsystem aus irgendwelchen Gründen geschwächt, könne das Virus wieder aufflammen, sagte Redlberger-Fritz. Diese sogenannte Reaktivierung der Windpocken nennt man Gürtelrose (Herpes Zoster). Eine seltene Form davon sei die Erkrankung von Justin Bieber, das Ramsay-Hunt-Syndrom. 

Bernd Salzberger, Virologe und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, schrieb uns dazu: „Das Ramsay Hunt Syndrom ist eine Form des Herpes zoster – an einem spezifischen Nerv, dem Nervus oticus. Ausbrüche eines Zosters verteilen sich über die verschiedensten Nerven, meistens gürtelförmig – deshalb auch Gürtelrose. Der Nervus oticus ist für die Ohrmuschel zuständig.“ Betroffen sind beim Ramsay-Hunt-Syndrom auch Nervenzellen im Gesichtsbereich, so kann es zu einer teilweisen Gesichtslähmung kommen

Welche Symptome hat das Ramsay-Hunt-Syndrom?

Zu den Symptomen des Ramsay-Hunt-Syndroms zählen laut einem wissenschaftlichen Artikel im Medizin-Fachmagazin Medscape unter anderem folgende Beschwerden: Blasenförmiger Ausschlag am Ohr oder am Mund, Gesichtslähmung, Sprechstörung, Tinnitus und Ohrenschmerzen. 

Das Syndrom ist relativ selten: Laut einer gemeinsamen Veröffentlichung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der US-amerikanischen Universitäten in Vermont und Utah aus dem Jahr 2018 tritt das Syndrom bei einem Prozent aller Fälle auf, bei denen das Varizella-Zoster-Virus reaktiviert wird. Es erholen sich laut dem Artikel 70 Prozent der Patienten, die an einer Gesichtslähmung leiden, davon. 

PEI: Kein Zusammenhang zwischen Ramsay Hunt und Covid-19 oder der Covid-19-Impfung

Wir haben beim PEI nachgefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ramsay-Hunt-Syndrom und Covid-19 oder Impfungen gegen Covid-19 gibt. Eine Sprecherin des PEI antwortete uns, dass nach aktuellen Erkenntnissen weder eine Covid-19-Erkrankung noch die Impfungen gegen Covid-19 mit Ramsay Hunt in Verbindung stünden. „Die wissenschaftlichen Daten sprechen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit derzeit gegen die Covid-19-Impfung als Ursache für eine Gürtelrose“, schrieb uns eine PEI-Sprecherin. Auch im aktuellen Sicherheitsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) vom 17. Juni 2022 finden sich keine Hinweise für einen solchen Zusammenhang. 

„Zu den Hauptursachen einer Gürtelrose (Reaktivierung der Zoster Viren) zählen ein schwächer werdendes Immunsystem (zum Beispiel altersbedingt) und Stress. COVID-19 könnte indirekt beteiligt sein – das Virus schwächt das Immunsystem und die Erkrankung kann ein hohes Stresslevel verursachen“, hieß es vom PEI.

Virologen: Verschiedene Stressfaktoren können Gürtelrose auslösen

Laut Virologin Redlberger-Fritz sind bislang einige wenige Fälle bekannt, bei denen Menschen nach der Impfung eine Gürtelrose bekommen hätten. „Aber, man muss auch dazu sagen: Es sind wesentlich mehr Fälle bekannt, bei denen die Infektion mit Covid-19 die Gürtelrose verursacht hat.“ Fälle, bei denen Menschen nach der Impfung das Ramsay-Hunt-Syndrom bekommen hätten, seien ihr hingegen keine bekannt. 

Die Studienlage zum Zusammenhang der Covid-19-Impfung mit der Gürtelrose sei aber unklar, sagt Virologin Redlberger-Fritz. „Das liegt einfach an der Tatsache, dass jede Infektion die Gürtelrose verursachen könnte, auch die Grippe zum Beispiel. Die Gürtelrose kann genauso gut durch mechanische Reizung oder Überbeanspruchung ausgelöst werden – es gibt ganz viele Gründe für die Reaktivierung des Virus.“ Auch Bernd Salzberger sagt: „Auslöser für das Ramsay-Hunt-Syndrom können verschiedene Stressfaktoren sein. Dazu gehört auch die Covid-Impfung.“  

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben bereits in mehreren Studien mögliche Zusammenhänge zwischen der Gürtelrose und Covid-19 oder der Impfung dagegen untersucht. Eine Studie findet etwa Hinweise darauf, dass eine Covid-19-Erkrankung die Reaktivierung von Herpes-simplex- und Herpes-Zoster-Viren begünstigen könnte, kann aber keinen kausalen Zusammenhang belegen. Eine andere Studie kommt zum Ergebnis, dass Menschen über 50 Jahren nach einer Covid-19-Infektion ein höheres Risiko für eine Erkrankung mit Herpes Zoster haben. Eine Studie, die 54 Gürtelrose-Fälle analysiert, kommt zu dem Ergebnis, dass es einen möglichen Zusammenhang zwischen Gürtelrose und der Covid-19-Impfung geben könnte, was laut der Autorinnen und Autoren jedoch keine Kausalität oder einen definitiven Zusammenhang belegt.

Justin Bieber Ramsay Hunt TKP-Beitrag
In manchen der auf Facebook kursierenden Beiträge beziehen sich Nutzerinnen und Nutzer auf einen Beitrag des österreichischen Blogs TKP (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wissenschaftlicher Artikel belegt keinen Zusammenhang zwischen Covid-19-Impfungen und Ramsay-Hunt-Syndrom 

In manchen Beiträgen, etwa dem für Falschbehauptungen bekannten Blog TKP, wird ein wissenschaftlicher Artikel als Beleg für den Zusammenhang zwischen RHS und der Corona-Impfungen herangezogen. Doch weder die Autoren des Artikels noch Experten sehen in dem Artikel einen kausalen Beweis dafür. 

Bei dem Artikel handelt es sich um einen zweiseitigen Aufsatz mit dem Titel „Ramsay Hunt syndrome following COVID-19 vaccination“. Er wurde am 5. Januar 2022 im Britisch Medical Journal (BMJ) veröffentlicht. Darin beschreiben drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität in Hong Kong, dass sie bei einem 37-jährigen Mann das Ramsay-Hunt-Syndrom diagnostiziert hätten. Zwei Tage nachdem er eine erste Dosis des Pfizer-Biontech-Impfstoffs erhalten habe, habe der Mann Fieber und Schmerzen in seinem rechten Ohr bemerkt. „Da seine Symptome sich zwei Tage nach der Impfung entwickelten, vermuten wir, dass die Impfung das RHS (Anm. der Red. Ramsay-Hunt-Syndrom) ausgelöst hat. Dies wäre der erste gemeldete Fall von RHS nach einer COVID-19-Impfung“, schreiben die Wissenschaftlerinnen.

Wie aus der Formulierung deutlich wird, handelt es sich bei der Aussage um eine Vermutung und nicht um einen nachgewiesenen Zusammenhang. Das betonten die Autorinnen und Autoren auch auf Anfrage der Faktenchecker-Redaktion von Politifact: Der Aufsatz belege „keine definitive Kausalität zwischen dem Ramsay-Hunt-Syndrom und der Impfstoffe gegen Covid-19“.

PEI bemängelt Aussagekraft des Artikels

Ähnlich äußert sich auch das PEI: Sofern es keinen eindeutigen biologischen Marker gibt, kann ein Einzelfallbericht zwar ein Beleg für einen zeitlichen, nicht aber für einen ursächlichen Zusammenhang sein“, schrieb uns eine Sprecherin. Zudem sei das Syndrom im beschriebenen Fall zwei Tage nach der Impfung aufgetreten. „Das ist für ein langsames Virus wie das Varizella-Zoster-Virus eher unwahrscheinlich.“ 

Der Aufsatz bezieht sich auch auf die Datenbank Vaers (Vaccine Adverse Effects Reporting System). Das ist das Register der US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die Berichte über mögliche Impfnebenwirkungen erfasst. In dem Artikel heißt es, Gürtelrose – stehe mit der Covid19-Impfung in Verbindung. Das würden Meldungen an VAERS zeigen. 

 „VAERS ist eine Datenbank, in die alle, die das möchten, Verdachtsfall-Meldungen selbst eintragen können. Daraus einen Zusammenhang zu postulieren, ist wenig wissenschaftlich“, schrieb uns die PEI-Sprecherin dazu. Wir haben in der Vergangenheit bereits mehrfach darüber berichtet, dass die nicht-verifizierten VAERS-Verdachtsfälle keine bestätigten Nebenwirkungen der Impfung zeigen.

Der Impfstatus von Justin Bieber ist unbekannt

Ob Justin Bieber geimpft ist, ist nicht bekannt. Unsere Anfrage an Biebers Manager blieb unbeantwortet. Laut Medienberichten wurde der Popstar im Februar 2022 positiv auf das Coronavirus getestet. 

Fazit: Biebers Gesichtslähmung wird nach seinen Angaben durch das Ramsay-Hunt-Syndrom verursacht. Die Erkrankung kann Lähmungen im Gesichtsbereich verursachen. Ein Zusammenhang zwischen dem Syndrom und der Covid-19-Impfung ist nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht belegt. Unklar ist zudem, ob Bieber überhaupt geimpft ist.

Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Ramsay Hunt Syndrome, National Library of Medicine, 1. Mai 2022: Link 
  • Varicella-Zoster Virus Infection and Osteomyelitis of the Skull, World Neurosurgery, Juli 2018: Link
  • Ramsay Hunt Syndrome, Medscape, 16. Juli 2018: Link