Faktencheck

Nein, Biontech hat den eigenen Covid-19-Impfstoff nicht als unsicher und unwirksam bezeichnet

In einem Geschäftsbericht für das Jahr 2021 zählt der Impfstoff-Hersteller Biontech verschiedene mögliche Risiken für Investoren und Anleger auf. Das wird fälschlich als Beleg interpretiert, dass Biontech Zweifel an der Sicherheit des eigenen Covid-19-Impfstoffs habe.

von Steffen Kutzner

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Ein Fläschchen des Impfstoffs von Biontech (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Sebastian Gollnow)
Behauptung
Biontech räume in einem Jahresbericht Zweifel an der Sicherheit und Wirksamkeit des eigenen Impfstoffs ein.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Im Jahresbericht müssen per Gesetz auch unwahrscheinliche Risiken für Anleger benannt werden. Dazu zählen Probleme, die in Zukunft bei klinischen Studien oder der Impfstoff-Zulassung auftreten könnten. Biontech hat die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs aber mehrfach betont, sie ist zudem durch Studien belegt.

„Biontech kann Wirksamkeit oder Sicherheit von Corona-Vakzin nicht garantieren“, titelte The Epoch Times am 24. April. Auch die österreichische Webseite Report24 und der Journalist Boris Reitschuster griffen die Meldung auf und schrieben, das Unternehmen warne vor seinem eigenen Impfstoff oder befürchte Langzeitfolgen. Die Berichte dieser drei Webseiten wurden zusammen laut dem Analyse-Tool Crowdtangle mehr als 8.900 Mal auf Facebook geteilt.  

Die Artikel beziehen sich auf den Jahresbericht für 2021 von Biontech für die US-amerikanische Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission). Er war im März 2022 auf der Webseite von Biontech veröffentlicht worden. Die Behauptungen, dass das Unternehmen an der Sicherheit und Wirksamkeit des eigenen Impfstoffs zweifle, sind jedoch irreführend. Um die Aussagen in dem Bericht zu verstehen, fehlt Kontext.  

Formulierung im Biontech-Bericht richtet sich an Investoren

In dem Bericht geht es neben Angaben zur Unternehmensstruktur und Angaben zu finanziellen Umsätzen in einem Abschnitt auch um potenzielle zukünftige Risiken für Anleger („cautionary forward looking statements“), die Biontech betreffen könnten. 

Wir haben für eine Einordnung Daniela Bergdolt kontaktiert – sie ist Anwältin für Kapitalmarktrecht und vertritt die Interessen von Investorinnen und Anlegern. Sie erklärt uns, jedes Unternehmen sei „verpflichtet, alle Eventualitäten für Anleger darzustellen. Dazu gehören natürlich die Chancen, aber ganz ausdrücklich auch jegliches Risiko, das eintreten kann, selbst wenn der Eintritt […] sehr unwahrscheinlich ist“. So müsse etwa auch das Risiko einer Nicht-Zulassung des Impfstoffes im Jahresbericht dargestellt werden – und auch das Szenario von Langzeitfolgen, egal wie unwahrscheinlich es ist. 

Ab Seite 6 des Biontech-Berichts sind solche „Risikofaktoren“ für Anleger aufgeführt. Dort steht: „Wir könnten vielleicht nicht in der Lage sein, eine ausreichende Wirksamkeit oder Sicherheit unseres Covid-19-Impfstoffs […] nachzuweisen, um eine dauerhafte behördliche Zulassung […] zu erhalten […].“ Zum Hintergrund: Der Impfstoff hat bereits seit August 2021 eine reguläre Zulassung für Personen ab 16 Jahren in den USA, aber immer noch eine bedingte Marktzulassung in der EU, was bedeutet, dass die Zulassung hier jedes Jahr erneuert werden muss. 

Laut Biontech könnten außerdem „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auftreten, die die klinischen Studien verzögern oder beenden und die behördliche Zulassung oder Marktakzeptanz unserer Produktkandidaten verzögern oder verhindern könnten“. Andere aufgeführte Risikofaktoren im Geschäftsbericht betreffen die Ungewissheit zukünftiger Einnahmen durch den Covid-19-Impfstoff, oder die Tatsache, dass Biontech im Wettkampf mit anderen Impfstoff-Herstellern stehe. 

Biontech unterstreicht Wirksamkeit des Impfstoffes im Jahresbericht

Es geht also um mögliche zukünftige Risiken, die das Unternehmen nicht völlig ausschließen kann und deshalb erwähnen muss. In demselben Geschäftsbericht schreibt Biontech: „[Der Impfstoff] bietet ein hohes Maß an Schutz gegen die besorgniserregenden Varianten Alpha, Beta und Delta. Jüngste Laborstudien, die in Science veröffentlicht wurden, haben gezeigt, dass drei Dosen von BNT162b2 die SARS-CoV-2-Variante Omikron neutralisieren“ (Seite 90 im Bericht). Der Bericht kann also nicht als Eingeständnis der Unwirksamkeit oder als Zweifel Biontechs interpretiert werden. 

Biontech hat auf unsere Presseanfragen zu diesem Thema nicht geantwortet.

Die Wirksamkeit und Sicherheit des mRNA-Impfstoffs von Biontech bestätigen jedoch auch das Robert-Koch-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut und die WHO. Laut RKI führt die Ständige Impfkommission in Deutschland selbst eine fortlaufende Überprüfung der Impfstoffwirksamkeit durch. Die Erkenntnis daraus: „Die Wahrscheinlichkeit, schwer an COVID-19 zu erkranken, ist bei den vollständig gegen Covid-19 geimpften Personen um etwa 90 Prozent geringer als bei den nicht geimpften Personen.“

Eine im April 2022 im Journal The Lancet veröffentlichte Studie, finanziert vom US-Unternehmen Pfizer, das den Impfstoff gemeinsam mit Biontech entwickelte, kommt bei der Omikron-Variante nach drei Impfdosen zu einer Wirksamkeit gegen Krankenhauseinweisungen von 85 Prozent. Nach drei Monaten sinkt diese Wirksamkeit auf 55 Prozent ab.

Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann