Ex-Ministerin Ségolène Royal hat die Angriffe auf Butscha und Mariupol nicht geleugnet
Die französische Politikerin Ségolène Royal soll die Berichte über den Angriff auf eine Geburtsklinik in Mariupol und das Massaker von Butscha in der Ukraine als „falsch“ bezeichnet haben. Ihre Aussagen werden in Sozialen Netzwerken verzerrt wiedergegeben. Was stimmt: Sie kritisierte die Kriegspropaganda Selenskyjs.
Es wäre ein politischer Paukenschlag, würde es stimmen: Die französische Ex-Ministerin Ségolène Royal soll angeblich den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj öffentlich als Lügner bezeichnet und die Angriffe auf eine Entbindungsstation in Mariupol sowie das Massaker von Butscha geleugnet haben. Diese Behauptung wurde im September hundertfach auf Facebook geteilt, auch vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten für die Partei Die Linke, Dieter Dehm.
Royals Aussagen werden in diesen Beiträgen verzerrt dargestellt: Sie kritisierte zwar, dass Selenskyj mithilfe von Kriegspropaganda seine Truppen mobilisieren wolle und stellte einen seiner Berichte aus Mariupol in Frage. Sie leugnete jedoch weder die Angriffe auf die Entbindungsstation, noch das Massaker in Butscha. Später entschuldigte sie sich dafür, dass ihre Aussagen missverstanden worden sein könnten.
Angriffe auf Zivilisten in der Ukraine als inszeniert darzustellen, gehört seit Beginn des Angriffskrieges zur Propaganda Russlands. Die Aussagen von Ségolène Royal wurden von einigen pro-russischen Accounts genutzt, um dieses Narrativ zu stützen. Dass die Angriffe in Mariupol und Butscha stattfanden und dabei Menschen verletzt und getötet wurden, berichtete CORRECTIV.Faktencheck bereits in mehreren Faktenchecks.
Wie ein Zitat von Ségolène Royal zur Unkenntlichkeit zugespitzt wird
Worauf also fußt dieses verzerrte Zitat, in dem Royal angeblich Kriegsverbrechen geleugnet haben soll? Es geht zurück auf ein Interview, das der französische Sender BMFTV am 1. September 2022 veröffentlichte. Wir fanden es auf Twitter mit den Suchbegriffen „Ségolène Royal Propaganda“.
Darin kritisiert die Politikerin die „Kriegsrhetorik“ Selenskyjs, sie spricht von einer „Propaganda des Schreckens“, die Truppen mobilisieren solle. Sie hinterfragt außerdem bestimmte Vorkommnisse in Mariupol, wo im März eine Entbindungsstation bombardiert wurde. Sie sagte, Selenskyj habe von einer Frau erzählt, die er dort getroffen habe, ihren Namen aber nicht nennen können.
Sie sagt aber nicht, es habe keinerlei Kriegsverbrechen gegeben und bezeichnet auch nicht alle Berichte der Ukraine als Lüge. Angesprochen auf das Massaker in Butscha antwortet sie, es gebe mehrere Zeugenaussagen. Berichte über Kinder, die sieben Stunden lang vor den Augen der Eltern vergewaltigt wurden, seien „ungeheuerlich“.
Royal entschuldigt sich für missverständliche Aussagen
BMFTV veröffentlicht am selben Tag einen Artikel, in dessen Titel übersetzt steht: „Ségolène Royal stellt Kriegsverbrechen infrage“. Etliche französische Medien berichteten darüber, aber auch die russische Nachrichtenagentur TASS. Laut France Info verbreitete der russische Perviy Kanal die Falschinformation, Royal sei für ein Verbot von ukrainischer Kriegspropaganda.
Am Tag nachdem der Sender das Video auf Twitter veröffentlicht hatte, meldete Royal sich auf Twitter zu Wort. Sie schrieb, sie habe niemals Kriegsverbrechen geleugnet und sie sei der Ansicht, Kriegspropaganda führe zu noch mehr Eskalation. Am 3. September wiederholte sie das auf Facebook und entschuldigte sich zudem bei den Opfern der Angriffe in der Ukraine.
Entstelltes Zitat wird weiter verbreitet
Während französische Medien über ihre Entschuldigung berichteten, taten dies die genannten russischen Medien nicht.
In Sozialen Netzwerken werden ihre Aussagen ebenfalls weiterhin verbreitet – teilweise wird dabei das Zitat so verkürzt oder verändert, dass es nicht mehr wahr ist. So gibt es da einerseits Beiträge, in denen es heißt, sie verurteile „Kriegspropaganda durch Angst” – was sie tatsächlich tut – oder in denen ironisch gefragt wird, ob Selenskyj Fake News verbreite.
In anderen Beiträgen aber wird ihr in den Mund gelegt, sie habe den ukrainischen Präsidenten einen „Lügner“ genannt – ein Zitat, das nicht gefallen ist. Behauptet wird außerdem: „Die Geschichte des Entbindungskrankenhauses in Mariupol und die Butscha-’Tragödie’“ habe sie als „falsch“ bezeichnet. Auch das stimmt nicht, sie kritisierte lediglich, dass Selenskyj ein bestimmtes Opfer nicht mit Namen nennen konnte. Die Tragödie von Butscha zweifelte sie nicht an – und sagte selbst, dass es dafür Belege gebe.
Zahlreiche Belege für Angriffe auf Butscha und Mariupol
Die Angriffe auf Butscha und Mariupol wurden wiederholt verzerrt oder kleingeredet. So behaupteten pro-russische Plattformen etwa, die verletzten Frauen in Mariupol seien Schauspielerinnen. Eine Falschinformation, wie hier nachzulesen. Laut der Associated Press, die vor Ort war, starben eine Mutter und ihr Baby durch die Angriffe.
Auch über die Angriffe auf Butscha brachten pro-russische Medien verharmlosende Gerüchte in Umlauf. Etwa, dass das ukrainische Militär dort Leichen ausgelegt hätte, dass vermeintliche Leichen gar nicht tot seien, oder dass die russische Armee nicht für die Angriffe verantwortlich gemacht werden könne. All das stimmt nicht, wie CORRECTIV.Faktencheck belegen konnte. Laut Washington Post wurden in Butscha nach Abzug der russischen Truppen über 400 Leichen gefunden.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Sarah Thust, Alice Echtermann