Ukraine: Nein, dieses Video belegt keine Kriegsinszenierung – es zeigt einen Musikvideodreh
Immer wieder verbreiten sich seit Beginn des Krieges Aufnahmen mit der Behauptung, Angriffe auf die Ukraine seien inszeniert. Aktuell kursiert auf Telegram und Twitter ein Video, das eine gestellte Szene eines vermeintlichen ukrainischen Soldaten zeigen soll. Im Video ist zwar tatsächlich ein Schauspieler zu sehen – jedoch in einem ganz anderen Kontext als behauptet.
„Lügenpack bei der Arbeit“ kommentiert ein Nutzer ein auf Twitter kursierendes Video. Es zeigt einen bewaffneten Mann in Militäruniform und mit ukrainischer Flagge auf der Brust. Er sitzt auf dem Boden im Wald. Immer wieder schlägt er sich die Hände auf den Kopf und scheint sich vor Schmerzen zu krümmen, dabei filmt ihn ein Mann in einer türkisblauen Jacke. Im Twitter-Beitrag heißt es, es werde „der nächste Fake gedreht“.
Mehr als 700 Nutzerinnen und Nutzer teilten den Tweet. Das zwölf Sekunden lange Video kursiert zudem auf Telegram und Facebook. Auch international wird behauptet, es handle sich um die Schauspielerei eines ukrainischen Soldaten, ein englischsprachiger Twitter-Beitrag wurde tausendfach geteilt.
Immer wieder heißt es, das Kriegsgeschehen in der Ukraine sei inszeniert und übertrieben dargestellt
Dass Angriffe in der Ukraine inszeniert seien oder geschauspielert würden, wird seit Beginn des russischen Angriffskriegs immer wieder behauptet. In der Vergangenheit wurden Angriffe auf Zivilisten geleugnet, das Kriegsgeschehen als übertrieben dargestellt, oder Aufnahmen aus Österreich in einen falschen Kontext gesetzt. Doch Fakt ist: Es gibt zahlreiche Quellen und Belege für russische Angriffe auf die Ukraine, darunter Satellitenaufnahmen, Bildmaterial und Aussagen von Anwohnern, wie wir berichteten.
Im aktuell geteilten Video ist tatsächlich ein ukrainischer Schauspieler zu sehen – mit einer Inszenierung des Krieges haben diese Aufnahmen jedoch nichts zu tun. Die Szenen entstanden bei einem Dreh für ein Musikvideo.
Video zeigt ukrainischen Schauspieler Peter Sherekin – es entstand bei einem Musikvideodreh
Ein erster Hinweis für die Recherche nach dem Ursprung des Videos: In der Aufnahme sind das Wasserzeichen des Social-Media-Videoportals Tiktok und ein Nutzername zu erkennen: @user4775478401030. Dieser Hinweis führt zu dem Tiktok-Profil des Mannes, der im Video zu sehen ist, wie ein Abgleich mit dem Anzeigebild und anderen auf dem Profil veröffentlichten Beiträgen zeigt. Das auf Twitter verbreitete Video wurde dort am 17. Oktober hochgeladen und bisher mehr als 2,4 Millionen Mal gesehen.
Zwei Tage vorher, am 15. Oktober, veröffentlichte er zwei weitere Videos, die ihn in gleicher Montur und mit Waffe zeigen. In einem Video spaziert er mit ernster Miene durch den Wald und wird dabei erneut von einem Kameramann gefilmt. In dem anderen Video scheint er Blut auf den Händen und im Gesicht zu haben. Er spricht in die Kamera und sagt: „Das ist alles Kino.“
Am 21. Oktober veröffentlichte er ein Erklärvideo. Er habe mitbekommen, dass verschiedene Propaganda-Kanäle seine Videos falsch verbreitet hätten. Er sei deswegen auch vom französischen Nachrichtensender France24 kontaktiert worden. Er erklärt, dass es sich um einen Dreh für ein Musikvideo für das Lied „Lullaby“ der ukrainischen Sängerin Anna Khanina gehandelt habe. Das Lied handle vom Krieg in der Ukraine, deshalb sei er in Uniform gewesen. Auf seinem Tiktok-Kanal lautet sein Nutzername „Piter Smog“. Im Video sagt er, er heiße Piot Sherekin. Er spricht auch von seinem Youtube-Kanal, den wir über eine Suche mit seinem Namen finden.
Youtube-Video zeigt Szenen hinter den Kulissen des Musikvideodrehs
Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte Sherekin schon am 14. Oktober ein elfminütiges Video mit der Beschreibung: „Backstage – ein Einblick in den Drehprozess.“ Zu sehen sind demnach die Sängerin Anna Khanina und der Wald, in dem gedreht wurde. Es sind weitere Personen, unter anderem der Kameramann in der türkisblauen Jacke, der ihn in dem kurzen Ausschnitt filmte, zu erkennen. Dieses Video erschien drei Tage vor den Aufnahmen auf Tiktok, die sich anschließend im Netz verbreiteten. Es ergibt keinen Sinn, dass Sherekin Aufnahmen aus dem Dreh öffentlich teilt, wenn das kurze Tiktok-Video tatsächlich als Propaganda-Inszenierung dienen sollte.
Sherekin bestätigte gegenüber France24 und AP, dass es sich um den Dreh eines Musikvideos handelte. Reuters und France24 sprachen zudem mit der Sängerin. Khanina bestätigte Reuters, dass es sich um einen Musikdreh handelte. Das Lied handle vom Schmerz der ukrainischen Einwohnerinnen und Einwohner, der durch den Krieg verursacht würde. Zoo Cinema, eine Produktionsfirma mit Sitz in Kiew, die das Musikvideo laut AP drehte, bestätigte AP, dass die Szenen für das Lied „Lullaby“ seien und das Video aktuell fertig gestellt würde. Das Lied ist bereits auf Spotify und YouTube verfügbar.
Update, 28. Oktober 2022: Wir haben die Behauptung verständlicher formuliert.
Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas