Faktencheck

Ukraine: Nein, dieses Video belegt keine Kriegsinszenierung – es zeigt einen Musikvideodreh

Immer wieder verbreiten sich seit Beginn des Krieges Aufnahmen mit der Behauptung, Angriffe auf die Ukraine seien inszeniert. Aktuell kursiert auf Telegram und Twitter ein Video, das eine gestellte Szene eines vermeintlichen ukrainischen Soldaten zeigen soll. Im Video ist zwar tatsächlich ein Schauspieler zu sehen – jedoch in einem ganz anderen Kontext als behauptet.

von Sophie Timmermann

Videoausschnitt-entstand-bei-einem-Musikvideodreh
Anders als behauptet, handelt es sich bei dieser Aufnahme nicht um eine inszenierte Kriegsszene. Sie entstand beim Dreh eines Musikvideos (Quelle: Twitter; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Video, in dem ein Mann in ukrainischer Uniform dabei gefilmt wird, wie er ohne äußeren Einfluss Schmerzen zu haben scheint, zeige, wie ein ukrainischer „Fake” über den Krieg gedreht werde.
Bewertung
Falscher Kontext
Über diese Bewertung
Falscher Kontext. Die Aufnahmen entstanden bei dem Dreh eines Musikvideos für ein Lied über den Krieg. Der im Video zu sehende Mann, die Sängerin und die Produktionsfirma bestätigten den Dreh. Das Video ist Teil von Aufnahmen der Dreharbeiten.

„Lügenpack bei der Arbeit“ kommentiert ein Nutzer ein auf Twitter kursierendes Video. Es zeigt einen bewaffneten Mann in Militäruniform und mit ukrainischer Flagge auf der Brust. Er sitzt auf dem Boden im Wald. Immer wieder schlägt er sich die Hände auf den Kopf und scheint sich vor Schmerzen zu krümmen, dabei filmt ihn ein Mann in einer türkisblauen Jacke. Im Twitter-Beitrag heißt es, es werde „der nächste Fake gedreht“.

Mehr als 700 Nutzerinnen und Nutzer teilten den Tweet. Das zwölf Sekunden lange Video kursiert zudem auf Telegram und Facebook. Auch international wird behauptet, es handle sich um die Schauspielerei eines ukrainischen Soldaten, ein englischsprachiger Twitter-Beitrag wurde tausendfach geteilt. 

Immer wieder heißt es, das Kriegsgeschehen in der Ukraine sei inszeniert und übertrieben dargestellt

Dass Angriffe in der Ukraine inszeniert seien oder geschauspielert würden, wird seit Beginn des russischen Angriffskriegs immer wieder behauptet. In der Vergangenheit wurden Angriffe auf Zivilisten geleugnet, das Kriegsgeschehen als übertrieben dargestellt, oder Aufnahmen aus Österreich in einen falschen Kontext gesetzt. Doch Fakt ist: Es gibt zahlreiche Quellen und Belege für russische Angriffe auf die Ukraine, darunter Satellitenaufnahmen, Bildmaterial und Aussagen von Anwohnern, wie wir berichteten

Im aktuell geteilten Video ist tatsächlich ein ukrainischer Schauspieler zu sehen – mit einer Inszenierung des Krieges haben diese Aufnahmen jedoch nichts zu tun. Die Szenen entstanden bei einem Dreh für ein Musikvideo. 

Ein Twitter-Beitrag behauptet, die Szene sei gestellt und werde als Propaganda verbreitet
Wird hier ein „Fake“ zum Krieg gedreht, wie der Verbreiter dieses Twitter-Beitrags behauptet? Nein, es handelt sich um einen Musikvideodreh. (Quelle: Twitter; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Video zeigt ukrainischen Schauspieler Peter Sherekin – es entstand bei einem Musikvideodreh 

Ein erster Hinweis für die Recherche nach dem Ursprung des Videos: In der Aufnahme sind das Wasserzeichen des Social-Media-Videoportals Tiktok und ein Nutzername zu erkennen: @user4775478401030. Dieser Hinweis führt zu dem Tiktok-Profil des Mannes, der im Video zu sehen ist, wie ein Abgleich mit dem Anzeigebild und anderen auf dem Profil veröffentlichten Beiträgen zeigt. Das auf Twitter verbreitete Video wurde dort am 17. Oktober hochgeladen und bisher mehr als 2,4 Millionen Mal gesehen. 

Zwei Tage vorher, am 15. Oktober, veröffentlichte er zwei weitere Videos, die ihn in gleicher Montur und mit Waffe zeigen. In einem Video spaziert er mit ernster Miene durch den Wald und wird dabei erneut von einem Kameramann gefilmt. In dem anderen Video scheint er Blut auf den Händen und im Gesicht zu haben. Er spricht in die Kamera und sagt: „Das ist alles Kino.“

Das TikTok-Profil des Mannes aus dem Video
Auf dem Tiktok Profil sind weitere Videos zu finden, die den Mann in Uniform und im Wald zeigen (Quelle: Tiktok; Screensho und Markierungt: CORRECTIV.Faktencheck).

Am 21. Oktober veröffentlichte er ein Erklärvideo. Er habe mitbekommen, dass verschiedene Propaganda-Kanäle seine Videos falsch verbreitet hätten. Er sei deswegen auch vom französischen Nachrichtensender France24 kontaktiert worden. Er erklärt, dass es sich um einen Dreh für ein Musikvideo für das Lied „Lullaby“ der ukrainischen Sängerin Anna Khanina gehandelt habe. Das Lied handle vom Krieg in der Ukraine, deshalb sei er in Uniform gewesen. Auf seinem Tiktok-Kanal lautet sein Nutzername „Piter Smog“. Im Video sagt er, er heiße Piot Sherekin. Er spricht auch von seinem Youtube-Kanal, den wir über eine Suche mit seinem Namen finden.

Youtube-Video zeigt Szenen hinter den Kulissen des Musikvideodrehs

Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte Sherekin schon am 14. Oktober ein elfminütiges Video mit der Beschreibung: „Backstage – ein Einblick in den Drehprozess.“ Zu sehen sind demnach die Sängerin Anna Khanina und der Wald, in dem gedreht wurde. Es sind weitere Personen, unter anderem der Kameramann in der türkisblauen Jacke, der ihn in dem kurzen Ausschnitt filmte, zu erkennen. Dieses Video erschien drei Tage vor den Aufnahmen auf Tiktok, die sich anschließend im Netz verbreiteten. Es ergibt keinen Sinn, dass Sherekin Aufnahmen aus dem Dreh öffentlich teilt, wenn das kurze Tiktok-Video tatsächlich als Propaganda-Inszenierung dienen sollte. 

Screenshot des Youtube-Videos mit Backstageszenen
Ein Video vom 14. Oktober zeigt Szenen vom Musikvideodreh (Quelle: Youtube; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Sherekin bestätigte gegenüber France24 und AP, dass es sich um den Dreh eines Musikvideos handelte. Reuters und France24 sprachen zudem mit der Sängerin. Khanina bestätigte Reuters, dass es sich um einen Musikdreh handelte. Das Lied handle vom Schmerz der ukrainischen Einwohnerinnen und Einwohner, der durch den Krieg verursacht würde. Zoo Cinema, eine Produktionsfirma mit Sitz in Kiew, die das Musikvideo laut AP drehte, bestätigte AP, dass die Szenen für das Lied „Lullaby“ seien und das Video aktuell fertig gestellt würde. Das Lied ist bereits auf Spotify und YouTube verfügbar.

Update, 28. Oktober 2022: Wir haben die Behauptung verständlicher formuliert.

Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas