Faktencheck

Polizei in Finnland: Keine Beweise, dass Waffen für die Ukraine dort aufgetaucht sind

Ein finnischer Sender meldet: „Waffenlieferungen an die Ukraine in kriminellen Händen“ und bezieht sich als Quelle auf die finnische Polizei. Viele Medien in Deutschland greifen diese Meldung auf. Doch sie stimmt offenbar nicht – die Polizei dementiert, dass Waffen aus der Ukraine in Finnland gefunden worden seien.

von Sarah Thust

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Fahrzeuge der finnischen Polizei am Grenzübergang Vaalimaa zwischen Finnland und Russland (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Lehtikuva / Sasu Mäkinen)
Behauptung
Für die Ukraine bestimmte Waffen seien in den Händen von Kriminellen in Finnland gelandet.
Bewertung
Unbelegt. Laut der finnischen Polizei NBI, die als Quelle für diese Information zitiert wurde, entstand durch ein Interview ein falscher Eindruck. Es gebe bisher keine Belege für solchen Waffenschmuggel in Finnland, man habe lediglich vor der Möglichkeit warnen wollen.

„In die Ukraine gelieferte Waffen sind nach Erkenntnis der Polizei in Helsinki bereits in die Hände finnischer Krimineller gelangt“, schrieb ein Nutzer am 30. Oktober auf Facebook. Beiträge wie dieser gehen auf einen Bericht des finnischen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders YLE zurück. Veröffentlicht wurde der Text auf Englisch am 30. Oktober mit der Überschrift: „NBI: Waffenlieferungen an die Ukraine in kriminellen Händen“. 

Zitiert wird darin ein Ermittler des finnischen National Bureau of Investigation (NBI), der nationalen Strafverfolgungsbehörde der finnischen Polizei. Christer Ahlgren sagte demnach angeblich, dass für die Ukraine bestimmte Waffen, zum Beispiel Sturmgewehre, in Finnland bei Kriminellen aufgetaucht seien. Außerdem seien solche Waffen auch in Schweden, Dänemark und den Niederlanden gefunden worden.

Tweet von AfD-Politikerin Alice Weidel: Wenig überraschend: Waffen, die in einen Staat geliefert werden, der in Sachen Korruption noch vor El Salvador, Sierra Leone oder Sambia liegt, werden in ein Westeuropa geschmuggelt, das es dank #EU verlernt hat, sich und seine Grenzen zu schützen. #AfD
Tweet von AfD-Politikerin Alice Weidel vom 31. Oktober mit einem der Berichte, die die Meldung aus Finnland aufgegriffen hatten. Die finnische Polizei dementierte die Meldung einen Tag später, am 1. November. (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Meldung sorgte in Deutschland für Aufsehen, zahlreiche Medien wie N-TV, Focus, T-Online und das Redaktionsnetzwerk Deutschland griffen den Bericht ein bis zwei Tage später auf. Auch die AfD-Politikerin Alice Weidel verlinkte in einem Tweet einen dieser Medienberichte. 

Viele übernahmen dabei einen Bericht der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Diese teilte uns am 2. November auf Anfrage mit, sie habe die „Meldung vom Sonntag heute zurückgezogen“. Grund sei eine Pressemitteilung der finnischen Polizei, die am Dienstag erschien. 

Schon länger werden Spekulationen über Waffenschmuggel aus der Ukraine verbreitet – teils begründet auf berechtigten Sorgen, teils aber auch auf Desinformation (wir berichteten). Bisher fehlen Belege, dass es solche Vorfälle wirklich gibt. Nun nahm zum Beispiel die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen den Bericht aus Finnland zum Anlass, um die Waffenlieferung auf Facebook als „unverantwortlich“ zu bezeichnen. Sie drohten, zu einem „Bumerang für Europa“ zu werden.

NBI erklärt, es sei ein falscher Eindruck entstanden – bisher wurden keine für die Ukraine bestimmten Waffen in Finnland gefunden

Doch die Berichterstattung des finnischen Senders YLE war offenbar nicht durch Fakten gestützt. Am 1. November fragten wir bei der finnischen Polizei an, was hinter dieser Meldung steckt. Ein Sprecher schickte uns eine Pressemitteilung vom 1. November zu, in der das NBI erklärte, es gebe „keine Beweise“, dass an die Ukraine gespendete Waffen nach Finnland geschmuggelt worden seien.

Der Vergleich zeigt, wie der englische Text des finnischen Senders YLE am 31. Oktober verändert wurde. Die Überschrift ist eine völlig andere
Der englische Text des finnischen Senders YLE wurde am 30. Oktober veröffentlicht (links) und erst am Tag darauf inhaltlich angepasst (rechts) (Quelle: YLE; Screenshot, rote und blaue Hinweise: CORRECTIV.Faktencheck)

Neben dem verkürzten englischen Text veröffentlichte YLE eine längere Version auf Finnisch. In dem Artikel werden die Aussagen ähnlich dargestellt. 

Was genau der finnische Ermittler Christer Ahlgren dem Sender YLE sagte, können wir nicht nachvollziehen. Am 31. Oktober änderte YLE jedoch die Überschrift des englischen Textes: „NBI vermutet, dass in die Ukraine gelieferte Waffen in kriminellen Händen sein könnten“. Darin sagt der zitierte NBI-Ermittler jetzt nur noch, es gebe „Anzeichen“ dafür. Eine Stellungnahme vom Sender, warum der Text geändert wurde, erhielten wir nicht. Die Aussage, dass Waffen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden aufgetaucht seien, ist immer noch im Text zu lesen. Wir konnten jedoch keine anderen Berichte über solche Waffenfunde finden. Die dänische Nationale Einheit für Spezialkriminalität schrieb uns, in Dänemark seien keine Waffen aus der Ukraine sichergestellt worden. 

Laut der Pressemitteilung sagt der stellvertretende Direktor des NBI, Markus Välimäki: „Aufgrund des Interviews mit unserem Experten haben die Menschen möglicherweise den Eindruck gewonnen, dass bereits Waffen nach Finnland geschmuggelt wurden. Wir haben jedoch keine Beweise für ein solches Phänomen. Unser Ziel war es, aufzuzeigen, dass die Möglichkeit besteht, dass Kriminelle, die in Finnland operieren, versuchen, Waffen aus Konfliktgebieten zu beschaffen.“

In den deutschen Medienberichten findet sich diese Information bisher nicht (Stand: 2. November, 12 Uhr). In der finnischen und englischen Version des Artikels von YLE ebenfalls nicht. Der Merkur ordnete die Meldung allerdings von Anfang an als Vermutung ein. 

Übrigens: Das Zentrum für strategische Kommunikation, Stratcom, in der Ukraine schrieb schon am 31. Oktober auf Twitter, dass es sich bei der Pressemeldung um einen „Fake“ handele. Die ukrainische Botschaft in Helsinki habe sich aufgrund des Medienberichts an die finnische Polizei gewandt: „Daraufhin teilte die finnische Seite mit, dass es keine bestätigten Informationen oder konkreten Fakten über die Lieferung von Schmuggelwaffen aus [der Ukraine] gebe, sagte der Sprecher des Außenministeriums Oleh Nikolenko.“

Gerüchte über Waffenschmuggel aus der Ukraine gibt es schon länger – doch Beweise fehlen

Zuletzt wurde im September behauptet, in Bremen seien Stinger-Raketen aus der Ukraine aufgetaucht. Auch diese Behauptung haben wir überprüft, sie war frei erfunden. Der deutsche Zoll schrieb uns, seit Kriegsbeginn seien keine Waffen mit Bezug zur Ukraine sichergestellt worden:

Fachleute gehen grundsätzlich davon aus, dass Waffen aus Kriegsgebieten auf dem Schwarzmarkt landen können – das trifft auch im Fall der Ukraine zu. Europol warnte bereits im Mai vor Handel mit Kleinwaffen aus der Ukraine, wie wir in einem Hintergrundbericht erklären. Auch diese Meldung wurde damals von einigen falsch verstanden und suggeriert, es gebe bereits konkrete Beweise. Doch die gab es laut Europol nicht. 

Ein Sprecher sagte uns: „Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine hat Europol davor gewarnt, dass die Verbreitung von Schusswaffen und Sprengstoff in der Ukraine zu einer Zunahme des Handels mit Schusswaffen und Munition in die EU über etablierte Schmuggelrouten oder Online-Plattformen führen könnte.“ Dies sei aber „kein Ukraine-spezifisches Phänomen“, sondern in jedem Kriegsgebiet der Fall.

Update am 2. November um 16.42 Uhr: Wir haben im Text ergänzt, dass die DPA die Meldung zurückgezogen hat. 

Update, 3. November 2022 um 12 Uhr: Die finnische Internetseite YLE veröffentlichte am Abend des 2. November einen neuen Artikel, in dem die Pressemitteilung der Polizei thematisiert wird. Dieser macht im Vergleich zu den älteren Artikeln deutlich, dass es laut NBI „keine Beweise“ dafür gebe, dass an die Ukraine gespendete Waffen nach Finnland geschmuggelt worden seien. Ahlgren habe jedoch von „nachrichtendienstlichen Hinweisen“ gesprochen, wonach Waffen möglicherweise in die Hände von Kriminellen in Finnland gelangt seien.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Alice Echtermann, Sophie Timmermann 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bericht des finnischen Senders YLE, archiviert am 30. Oktober: Link
  • Aktualisierter Bericht des finnischen Senders YLE, archiviert am 31. Oktober: Link
  • Pressemitteilung der finnischen Polizei NBI vom 1. November: Link
  • Twitter-Thread von Stratcom Ukraine vom 31. Oktober: Link