Faktencheck

Fake-Kampagne: Werke von BASF, Siemens oder VW werden nicht wegen Energiekrise geschlossen

Aktuell wird in pro-russischen Kanälen das Narrativ verbreitet, dass die Energiekrise – und die Hilfe für die Ukraine – zur Zerstörung der Industrie in Deutschland führe. Mehrere gefälschte Facebook-Seiten veröffentlichten Beiträge mit Falschinformationen über angebliche Standortschließungen oder Konkurse großer Firmen. 

von Alice Echtermann

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Wegen der Energiekrise verliere Deutschland seine Industrie – um dieses Narrativ zu stützen und Menschen zu verunsichern, verbreiten Fake-Seiten auf Facebook Desinformation über erfundene Firmenschließungen (Symbolbild: Ralf Vetterle / Pixabay)
Behauptung
Werke oder Standorte von BASF, Siemens, Volkswagen und Ford in Deutschland würden wegen der Energiekrise geschlossen und nach China, Spanien oder in die USA verlegt. Die Oettinger-Brauerei und die Salzgitter AG stünden vor dem Konkurs.
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Frei erfunden
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Frei erfunden. Die Standorte der genannten Firmen werden nicht geschlossen, und es droht nach Aussage von Oettinger und der Salzgitter AG auch kein Konkurs. Die Facebook-Seiten, die die Falschinformationen veröffentlicht haben, sind Fälschungen; die Beiträge sind teilweise bezahlte Werbeanzeigen. 

Im November und Anfang Dezember streuen Fake-Profile auf Facebook Behauptungen über die angebliche Schließung deutscher Firmenstandorte. Schuld sei die Energiekrise. Es werden das Werk des Chemiekonzerns BASF in „Lempferd“ (gemeint ist wohl Lemförde), das Volkswagen-Werk in Wolfsburg, das Siemens-Werk in Amberg und das „Ford-Werk im Saar“ (Saarlouis) genannt. Über die Oettinger-Brauerei heißt es, sie stehe im nächsten Jahr vor dem Konkurs. Über den Stahlkonzern Salzgitter-AG, er mache „Milliardenverluste“ und es stünden Konkurs und Entlassungen bevor.  

Die Facebook-Beiträge haben auffällig viel gemeinsam – was darauf hindeutet, dass sie Teil einer politischen Kampagne sind. Mehrere der Beiträge wurden als bezahlte Werbeanzeigen auf Facebook gezielt Menschen aus verschiedenen Bundesländern angezeigt. Zuerst berichtete Mimikama am 5. Dezember darüber.

Die Beiträge erschienen in unregelmäßigen Abständen seit dem 16. November, sind vom Wortlaut aber nahezu identisch. Mehrere beginnen mit dem Satz „Wenn Sie dies lesen, dann ist das, was wir befürchtet haben, eingetreten“. Dann wird behauptet, die genannten Firmen würden ihre Produktion nach China, in die USA oder nach Spanien verlegen. In allen Beiträgen wird behauptet, Deutschland stelle „die Interessen der Ukraine über die Interessen deutscher Bürger“. Immer wird zudem angedeutet, die „offiziellen Medien“ würden nicht über den Fall berichten. 

Wir haben bei den sechs genannten Firmen nachgefragt. BASF, Volkswagen, Oettinger, Ford, die Salzgitter AG und Siemens bestätigten uns, dass die Behauptungen falsch sind.

Drei Facebook-Beiträge über angebliche Schließungen von Standorten von BASF, Volkswagen und Ford
Die Facebook-Beiträge nutzen ein auffällig ähnliches Layout und fast identische Formulierungen im Text (Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Energiekrise: Weder werden Standorte von BASF, Volkswagen oder Siemens geschlossen, noch steht Konkurs bevor

Ein Pressesprecher von BASF, Jens Fey, sagte uns am Telefon, die Behauptung über die Schließung des Standorts in Lemförde sei „fake“. Ein Sprecher von Volkswagen, Andreas Hoffbauer, schrieb uns: „Die von Ihnen zitierte Meldung entbehrt jeder Grundlage und ist schlichtweg falsch.“ 

Auch Bernhard Lott, Sprecher von Siemens, teilte uns per E-Mail mit, dass die Behauptungen über den Standort in Amberg „jeglicher Grundlage“ entbehren. Ein Pressesprecher der Salzgitter AG, Thorsten Möllmann, wies uns am Telefon darauf hin, dass der Stahlkonzern für 2022 das „höchste operative Halbjahresergebnis seiner Firmengeschichte“ verzeichnet habe. Von „Milliardenverlusten“ und drohendem Konkurs kann also keine Rede sein. 

Die Sprecherin von Oettinger, Natalie Bajon, sagte uns am Telefon, es sei „definitiv nicht der Fall“, dass die Brauerei vor dem Konkurs stehe. Die Facebook-Seite, auf der das verbreitet wurde, heißt „Gerd Burgstaller“. Im Text des Beitrags wird suggeriert, dass er selbst bei Oettinger arbeite – „wir werden alle unseren Arbeitsplatz verlieren“, steht dort. Laut Bajon arbeitet jedoch kein Gerd Burgstaller bei Oettinger. 

Ein Facebook-Beitrag mit der Behauptung, die Oettinger-Brauerei stehe vor dem Konkurs
In diesem Facebook-Beitrag wird behauptet, die Oettinger-Brauerei stehe kurz vor dem Konkurs. Das stimmt laut Unternehmen nicht. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Keine Verlegung der Produktion

Auch der Autohersteller Ford reagierte auf unsere Anfrage. Über das Unternehmen wird behauptet, dass man ein Werk im Saarland schließen wolle, um die Produktion nach Spanien zu verlagern; deswegen werde das gesamte Personal entlassen. Pressesprecherin Ute Mundolf schrieb uns per E-Mail: „Die Darstellung ist so nicht korrekt. Korrekt ist, dass wir den Ford Focus in Saarlouis noch bis 2025 bauen werden. Es wird jedoch kein Nachfolgemodell nach 2025 geben.“

Zu der angeblichen Verlagerung der Produktion nach Spanien schrieb uns Mundolf: Der Ford-Standort in Valencia sei für die Produktion eines potentiellen weiteren Elektrofahrzeugs in Europa in Erwägung gezogen worden. Wie das Handelsblatt und die FAZ im Juni berichteten, hatte der Standort Saarlouis bei der Frage, wo die Elektroautos künftig produziert werden sollen, im firmeninternen Wettbewerb gegen Valencia verloren. In einer Pressemitteilung des Konzerns von Juni dazu steht, dass Ford zukünftige Optionen für den Standort Saarlouis prüfe und sein „Bekenntnis zum Standort Deutschland“ bekräftige.  

Wie das Narrativ der Zerstörung deutscher Industrie durch die Energiekrise aufgebaut wird

Hinter der Desinformation steckt ein Narrativ, mit dem aktuell Stimmung gemacht wird: dass Deutschland wegen der Energiekrise für Firmen unattraktiv werde und seine Industrie verliere. Zu den genannten Firmen gab es dieses Jahr Meldungen, die die falschen Behauptungen vage zu stützen scheinen. So gab es hin und wieder Berichte über einen drohenden Jobabbau bei Siemens, die aber nichts mit einer angeblichen Schließung des Standorts Amberg zu tun haben. 

Vor allem BASF steht aktuell im Fokus pro-russischer Kanäle auf Telegram: Dort wurde im November behauptet, der Chemiekonzern würde „von dem sinkenden Schiff bereits fliehen“ oder in Deutschland „die Zelte abbrechen und in China investieren“. An anderer Stelle heißt es, die USA würden die Produktion von Firmen wie BASF und Volkswagen „absorbieren“.  

Echte Medienberichte lassen die Behauptungen auf den ersten Blick glaubwürdiger erscheinen 

Wie uns BASF-Pressesprecher Jens Fey sagte, werden hier verschiedene Dinge zu einer Story vermischt. Zum einen die Tatsache, dass der Chemiekonzern in einen großen Standort in China investiere – allerdings schon seit 2018. Und zum anderen, dass BASF in Deutschland kürzlich Sparmaßnahmen angekündigt hat. Das sei aber keine „Verlagerung“ der Produktion, erklärte Fey. BASF investiere dort, wo es Kunden für seine Produkte gebe – es ergebe keinen Sinn und sei nicht geplant, die Produktion aus Deutschland nach China zu verlegen, um dann die Waren von dort zurück zu importieren. 

Im Fall von Volkswagen berichtete das US-Medium Bloomberg im September über angebliche Warnungen des Konzerns, dass man bei Gas-Knappheit einige Produktionskapazitäten aus Deutschland wegverlegen müsse. Wie uns Volkswagen-Sprecher Andreas Hoffbauer am Telefon sagte, habe es sich dabei jedoch um ein „Missverständnis“ gehandelt. Eine Wegverlegung sei nicht geplant. Volkswagen hat auch einen Standort in den USA, allerdings schon seit 2011 und es ist nur einer von vielen Standorten weltweit.  

Und auch die Brauerei Oettinger war im Sommer in den Schlagzeilen, weil ein Standort in Thüringen geschlossen werden soll. Wie uns Sprecherin Natalie Bajun sagte, übernimmt jetzt die Firma Paulaner diesen Standort mit allen Mitarbeitenden, so dass keine Arbeitsplätze verloren gingen – auch darüber berichteten Medien im Oktober. Ein Konkurs, wie auf Facebook behauptet wird, ist das nicht. 

Hinweise auf Fake-Profile als Teil einer finanzierten Kampagne

Mit den Falschinformationen wird versucht, Stimmung zu machen – auch mit finanziellen Mitteln. Für mehrere Facebook-Beiträge, wie den über Volkswagen, die Salzgitter AG, Ford oder die Oettinger-Brauerei, wurde sogar Geld bezahlt, damit sie als Werbeanzeigen gezielt Menschen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder im Saarland angezeigt werden – also in den Bundesländern, wo die Unternehmen Werke oder Standorte betreiben. 

Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass die Facebook-Seiten Fälschungen sind. Sie sind alle sehr einfach gestaltet und haben so gut wie keine Follower. Sie alle haben jeweils nur einen einzigen Beitrag veröffentlicht.

Sämtliche Seiten tragen deutsche Männernamen. Eine Person mit dem Namen „Herbert Dressel“ gibt zum Beispiel vor, sie sei Ingenieur bei der Siemens AG am Standort Amberg. Die Seite  ist jedoch als „Internetmarketingservice“ beschrieben und verlinkt auch auf eine  Art ukrainischen Onlineshop oder Online-Marktplatz. Die Seite wurde laut den Transparenz-Angaben auf Facebook am 9. September unter dem Namen „Agrostore“ angelegt. Die gleichen Kontaktdaten werden nach unserer Recherche auf Facebook auch für einen Gartenshop aus Butscha verwendet, dessen Seite aber außer ein paar Bildern von blühenden Pflanzen im Juni bisher nichts veröffentlicht hat. 

All das zeigt: Die Facebook-Seite von „Herbert Dressel“ ist ein Fake. Auch der Pressesprecher von Siemens bestätigte uns: eine Person mit diesem Namen arbeite dort nicht. 

Eine Facebook-Seite, die eine falsche Identität vortäuscht
Die Facebook-Seiten, die die Falschmeldungen verbreiten, sind nicht sehr geschickt gemacht. Diese hier gibt vor, eine Person zu sein, die bei Siemens arbeitet – gibt aber die Kontaktdaten eines ukrainischen Onlineshops an. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Gabriele Scherndl, Steffen Kutzner