Corona-Impfungen: Video verbreitet falsche Behauptungen über Qualitätskontrollen und Arzneimittelgesetz
In einem Video wird unter anderem behauptet, Corona-Impfstoffe würden verimpft, ohne zuvor kontrolliert zu werden, im Schadensfall würde niemand haften – dem zugrunde liege eine Änderung im Arzneimittelgesetz. Doch diese Gesetzesänderung gab es nicht. Eine Verordnung aus 2020 regelt zwar bestimmte Erleichterungen, Kontrollen und Prüfungen der Impfstoffe gibt es aber trotzdem.
In Sozialen Netzwerken wird ein gut drei Minuten langes Video verbreitet. Darin heißt es unter anderem, Änderungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) führten dazu, dass Corona-Impfstoffe ohne vorherige Qualitätskontrolle verimpft werden könnten. Sie könnten außerdem in „irgendwelche Fläschchen abgefüllt werden und müssen nicht mehr etikettiert werden“. Außerdem würde „niemand“ für Folgeschäden der Impfung haften.
Ein Beitrag auf Telegram dazu wurde fast 15.000 Mal gesehen, auch auf Facebook wird das Video geteilt. Doch die Kernaussagen sind falsch: Bei den angeblichen Änderungen des Arzneimittelgesetzes handelt es sich eigentlich um eine Verordnung von Mai 2020. Eine Verordnung ist aber lediglich eine Vorschrift darüber, wie ein Gesetz anzuwenden ist, keine Änderung eines Gesetzes.
Die Verordnung bewirkt zwar tatsächlich, dass einzelne Regelungen für bestimmte Medizinprodukte, die im Zuge der Pandemie angeschafft wurden, verändert und auch gelockert wurden. Das führt aber nicht dazu, dass Corona-Impfstoffe keiner Kontrolle mehr unterliegen, oder niemand für Impfschäden haftet.
Kla.tv-Video entstand im März 2022 und bezieht sich auf eine Verordnung von Mai 2020
Wir finden das Original-Video über eine Google-Suche auf der Webseite von Kla.tv, einer Seite, die schon mehrmals mit der Verbreitung von irreführenden Informationen zu Impfungen auffiel. Dort ist es fast zwei Minuten länger als die Version, die nun in Sozialen Netzwerken verbreitet wird. Es entstand bereits im März 2022. Die Moderatorin liefert in dieser Langversion etwas Kontext und sagt unter anderem, durch die „Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung (MedBVSV)“ seien „zahlreiche Teile des Arzneimittelgesetzes außer Kraft“ gesetzt worden.
Diese Verordnung des Gesundheitsministeriums gibt es schon seit dem 25. Mai 2020. Sie dient „der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ und wurde mehrmals geändert. Da die Behauptungen aktuell kursieren, betrachten wir in diesem Faktencheck die aktuell geltende Fassung der Verordnung.
Corona-Impfstoffe müssen auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden
Gehen wir also die Behauptungen aus dem Video der Reihe nach durch. Gleich zu Beginn heißt es, der Paragraf 8, Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes, der regele, dass abgelaufene Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürften, gelte für Corona-Impfstoffe durch die Verordnung nicht mehr. Das stimmt, die Verordnung setzt diese Passage für Arzneimittel, die im Zuge der Verordnung durch das Gesundheitsministerium oder von ihm beauftragten Stellen beschafft wurden, aus.
Das heißt aber nicht, dass willkürlich abgelaufene Impfstoffe in den Verkehr gebracht werden dürfen. In Paragraf 4 der Verordnung ist geregelt, dass das nur im Einzelfall möglich ist, und auch nur, wenn die zuständige Behörde (das ist in diesem Fall das Paul-Ehrlich-Institut) sicher ist, „dass die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieser Arzneimittel nicht wesentlich beeinträchtigt sind“. Wir haben beim Paul-Ehrlich-Institut nachgefragt, ob es irgendwann dazu kam, dass abgelaufene Impfstoffe in Verkehr gebracht wurden, doch bislang keine Antwort erhalten.
Produktinformationen müssen weiterhin verfügbar gemacht werden
Im Video heißt es weiter, Corona-Impfstoffe müssten nicht mehr gekennzeichnet werden: „Praktisch bedeutet dies, Corona-Impfstoffe können in irgendwelche Fläschchen abgefüllt werden, müssen nicht mehr etikettiert werden und Packungsbeilage und Fachinformationen fallen ebenfalls weg.” Dabei geht es um die Paragrafen 10, 11 und 11a im Arzneimittelgesetz, sie regeln die drei Bereiche Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformationen. Auch die Aussetzung dieser Paragrafen steht in der Verordnung – mit der Bedingung, dass dies nur erlaubt sei, wenn es „zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln erforderlich ist“. Das heißt, Corona-Impfstoffe müssen tatsächlich nicht immer alle Anforderungen in den drei Paragrafen erfüllen.
Die Produktinformationen müssen aber laut der Verordnung dennoch „in geeigneter Weise und barrierefrei” zur Verfügung gestellt werden. Eine Übersicht über die Beipackzettel zu den Covid-19-Impfstoffen hat die Seite infektionsschutz.de des Bundesgesundheitsministeriums veröffentlicht. Alle Beipackzettel werden von der Europäischen Arzneimittelbehörde online veröffentlicht. Auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums heißt es in dem Zusammenhang, damit sollten „im Ausland beschaffte Arzneimittel auch ohne deutschsprachige Kennzeichnung und Packungsbeilage in die Versorgung gebracht werden können“.
Chargenprüfungen gibt es weiterhin
Der nächste Teil im Video dreht sich um die sogenannte Chargenprüfung. Dabei kontrolliert die zuständige Behörde – das ist in diesem Fall das Paul-Ehrlich-Institut –, ob diese Charge von Impfstoffen „die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit“ aufweist. Die Sprecherstimme im Video sagt, Corona-Impfstoffe gingen „auf den Markt, ohne zuvor kontrolliert zu werden“, weil Paragraf 32 des Arzneimittelgesetzes, der eben diese staatliche Chargenprüfung vorschreibt, nicht mehr für sie gelte. Tatsächlich steht in der Verordnung, dass der entsprechende Paragraf im Zuge der Verordnung nicht angewandt wird, wenn das nach Vornahme einer Nutzen-Risiko-Bewertung erforderlich sei.
Auf Nachfrage schrieb uns Parissa Hajebi, Sprecherin im Bundesgesundheitsministerium: Diese Änderung bedeute, dass bei den vom Bundesministerium für Gesundheit beschafften Covid-Impfstoffen Chargen theoretisch auch ohne Freigabe in den Verkehr gebracht werden könnten. Bei den Covid-Impfstoffen habe diese Ausnahme aber keine Rolle gespielt. „Die Chargenprüfung ist dort entweder durch das Paul-Ehrlich-Institut oder eine andere offizielle amtliche Arzneimitteluntersuchungsstelle der EU erfolgt“, schreibt die Sprecherin.
Es wurden laut Bundesgesundheitsministerium also keine Chargen Corona-Impfstoff in Umlauf gebracht, die nicht geprüft wurden.
Das Paul-Ehrlich-Institut muss sich bei seinen Prüfungen zudem an Vorgaben der EU halten, die vom „Europäischen Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln“ festgelegt werden.
Verschiedene Gesetze regeln Haftung nach Impfschäden
Die nächsten Passagen, um die es im Video geht, sind die Paragrafen 84 und 94 im Arzneimittelgesetz. Im Video heißt es dazu, bei Corona-Impfungen würde durch die Änderungen niemand mehr für Folgeschäden haften. In der Verordnung steht, dass die beiden Paragrafen, die sich auf die Gefährdungshaftung und auf die sogenannte Deckungsvorsorge (mit der müssen pharmazeutische Hersteller sicherstellen, dass sie für Schäden haften können) beziehen, im Rahmen der Verordnung keine Anwendung finden.
Warum, das erklärt die Sprecherin des Bundesgesundheitsministerium so: „Die Haftungserleichterung für bestimmte im Gesundheitswesen tätige Personen wurde vorgesehen, um dem besonderen Umstand Rechnung zu tragen, dass aufgrund der pandemischen Situation zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung die schnelle Verfügbarkeit von bestimmten Arzneimitteln erforderlich ist.“ Diese Personen sollen also nur im Falle von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit haften, nicht aber bei „leichter Fahrlässigkeit“. Damit würde man sich an Regelungen in anderen EU-Staaten orientieren.
Das heißt aber nicht, dass niemand für Impfschäden haftet oder Entschädigungen zahlen muss. Wie die Sprecherin auch betont, gibt es mehrere andere Gesetze, die generelle Haftungsfragen regeln. So ist etwa im Produkthaftungsgesetz geregelt: „Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“
Und im Infektionsschutzgesetz gibt es eine Passage, die sich explizit auf Covid-Impfstoffe bezieht. Dort ist in Paragraf 60 geregelt, dass Menschen, die einen Impfschaden erleiden, Anspruch auf staatliche Entschädigung haben. Anträge wegen Impfschäden wurden laut Medienberichten von September und Oktober vereinzelt bewilligt, viele aber auch abgelehnt.
Corona-Geimpfte durften von Anfang an Blut spenden
Zuletzt heißt es im Video, als die Impfung auf den Markt kam, hätten „Geimpfte nicht an Blutspenden teilnehmen dürfen“. Nun würden aber „Eignungstauglichkeits- und Rückstellungskriterien“ wegfallen – was das genau bedeutet, wird nicht erklärt. Aus dem Zusammenhang ergibt sich aber die Behauptung, dass Geimpfte durch eine vermeintliche Änderung des Transfusionsgesetzes nun doch Blut spenden dürften.
Doch schon am 3. Februar 2021 erklärte beispielsweise das Rote Kreuz auf seiner Webseite, Geimpfte dürften „bereits am nächsten Tag“ Blut spenden. Medienberichte dazu, dass das in der Anfangsphase der Impfung anders gewesen sei, fanden wir nicht. Im Gegenteil: Schon kurz, nachdem die Corona-Impfungen in Deutschland begannen, wurde darüber berichtet, dass sich am Blutspende-Ablauf nichts geändert habe.
In der entsprechenden Passage der Verordnung, die Kla.tv zitiert, geht es auch gar nicht um geimpfte Blutspenderinnen und Blutspender. Sondern darum, dass das Paul-Ehrlich-Institut im Einvernehmen mit dem Robert-Koch-Institut dazu ermächtigt werden kann, im Falle einer Blutknappheit während der Pandemie von einer bestimmten Passage des Transfusionsgesetzes abzuweichen. Nämlich von folgender: „Die Zulassung zur Spendeentnahme soll nicht erfolgen, soweit und solange die spendewillige Person nach Richtlinien der Bundesärztekammer von der Spendeentnahme auszuschließen oder zurückzustellen ist.“
Das ist jedoch bei Covid-Geimpften wie gesagt nicht der Fall – sie wurden von Blutspenden nie ausgeschlossen. Laut der Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums wurde diese Ausnahmeregelung zudem bisher auch nicht angewendet.
Falsche und teilweise richtige Aussagen wurden vermischt
Fazit: Eine Kernaussage in den Beiträgen ist falsch: Eine Verordnung aus dem Mai 2020 setzt zwar wegen der Pandemie bestimmte Teile des Arzneimittelgesetzes in bestimmten Fällen aus, das Gesetz selbst wurde aber nicht geändert.
Richtig ist die Behauptung, dass diese Verordnung es erlaubt, bei Covid-Impfstoffen vereinzelt vom Verfallsdatum abzuweichen – die Qualität der Impfstoffe wird aber weiterhin geprüft. Richtig ist auch, dass die Chargenprüfung theoretisch weggelassen werden darf, wenn eine Kosten-Nutzen-Analyse die Notwendigkeit nahelegt. Laut Bundesgesundheitsministerium wurde aber bisher jede Charge der Covid-Impfstoffe geprüft. Die Schlussfolgerung im Video, sie gingen „auf den Markt, ohne zuvor kontrolliert zu werden“, ist also falsch.
Falsch ist auch, dass Corona-Impfstoffe gar nicht mehr gekennzeichnet werden müssen. Die Verordnung regelt, dass Produktinformationen verfügbar gemacht werden müssen. Die Behauptung, niemand müsse für Folgeschäden von Corona-Impfungen haften, ist ebenfalls falsch. Corona-Geimpfte durften außerdem immer schon Blut spenden.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Arzneimittelgesetz, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Transfusionsgesetz, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Infektionsschutzgesetz, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Produkthaftungsgesetz, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)
- Bundesversorgungsgesetz, geltende Fassung vom 12. Dezember 2022: Link (archiviert)