Berlin: Nein, auf dem Bundestag wehte am Tag der Befreiung keine sowjetische Flagge
Im Netz werden Fotos und Videos verbreitet, die angeblich zeigen, wie eine sowjetische Flagge auf dem Berliner Bundestag am 8. Mai 2023 wehte. Doch die Aufnahmen stammen nicht von diesem Tag.
Am 8. Mai war Tag der Befreiung – ein Gedenktag an die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus durch die Alliierten und die Rote Armee im Jahr 1945. Wenige Tage zuvor, am 2. Mai 1945, hissten Soldaten auf dem Gebäude die Flagge der Sowjetunion, damals auch das „Banner des Sieges“ genannt.
Im Netz wird nun behauptet, dass auch in diesem Jahr am 8. Mai das Banner des Sieges auf dem Bundestag zu sehen gewesen sei. In einem 11-sekündigen Video ist eine rote Flagge mit Hammer und Sichel zu sehen, die damaligen Symbole auf der Flagge der Sowjetunion. Zudem ist erkennbar, dass auf der Flagge offenbar weitere Schriftzeichen vorhanden sind. Was genau auf der Flagge steht, lässt sich nicht erkennen.
Im Video sagt eine Stimme: „Oha, hast du das gesehen? Das ist das Banner des Sieges. Ja genau, im Zentrum von Berlin.“ Das Video verbreitete sich am 8. Mai 2023 auf Twitter, dazu heißt es: „Die sowjetische Flagge schwebt wie vor 78 Jahren stolz auf dem Dach des Reichstages in Berlin. Fotos und Videos werden in den sozialen Medien aktiv geteilt.“ Auch auf Telegram wird die Behauptung mit vermeintlich aktuellen Aufnahmen geteilt.
Eine Sprecherin des Bundestags erklärte gegenüber CORRECTIV.Faktencheck, dass es den Vorfall am 8. Mai 2023 nicht gegeben habe. Darauf deuten auch andere Details im Video hin: Unter anderem das kühle Wetter.
Keine Spur von sowjetischer Flagge auf dem Bundestag am 8. Mai 2023
Wir sind am 8. Mai zum Bundestagsgebäude gefahren. Dort war jedoch keine Flagge auf dem Dach des Gebäudes zu sehen. Auch in Aufnahmen, die auf Instagram am selben Tag veröffentlicht wurden, und in Bildern einer vor Ort installierten Webcam, war die Fahne nicht zu sehen.
Birgit Landskron, eine Sprecherin des Bundestags, erklärte uns auf Nachfrage, dass am 8. Mai 2023 keine sowjetische Flagge auf dem Reichstag gehisst worden sei. Sie schrieb uns: „Auf dem Dach des Reichstatsgebäudes wehen allein auf den vier Türmen, wie gehabt, die deutschen und eine Europaflagge.“
Wetter in Berlin: Angebliche Aufnahmen vom 8. Mai zeigen keine Sonne
Dass die Aufnahmen in den Beiträgen auf Twitter und Telegram tatsächlich am 8. Mai 2023 gemacht wurden, lässt sich auch deshalb ausschließen, weil das Wetter deutlich sonniger war als im Video. Obwohl es in Berlin tagsüber bis zu 19 Grad warm war, zeigen die Aufnahmen Menschen in Pufferjacken. Die Bäume in den Videos und Fotos tragen außerdem kaum Blätter, aktuell sind sie aber grün – die Aufnahmen sind also vermutlich zu einem anderen Zeitpunkt entstanden.
Russische Kanäle teilten die Aufnahmen vermutlich zuerst
Wer verbreitete die Aufnahme? Unter anderem der Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny, der mehrere Jahre die Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew leitete, teilte die Behauptung in einem Tweet und löschte diesen später. Aber auch Kanäle, die regelmäßig prorussische Falschinformationen teilen, wie beispielsweise Alina Lipp, haben die Aufnahmen als Fake bezeichnet oder sich inzwischen korrigiert.
Die frühesten Beiträge mit der Behauptung, die wir finden konnten, sind allesamt in russischer Sprache. So teilte ein Twitter-Profil die Aufnahmen am 8. Mai 2023 bereits um 10:28 Uhr (Anm. d. Red. in den archivierten Inhalten wird eine andere Zeitzone angezeigt). Wenig später veröffentlichte auch die russische Nachrichtenplattform Lenta einzelne Aufnahmen mit der Falschbehauptung.
Einer der Telegram-Kanäle ЧВК Медиа (ChVK Media) gehört laut dem US-Institut Digital Forensic Research Lab zur russischen Nachrichtenagentur Ria Fan. Diese ist wiederum Teil der Patriot Media Group – einer russischen Medienorganisation, deren Gremium von dem russischen Oligarchen Jewgenij Prigoschin geleitet wird. Prigoschin betreibt nicht nur das Militärunternehmen Wagner, sondern bekannte sich gegenüber dem Spiegel in diesem Jahr zur Gründung der russischen Trollfabrik Internet Research Agency.
Redigatur: Kimberly Nicolaus, Matthias Bau