Faktencheck

Kettenbrief: Weder John Howard noch Julia Gillard forderten Muslime auf, Australien zu verlassen

Auf Whatsapp verbreitet sich aktuell ein anti-muslimischer Kettenbrief. Darin heißt es wahlweise, der ehemalige australische Premier John Howard oder die frühere australische Premierministerin Julia Gillard hätten muslimische Menschen aufgefordert, das Land zu verlassen. Das ist falsch, der Kettenbrief basiert auf einem Meinungsartikel eines US-Veteranen aus dem Jahr 2001.

von Matthias Bau

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Seit 2001 verbreitet sich online ein anti-muslimischer Kettenbrief. Anders als behauptet stammen die Aussagen darin jedoch weder von dem australischen Politiker John Howard noch von der Politikerin Julia Gillard. (Symbolbild: Valerio Rosati / Zoonar / Picture Alliance)
Behauptung
Laut einem Kettenbrief hätten der australische Premierminister John Howard beziehungsweise die australische Premierministerin Julia Gillard kürzlich Muslime dazu aufgefordert, Australien zu verlassen, wenn sie lieber unter dem Gesetz der Scharia leben wollten.
Bewertung
Falsch. Die Äußerungen in dem Kettenbrief stammen weder von Howard noch Gillard. Er basiert größtenteils auf einem Meinungsartikel eines US-Veteranen aus dem Jahr 2001, der sich jedoch auf die USA und nicht Australien bezog.

„Australien erteilt dem ganzen Westen eine Lektion in Zivilisation!“ – ein anti-muslimischer Kettenbrief mit diesem Titel verbreitet sich seit Jahren im Netz. Darin werden muslimische Menschen unter anderem aufgefordert, Australien zu verlassen, wenn sie die dortige Lebensweise nicht akzeptieren und lieber unter einem „Scharia-Gesetz“ leben wollen. Die Äußerungen sollen von der ehemaligen australischen Premierministerin Julia Gillard oder dem ehemaligen Premierminister John Howard stammen. 

Uns schickten Leserinnen und Leser den Kettenbrief in den letzten Wochen vermehrt per Whatsapp zu, auch auf Facebook und X ist er zu finden. Unsere Recherche zeigt: Weder Gillard noch Howard äußerten sich wie behauptet. Der Kettenbrief kursiert offenbar seit dem Jahr 2001 und basiert auf einem Meinungsbeitrag eines US-amerikanischen Veteranen, der ihn nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verfasste. Sein Beitrag hatte mit Australien nichts zu tun, auch von Muslimen schrieb er nichts. Einige Textteile des Kettenbriefes spielen inhaltlich auf Äußerungen australischer Politiker aus dem Jahr 2005 an.

Kettenbrief kursiert seit 2001 und basiert auf einem Meinungsartikel eines US-Veteranen

John Howard war von 1996 bis 2007 Premierminister Australiens, Julia Gillard von 2010 bis 2013 Premierministerin. Eine Suche mit mit ihren Namen in Kombination mit den Schlagworten „Muslime sollen Australien verlassen“ führt uns zu mehreren Faktenchecks. 

Der älteste stammt ursprünglich aus dem Jahr 2001 von Snopes, einen weiteren veröffentlichte die Faktencheck-Redaktion 2006. Daraus geht hervor, dass sich der Kettenbrief bei dem Meinungsartikel „This is America. Like it or leave it.“ des US-Veteranen Barry Loudermilk bedient. Der Text wurde auf dem Blog VietNow National veröffentlicht – dahinter stand eine vermeintlich gemeinnützige Agentur, die vorgab, sich für die Belange von Veteranen einzusetzen. Im Jahr 2017 wurde VietNational allerdings Medienberichten zufolge wegen Spendenbetrug aufgelöst. Loudermilk ist mittlerweile Politiker für die Republikanische Partei.

Tatsächlich entspricht der Abschnitt in Anführungszeichen im Kettenbrief (unten orange markiert) in weiten Teilen einer wörtlichen Übersetzung aus dem englischen Beitrag Loudermilks. Loudermilk schrieb allerdings von „Amerikanern“, nicht wie im Kettenbrief von „Australiern“; zudem erwähnt er nicht explizit Menschen muslimischen Glaubens.

Der anti-muslimische Kettenbrief verbreitet sich vor allem auf Whatsapp, vereinzelt ist er jedoch auch auf Facebook zu finden. Der orange markierte Bereich ist aus einem Blog-Beitrag eines US-Veteranen von 2001 – der allerdings von Amerikanern, nicht von Australiern sprach
Der anti-muslimische Kettenbrief verbreitet sich vor allem auf Whatsapp, vereinzelt ist er jedoch auch auf Facebook zu finden. Der orange markierte Bereich ist aus einem Blog-Beitrag eines US-Veteranen von 2001 – der allerdings von Amerikanern, nicht von Australiern sprach (Quelle: Facebook; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck).

Australischer Finanzminister und Bildungsminister legten muslimischen Menschen im Jahr 2005 nahe, Australien zu verlassen

Richtig ist aber, dass es im Jahr 2005 Äußerungen australischer Politiker gab, die sich inhaltlich in Teilen mit dem Kettenbrief überschneiden. Sowohl Snopes, Mimikama als auch die Nachrichtenagentur Reuters weisen in Faktenchecks darauf hin. Die Äußerungen standen in Zusammenhang mit dem Anschlag von vier islamistischen Selbstmordattentätern auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005, bei dem 52 Menschen starben und mehr als 700 verwundet wurden.

John Howard, der zu diesem Zeitpunkt Premierminister war und der konservativ wirtschaftsliberal ausgerichteten Liberal Party of Australia angehört, sagte beispielsweise, er wolle Moscheen und Schulen überwachen, um zu erfahren, ob dort Werte verbreiteten würden, die zum Terrorismus ermunterten. Dafür, dass er forderte, muslimische Menschen sollten Australien verlassen, fanden wir keine Belege

In diese Richtung äußerte sich aber der damalige Bildungsminister Brendan Nelson, ebenfalls Mitglied der Liberal Party of Australia. Er sagte im Oktober 2005, Muslime, die in Australien lebten und die Werte des Landes nicht akzeptieren könnten, sollten „abhauen“. Am 23. August 2005 sagte der damalige australische Finanzminister Peter Costello, ebenso wie Howard und Nelson Teil der Liberal Party, in der TV-Sendung Lateline zudem: „Nun, wenn Sie mit parlamentarischem Recht, unabhängigen Gerichten und Demokratie nicht einverstanden sind und die Scharia vorziehen und die Möglichkeit haben, in ein anderes Land zu gehen, in dem sie praktiziert wird, dann ist das vielleicht die bessere Option.“ Wie wir in einem Faktencheck im Oktober 2021 schrieben, ist die Scharia kein einzelnes Buch oder Werk, sondern ein aus mehreren Texten abgeleitetes Regelwerk, das verschiedene Lebensbereiche von muslimischen Menschen betrifft.

Wir fanden keine Belege, dass Julia Gillard, die Politikerin der sozialdemokratischen Australian Labor Party war, muslimische Menschen aufgefordert hätte, Australien zu verlassen.

Redigatur: Paulina Thom, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Blog-Beitrag von Barry Loudermilk im VietNow Magazin: Link (archiviert)