Faktencheck

Zoll erklärt: Bauern dürfen auch mit steuerbefreiten Traktoren an Agrar-Demos teilnehmen

Laut Beiträgen im Netz hinterziehen Bauern, die mit einem steuerbefreiten Traktor an den aktuellen Protesten teilnehmen, Steuern. Der Grund: Das Fahrzeug würde zweckentfremdet. Das stimmt laut Zoll nicht.

von Max Bernhard

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Im Netz wird behauptet, Landwirtinnen und Landwirte, die mit steuerbefreiten Fahrzeugen an den aktuellen Demonstrationen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung demonstrieren, begingen Steuerhinterziehung. Das ist falsch. (Quelle: Jörg Carstensen / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Wer mit Traktoren mit grünem Kennzeichen, die von der KFZ-Steuer befreit sind, an den aktuellen Demonstrationen gegen Agrarpolitik teilnehme, begehe Steuerhinterziehung. Denn damit werde das steuerbegünstigte Fahrzeug zweckentfremdet.
Bewertung
Falsch. Laut Zoll handelt es sich bei der Teilnahme an Demonstrationen zu land- oder forstwirtschaftlichen Themen um keine „zweckfremde Verwendung“ der Fahrzeuge und somit um kein Steuervergehen.

Landwirtinnen und Landwirte demonstrieren aktuell mit Traktorkolonnen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Die Protestaktionen richten sich gegen den neuen Haushaltsplan der Regierung, der unter anderem vorsieht, die Steuervergünstigung für Agrardiesel schrittweise abzuschaffen.

Im Netz wird nun behauptet, dass einige der Protestierenden sich der Steuerhinterziehung schuldig machen würden. Traktoren und Anhänger, die ein grünes Kennzeichen hätten und demnach wegen ihrer landwirtschaftlichen Nutzung von der KFZ-Steuer befreit seien, dürften gar nicht für die Demonstrationen verwendet werden.

„Wer damit zu ner Demo fährt, begeht faktisch Steuerhinterziehung durch Zweckentfremdung eines steuerlich speziell gestellten Fahrzeugs“, heißt es beispielsweise in einem Beitrag auf X, der hunderte Male geteilt und kommentiert wurde. Auch auf Facebook verbreitet sich die Behauptung. Dort heißt es, man solle die Kennzeichen von Demo-Traktoren mit grünen Nummernschildern an das Hauptzollamt melden. Als vermeintlichen Beleg enthält der Post den Screenshot eines Agrarheute-Artikels aus 2021, der Einschränkungen für steuerbefreite Fahrzeuge auflistet. Der Zoll widerspricht. Auch wenn die Ausnahme nicht explizit im Gesetzestext erwähnt ist, legen Behörden die Demo-Teilnahme mit steuerbefreiten Traktoren nicht als Steuervergehen aus.

Traktoren mit grünem Kennzeichen bei Demonstrationen seien ein Fall von Steuerhinterziehung, heißt es in einem Beitrag auf X – doch das ist falsch (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Zoll: Teilnahme an Demos zu Agrarthemen ist zulässig

Von der KFZ-Steuer befreite Fahrzeuge erhalten in Deutschland abgesehen von einigen Ausnahmen kein Kennzeichen mit schwarzer Schrift, sondern eines mit grüner. Diese Befreiung kommt zum Beispiel für Traktoren, Sonderfahrzeuge, und manche Anhänger in Frage, solange diese ausschließlich für begünstigte Zwecke, wie etwa die landwirtschaftliche Nutzung, verwendet werden. Diese Steuerbegünstigung kann das zuständige Hauptzollamt genehmigen.

Elke Sievert ist Steuerberaterin und war davor für mehrere Jahre Professorin für Rechnungswesen und Steuerlehre an der FOM Hochschule in Essen. Laut ihrer Einschätzung gibt es bei Verwendung der von der KFZ-Steuer befreiten Traktoren während der aktuellen Proteste keine steuerstrafrechtliche Relevanz.

Die Teilnahme an Demonstrationen wird im Gesetz und vom Zoll nicht explizit als Ausnahmefall genannt. Nach unseren Recherchen gab es dazu bisher auch keine Gerichtsurteile. Der Sinn und Zweck der Steuerbefreiung „Verwendung im land- und forstwirtschaftlichen Betrieb“ sei, den landwirtschaftlichen Betrieb zu begünstigen, so Elke Sievert. Dazu gehöre auch die Teilnahme an Demonstrationen, wenn es dabei beispielsweise um Themen geht, die die Wirtschaftskraft des landwirtschaftlichen Betriebs betreffen – wie aktuell der Fall. Auch der Gesetzeskommentar „Strodthoff“ zum Kraftfahrzeugsteuergesetz folgt dieser Argumentation.

Laut dem Gesetzeskommentar „Strodthoff“ können steuerbefreite Traktoren auch für Protestaktionen gegen die Landwirtschaftspolitik verwendet werden (Quelle: Strodthoff; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ähnlich schätzt den Sachverhalt auch der Zoll selbst ein. Florian Richter von der Pressestelle des Zolls schrieb uns auf Anfrage per E-Mail: „Eine Teilnahme an Protestaktionen bzw. Demonstrationen zu land- oder forstwirtschaftlichen Themen oder der Energiepolitik ist mit steuerbefreiten Fahrzeugen im Rahmen der steuerunschädlichen Verwendung des Paragraf 3 Nummer 7 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) zulässig.“ Dieser Paragraf regelt die Voraussetzungen zur Befreiung von der KFZ-Steuer. Darunter fällt etwa ein Traktor, der für land- oder forstwirtschaftliche Arbeiten im Einsatz ist. Ähnlich äußerte sich der Zoll auch am 8. Januar auf X.

Die Bäuerinnen und Bauern dürfen also auch mit den steuerbefreiten Fahrzeugen an Demonstrationen teilnehmen – solange es dabei um die Themen Land- oder Forstwirtschaft oder Energiepolitik geht. Andernfalls würde es sich tatsächlich um eine meldepflichtige „zweckfremde Verwendung“ der Fahrzeuge handeln, wie sie Paragraf 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes beschreibt, so Richter. Zu so einem Fall kam es im Februar 2022: Ein Landwirt nahm mit seinem Traktor an einer Corona-Demo teil und wurde angezeigt, denn die Demonstration hatte laut Polizei keinen landwirtschaftlichen Zweck.

Auslegung des Zolls ist nicht neu  

Anders äußerte sich Dieter Müller, Vorsitzender des Juristischen Beirats des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) und Professor für Straßenverkehrsrecht, in Interviews gegenüber der Welt, dem Spiegel, dem MDR, und der MAZ. „Das ist eine ganz einfache juristische Wortauslegung: Wenn ich mich außerhalb des Betriebes bewege, dann gilt die Steuerbefreiung nicht“, so Müller gegenüber dem MDR. Die Teilnahme an einer Demonstration mit dem Traktor müsse dem Finanzamt gemeldet werden (Anm. d. Red. für die Erhebung der KFZ-Steuer ist der Zoll verantwortlich, nicht das Finanzamt.)

Eine Verwaltungsanweisung von 1980 erklärte bereits, dass die Teilnahme an Protestaktionen gegen die Landwirtschaftspolitik keine Zweckentfremdung darstellt. Neu ist diese Auslegung also nicht. (Quelle: Landesamt für Steuern Niedersachsen)

In der Auslegung des Zolls sieht Müller einen Versuch der Behörden, die Situation zu deeskalieren. Laut Spiegel vermutet er, dass Behörden aus politischen Gründen wegschauen. Doch die Auslegung des Zolls ist keineswegs neu, wie eine Verwaltungsanweisung der ehemaligen Oberfinanzdirektion Hannover von 1980 zeigt. Darin heißt es unter Berufung auf einen noch älteren Erlass von 1964: „Es ist vertretbar, eine Verwendung landwirtschaftlicher Zugmaschinen in land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben auch dann noch anzunehmen, wenn diese Kraftfahrzeuge von Landwirten gelegentlich zu Treckeraufmärschen anläßlich von Protestaktionen gegen die Landwirtschaftspolitik benutzt werden.“

Update, 18. Januar 2024: Wir haben den Text um Einschätzungen der Steuerexpertin Elke Sievert, eines Gesetzeskommentars und einer Verwaltungsanweisung, sowie die des Verkehrsrechtsexperten Dieter Müller ergänzt. Außerdem haben wir die Überschrift des Artikels präzisiert.

Korrektur, 9. Januar 2024: Wir haben korrigiert, dass nur das zuständige Hauptzollamt die Steuerbefreiung genehmigen kann, und nicht wie vorher dargestellt auch die jeweiligen Zulassungsbehörden. Dort kann die Befreiung zwar beantragt werden, die letztendliche Entscheidung liegt aber beim Zoll.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Viktor Marinov