Bundestagswahl 2025

Russische Einflussoperation verbreitet Fake-Artikel zu Migrationsabkommen mit Kenia

Pro-russische Aktivisten verbreiten im Dezember 2024 einen gefälschten Artikel: Deutschland plane den „Import“ von 1,9 Millionen Arbeitskräften aus Kenia, heißt es darin. Der Artikel ist Teil einer Desinformationskampagne im Vorfeld der Bundestagswahl.

von Sarah Thust , Max Bernhard , Alexej Hock

Pro-russische Aktivisten verbreiten im Dezember 2024 diesen Artikel – dahinter steckt Desinformation
Pro-russische Aktivisten verbreiten im Dezember 2024 diesen Artikel – dahinter steckt Desinformation (Quelle: Fake-Webseite „Neue Presse“; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Deutschland und Kenia hätten ein neues Migrationsabkommen unterzeichnet, wonach bis zu 1,9 Millionen kenianische Arbeitskräfte nach Deutschland kommen sollen.
Bewertung
Falsch. Deutschland hat mit Kenia am 13. September 2024 ein Migrationsabkommen geschlossen. Darin ist jedoch keine feste Zahl von Arbeitskräften festgelegt, die nach Deutschland kommen sollen. Die Behauptung wird von einer Website verbreitet, die zu einem russischen Desinformationsnetzwerk gehört.

„Wusstet ihr schon, dass Deutschland und Kenia ein neues Migrationsabkommen unterzeichnet haben?“, fragten Mitte Dezember 2024 mehrere pro-russische Aktivistinnen und Aktivisten in Sozialen Netzwerken. Hunderttausende wurden so auf einen Artikel aufmerksam, in dem behauptet wird, Deutschland plane den „Import“ von 1,9 Millionen Arbeitskräften aus Kenia. 

Es handelt sich um eine Falschinformation, die Teil einer Desinformationskampagne vor der Bundestagswahl 2025 ist. Wie wir hier berichten, haben wir rund hundert Fake-Webseiten entlarvt, die zu der sogenannten Kampagne „Storm-1516“ gehören. Nach welchem Prinzip sie vorgeht, erklären wir anhand dieses Beispiels. 

Beiträge auf X mit Bildern und Links zum Fake-Artikel mit der Überschrift: Deutcshland plant den Import von 1,9 Millionen Arbeitskräften
Die Behauptung, dass 1,9 Millionen Arbeitskräfte aus Kenia nach Deutschland einreisen sollen, stimmt nicht. Das neu geschlossene Migrationsabkommen legt keine Zahl an Arbeitskräften fest. (Quellen: X; Screenshots: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Prinzip „Storm-1516“

Mit der Diskreditierung einzelner Politiker und dem Verbreiten falscher Informationen versuchen pro-russische Akteure die Bundestagswahl zu beeinflussen. Fakes, die der Desinformationskampagne „Storm-1516“ zugeordnet werden können, erreichen in der Regel mehr Nutzer als bisher in Deutschland beobachtete ähnliche pro-russische Kampagnen, wie Doppelgänger oder Matroschka. Das Prinzip dahinter: Falschbehauptungen werden unter dem Deckmantel vermeintlicher Nachrichtenartikel in die Welt gesetzt, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen und dann von Profilen mit teils hoher Reichweite verbreitet. Konkret sieht das bei „Storm-1516“ wie folgt aus: 

  • Schritt 1: Website mit normalen und erfundenen Inhalten erstellen, dabei kommt auch KI zum Einsatz. 
  • Schritt 2: Dazu passende gefälschte Beweise bringen Glaubwürdigkeit (zum Beispiel künstlich erstellte Deepfake-Videos oder bezahlte Artikel).
  • Schritt 3: Influencer und Bots mit Reichweite unterstützen bei der Verbreitung.

Es gibt ein Abkommen mit Kenia – doch Zahlen sind darin laut dem BMI nicht festgelegt

Es gibt etliche Anzeichen, dass an der Geschichte nichts dran ist. Weder eine Internetrecherche, noch der Artikel selbst liefern handfeste Belege, dass Deutschland 1,9 Millionen Fachkräfte aus Kenia abwerben würde. Das Bild über dem Artikel stammt von Anfang Dezember 2022 und nicht von 2024. Es zeigt Robert Habeck in Südafrika, aufgenommen wurde es von Bernd von Jutrczenka von der DPA, wie eine Bilderrückwärtssuche zeigt.

Doch im Kern steckt ein Funken Wahrheit: Deutschland und Kenia haben am 13. September 2024 ein bilaterales Migrationsabkommen unterzeichnet, das reguläre Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften stärken, aber auch schnellere Abschiebungen ermöglichen soll. Habeck, als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat das übrigens nicht unterzeichnet – sondern Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Kurz nach der Unterzeichnung gab es Verwirrung darum, wie viele Menschen dadurch nach Deutschland kommen könnten, weil Kenias Präsident William Ruto in einem Interview mit der Deutschen Welle von „250.000 Arbeitsmöglichkeiten für junge Menschen aus Kenia“ sprach. In einem Kommentar auf X schrieb das deutsche Bundesinnenministerium später: „Das Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Kenia enthält keinerlei Zahlen oder Kontingente von Fachkräften aus Kenia, die in Deutschland arbeiten könnten.“ Alle Bewerber müssten die Kriterien des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes erfüllen. 

Auch ein Pressesprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte uns am 21. Januar 2025, dass das Deutsch-Kenianische Migrations- und Mobilitätsabkommen keinerlei Zahlen von Fachkräften enthalte, die in Deutschland arbeiten könnten. Alle Bewerber müssten die Kriterien des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes erfüllen – und Regelungen zur Einbürgerung enthalte das Abkommen nicht.

Hinter dem Artikel steckt eine Nachrichtenseite, die erst seit November 2024 existiert

Die Fake-Website, auf der der erfundene Artikel veröffentlicht wurde, ist erst seit zwei Monaten online und gibt vor, eine Nachrichtenseite mit dem Namen „Neue Presse“ zu sein. Sie hat ein Impressum und Artikel zu unterschiedlichen Themen auf der Startseite.

Startseite der Fake-Website „Neue Presse“
Auf der Startseite der Fake-Website stehen am 21. Januar 2025 Artikel zu unterschiedlichen Themen – der erfundene Text ist weiterhin online. (Quelle: Fake-Webseite „Neue Presse“; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die im Impressum angegebene Neue Presse GmbH in Berlin gibt es jedoch nicht und deren Adresse führt zu einem Einkaufscenter in Berlin, wie eine Internetsuche zeigt. Neue Presse heißt eine Tageszeitung für Hannover und Umgebung – doch deren URL, also die Adresse der Webseite, lautet anders. Ein Blick ins Handelsregister liefert auch keine Hinweise auf ein Berliner Unternehmen namens „Neue Presse GmbH“.

Im Artikel auf „Neue Presse“ wird als Quelle auf zwei Texte von etablierten Medien verwiesen: das kenianische News-Portal Tuko, wo die Zahl von 1,9 Millionen ins Spiel gebracht wird. Und das südafrikanische The South African, in dem die Befürchtung geschürt wird, die große Zahl könnte das Sozialsystem überlasten. Nur: Die Artikel dort sind keine  redaktionellen Inhalte, sondern gesponserte Artikel, sogenannter Branded Content. Jemand hat also dafür bezahlt, dass die Werbeartikel so erscheinen, dass sie wie ein journalistischer Bericht wirken, wie wir hier ausführlich berichten. Das ist Teil einer Strategie, um die Falschbehauptung glaubhafter wirken zu lassen. 

Hinter der Lüge über das Abkommen mit Kenia steckt eine Desinformationskampagne

Was sich sagen lässt: Wenige Stunden nach Veröffentlichung brachte ein kleiner Kreis von Personen und Bots den deutschsprachigen Artikel in Sozialen Netzwerken in Umlauf. Darunter der frühere Kandidat der rechtsextremen Partei Pro Chemnitz, Michael Wittwer, aber auch der pro-russische Aktivist Jovica Jović. Accounts, die in Sozialen Netzwerken häufiger pro-russische Desinformation verbreiten, teilten den Link ebenfalls – darunter der Telegram-Kanal der Influencerin Alina Lipp, die frühere Wirtin eines russischen Restaurants in Mittweida und Alena Dirksen, Unterstützerin von Putins Krieg.

Wittwer, Lipp und Dirksen beantworten Fragen dazu, warum sie den Artikel verbreitet haben, nicht. Gegenüber uns verneinten aber sowohl Jović als auch Dirksen, dass sie für die Verbreitung der Inhalte Geld angeboten bekommen hätten. Dirksen sagt jedoch: „Es würde mich nicht wundern, wenn sowas existiert.“ Jović erklärt lediglich, nicht Ersteller des geteilten Inhalts zu sein, seinen Beitrag gelöscht zu haben und nicht gewusst zu haben, dass es sich dabei um eine Falschinformation handelte. 

Unsere Recherche zeigt: Es sind oft dieselben Akteure, die Fakes der Kampagne verbreiten – Webseiten und Videos, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugt wurden und Russlands Propaganda in die Karten spielen. 

Hinter den Fake-Webseiten der „Storm-1516“-Kampagne steckt demnach der US-Amerikaner John Marc Dougan, der seit Jahren in Moskau lebt. Er hatte schon bei den US-Wahlen 2024 versucht, den Wahlkampf zu beeinflussen – mit gefälschten lokalen Nachrichtenseiten, die den Anschein von Seriosität erwecken sollten, inszenierten Aussagen von „Whistleblowern“ und künstlich erstellten Artikeln und Videos.

Inzwischen hat es auch Deutschland mehrfach getroffen: Neben der Falschbehauptung über das Migrationsabkommen mit Kenia machten bisher vier weitere Fake-Webseiten Schlagzeilen. Im August hatte sich eine Kampagne gegen Außenministerin Annalena Baerbock gerichtet

Russland setzt auf solche Einflusskampagnen, um seine politischen Ziele in Deutschland und anderen Ländern durchzusetzen, wie CORRECTIV berichtete. Wie erfolgreich der Kreml dabei ist, lässt sich schwer abschätzen.

Alle Faktenchecks rund um die Bundestagswahl 2025 lesen Sie hier.

Mitarbeit: Till Eckert, Max Donheiser
Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas