Zahlen, die einen extremen Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderer zeigen sollen, sind falsch
In Sozialen Netzwerken werden Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik verbreitet. Eine Liste soll angeblich zeigen, dass es seit 2014 immer mehr Morde, Vergewaltigungen und Körperverletzungen in Deutschland gebe. Doch die Angaben sind irreführend, ein Teil davon ist sogar erfunden. Der Faktencheck zeigt, wie die Zahlen verdreht wurden.

Hinweis: In diesem Beitrag geht es unter anderem um Fallzahlen zu sexualisierter Gewalt. Es werden keine konkreten Fälle besprochen oder Details genannt.
Schwere Gewalttaten wie Mord, Vergewaltigung und Körperverletzung seien seit 2014 extrem gestiegen, behaupten Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken immer wieder. 2018 hätten sich die Zahlen in Deutschland, im Vergleich zu 2014, um das vier- bis siebenfache erhöht. 2023 seien die Straftaten, ebenfalls im Vergleich zu 2014, sogar um bis zu 7.000 Prozent gestiegen. Das würde bedeuten: Auf eine Körperverletzung im Jahr 2014 kämen 2023 knapp 70 Körperverletzungen.
Diese Behauptung verbreitet sich besonders mithilfe eines Bildes auf Facebook, Instagram, Tiktok und auf der Plattform X. Angeblich stammen die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts. Das Bild teilten unter anderem Unterstützer der AfD, einzelne AfD-Kreisverbände und der Berliner AfD-Landtagsabgeordnete Harald Laatsch. Auf Nachfrage bei einigen Verbreitern erhielten wir keine Antwort. Lediglich der AfD-Kreisverband Darmstadt-Dieburg schrieb uns, dass der Beitrag „ohne ausreichende Prüfung“ veröffentlicht und inzwischen gelöscht wurde.

Mehrere Dutzend Leserinnen und Leser baten uns per Whatsapp, die Zahlen zu prüfen. Unsere Recherche zeigt: Die Angaben auf dem Bild sollen Straftaten mit mindestens einem zugewanderten Tatverdächtigen widerspiegeln, doch die meisten Zahlen sind falsch oder erfunden. Außerdem sollte man wissen, dass die meisten Fälle aus der PKS strafrechtlich nicht weiterverfolgt werden, weil es sich eben um Verdachtsfälle handelt.
Falsche Zahlen sollen Stimmung gegen Geflüchtete machen
Einzelne Kommentare unter den Beiträgen lassen erahnen, welches Narrativ hinter der Behauptung steckt. Den Verbreitern geht es wohl nicht allein um den angeblich starken Anstieg der Gewalttaten, sondern darum, dass Zuwanderer dafür verantwortlich sein sollen, die im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ nach Deutschland gekommen sind.
So schreibt der AfD-Kreisverband Offenbach-Land: „Zur Erinnerung, verantwortlich dafür sind Angela Merkel mit ihrer CDU, Die Grünen und die SPD.“ In einem Facebook-Beitrag fordert jemand: „Remigration aller Auffälligen sofort.“ In einem Tiktok-Beitrag heißt es: „Schaut selber, wie die Straftaten gestiegen sind, seit wir diese Goldstücke im Land haben!“ Begriffe wie „Goldstück“ und „Remigration“ haben sich vor Jahren in der rechten Szene etabliert, um Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund herabzusetzen.
Einen Teil der angeblichen PKS-Zahlen hat CORRECTIV.Faktencheck schon 2019 geprüft: Damals kursierte ein Bild, das sehr ähnliche Zahlen für 2014 und 2018 zeigen sollte. Schon diese Darstellung war wegen falscher Bezeichnungen der Straftaten irreführend und die Daten grundsätzlich nicht vergleichbar.

Zahlen beziehen sich auf tatverdächtige „Zugewanderte“ – Personengruppe inzwischen anders definiert als 2014
Bereits 2019 war klar: Die PKS-Zahlen beziehen sich nicht auf verurteilte Straftäter, sondern auf Tatverdächtige. Sie spiegeln damit die Tätigkeit der Polizei wider, „also gegen wen die Polizei Ermittlungen aufgenommen hat“, sagte gegenüber dem Mediendienst Migration Gina Rosing Wollinger, Professorin für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Der vermeintliche Anstieg der Fallzahlen sagt also nichts Eindeutiges darüber aus, ob es auch wirklich mehr Straftaten gab.
Die Daten von 2014 und 2018 stehen zwar im Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (Download, PDF), einem Übersichtspapier mit ausgewählten Zahlen aus der PKS, können aber nicht sinnvoll miteinander verglichen werden. Das BKA erklärte im Bundeslagebild 2017 selbst (Download, PDF), dass die Definition von Zugewanderten verändert wurde, sodass die Statistik für das Jahr 2017 eine deutlich größere Personengruppe betrachte.
Seit 2017 fallen auch Asylsuchende mit positiv abgeschlossenen Verfahren unter die „Zuwanderer“ – zuvor waren sie in einer anderen Kategorie aufgeführt.

Zum Verständnis: Fallen mehr Menschen in die Statistik, steigt laut Fachleuten in der Regel auch die Anzahl der Vergehen. Es ist also wichtig, den Kontext solcher Zahlen zu berücksichtigen.
Zahlen sind aus Bundeslagebildern größtenteils falsch entnommen
Darüber hinaus sind die Zahlen nicht korrekt den Kategorien zugeordnet, weder im Bild von 2019 noch im aktuellen. Dadurch sehen die Zahlen höher aus, als sie es in der Realität sind. Der Straftatbestand „Vollendeter Mord und Totschlag“ ist eigentlich eine Unterkategorie der „Straftaten gegen das Leben“.
Das heißt für das Jahr 2018: Die angeblich 430 Tatverdächtigen mit Straftatbestand „Vollendeter Mord und Totschlag“ sind in Realität 430 Personen, die verdächtigt wurden, „Straftaten gegen das Leben“ begangen zu haben. Darunter fallen beispielsweise auch Schwangerschaftsabbrüche und fahrlässige Tötung. In Realität beläuft sich die Zahl der Tatverdächtigen für Mord und Totschlag auf 405 Personen.
Auch beim Straftatbestand „Körperverletzung“ wird dieser Trick angewandt: Die Zahlen für 2014 und 2018 beziehen sich auf „Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“, also die Oberkategorie, unter die neben Körperverletzung zum Beispiel auch Fälle von Bedrohung und Nötigung fallen. Statt angeblich rund 73.000 Tatverdächtigen in 2018, wurden in der Realität etwa 54.500 Personen der Körperverletzung beschuldigt.
Die Zahl von 6.046 „sexuellen Übergriffen“ aus der Behauptung, findet sich auch so im Bundeslagebild, allerdings heißt die Kategorie dort „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Auch hier ist ein Vergleich zwischen 2014 und 2018 aber nicht sinnvoll, denn seit der Strafrechtsreform 2016 fallen mehr Straftaten in diese Kategorie. Im Bundeslagebild 2018 steht ein entsprechender Hinweis auf der gleichen Seite wie die Zahlen.
Zahlen für 2023 sind erfunden, Bundeslagebild weist niedrigere Zahlen aus
Während also die Zahlen für 2014 und 2018 größtenteils falsch aus dem Bundeslagebild des BKA entnommen wurden, gibt es für die Zahlen aus 2023 keine Belege. Sie tauchen nicht im Bundeslagebild beziehungsweise in der Polizeilichen Kriminalstatistik auf. Mit anderen Worten: Die Zahlen sind erfunden und viel zu hoch.
Wie die tatsächlichen Zahlen in den richtigen Kategorien aussehen, zeigt diese Grafik:
Das heißt, im Jahr 2023 gab es – im Vergleich zu 2018 – sogar einen Rückgang der Straftaten gegen das Leben, an denen mindestens ein „zugewanderter Tatverdächtiger“ beteiligt gewesen sein soll. Ansonsten ist es zwar richtig, dass die Anzahl solcher Straftaten gestiegen sind, doch nicht in dem Ausmaß wie behauptet.
Zahl der Straftaten mit zugewanderten Tatverdächtigen sind – gemessen an allen Straftaten – gering
Für die hier betrachteten Delikte gilt: Der Anteil der Fälle, bei denen Zugewanderte verdächtigt wurden, liegt bei nur etwa 4 bis 14 Prozent. Das bedeutet, in den Jahren 2014, 2018 und 2023 gab es stets deutlich mehr Taten, bei denen kein Zugewanderter tatverdächtig war.
Weil pro Fall jedoch mehrere Personen tatverdächtig sein können, ist diese Betrachtung nur bedingt aussagekräftig. Mit Blick auf die PKS und die Zahl der Tatverdächtigen zeigt sich: Für die hier besprochenen Verbrechen in allen drei Jahren waren die Tatverdächtigen mehrheitlich Deutsche, also Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft.
Die Quote der nichtdeutschen Tatverdächtigen, worunter Zugewanderte, aber auch alle anderen Personen ohne deutschen Pass fallen, liegt im Jahr 2023 bei den „Straftaten gegen das Leben“ bei 38 und bei „Rohheitsdelikten“ bei etwa 37 Prozent. Nichtdeutsche machen unter den Verdächtigen für „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ etwa 28 Prozent aus.
Nichtdeutsche sind für das BKA Zugewanderte oder Ausländer, aber auch Touristen und Grenzpendler. Die konkreten Definitionen des BKA nennen wir im Folgenden:
PKS kann nichts über tatsächliche Täter aussagen, nur über Tatverdächtige
An der PKS und ihrer Interpretation gibt es immer wieder Kritik.
Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, sagt dazu uns gegenüber: „Aus meiner Sicht ist die PKS keine geeignete Grundlage, um einen Zusammenhang zwischen Migration/Flucht und Kriminalitätsgeschehen zu überprüfen.“ Die PKS sei eine „wichtige statistische Quelle“, für Aussagen über einen kausalen Zusammenhang sei sie aber nicht geeignet.
Auch Dietrich Oberwittler, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, sagt: „Die PKS darf nicht als reales Abbild der Wirklichkeit gesehen werden“. Aber auch: „Die PKS ist grundsätzlich eine wichtige Informationsquelle zur Kriminalitätslage.“ Seiner Meinung nach gebe es durchaus verfälschende Aspekte, wie höhere Anzeigebereitschaft, die unter anderem zu einer Überrepräsentation von Personen mit Migrationshintergrund in der Statistik führe.
Beide Experten weisen darauf hin, dass die Gewaltkriminalität langfristig nicht etwa steigt, sondern zurückgeht. Beide Experten sprechen hierbei übergreifend von „westlichen“ oder „entwickelten“ Gesellschaften, nicht nur von Deutschland. Sexuelle Gewalt etwa steige in den letzten Jahren in der Statistik vor allem durch gesetzliche Ausweitungen der Strafbarkeit und „die deutlich gestiegene Sensibilität […] von jungen Frauen“, so Oberwittler.
Desinformation zu Kriminalität ist ein bekanntes Narrativ gegen Geflüchtete
Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird immer wieder für Desinformation gegen Geflüchtete herangezogen. Wenn überhaupt echte Zahlen zitiert werden, dann häufig aus dem Kontext gerissen oder ohne notwendige Einordnung. Im August 2024 behauptete beispielsweise der österreichische Sender Auf1, Messerattacken von migrantischen Personen hätten „Hochkonjunktur“. Wie wir in einem Faktencheck dazu erklärten, ist der Fall der Gleiche: Die von Auf1 genannten Zahlen stammen teilweise aus der PKS, sind jedoch nicht miteinander vergleichbar. Wie ein Sprecher des BKA erklärte: Messerkriminalität wird erst seit Anfang 2024 flächendeckend einheitlich erfasst.
Auch ohne Bezug zur PKS wird Geflüchteten in Deutschland häufig besonders kriminelles Verhalten unterstellt. So sprach beispielsweise Bundeskanzler Friedrich Merz vor der Bundestagswahl 2025 von „täglichen Gruppenvergewaltigungen“ von Asylbewerbern in Deutschland. Wir haben die Behauptung überprüft und fanden dafür keine Belege.
Fazit: Die in der Behauptung aufgeführten Zahlen beziehen sich auf „zugewanderte“ Tatverdächtige. Die meisten Zahlen stammen aus den Bundeslagebildern des BKA, die auf Daten der PKS beruhen. Andere Zahlen sind jedoch erfunden. Korrekte Zahlen wurden größtenteils falsch den Kategorien zugeordnet. Das Bild, das dadurch gezeichnet wird, ist falsch. Die Zahl der Straftaten mit „zugewanderten“ Tatverdächtigen in den Kategorien Straftaten gegen das Leben, gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Rohheitsdelikte sind von 2014, zu 2018, zu 2023 zwar gestiegen, jedoch in viel geringerem Ausmaß und aufgrund veränderter Definitionen nicht vergleichbar.
Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Polizeiliche Kriminalstatistik 2023, Bundeskriminalamt: Link (archiviert)
- Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2023: Link (archiviert)
- Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2018: Link (archiviert)
- Statistik „Bevölkerung nach Nationalität und Geschlecht 1970 bis 2023 in Deutschland“, Statistisches Bundesamt, 14. Juni 2024: Link (archiviert)