Liegt die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Deutschland bei 21 oder bei 6 Prozent?
Die CDU nennt die von der SPD zitierten 21 Prozent eine „Fantasiezahl“ und behauptet, dass der Gender Pay Gap nur sechs Prozent beträgt. Was steckt hinter diesen Zahlen? Wir klären auf.
In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ am 20. August 2017 greift das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn die Wahlkampagne der SPD an: „Auch bei anderen Themen macht die SPD mit Fantasiezahlen Stimmung. Da wird dreist behauptet, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen betrage 21 Prozent, dabei sind es nur sechs. Die Sozialdemokraten beschädigen so nicht nur die Glaubwürdigkeit von Politik und Demokratie, sie spalten bewusst die Gesellschaft“.
Hat die SPD behauptet, dass die Lohnlücke 21 Prozent beträgt? Ja, sogar mehrmals. In ihrem Regierungsprogramm ist zu lesen: „Frauen erhalten im Durchschnitt 21 Prozent weniger Lohn als Männer“ und auf Straßenplakaten sowie auf der Webseite der SPD erscheint dieses Bild:
Am 20. August 2017 twitterte der Spitzenkandidat Martin Schulz folgende Nachricht: „Warum bekommen unsere Töchter Ø 21% weniger Gehalt als unsere Söhne? Als Vater macht mich das wütend. Als Bundeskanzler will ich das ändern.“
Der Unterschied: unbereinigt und bereinigt
6 oder 21 Prozent, das ist hier die Frage, die wir lösen möchten. In der Tat sind beide Zahlen in vielen Dokumenten des Statistischen Bundesamt zu finden.
So konnte man in einer Pressemitteilung vom März 2017 sowohl lesen, dass „im Jahr 2016 der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen mit 16,26 Euro um 21 % niedriger als der von Männern (20,71 Euro) [war]“, als auch, dass der „sogenannte bereinigte Gender Pay Gap 2014 bundesweit bei 6 % [lag]“.
Um den Unterschied zwischen beiden Zahlen zu verstehen, ist eine Definition für beide Konzepte nötig. Laut Statistischem Bundesamt vergleicht der unbereinigte Gender Pay Gap „den Durchschnittsverdienst aller Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitnehmerinnen in allgemeiner Form miteinander. Mithilfe des unbereinigten Gender Pay Gap wird auch der Teil des Verdienstunterschieds erfasst, der durch schlechtere Zugangschancen von Frauen hinsichtlich bestimmter Berufe oder Karrierestufen verursacht wird, die möglicherweise ebenfalls das Ergebnis benachteiligender Strukturen sind“.
Klarer gesagt: Der unbereinigte Gender Pay Gap vergleicht die Bruttoeinkommen von allen Frauen mit denen von allen Männern in Deutschland – egal ob sie unterschiedlichen Berufe ausüben und wie lange sie arbeiten. In der obigen Grafik entspricht das dem 4,43 Euro-Unterschied.
Beim bereinigten Gender Pay Gap werden diese Strukturunterschiede ignoriert. Man vergleicht nur Männer und Frauen „mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiographien“. Auch in diesen Fällen gibt es eine Lohnlücke. In der obigen Grafik lag der allgemeine Lohnunterschied bei 1,16 Euro, was 5,84 Prozent im Jahr 2014 entsprachen.
21 Prozent ist keine Fantasiezahl
Die Frage von Martin Schulz „Warum bekommen unsere Töchter im Durchschnitt 21% weniger Gehalt als unsere Söhne?“ lässt sich so beantworten: Weil sie in anderen Branchen arbeiten, in denen sie andere Berufe ausüben. Weil sie auch Jobs haben, in denen weniger Qualifikation und Führung gefragt wird. Und weil sie öfter in Teilzeit arbeiten als Männer: Laut Eurostat arbeiteten 46,5 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit im Jahr 2016. Bei den Männern waren es nur 9,4 Prozent. Wenn diese Situationen sich ändern würde, dann könnte der Gender Pay Gap geringer werden, und Vater Schulz wäre dann nicht mehr wegen der Benachteiligung seiner Töchter wütend.
Was den Satz aus dem Parteiprogramm betrifft: Auch er ist nicht falsch. Es stimmt, dass Frauen in Deutschland im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Im Gegensatz zu Jens Spahns Aussage handelt es sich nicht um eine „Fantasiezahl“, sondern um eine Zahl, die dem unbereinigten Gender Pay Gap entspricht.
Das Werbeplakat der SPD ist irreführend
Der CDU-Politiker hat aber Recht im Fall des SPD-Plakats. Demnach scheint ja diese Frau, die „100 % leistet“, „21 % weniger“ als ein Mann zu verdienen, der sicherlich auch „100 % leistet“. Wenn beide den gleichen Job ausüben und den gleichen Lebenslauf haben, dann sollte laut Statistik der Lohnunterschied bei ungefähr sechs Prozent liegen. In diesem Kontext ist die SPD-Zahl also irreführend.
Fazit: Die beiden Zahlen beschreiben unterschiedliche Lohnlücken. Bei den 21 Prozent werden die Bruttolöhne von allen Frauen mit denen von allen Männern verglichen, während die sechs Prozent dem Lohnunterschied von Frauen mit den gleichen Qualifikationen und Lebenserfahrungen von Männern entspricht.