Neid auf Nichts
Wer als Asylbewerber neu nach Deutschland kommt, wird medizinisch nur eingeschränkt versorgt. Das weiß auch die AfD. Dennoch nennt sie Asylbewerber „Patienten erster Klasse”, die gegenüber Kassenpatienten besser gestellt seien. Die gesetzlichen Grundlagen
„Menschen, die Krankenkassenbeiträge bezahlt haben sind schlechter gestellt, als Millionen Menschen, die noch nie zum Sozialsystem beitrugen.“ Diese von der AfD verbreitete Aussage wurde auf Facebook hundertfach geteilt und genauso oft mit der Reaktion „Ich bin wütend“ markiert. „Absolute abnormale Ungerechtigkeit den deutschen Bürgern gegenüber“, kommentierte ein eher gemäßigter Nutzer. Andere Kommentatoren gingen weiter und äußerten Beschimpfungen und Hass gegenüber Flüchtlingen.
Die vermeintliche medizinische Besserstellung von Asylbewerbern sieht die AfD darin begründet, „dass Arznei- und Heilmittel, die Asylbewerbern verordnet werden, nicht unter das Wirtschaftlichkeitsgebot der Arztpraxen fallen“. Dabei sei die Behandlung von Asylsuchenden für Praxen besonders lohnenswert, da „der Arzt eine volle Vergütung“ abrechnen könne, während bei Kassenpatienten eine Quartalsbudgetierung greife. Zudem müssten Asylsuchenden weder bei Krankenhausaufenthalten, noch bei Zahnersatz Zuzahlungen leisten.
Zu den gesetzlichen Grundlagen oder stimmt das wirklich?
Ab dem 15. Monat ihres Aufenthaltes sind Asylsuchende mit Kassenpatienten gleichgestellt. So regelt es das Gesetz. Das Statement der AfD bezieht sich allein auf den Zeitraum davor. Dann gilt das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das in den Paragrafen 4 und 6 regelt, welche medizinischen Leistungen Asylsuchenden zustehen. Besondere Privilegien sind hier jedoch nicht erkennbar. Im Gegenteil: Das Gesetz beschränkt die ärztliche Behandlungen allein auf „akute Erkrankungen und Schmerzzustände“.
Da die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in der Hand der Bundesländer und Gemeinden liegt, gibt es keine bundesweit einheitliche Umsetzung des Gesetzes. Alle lokalen Bestimmungen haben jedoch gemeinsam, dass der Leistungsanspruch von Asylsuchenden während der ersten 15 Monate unter denen von Kassenpatienten liegt.
In der täglichen medizinischen Praxis führt dies dazu, dass Ärzte Asylbewerber nicht adäquat behandeln können. Verschiedene Quellen berichteten CORRECTIV von mehreren tragischen Einzelfällen. Es geht um Krebspatienten, die nicht behandelt wurden und um Menschen mit Granatsplittern im Bein, die vergeblich auf eine Operation warteten.
Da die Gesundheitsleistungen oftmals einzeln von den Sozialämtern bewilligt werden müssen, können „notwendige Behandlungen erheblich verzögert werden oder ganz unterbleiben“, stellt die Verbraucherzentrale fest.
Medizinische Hilfe erfolgt nur in Ausnahmefällen
Hilfsmittel wie Rollstühle oder Prothesen können Asylsuchenden nur „im Einzelfall gewährt werden, wenn sie zur Sicherung (…) der Gesundheit unerlässlich“ sind, heißt es im Gesetz. Ob eine solche Unerlässlichkeit tatsächlich vorliegt, werde häufig wochenlang von den Sozialämtern geprüft, berichtet „Medizin Hilft“, ein Berliner Verein, der Asylsuchende bei der aufwändigen Beantragung solcher Leistungen unterstützt.
Darüber hinaus setzt sich die gemeinnützige Organisation für die psychologische Betreuung von Menschen ein, die durch Krieg und Flucht traumatisiert sind. Denn während bereits Kassenpatienten meist Probleme hätten, einen Termin beim Psychologen zu erhalten, sei dies für Asylbewerber beinahe unmöglich, berichtet „Medizin Hilft“. Laut Ärzteblatt bleiben viele psychologische Probleme bei Flüchtlingen unerkannt.
Wer als Asylsuchender an entzündeten Zähnen oder chronischen Zahnerkrankungen leidet, kann sich diese zwar ziehen lassen, doch eine darüber hinaus gehende, moderne Zahnbehandlung oder gar Zahnersatz steht ihm grundsätzlich nach Paragraf 4 Abs.1 AsylbLG nicht zu.
Wenn die AfD nun anmahnt, dass Asylsuchende keine Zuzahlungen für Zahnersatz leisten müssten, so spricht sie einen Sachverhalt an, der „nur in besonderen Ausnahmefällen aus besonderen medizinischen Gründen“ erfolgt, wie eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erklärt. Als mögliche Gründe für die Ausnahmeregelung nennt das Ministerium beispielhaft die „schwere Beeinträchtigungen des Verdauungssystems aufgrund fehlender Zähne“.
Fokussierung aufs Theoretische
Ähnliches gilt für Arzneien und Klinikaufenthalte, die von Asylbewerbern meist nur in lebensbedrohlichen Notsituationen in Anspruch genommen werden können. Von einer Privilegierung Asylsuchender kann laut „Medizin Hilft“ nicht die Rede sein.
Was die Honorierung von Ärzten betrifft, so können Arztpraxen in manchen Kommunen tatsächlich extrabudgetäre Honorare für die Behandlung von Asylsuchenden abrechnen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass Asylsuchende als „Patienten erster Klasse“ behandelt werden, wie die AfD suggeriert. Im Gegenteil: Menschen, die Flüchtlinge aufgenommen haben, berichteten CORRECTIV, dass Ärzte Asylbewerber abgewiesen hätten, wohl weil deren Behandlung aufgrund von Verwaltungs- und Sprachbarrieren sehr zeitaufwändig sei. Tatsächlich gibt es immer wieder Unklarheiten darüber, wie und welche Leistungen überhaupt in welchem Umfang mit den Trägern der Jugend- bzw. Sozialhilfe überhaupt abgerechnet werden können.
„Damit Ärzte Sprachbarrieren überwinden können, können (…) Kosten für eine Dolmetscherleistung beim Arzt übernommen werden, wenn dies für die Erhaltung der Gesundheit unerlässlich (…) ist.“, erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Doch in der Praxis bleibe die Sprachbarriere ein großes Problem, berichtet Krankenhausärztin Laura Hatzler vom Verein „Medizin Hilft“: „In den wenigsten Krankenhäusern gibt es genügend Dolmetscher. Man hat einfach das Problem, dass man nicht erfahren kann, welches medizinische Problem der Patient eigentlich hat. Und wenn man es doch herausgefunden hat, kann ich ihm die Therapie nicht vermitteln.“
Fazit
Per Gesetz erhalten Asylbewerber während der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Auf Grundlage von abrechnungsspezifischen Details konstruiert die AfD jedoch bewusst das falsche Bild von einer angeblichen medizinischen Besserstellung von Asylbewerbern. Durch die gezielte Desinformation schürt die Partei willentlich Neid.