Der Troll im Wahlplakat
Die Optik eines Wahlplakats zu imitieren, ist leicht gemacht. Die richtige Farbe, ein Bild, ein Spruch - fertig ist die vermeintlich authentische Parteiwerbung. Im Netz kursieren zahlreiche solcher Bildmontagen, die gezielt Stimmung gegen Parteien und gegen Geflüchtete machen sollen. Aber ab wann werden diese fingierten Wahlplakate gefährlich?
Fedidwgugl. Was wurde über dieses Kunstwort nicht alles gespottet. Im Juni hatte der Frankfurter CDU-Politiker Claus Junghanns den eigentümlichen Hashtag das erste Mal benutzt. Hinter der kryptischen Abkürzung verbarg sich ein Wahlslogan der Christdemokraten: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“, der sich inzwischen auf zahlreichen Plakaten der Union wiederfindet.
Bis zum 29.08.2017. Da tauchte ein vermeintlich altes SED-Plakat auf – mit dem selben Wahlspruch. Für kurze Zeit drohte „fedidwgugl“ zum Super-GAU der Union zu avancieren. Was wäre gewesen, wenn sich herausstellte, dass die Christdemokraten seit Monaten mit einem Spruch der Sozialistischen Einheitspartei aus DDR-Zeiten warb?
Es dauerte allerdings nicht lange, bis das Originalfoto im Netz auftauchte und ein Kollege von „First Draft“ die Montage als Fälschung entlarvte. Wer das Bild beim kostenlosen Filehosting-Dienstleister Imgur hochlud und dann über die Bilder-Rückwärtssuche Reveye laufen ließ, fand das Originalfoto bei der russischen Suchmaschine Yandex wieder. Die Internetplattform „Mimikama“ wies auch auf die Stellen hin, wo genau das Bild im Nachhinein bearbeitet wurde. Über dieses zigfach verbreitete Fake-Plakat berichteten Ende August etliche Medien.
Plakate werden gesehen, im Netz als Bild oder als Aufsteller am Straßenrand. Täglich rauschen zigtausende potentielle Wähler in ihren Autos, auf dem Rad oder im Bus daran vorbei. Täglich surfen wir im Netz und werden links und rechts von Werbebannern begleitet, die Timelines wird von gesponserten Posts vollgespült, Fotos erscheinen prominent in abonnierten Gruppen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – so lautet die alte Faustregel. Und sie gilt online ganz besonders. Und insbesondere im Wahlkampf.
Im Netz finden sich inzwischen zahlreiche falsche Plakate: In passender Optik, dazu ein reißerisches Bild oder eine falsche Aussage, fertig ist die vermeintliche „Parteiwerbung“. Und in nur wenigen Sekunden hochgeladen, zirkuliert es wenig später bereits durchs Netz. Auch das Faktencheck-Team von CORRECTIV berichtet immer wieder von verdrehten Aussagen von Politikern – oder falschen Plakatbildern oder beides.
Denn gerne wird dem oder anderen Politiker im Netz mal etwas in den Mund gelegt und direkt in der parteieignen Optik illustriert. Vor einigen Wochen etwa als der AfD-nahe Verein Recht und Freiheit ein Plakat mit dem aktuellen CDU-Slogan und einem Flüchtlingsstrom im Hintergrund postete. Die Collage aus einem Bild des Getty-Images-Fotografen Jeff J Mitchell und einem Wahlplakat der Union sollte eine satirische Überspitzung zu Merkels Flüchtlingspolitik darstellen. Eine angebliche Satire, die – wie oft in solchen Fällen – nicht alle User erkannten. Entsprechend groß war die Aufregung, entsprechend rau der Ton in den Kommentaren unter dem Bild.
Zuletzt verbreitete sich ein Plakat der SPD-Staatssekretärin Yasmin Fahimi, die angeblich mit dem Spruch „Der Islam ist deutsch“ wirbt. Der Spruch wurde im Nachhinein in das Bild retuschiert, wie die Faktenprüfer von Mimikama zeigten. Am Bildrand findet sich ein Verweis auf Uwe Ostertag.
Fälscher in Berufung
In den vergangenen Jahren verging kaum ein Tag, ohne dass Ostertag einen provokanten Kommentar unter einen Text setzte, kaum ein Tag verging, ohne dass Ostertag einem Politiker ein falsches Zitat zusprach und das falsche Bild ins Netz katapultierte. „Ich bin der Troll“, ich suche Streit im Netz, sagt Ostertag über sich selbst.
Im Februar diesen Jahres wurde Ostertag zu 22 Monaten Haft verurteilt. Volksverhetzung, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen werden ihm zur Last gelegt. Ostertag verteidigt sich mit dem Argument, all seine Kommentare, all seine selbstgebastelten Memes – Bilder mit erfundenen Politikerzitaten – seien nur Satire gewesen. Er ist in Berufung gegangen, das Verfahren liegt beim Landgericht Würzburg, ein neuer Termin ist für Ende Januar anberaumt worden.
Es sind aber längst nicht mehr nur einzelne Trolle wie Ostertag, die Inhalte fingieren. Auf der Seite des anonymen Forums 4Chan finden sich zahlreiche falsche Plakate, die sich jeder herrunterladen und weiterverbreiten kann. Seit Februar diskutieren Teilnehmer im Forum „/pol/ Politically Incorrect“ wie sie die Wahl beeinflussen können. Die rechten Online-Aktivisten versuchen, „linke Aktivisten zu unterwandern und zu demoralisieren“.
Angriff auf sogenannte Altparteien
Die Fotoalben, die hier veröffentlicht sind, haben mitunter brisante Namen. In den Ordnern „Meme-Krieg“ („Buzzfeed“ & „Motherboard“ berichteten) oder „PsyOp“, die Abkürzung für psychologische Kriegsführung, finden sich zahlreiche Bilder und Plakate, mit denen man Stimmung gegen die sogenannten „Altparteien“, gegen Merkel und insbesondere gegen Geflüchtete machen will. Im Ordner „Ronnys Vorlagen“ hat jemand zahlreiche Layouts von SPD, FDP, CDU, Linke und Grüne hochgeladen. Mit dem Material kann jeder sein eigenes Plakat fingieren, abspeichern und ins Netz schleudern.
Dass rechtsextreme Onlineaktivisten die Wahl mit Desinformation, mit Falschnachrichten, mit automatisierten Accounts, mit Hass-Memes beeinflussen wollen, legt auch ein aktueller Bericht des Nachrichtenmaganzins „Spiegel“ nahe. Es gebe informelle Netzwerke, Verbindungen zu anderen europäischen Nationalisten und zu Protagonisten der rechtsextremen amerikanischen Alt-Right-Bewegung haben. Auch bei 4Chan tauschen sich englisch- und deutschsprachige User aus. Ginge es nach ihnen, dann wäre Björn Höcke (AfD) der nächste Bundeskanzler.
Aber wie verbreitet sind diese Fakes abseits der rechtspopulistischen Echokammern, ab wann landen solche Bilder in der Timeline eines vielleicht noch unentschlossenen Wählers? Und wie viele Leute glauben, dass die Grünen wirklich mit dem Spruch: „Lieber Scharia statt Maria“ werben? Noch ist es ein kleiner Personenkreis bei 4Chan, der aktiv an den Werbestrategien der Rechten feilt. „Aber im US-Wahlkampf war das ähnlich, auch damals wurde das Material zunächst bei 4Chan hochgeladen – und auch dort waren es nur wenige aktive User“, warnt Simon Hegelich, Spezialist für Desinformation und deren Verbreitung. Hegelich forscht an der Hochschule für Politik München. Irgendwann landete das Material von 4Chan in anderen Foren – zum Beispiel beim Social-News-Aggregator Reddit. „Reddit war im US-Wahlkampf eine Art Durchlauferhitzer“, sagt Hegelich – in Deutschland fehle aber ein entsprechendes Pendant. Zwar gibt es auch hier bei Reddit rechtspopulistische, deutsche Gruppen – an Durchschlagskraft fehlt es ihnen aber bisher.
Um zu vermeiden, den Fälschern und Stimmungsmachern mit einer Berichterstattung erst das große Publikum zu verschaffen, wägen Faktenprüfer, auch wir im Faktencheck-Team WahlCheck17, jedes Mal ab: Wie viele Leute haben dieses Bild bereits geteilt? Was kommentieren die User unter dem Beitrag? Wird sein Kontext erklärt? Mit welcher Intention soll das Bild verbreitet werden? Erst danach entscheiden wir, ob wir über ein Meme, wie etwa das vermeintlichen CDU-Plakat, berichten oder nicht.
Langfristig geplant
Wer solche Inhalte genau bereitstellt, wie sie systematisch verbreitet werden, dazu gibt es bisher in Deutschland kaum wissenschaftliche Studien. Technisch möglich ist es, nach einzelnen Bildern zu suchen, die etwa bei 4Chan hochgeladen worden sind. Dann findet man einige der Memes in rechtspopulistischen Youtube- und Facebook-Kanälen wieder. Im US-Wahlkampf spielte das 4Chan eine zentrale Rolle, wie eine Studie nahelegt.
In Deutschland ist es noch nicht so. Kein Grund zur Entwarnung: „Das wird nicht mit der Wahl aufhören, da wird langfristig geplant und gedacht“, sagt Hegelich. Im 4Chan-Chat stehen bereits die Daten für die kommenden Wahlen: Mitte Oktober ist Landtagswahl in Niedersachsen und auch in Österreich wird der Nationalrat neu bestimmt. Bis dahin wird vermutlich weiter an Bilderbibliotheken, Stickern, Comics, Schmutzkampagnen und Plakaten gebastelt. Einen Wahlkampf ohne Trolling, ohne „Meme-Krieg“ wird es nicht mehr geben.