Hintergrund

Die Pinocchio-Polizei

Vor den italienischen Parlamentswahlen können die Bürger sogenannte Fake News an die Polizei melden. Die Beamten sollen ihre Echtheit überprüfen und damit die Aufgaben von Journalisten übernehmen. Italienische Faktenchecker halten das für keine gute Idee.

von Jacques Pezet

Im Land von Pinocchio überprüft die Polizei die Echtheit von Fake News.© Collage von Ivo Mayr

Am 4. März 2018 wählt Italien ein neues Parlament. Die Wahlen sind auch für Europa von entscheidender Bedeutung: in den Umfragen haben europakritische Parteien derzeit eine Mehrheit. Die italienische Regierung fürchtet, dass, wie zuletzt bei Wahlen in den USA und Europa, Desinformationen eine Rolle im Wahlkampf spielen könnten.

Und sie ist der Meinung, dass die Faktencheck-Teams, die viele Medien eingerichtet haben, nicht ausreichen: die Polizei soll vor den Wahlen nach Fake News und Desinformationen im Internet fahnden. Es dürfte weltweit einer der ersten Versuche sein, die Polizei in den Kampf gegen Fake News zu schicken. Gerade bei Journalisten stößt das auf Kritik.

Italiener melden Fake News an der Polizei

Am 18. Januar 2018 stellte Innenminister Marco Minniti den Italienern einen „roten Knopf“ (auf italienisch „bottone rosso“) vor: im Kampf gegen die Verbreitung von sogenannten Fake News in sozialen Medien können italienische Bürger dem Staat die falschen Nachrichten melden. Diese Hinweise gehen an die Polizia Postale, eine Polizeieinheit, die Cyberkriminalität bekämpft, weitergeleitet. Die Polizisten sollen dann ihre Echtheit prüfen und das Ergebnis des Faktenchecks veröffentlichen. Falls die Autoren gegen Gesetze verstoßen, soll die Polizei auch rechtliche Schritte einleiten.

Screenshot von der Plattform der italienischen Polizei

Auf dieser Plattform können Italiener der Polizei Fake News melden.

Fake News sind gezielt in sozialen Medien gestreute Falschnachrichten, die das Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen erschüttern sollen. Oft sollen sie schon vorhandene Konflikte, wie zum Beispiel über den Umgang mit der Flüchtlingskrise, noch verstärken.

Italien ist der Migrationsbewegung wegen seiner vielen Küsten besonders ausgesetzt, die Ausländerfeindlichkeit nimmt zu. Im Wahlkampf führt die populistische und europakritische Fünf-Sterne-Bewegung mit knapp 30 Prozent der Stimmen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat noch im letzten Jahr sogar vom „Italexit“ gesprochen, dem Austritt Italiens aus dem Euro. Im Wahlkampf sind derart scharfe antieuropäische Töne allerdings nicht mehr von ihr zu vernehmen.

Da die Fünf-Sterne-Bewegung keinen Koalitionspartner finden dürfte, ist auch ein Sieg einer rechts-konservativen Koalition rund um die Forza Italia von Silvio Berlusconi möglich. Zu ihr würde auch die rechtspopulistische und ausländerfeindliche Lega Nord gehören.

„Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Wahrheit zu bestimmen“ sagen italienische Journalisten

Giovanni Zagni

Giovanni Zagni im Gespräch mit CORRECTIV

Jacques Pezet

In Italien kritisieren besonders Journalisten die Einschaltung der Polizei. Der Journalist Giovanni Zagni ist der Direktor der Fact-Checking Initiative „Pagella Politica“, die die Genauigkeit der Aussagen von italienischen Politikern seit 2012 prüft. Zagni befürchtet, dass die Polizei mangels rechtlicher Grundlagen nur willkürlich entscheiden kann. „Es gibt keine gesetzliche Definition von Fake News“, sagte er CORRECTIV.

Der erfahrene Faktenchecker mag die Idee, dass Polizisten die Arbeit der Faktenchecker oder der Justiz übernehmen, gar nicht: „Es entspricht nicht der Rolle der Polizei, Nachrichten zu verifizieren und es ist auch nicht ihre Rolle, außerhalb von strikten juristischen Grenzen zu agieren“.

In einem langen Facebook-Post kritisierte auch die Journalistin und Organisatorin eines Journalismus-Festivals in Perugia, Arianna Ciccone, die Initiative des Innenministeriums: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Wahrheit zu bestimmen. Das tun sie in autoritären Regimen“.

Zagni betont, dass es in Italien „zum Glück das Verbrechen von ,Fake News’ nicht gibt, und wenn man eine Straftat wie die Verleumdung begeht, dann müssen die Richter das entscheiden. Nicht die Polizei.“

Die Regierung verspricht kein Big Brother sein zu wollen

Die Polizei rechtfertigte die Existenz des „bottone rosso“ mit der „Notwendigkeit, in Bezug auf den aktuellen Zeitraum des Wahlkampfs“ gegen die Urheber von falschen und viralen Informationen, die die öffentliche Meinung manipulieren möchten, zu kämpfen.

Im Gespräch mit der Zeitung „Repubblica“ versuchte der Leiter der Staatspolizei Franco Gabrielli die Debatte zu beruhigen: „Wir wissen, dass der Wahlkampf ein heikler und wichtiger Moment ist, aber wir werden nur offensichtlich unbegründete Nachrichten überprüfen. Niemals werden wir sagen, ob die Meinungen dieses oder jenes Politikers nicht stimmen“.

Das überzeugt den italienischen Faktenchecker Zagni nicht. Die Initiative der Regierung werde keinen Unterschied machen. „Es gibt keine Geldstrafe oder irgendwelche klare Strafe für die Personen, die Fake News verbreiten. Die Leute brauchen keine Angst davor zu haben.“

Die meisten Fake News richteten sich ohnehin nicht gegen Politiker bestimmter Parteien, sondern auf Immigration und die Verwendung öffentlicher Gelder, sagt Zagni.

Journalisten prüfen Fakten schneller als Polizisten

Seit der Einführung des „bottone rosso“ hat die Polizei sieben Texte veröffentlicht. Darin geht es um die Kfz-Steuer, oder gefälschte Stimmzettel für Italiener im Ausland. In vier Fällen geht es um Falschmeldungen im Zusammenhang mit afrikanischen Migranten.

Zum Beispiel reagierte die Polizei auf die Meldung eines Facebook-Beitrags am 14. Februar. Demnach sei ein dunkelhäutiger Migrant aus Afrika beim Schwarzfahren erwischt worden und habe keine Geldstrafe bekommen, obwohl er ein teures Smartphone besessen habe. Die staatlichen Faktenchecker recherchierten, dass der Mann tatsächlich eine gültige Fahrkarte hatte.

Es ist auch fraglich, ob die Faktenchecks der Polizei überhaupt notwendig sind: in diesem Fall erschien der Text einen Tag nach zahlreichen Artikeln von Journalisten, die bereits zu dem gleichen Ergebnis gekommen waren.

Trotz Putin-Berlusconi-Freundschaft findet die Frage eines russischen Einflusses keine Relevanz in Italien

Nach der Wahl von Präsident Donald Trump in den USA sowie dem Referendum über einen EU-Austritt in Großbritannien stellte sich heraus, dass Russland über das Internet intensiv versuchte, Einfluss auf die Abstimmungen zu nehmen. In Italien sind die guten Beziehungen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, der jetzt ein politisches Comeback versucht, hinlänglich bekannt. Besteht also die Gefahr einer ausländischen Beeinflussung auch in Italien?

Laut dem Journalisten Giovanni Zagni wird diese Frage in Italien kaum diskutiert: „Obwohl Berlusconi ein berühmter Freund von Putin ist, wird er von keinem mit einer möglichen russischen Beeinflussung vor der Wahlen in Verbindung gebracht.“ Nur einmal hätten Journalisten von BuzzFeed recherchiert, ob einige der Fünf-Sterne-Bewegung nahestehende Webseiten eine prorussische Tendenz haben.

In Italien dürfen in den zwei Wochen vor der Wahl keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Gerade in dieser Phase der politischen Ungewissheit über die politischen Verhältnisse dürften die Verbreiter von Fake News – seien es militanten Gruppen, ausländische Akteure oder die Anhänger von Parteien – noch mit allen Mitteln versuchen, Wähler für ihre eigene Sache zu gewinnen. Lügen gehören auch dazu. Für Giovanni Zagni und die übrigen italienischen Faktenprüfer verspricht das viel Arbeit. Für die Journalisten wie für die Polizei.