Hintergrund

Debatte um Wahlempfehlungen von Medien und Youtubern: Was ist erlaubt?

Nachdem die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer die Wahlempfehlung von Youtubern mit Meinungsmache in Zeitungen verglichen hat, diskutiert Deutschland über den Umgang mit politischen Kommentaren. Was ist gesetzlich erlaubt und wie sieht es in anderen Ländern aus? Unser Faktencheck liefert die Antworten.

von Cristina Helberg

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Zur Wahlempfehlung von Youtubern vor der EU-Wahl gibt es unterschiedliche Meinungen. Zunächst wurde der Aufruf von 70 Youtubern unterstützt, später von mehr als 90. (Symbolfoto: Nicolas Asfouri/AFP)

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat mit ihrer Reaktion auf einen kritischen Appell von zahlreichen Youtubern eine Debatte ausgelöst. Sie sagte: „Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen.“

Nach Kritik an dieser Aussage, schrieb Kramp-Karrenbauer in einem Tweet, es sei absurd, ihr zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Man müsse aber über Regeln im Wahlkampf sprechen.

Tweet von Annegret Kramp-Karrenbauer. (Screenshot: CORRECTIV)

Darf die Presse sich im Vorfeld von Wahlen für oder gegen politische Kandidaten aussprechen? Die Antwort lautet ja. In vielen Ländern ist das sogar üblich. Auch in Deutschland ist es erlaubt, aber eher die Ausnahme.

Wahlempfehlungen von Zeitungen in den USA und Großbritannien üblich

Im US-Wahlkampf 2016 positionierten sich besonders viele Medien explizit gegen Donald Trump, unter ihnen das Modemagazin Vogue. Auch in Großbritannien sprechen sich Medien vor Wahlen für bestimmte Parteien aus. In Deutschland ist eine klare Positionierung für eine Partei aber die Ausnahme. „Es besteht das ‘ungeschriebene Gesetz’, sich kurz vor einer Wahl in Zurückhaltung zu üben“, so Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, gegenüber CORRECTIV.  

Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) antwortete auf Anfrage von CORRECTIV deutlich: „Die Pressefreiheit gilt vollumfänglich. Es gibt keinerlei rechtliche Beschränkung für den Inhalt der Wahlberichterstattung, sofern allgemeine Gesetze wie die Achtung der Menschenwürde, der Persönlichkeitsrechte etc. beachtet werden.“ Diese Standards sind im Pressekodex festgehalten.

Weiter schreibt der DJV: „Die Presse gibt beständig Meinungen wieder und gibt so auch indirekt Wahlempfehlungen. Die Financial Times Deutschland hatte vor wichtigen Wahlen sogar explizit Empfehlungen ausgesprochen.“ Tatsächlich hatte die Financial Times Deutschland im Jahr 2009 die Wahl der Grünen empfohlen. Der Artikel ist mittlerweile nicht mehr aufrufbar; die Financial Times Deutschland existiert seit 2012 nicht mehr.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf politisch kommentieren

Und was ist mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Darf er Wahlempfehlungen aussprechen? Der Paragraph 11 des Rundfunkstaatsvertrages verpflichtet die Rundfunkanstalten, Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit und die Meinungsvielfalt zu berücksichtigen. „Das schließt aber nicht aus, in journalistischen Kommentaren Meinungen wiederzugeben, die auch als Wahlempfehlung verstanden werden könnten“, schreibt der DJV dazu auf unsere Presseanfrage.

Gelten spezielle Regeln für Youtube-Wahlempfehlungen ?

Deutsche Medien dürfen also Wahlempfehlungen aussprechen. Aber was ist mit Youtubern? Der DJV stellt klar: „Für das Rezo-Video gilt die Meinungsfreiheit.“ Die gestatte es Youtubern sich zu äußern, wozu und wie sie möchten. „Jedes einfache CDU-Mitglied kann ja mit einem Smartphone das Gleiche tun und für seine Partei werben“, so der DJV.

Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, hat sich unter anderem für eine Studie der Otto-Brenner Stiftung intensiv mit Youtube, Influencern und Werbung beschäftigt. Er schreibt auf eine Presseanfrage von CORRECTIV: „Frau Kramp-Karrenbauer vergleicht Äpfel mit Birnen. Die 70/90 Influencer, die sich zur Europa-Wahl ‘eingebracht’ haben, äußern sich normalerweise nicht zu politischen Themen. Sie sind, von wenigen Ausnahmen wie LeFloid abgesehen, eher der Unterhaltungsbranche zuzuordnen[…]. Insofern wären Influencer mit Filmschauspielern oder Popmusikern zu vergleichen.“  

Rechtlich zuständig ist für den Youtuber Rezo die Landesmedienanstalt NRW, weil er in Aachen wohnt.  Sie wirft die Frage auf, ob Rezo als Journalist zu bewerten sei. Dann müsste er sich auch an den Pressekodex halten. Der Direktor der Landesmedienanstalt, Tobias Schmid, schreibt auf Nachfrage von CORRECTIV: „Die von Rezo im Vorfeld betriebene umfassende Recherchearbeit legt nahe, dass er sich auch (professionell) journalistisch betätigt hat.“ Künftig müsse man klären, ab wann ein Youtuber als professioneller Journalist gelte – „mit allen Rechten und Pflichten“. Die Landesmedienanstalt stellt aber klar: „Selbst wenn man Rezo aufgrund seiner vorausgegangenen Recherche als professionellen Journalisten einordnen möchte, so hat er unseres Erachtens die erforderliche journalistische Sorgfaltspflicht hinreichend gewahrt.“

Sind Youtuber als Rundfunkveranstalter zu werten ?

Unabhängig vom Fall Rezo läuft angesichts des zunehmend großen Einflusses von Youtubern im Netz schon länger eine Debatte, ob sie in Zukunft als Rundfunkveranstalter zu werten sind. Rundfunkveranstalter brauchen eine Zulassung und fallen unter die Aufsicht der Landesmedienanstalten. Sie haben außerdem besondere Sorgfaltspflichten, weil sie viele Menschen mit ihre Inhalten erreichen. Online-Medien, also zum Beispiel Blogs, Webseiten und Youtube-Kanäle, sind bisher als Telemedien definiert und haben damit eine Art Sonderstatus. Telemedien benötigen keine Zulassung oder Anmeldung und sind von der Aufsicht der Medienanstalten ausgenommen (Paragraph 59, Absatz 3).

Paragraph 54 des Rundfunkstaatsvertrages regelt den Umgang mit Telemedien (Screenshot: CORRECTIV)

Der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, Tobias Schmid kritisiert das. „Allein im Bereich des Rundfunks können die Medienanstalten bei Verstößen gegen die journalistischen Grundsätze die erforderlichen Maßnahmen (wie Beanstandung und Untersagung) treffen.“ Das ist im Rundfunkstaatsvertrag in Paragraph 38 festgelegt. Für Printmedien übernimmt diese Aufgabe der Deutsche Presserat. Für journalistisch-redaktionell gestaltete Online-Angebote gebe es aktuell kein Kontrollorgan.

Verboten ist Online-Angeboten nicht klar erkennbare Werbung aber schon jetzt. In einem Leitfaden erklären die Medienanstalten, dass auf Youtube deutlich gekennzeichnet werden muss, wenn man etwas bewirbt und dafür eine Gegenleistung erhalten oder Bedingungen Dritter zugestimmt hat. Im Netz kursierten vor der EU-Wahl Verdächtigungen, die Grünen könnten das Rezo-Video in Auftrag gegeben haben. Dafür gibt es keine Belege. Ein solcher Fall wäre aber strafbar.

DJV kritisiert Kramp-Karrenbauer und zieht Vergleich zu Erdogan

Rein rechtlich ist den Youtubern für ihre Wahlempfehlung nichts vorzuwerfen. Und auch die deutsche Presse könnte Wahlempfehlungen abgeben, wenn sie wollte. In anderen Ländern sind klare Positionierungen für oder gegen Kandidaten und Parteien durchaus normal.

Als „inakzeptabel“ bezeichnete der DJV die Äußerungen von Kramp-Karrenbauer und lehnte Gesetzesänderungen ab. „Vorschriften, wer sich wann und wie zu einer Wahl äußern darf, wären eine Beschneidung der Meinungsfreiheit, von der ist es ein kleiner Schritt zur Einschränkung der Pressefreiheit.“ Weiter heißt es: „So etwas auch nur zu erwägen, verbietet sich daher für eine Bundesvorsitzende der Regierungspartei CDU. Das ist Denken in putin’schen oder erdogan’schen Kategorien.“