Hintergrund

Coronavirus: Warum die Aussagen von Wolfgang Wodarg wenig mit Wissenschaft zu tun haben 

In mehreren Videos behauptet der Arzt Wolfgang Wodarg, bei der Coronavirus-Pandemie handele es sich um Panikmache. Dabei durchmischt er Fakten und Spekulationen. Im Gespräch mit CORRECTIV zeigt er sich unbeeindruckt.

von Frederik Richter , Bianca Hoffmann

Coronavirus Symbolbild Labor
Die WHO bezeichnet die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 als Pandemie. (Foto: Hans Klaus Techt / picture alliance / APA / picturedesk.com)

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus und die Maßnahmen von Regierungen zur Eindämmung verunsichern die Menschen. Die aktuelle Situation ist ein idealer Nährboden für die Verbreitung von falschen, ungenauen Informationen und Spekulationen. Videos des Arztes Wolfgang Wodarg, der die Coronavirus-Pandemie für Panikmache hält, werden innerhalb von Tagen auf Youtube hunderttausende Mal angesehen. 

Wolfgang Wodarg war 15 Jahre lang Bundestagsabgeordneter für die SPD. Er gehört dem Vorstand von Transparency International an.

In den Videos, in denen er seit einigen Tagen mit seiner Sicht auf das Coronavirus auftritt, stellt er sich zudem als Lungenarzt, Internist und ehemaligen Leiter eines Gesundheitsamts in Schleswig-Holstein vor. 

Ein Youtube-Video vom 13. März wurde bereits über eine Million Mal aufgerufen. Ein Interview mit Eva Herman hat an nur einem Tag über 100.000 Aufrufe erzielt. Ein knapp elfminütiges Youtube-Video mit englischen Untertiteln hat in den vergangenen drei Tagen über eine halbe Million Aufrufe erreicht.

Wolfgang Wodarg
Der Arzt Wolfgang Wodarg sorgt derzeit für Aufregung mit seinen Äußerungen zum Coronavirus. (Quelle: Youtube / OvalMedia, Screenshot: CORRECTIV)

Der Tenor aus diesem sowie weiteren Videos lässt sich so zusammenfassen:

Die Reaktion von Regierungen und Behörden auf die Krankheit Covid-19 sei nicht angemessen. Wodarg sagt, er sei „fassungslos, über das, was ich da beobachten muss.“ Auf seiner Webseite fordert er: „Corona-Panic beenden!“ 

Er stellt zudem verschiedene Behauptungen auf.

Behauptung: Neuartiges Coronavirus sei nicht schlimmer als frühere Grippewellen

Wodarg argumentiert im Kern, dass es Coronaviren schon vor der aktuellen Krankheitswelle gegeben habe. Diese sei nicht schlimmer als frühere Grippewellen. Allerdings hätten Forscher – angeblich auch aus finanziellen Motiven – jetzt Tests entwickelt, die zuvor nicht zur Verfügung standen. Deswegen seien erst jetzt Erreger ins Bewusstsein getreten, die es schon lange gegeben habe.

Wodarg sagt, dass etwa zehn Prozent aller existierenden Viren Coronaviren seien (Minute 1:45). Und macht folgende Rechnung auf: Wenn es bei vorherigen Grippewellen 20.000 bis 30.000 Tote gegeben habe, dann gab es „in den vergangenen Jahren immer 2.000 bis 3.000 Tote durch Coronaviren. Und da sind wir ja noch weit von weg.“

Die Anzahl der bisher bestätigten Deutschen mit Grippe übersteigt die der Patienten mit Coronavirus – noch. In der gesamten Grippe-Saison 2019/2020 sind laut dem bundeseigenen Robert-Koch-Institut (RKI) bislang 247 Menschen durch eine Grippe ums Leben gekommen. Mit Grippe infiziert haben sich allerdings viel mehr Personen. Insgesamt wurden „145.258 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das RKI übermittelt“ (PDF, S. 6).  

Es trifft zu, dass die Familie der Coronaviren älter als der aktuelle Ausbruch des SARS-CoV-2 -Virus ist. Laut Robert-Koch-Institut ist diese Familie seit Mitte der 1960er Jahre bekannt. 

Das Robert-Koch-Institut erklärt auf seiner Webseite, dass Coronaviren schon seit den 1960er Jahren identifiziert sind. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch bei den SARS– und MERS-Viren handelt es sich um Coronaviren. Bei SARS-CoV-2 wird daher von Experten auch von einem „neuartigen“ Coronavirus gesprochen. Da es lange keinen eigenen Namen hatte, setzen viele Menschen SARS-CoV-2 offenbar mit dem Begriff „Coronavirus“ gleich. Das Helmholtz-Institut schreibt, etwa ein Drittel der „typischen Erkältungen“ sei auf Coronaviren zurückzuführen. Es gibt keine Belege darüber, wie viele Menschen direkt in Folge einer Ansteckung mit Coronaviren ums Leben gekommen sind, lediglich für die Epidemien mit SARS (774 Todesfälle in 2002/03) und MERS (800 Todesfälle bisher) liegen Zahlen vor.  

Wodarg argumentiert, dass es ein normaler Vorgang sei, dass sich Viren verändern, um sich verbreiten zu können. Allerdings lässt er die Problematik des aktuellen SARS-CoV-2-Ausbruch unter den Tisch fallen: Für dieses Virus gibt es bisher weder einen Impfstoff noch eine Immunität in der Bevölkerung. Lässt man der Pandemie also ihren Lauf, ist das Gesundheitssystem schnell überlastet.

Behauptung: Tests seien nicht spezifisch genug entwickelt

Das zweite Kernargument von Wodarg: Er zieht Möglichkeiten der Medizin, den Verursacher von Covid-19 zu erkennen, in Zweifel. Demnach seien Mediziner in der chinesischen Stadt Wuhan bei wenigen Patienten auf eine „angeblich“ neue RNA-Sequenz in Viren gestoßen.

Wissenschaftler der Berliner Charité unter Beteiligung des Leiters der Virologie, Christian Drosten, hätten dann schnell einen Test entwickelt. Dieser sei jedoch nicht ausreichend validiert worden, die üblichen Genehmigungsverfahren seien übersprungen worden, behauptet Wodarg. Die Charité ließ eine Anfrage von CORRECTIV zu den Vorwürfen zunächst unbeantwortet.

Wodarg sagt in einem Facebook-Video auf der Seite des ZDF-Magazins Frontal 21 außerdem, dass dieser Test lediglich auf Grundlage „der ähnlichen Viren, die man kannte“ entwickelt worden sei. Das Virus aus Wuhan habe schließlich in Berlin nicht vorgelegen. „Das ist nun natürlich so eine Sache, ob der Test jetzt wirklich nur diese Viren misst, die dort eine Rolle gespielt haben in der Klinik, oder ob der gleichzeitig noch andere SARS-Viren misst.“

Wodarg lobt allerdings die Wissenschaftler der Charité dafür, dass sie ihre Arbeiten ins Internet gestellt hätten. So könnten Wissenschaftler aus aller Welt diese überprüfen.

Das wissenschaftliche Protokoll der Entwicklung des Tests für das damals noch als 2019-nCoV bezeichnete Virus ist in der Tat hier bei der WHO nachzulesen. Die Wissenschaftler schreiben, dass der Test auf der genetischen Nähe von 2019-nCoV mit SARS-Coronaviren basiere. Sie argumentieren jedoch, dass der Test das neuartige Virus ausreichend von anderen unterscheiden könne. Dies habe man anhand von 297 klinischen Proben anderer Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen, untersucht.

Virologe Christian Drosten weist Vorwürfe zurück

Drosten wies am 18. März in seinem täglichen Podcast mit dem NDR die Vorwürfe von Wodarg zurück. Der Test sei entwickelt „auf der Basis des nahe verwandten SARS-Coronavirus. Dieses hat aber auch wieder mit den landläufigen Erkältungs-Coronaviren überhaupt nichts zu tun, das ist genetisch sehr weit entfernt.“

Man habe eine Reihe von Tests gemacht auf Basis des alten SARS-Coronavirus und einer „riesengroßen Diversität von Fledermaus-Coronaviren, also die nächsten Verwandten“.

Dann sei die Sequenzinformation des neuen Coronavirus veröffentlicht worden und man habe sie mit den Tests abgeglichen. Es seien die zwei Tests gewählt worden, die am besten zu dem neuen Virus passten. Diese seien weiter validiert worden, mit der Universität Hong Kong, der Universität Rotterdam, der nationalen Public Health Organisation in London und eigenen Patienten.

Es sei eine  Validierungsstudie durchgeführt worden mit hunderten echten Patientenproben, mit anderen Coronaviren und Erkältungsviren, so Drosten. „Und nicht ein einziges Mal hat es da eine falsch positive Reaktion gegeben. Also dieser Test reagiert gegen kein anderes Coronavirus des Menschen und gegen kein anderes Erkältungsvirus des Menschen.“

Angebliche Ungenauigkeiten bei den Tests: Das ist der vielleicht konkreteste Kritikpunkt von Wodarg. Danach wird es vage, Belege gibt es keine. Wodarg macht aber deutlich, dass er politische und finanzielle Interessen hinter der staatlichen Reaktion auf die Ausbreitung vermutet.

Behauptung: Coronavirus diene politischen Interessen

In China vermutet Wodarg ein Interesse des Staats an mehr Überwachung als Motiv. „Das war politisch sehr wichtig plötzlich. Das Fieberthermometer regelte den Verkehr in Chinas Straßen“, sagt er auf Youtube. Das SARS-CoV-2-Virus sei deswegen in Wuhan entdeckt worden, weil es dort „Sicherheitslabore“ für Viren gebe. Es ist eine von mehreren nicht ausgeführten Andeutungen, mit denen Wodarg seine Theorie von der unnötigen Panikmache unterfüttert. 

In einem telefonischen Gespräch mit CORRECTIV führt Wodarg aus, dass es eben in Wuhan spezialisierte Labore gegeben habe und nicht zum Beispiel in Peking. 

Im Umkehrschluss streitet der Arzt damit ab, dass es einen dramatischen Ausbruch einer neuartigen Viruserkrankung in Wuhan gegeben habe. Denn laut Wodargs Theorie sind angeblich Menschen überall gleichzeitig mit durch Coronaviren ausgelösten Atemwegserkrankungen erkrankt.

Behauptung: Wissenschaftler haben finanzielle Interessen am Coronavirus

Wodarg sagt, es habe sich ein selbstbezügliches Netz aus Politikern und Wissenschaftlern gebildet, in dem andere Ansichten keinen Platz mehr hätten. „Da ist was gesponnen worden, ein Netz von Informationen von Meinungen. (Das) hat sich entwickelt in diesen Fachkreisen und die Politik hat sich an diese Fachkreise gewandt, die damit angefangen haben.“

Wodarg unterstellt den Wissenschaftlern dabei finanzielle Interessen. „Wissenschaftler wollen mitschwimmen, weil sie Geld brauchen für ihre Institute. Sie wollen wichtig werden.“

Im NDR-Podcast widerspricht Christian Drosten: Man verdiene mit dem Test unter dem Strich „keinen Cent“.

Die Ansicht von Wodarg widerspricht auch den Äußerungen vieler Wissenschaftler. Eine Gruppe von Wissenschaftlern des Londoner Imperial College bezeichnet die aktuelle Situation als die größte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit durch ein Atemwegsvirus seit der H1N1-Pandemie am Ende des Ersten Weltkriegs (Spanische Grippe).

Laut dem Situationsbericht der WHO vom 17. März haben sich knapp 180.000 Menschen weltweit mit dem neuen Coronavirus infiziert. 7.426 Menschen sind demnach an der Krankheit gestorben. Laut Johns-Hopkins-University sind mehr als 81.000 bereits wieder geheilt.

Einordnung der Behauptungen von Wolfgang Wodarg

Es ist nicht das erste Mal, dass Wodarg finanzielle Interessen hinter Maßnahmen gegen eine Krankheit wittert. Vor zehn Jahren kritisierte er als Abgeordneter im Europarat die Reaktion der Weltgesundheitsbehörde auf das H1N1-Virus. Diese erklärte die sogenannte Schweinegrippe damals zu einer Pandemie. Kritiker wie Wodarg hielten das für falsch. Sie warfen den Verdacht auf, dass dies im Interesse der Pharmaindustrie erfolgt sei, damit diese an Impfungen Geld verdienen konnte.

Die WHO teilte im August 2010 mit, die Pandemie habe zu über 18.000 Toten geführt.

Auf der Webseite von Transparency International spricht Wodarg von „Unternehmen, die Seuchen erfinden, um aus Angst Profit zu schlagen“.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat Wodarg wegen seiner aktuellen Äußerungen auf Twitter kritisiert:

Karl Lauterbach (SPD) äußert sich zu den Videos von Wolfgang Wodarg. (Screenshot: CORRECTIV)

Im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck sagt Wodarg, es gehe ihm primär darum, zu zeigen, dass es immer schon Coronaviren gegeben habe. „Wie sähe die Welt aus, wenn wir diesen Test nicht hätten? Dann wäre der Kaiser nackt“, sagt er in Anspielung auf das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Und Wodarg glaubt, dass dann eben politische und finanzielle Interessen auf diesen Zug aufgesprungen seien. 

Wodarg berichtet, dass sein Telefon nicht mehr still stehe. Gerade hat er dem anti-westlichen Blog Ken.FM ein Interview gegeben.

Versteht er, dass in der aktuellen Situation die Menschen Diskussionen über die mangelnde Validität von Testverfahren und angebliche Verschwörungen durch chinesische Politiker und Wissenschaftlern nicht auseinanderhalten können?

„Im Moment pickt sich jeder raus, was er will“, räumt Wodarg ein.

Anmerkung der Redaktion: Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist geschlossen.

Update vom 18. März: Wir haben den Text mit Äußerungen von Christian Drosten ergänzt sowie die Einordnung des Blogs Ken.FM angepasst.

Mitarbeit: Alice Echtermann, Arne Steinberg