Diese falschen und irreführenden Behauptungen zur US-Wahl 2020 kursieren in Deutschland
In den USA schürt Donald Trump – ohne Belege zu liefern – Spekulationen über angeblichen Wahlbetrug. Auch in Deutschland werden zahlreiche solcher Behauptungen in Sozialen Netzwerken verbreitet. CORRECTIV hat sechs davon überprüft: Sie sind falsch oder unbelegt.
Mit jedem Tag der Unklarheit um das Wahlergebnis in den USA nimmt die Zahl von falschen, unbelegten und irreführenden Behauptungen im Netz zu. Sie beschwören einen angeblichen Wahlbetrug zugunsten der Demokraten und Joe Biden. Dafür gibt es jedoch laut US-Medienberichten (hier und hier), die sich auf Wahlbeobachter berufen, keinerlei Belege.
CORRECTIV.Faktencheck hat recherchiert, welche konkreten Behauptungen und Gerüchte aktuell auch in Deutschland verbreitet werden.
Behauptung 1: In mehreren Bundesstaaten seien mehr Stimmen abgegeben worden als es registrierte Wählerinnen und Wähler gibt
Bewertung: Falsch
In verschiedenen Varianten kursiert die Behauptung, in mehreren US-Bundesstaaten seien mehr Stimmen abgegeben worden als es dort registrierte Wählerinnen und Wähler gibt.
Viele Beiträge auf Facebook (zum Beispiel hier und hier) bezogen sich dabei explizit auf Wisconsin. Es seien dort rund 3.239.920 Stimmen abgegeben worden, aber es gebe nur 3.129.000 Wähler, hieß es. Das ist falsch, wie auch die Faktenchecker von DPA, Snopes und AFP bereits berichteten.
Der Staat Wisconsin hat der Falschinformation auf Twitter widersprochen. Demnach gab es dort am 1. November 3.684.726 aktive Wählerinnen und Wähler, also deutlich mehr als Stimmen abgegeben wurden. Aktuell berichtet die New York Times, in Wisconsin seien 3.297.420 Stimmen abgegeben worden (6. November). Die falsche Zahl der Registrierten, die in den Facebook-Beiträgen verwendet wurde, stammte offenbar von den Halbzeitwahlen 2018 von der Webseite World Population Review (archiviert). Inzwischen ist dort auch die korrekte aktuelle Zahl zu lesen.
In einem Artikel des Blogs Freie Medien ist gleich die Rede von mehreren Bundesstaaten:
Als angeblichen Beleg für den Wahlbetrug wird eine Tabelle dargestellt, die die Anzahl der angeblich registrierten Wähler den hochgerechneten Stimmzetteln gegenüberstellt. Demnach werden in sieben Staaten angeblich mehr Stimmzettel erwartet als es registrierte Wählerinnen und Wähler gibt.
Diese Zahlen für die registrierten Wähler sind jedoch ebenfalls veraltet. Laut eines Artikels von Politifact zu ähnlichen Behauptungen bezüglich Wisconsin und North Carolina stammen die verwendeten Daten ebenfalls aus dem Jahr 2018. Tatsächlich finden sich die Daten auch auf einer Webseite namens „Ballotpedia“, auf der die Registrierungen pro Bundesstaat für das Jahr 2018 aufgelistet sind – die Zahlen sind alle mit der Tabelle identisch.
Behauptung 2: Es tauchten auf mysteriöse Weise neue Stimmzettel auf, die alle für Biden seien
Bewertung: Unbelegt
Wir haben uns zwei deutsche Texte angesehen (hier und hier), in denen Spekulationen wie diese in Bezug auf zwei US-Bundesstaaten aufgestellt wurden: Michigan und Wisconsin.
Michigan: Auf der Internetseite PI-News wird behauptet: „In Michigan erschienen plötzlich 138.339 Stimmen – alle für Joe Biden, keine einzige für Donald Trump.“ Die „Wahlbehörde“ habe später zugegeben, es sei „ein Tippfehler“ gewesen, dennoch suggeriert PI-News, dies sei ein Hinweis auf Wahlbetrug. Das ist irreführend.
Wie mehrere Faktencheck-Organisationen und US-Zeitungen berichteten (hier, hier, hier, hier, und hier), gab es tatsächlich einen Fehler in den Daten – doch der wurde laut Decision Desk HQ (einer Institution, die offizielle Wahlergebnisse zur Verfügung stellt) korrigiert. Die New York Times zitiert eine Sprecherin aus Shiawassee County in Michigan, der zufolge eine Null zu viel eingegeben wurde.
Wisconsin: Auf PI-News ist auch von einer „plötzlichen Injektion von Biden-Stimmen“ in Wisconsin die Rede. Und auf Legitim.ch wird behauptet, dass dort „plötzlich über 100.000 Stimmzettel zugunsten von Joe Biden aus heiterem Himmel fielen“. Laut einem Faktencheck von Reuters ist die Ursache für solche Sprünge, dass die Counties große Mengen Daten auf einmal herausgeben. In diesem Fall sei es um Briefwahlstimmen aus Milwaukee gegangen. Die Stimmen seien aber nicht alle für Biden gewesen.
Wichtig zu verstehen: Milwaukee ist die größte Stadt Wisconsins und die Auszählung der Stimmen von Briefwählern erfolgte dort zentral. Die Daten wurden erst nach Abschluss der Auszählungsrunde übermittelt, wie auch USA Today berichtete. Nachdem Milwaukee diese Rückläufe gemeldet hatte, überholte Biden Trump laut Medienberichten um etwa 8.000 Stimmen.
Behauptung 3: Original-Stimmzettel enthielten heimliche Wasserzeichen – so könne man angeblich gefälschte Stimmzettel der Demokraten erkennen
Bewertung: Unbelegt
Auf mehrere deutschsprachigen Blogs wie Connectiv Events oder Freie Medien sowie auf Youtube und Facebook wird diese unbelegte Behauptung erwähnt. Sie kursiert unter Anhängern der verschwörungsmystischen „QAnon“-Bewegung. Als Grundlage für die Behauptung, Stimmzettel enthielten heimliche Wasserzeichen, berufen sie sich auf eine mehrere Jahre alte Online-Nachricht einer unbekannten Person namens „Q“. Darin war unter anderem die Rede davon ist, dass man „dem Wasser folgen“ solle. Daraus wird konstruiert, dass angeblich „fehlende Wasserzeichen“ in den Stimmzetteln bei der aktuellen US-Wahl auf Wahlbetrug hinweisen würden.
Es gibt keine Faktengrundlage für diese Behauptung. Wie die Faktenchecker von FactCheck.org berichteten, kursiert sie auch in den USA: Dort heißt es, Demokraten hätten ihre eigenen Stimmzettel gedruckt, nicht wissend, dass Homeland Security in die Originale Wasserzeichen eingefügt habe. Die Produktion von Stimmzetteln wird jedoch gar nicht von Homeland Security übernommen, sondern von den Regierungen der US-Bundesstaaten in unterschiedlichen Produktionsverfahren
Behauptung 4: Joe Biden habe in einem Video zugegeben, dass sein Team eine Organisation für Wahlbetrug gegründet habe
Bewertung: Falscher Kontext
Diese Behauptung wird auf dem Blog Freie Medien aufgestellt. Biden und sein Team hätten die „umfangreichste und umfassendste Organisation für Wahlbetrug in der Geschichte der amerikanischen Politik“ zusammengestellt, soll der Präsidentschaftskandidat angeblich verkündet haben. Dabei wird auf einen Tweet verlinkt, in dem ein Videoausschnitt einer Ansprache veröffentlicht wurde.
Das Video wird verkürzt verbreitet und führt so in die Irre. Wie die Faktenchecker von FactCheck.org bereits überprüften, zeigt es einen Ausschnitt aus dem Podcast „Pod Save America“ vom 24. Oktober. In diesem sprach Biden zwar von einer „voter fraud organization“ (Deutsch: Wahlbetrugsorganisation), allerdings im Sinne einer Organisation, die Menschen mit Schwierigkeiten beim Wählen helfen solle (ab Minute 19:11). Aus dem Kontext des Zitats wird klar, dass er damit meinte, Wahlbetrug solle verhindert werden.
Der Pressesprecher Bidens, TJ Ducklo, schrieb auf Anfrage von FactCheck.org: „[…] wir haben das robusteste und raffinierteste Team in der Geschichte der Präsidentschaftskampagne zusammengestellt, um der Unterdrückung von Wählern entgegenzutreten und Wahlbetrug zu bekämpfen […].“
Behauptung 5: In Arizona seien Filzstifte an Trump-Wähler verteilt worden, obwohl Stimmen damit ungültig seien
Bewertung: Falsch
Unter dem Begriff „Sharpiegate“ kursiert aktuell eine weitere Falschmeldung, die beispielsweise auf der Seite Science Files verbreitet wird. Dort ist ein Video aus Arizona zu sehen, in dem behauptet wird, dass Wahlmaschinen nur solche Wahlzettel korrekt auswerten könnten, die mit einem Kugelschreiber (ballpoint pen) und nicht mit einem Filzstift (auch Sharpie genannt) markiert würden. Die Behauptung ist falsch, wie unter anderem CNN, der Independent und die Faktenchecker von AP und Snopes berichteten.
Das Video, das sich auch auf Twitter verbreitete, stammt offenbar aus dem Bezirk Maricopa des Bundesstaates Arizona. Darin behauptet ein Mann, dass dort gezielt Filzstifte an Trump-Wähler ausgegeben würden, um deren Stimmen ungültig zu machen. Das Video wurde bisher rund 12.000 Mal auf Twitter geteilt.
Der Behauptung hat der Bezirk Maricopa auf Twitter offiziell widersprochen. Ähnliche Meldungen aus Michigan stellten sich laut Medienberichten ebenfalls als falsch heraus.
Behauptung 6: Video zeige, wie 80 Briefwahlunterlagen für Trump verbrannt werden
Bewertung: Falsch
Im Netz kursiert ein Video, das angeblich zeigt, wie 80 Stimmzettel mit Stimmen für Donald Trump verbrannt werden. Es handelt sich dabei jedoch laut Behörden nicht um echte Stimmzettel. Wie unter anderem die CNN, die Washington Post und NBC News berichten, verbreitete sich das Video vor allem über den Twitter-Account von Trumps Sohn Eric, der seine Follower am Mittwoch darauf aufmerksam machte.
Ursprünglich veröffentlicht wurde das Video auf Twitter von einem Account namens Ninja_StuntZ. Der Account und das Video wurden jedoch inzwischen von Twitter gelöscht. Auch im deutschsprachigen Raum kursiert das Video, zum Beispiel im Telegram-Kanal „Ken Jebsen – Aufklärung und Information“. Dort ist das Video auch weiterhin einsehbar. Auch die deutsche Webseite Science Files schrieb von Wahlzetteln mit Stimmen für Donald Trump, die angeblich entsorgt oder verbrannt würden – liefert dafür aber keine Belege.
Bereits am 3. November, sprich am Dienstag, hatte die Stadt Virginia Beach im US-Bundesstaat Virginia, eine Mitteilung auf ihrer Webseite veröffentlicht, in der erklärt wird, dass es sich bei den verbrannten Stimmzetteln um Musterstimmzettel handelte.
Die Stadt Virginia Beach fügte als Beleg einen Foto-Vergleich der offiziellen Stimmzettel mit den verbrannten Musterstimmzetteln bei und schrieb dazu: „Beachten Sie das Fehlen des Strichcodes, der sich auf allen offiziellen Stimmzetteln befindet (unten).“ Gegen die unbekannte Person im Video werde ermittelt.
Update, 8. Dezember: In der ersten Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, der Telegram-Kanal des Bloggers Ken Jebsen habe die Behauptung geteilt. Wir haben das korrigiert. Der Telegram-Kanal „Ken Jebsen – Aufklärung und Information“ ist nach Angaben von KenFM inoffiziell.