Fake-Regierungsseiten, Drogen-Selenskyj, AfD-Politiker: Prorussische Desinfo-Kampagne wütet weiter auf Facebook
Eigentlich wollte Facebook sie im vergangenen Sommer abgeschaltet haben: Doch eine prorussische Desinformationskampagne ist weiter aktiv und legt sogar noch einen Gang zu. Sie verbreitet gefälschte Nachrichtenseiten, Fake-Regierungsseiten und Inhalte von AfD-Politikern. Die Spur führt nach Russland.
Propaganda in Southpark-Optik: So könnte man die Zeichentrickserie Ukraine Inc beschreiben. Sie zeigt die Ukraine als Fleischwolf, der seine eigenen Bürgerinnen und Bürger vertilgt und Präsident Selenskyj im Drogenrausch, mit goldener Fußfessel „Made in USA“. Auch andere Politiker kommen in den 90-sekündigen Filmchen vor – und nicht besonders gut weg. Doch einer fehlt: Wladimir Putin.
Die Serie ist Teil einer prorussischen Desinformationskampagne, die es eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Im Sommer 2022 deckten T-Online und ZDF ein Netzwerk von tausenden Facebook-Accounts auf. Sie verbreiteten Links zu dutzenden Fake-Nachrichtenseiten: Täuschend echten Kopien von Medien wie der Süddeutschen Zeitung und dem Guardian. So versuchte die Kampagne, Stimmung zu machen gegen die Ukraine und gegen jene, die wegen des russischen Angriffs von dort flüchten mussten.
Im Fokus der Kampagne: Deutschland. Nach Medienberichten handelt Facebook-Betreiber Meta. Man habe die größte und komplexeste Operation russischer Herkunft seit Beginn des Ukraine-Krieges aus dem Verkehr genommen, verkündete der Konzern im September 2022.
Propaganda-Netzwerk ist weiter aktiv
Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck zeigen: Die Kampagne ist spätestens seit Mitte Februar 2023 wieder aktiv – und hat noch einen Gang zugelegt. Über mehrere Wochen haben wir hunderte dieser Facebook-Anzeigen gesichtet. Fast täglich werden neue Facebook-Seiten mit willkürlich klingenden Namen wie „Furtive Toes“ oder „Steadfast Pets“ erstellt, die bezahlte Anzeigen mit prorussischen Inhalten schalten. Sie bewerben Propaganda-Seiten und Inhalte von AfD-Politikern. Und gefälschte Webseiten der deutschen Regierung.
All das erreicht tausende Nutzerinnen und Nutzer. All das ist Facebook und der Bundesregierung seit Wochen bekannt – und wochenlang konnte keine der beiden Stellen die Kampagne stoppen.
Eine Verbindung zu den beworbenen Organisationen und Personen ist nicht belegt – möglich ist auch, dass sie ohne ihr Wissen beworben werden. Die von uns gesichteten Anzeigen stellen außerdem nur einen Ausschnitt dar. Das volle Ausmaß der Kampagne und ob noch weitere Inhalte dieser oder anderer Politiker oder Organisationen beworben wurden, ist nicht klar.
Mit diesen Inhalten hetzt die Desinformationskampagne gegen die Ukraine
Die Webseite sieht offiziell aus: Oben links der Bundesadler, daneben steht „Bundesministerium des Inneren und für Heimat“. Doch der Inhalt macht stutzig: „Es ist an der Zeit, sich für einen gemeinsamen Sieg zu vereinigen“, heißt es in der Überschrift. Es geht um ein Programm, durch das ukrainische Geflüchtete in deutsche Privathaushalte verteilt werden sollen. „Damit wird das Problem der ukrainischen Geflüchteten gelöst“ steht da.
Das angebliche „Nachbarschafts-Programm“ des BMI gibt es nicht. Dass das nicht die echte Webpräsenz des Ministeriums ist, wird erst beim genaueren Blick auf die URL deutlich: „bmi.bund.pe“ steht da, statt „bmi.bund.de“. Alles andere gleicht der echten Seite: die Menüpunkte, Kontaktdaten, empfohlene Inhalte. Ein leicht zu übersehenes Detail also, das die Kampagne nutzt, um Nutzerinnen und Nutzer eine seriöse Quelle vorzugaukeln.
Ein weiterer Inhalt, den die Fake-Seiten bewerben: Eine angebliche Veröffentlichung des BMI zu einem Vorschlag für Änderungen im Migrationsrecht. In einem gefälschten Gesetzesentwurf dazu heißt es, wer Ukrainerinnen und Ukrainern eine Wohnung vermietet, müsse das den Behörden melden, um „die Bildung neuer krimineller ethnischer Gruppierungen“ zu verhindern.
Dem BMI sei die gefälschte Webseite seit dem 1. Juni bekannt, schreibt es auf Anfrage. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik habe die entsprechenden Internetdienstleister informiert und die Deaktivierung der Inhalte beantragt. Mehr als drei Wochen später sind die Fälschungen immer noch online (Stand 23. Juni).
Die Masche beschränkt sich aber nicht nur auf die deutsche Regierung. Mitte Juni gaben französische Behörden bekannt, dass die Webseite des Außenministeriums gefaked wurde. Dort stand ein gefälschtes Dokument über die angebliche Einführung einer Steuer zu Gunsten der Ukraine. Der Spiegel berichtete zusammen mit der französischen Zeitung Le Monde ebenfalls über diesen Aspekt der Kampagne. Auch in Frankreich teilen die Fake-Accounts Links zu erfundenen Medienberichten – um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu diskreditieren, heißt es von der französischen Regierung.
So umgeht die Desinformationskampagne Facebooks Maßnahmen
Das Schema ist das gleiche wie schon im Sommer 2022: Die Posts beinhalten meist einen kurzen Text und ein Bild, am Ende noch einen unverfänglich aussehenden Link. Der führt zum tatsächlichen Ziel: den gefälschten Webseiten oder anderen prorussischen Inhalten. Nach den Enthüllungen von T-Online und ZDF blockierte Facebook eine lange Liste an URLs, die zu diesen Seiten führten. Deswegen kann nun etwa ein Link mit der Adresse spiegel.ltd nicht mehr in dem Sozialen Netzwerk geteilt werden.
Doch das zu umgehen, ist für die Verantwortlichen hinter der Desinformationskampagne einfach: Sie verwenden neue URLs, die auf die alten Webseiten weiterleiten – in etwa so, wie es bei einem Kurz-URL-Dienst wie Bitly funktionieren würde.
Auf diesen Seiten liegen noch manche der gefälschten Artikel aus dem letzten Jahr. Große Medien sind weiter dabei, unter anderem FAZ, SZ, Spiegel, Welt und Neues Deutschland. Die Inhalte wiederholen bekannte prorussische Narrative: die Texte schüren Angst vor einem wirtschaftlichen Kollaps und stellen die Ukraine als Nazi-Staat dar, verharmlosen russische Kriegsverbrechen und hetzten gegen queere Menschen.
Manche Seiten, die die Kampagne bewirbt, sind nicht gefälscht, sondern Propaganda-Kanäle. Zum Beispiel die zwei prorussischen Webseiten RRN und Tribunal Ukraine. Diese wurden auch im Sommer 2022 schon geteilt und verbreiten etliche Falschmeldungen. Die russischen Botschaften in Jakarta und Singapur teilten eine der Seiten auf ihren offiziellen Twitter-Profilen. Die französischen Behörden bezeichneten RRN als Teil der Desinformationskampagne. Der Blog hat inzwischen einen Beitrag, in dem die Propagandaseite behauptet, Frankreich wolle sie „canceln“.
Anti-Ukraine Cartoon-Serie wird international verbreitet
Fakt ist: Die Kampagne wütet international weiter – mit teils bizarrer Propaganda. Die Southpark-ähnliche Cartoon-Serie Ukraine Inc wird auf Hebräisch, Arabisch, Ukrainisch, und Französisch verbreitet.
In mittlerweile vier Folgen zeigt sie Präsident Selenskyj als faschistischen Diktator mit Hitler-Stimme, und suggeriert, die Ukraine und ihre Regierung würden vom russischen Angriffskrieg profitieren. Auf Uniformen ukrainischer Soldaten klaffen Hakenkreuze. Olena Selenska, die Frau des Präsidenten, erhält in einer Folge Klapse von Biden und Scholz auf den Hintern. Selenskyj wird antisemitisch dargestellt. Und als drogenabhängig: In einem Cartoon ist das Büro des Präsidenten mit Alkoholflaschen gesäumt, auf seinem Schreibtisch liegt Kokain. Im Abspann der Folgen werden die Worte „Ukraine Cocaine“ eingeblendet. Hinter all diesen Details stecken bekannte prorussische Narrative, die seit Beginn des Krieges gestreut werden: Selenskyj sei kokainabhängig oder die Ukraine ein von Nazis regiertes Regime.
Bei unseren Recherchen stießen wir außerdem auf eine Reihe von Facebook-Seiten, die sich als alternative Medien darstellen und die Serie teilen. Beispielsweise die Seite The Afro Monitor, die fast ausschließlich prorussische Inhalte verbreitet. Sie zielen auf weitere Länder ab: Nigeria, Syrien, Ungarn. Die Serie verbreitet sich auch auf Twitter und Telegram: dort teilen sie zum Beispiel RRN und „Putins deutsches Sprachrohr“ Alina Lipp.
Wer hinter Ukraine Inc steckt, ist unklar. In den Facebook-Anzeigen wird behauptet, die Macher seien französisch – dafür gibt es bisher keine Belege. Die französische Regierung hingegen ordnet das Filmprojekt der Propaganda-Kampagne zu.
Das Fake-Netzwerk bewirbt auch Inhalte von AfD-Politikern
Und noch jemand profitiert von der Kampagne: Abgeordnete und Mitglieder der AfD. Darunter etwa Harald Weyel, Abgeordneter im Bundestag und stellvertretender Schatzmeister im Bundesvorstand der AfD. Mehrere Beiträge des Netzwerkes führten zu einem Video mit ihm.
Weyel war 2022 Mitgründer des Vereins „Vereinigung zur Abwehr der Diskriminierung und der Ausgrenzung Russlanddeutscher sowie russischsprachiger Mitbürger in Deutschland“ (Vadar). Der Verein attestiert Deutschland eine „russlandfeindliche Stimmung“ und will „Russlanddeutschen und russischsprachigen Mitbürgern“, die durch den Angriffskrieg diskriminiert oder ausgegrenzt würden, anwaltliche Hilfe anbieten. Bezahlte Anzeigen, die aus dem Propagandanetzwerk kommen, führen auch zu Inhalten des Vereins.
Und zu einem anderen Projekt, das von dem ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordenten und Parteimitglied Ulrich Oehme gestartet wurde: Der „Achse der Wahrheit“, ein Telegram-Kanal, der „die Stellung konservativer Parteien“ in Europa „näher bringen“ soll.
Die Pressestelle der AfD schreibt dazu auf Anfrage, die Kampagne sei der Partei bisher nicht bekannt gewesen. Parteimitglieder und Abgeordnete seien „für Verlinkungen oder Bewerbungen von extern auf ihre jeweiligen Kanäle“ nicht verantwortlich. Der Verein Vadar und die „Achse der Wahrheit“ hätten „mit dem Bundesverband der AfD nichts zu tun“.
Weyel schreibt uns, dass ihm die Kampagne vor unserer Anfrage nicht bekannt gewesen sei. „Wer meine im direkten oder indirekten Zusammenhang mit Bundestags- und Europaratmandat etc. entstehenden Publikationen aufgreift oder gar „bewirbt“(?), weiß ich nicht und kann ich genauso wenig beeinflussen wie diejenigen, die selbige totzuschweigen oder kaputtzuframen trachten“, so der Politiker.
Der Vadar-Vorsitzende Oehme schreibt: „Als Kanalbetreiber kann ich es nicht beeinflussen, wer unsere Beiträge übernimmt“.
Wie genau das Fake-Netzwerk Inhalte von Abgeordneten und Parteimitgliedern der AfD stützt und welche Narrative dabei verbreitet werden, haben wir hier ausführlich recherchiert.
Bezahlte Facebook-Werbeanzeigen als Propaganda-Vehikel
Doch wie viel Geld und Aufwand wird investiert, um diese unterschiedlichsten Arten von Propaganda unter die Leute zu bringen? Wir haben hunderte dieser bezahlten Facebook-Anzeigen gesichtet. Gefunden haben wir sie durch Facebooks Werbebibliothek, und durch Hinweise eines Nutzers, dem die Beiträge auf Facebook immer wieder vorgeschlagen wurden.
In etwa täglich, so zeigt unsere Analyse, erstellten die Akteurinnen und Akteure hinter der prorussischen Kampagne neue Facebook-Seiten und schalten dann bezahlte Werbeanzeigen. Diese Masche nutzten sie schon letztes Jahr – Meta sprach damals von mehr als 100.000 US-Dollar, die in Werbung auf Facebook und Instagram gesteckt wurde.
Wie viel Geld der Konzern durch das Netzwerk seither verdient hat, will er uns gegenüber nicht sagen. In der Werbebibliothek ist das in den meisten Fällen nicht öffentlich. Einzelne Anzeigen – so viel ist belegt – hatten ein Budget zwischen unter 100 und 500 Euro. Bei hunderten Anzeigen geht es also vermutlich um tausende Euro.
Nach ein bis zwei Tagen verschwinden die Anzeigen und Seiten meist – ob sie durch Facebook gelöscht werden oder von Nutzerinnen gemeldet wurden, ist nicht nachvollziehbar. Facebook will sich dazu auf Anfrage nicht äußern.
Fest steht aber: Die Beiträge erreichen tausende Nutzerinnen und Nutzer. Zumindest einzelne scheinen die Propaganda aber zu hinterfragen: „Das faschistische Russland hat Geld für Anzeigen auf amerikanischem Facebook bezahlt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren,“ kommentiert zum Beispiel einer.
Meta will Fragen dazu, wie diese Anzeigen es schaffen, Facebooks Prüfmechanismen zu entgehen, nicht beantworten. In einem „Bedrohungs“-Bericht zum vierten Quartal 2022 – also nachdem das erste große Netzwerk bekannt wurde – schrieb der Konzern, die Desinformationskampagne habe ungewöhnlich „aggressiv“ daran gearbeitet, ihre Aktivitäten wieder aufzubauen. Man habe seit dem Takedown weitere URLs blockiert und verhindert, dass weitere Fake-Accounts erstellt wurden. Im aktuellsten Bericht wird die Kampagne nicht mehr erwähnt. Der Bericht erschien am 3. Mai – also zu einem Zeitpunkt, an dem die Kampagne laut unseren Recherchen schon seit Wochen wieder aktiv war.
Die Spuren des Netzwerks führen Richtung Russland
Wer genau hinter der Kampagne steckt, ist aktuell unklar. Doch viele Spuren führen nach Russland.
Meta schrieb schon im Dezember 2022, dass zwei Firmen aus Russland für die Desinformationskampagne verantwortlich seien: eine IT-Firma namens Structura National Technologies und Social Design Agency (Агентство Социального Проектирования), ein Unternehmen für Marketing und Politikberatung. Beide haben weiterhin Profile auf den Meta-Plattformen Facebook und Instagram. Auf ihren Webseiten listen beide Unternehmen die russische Regierung als Kundin. Warum die Profile weiterhin aktiv sind, will Meta nicht beantworten.
Laut französischen Behörden steckt hinter der Webseite von Ukraine Inc ein Server in Russland. Technische Details in den Einstellungen ähneln denen bei Tribunal Ukraine, so die Behörden.
Letztes Jahr fanden wir außerdem Hinweise darauf, dass die Kampagne Verbindungen zu pro-russischen Hackergruppen haben könnte.
Klar ist, dass die Kampagne auf bestimmte Länder abzielt: Klickt jemand auf Facebook den Link, wird überprüft, ob die Person sich zum Beispiel in Deutschland befindet. Ist das nicht der Fall, wird statt des Fake-Artikels ein harmloser Platzhalter-Text angezeigt. Diese Technik wurde laut einer Analyse von Qirium auch schon 2022 verwendet.
Hier verbirgt sich eine weitere Spur, die nach Russland deutet. Ruft man einige der Links mit einer IP-Adresse außerhalb Deutschlands auf, wird ein Text über Bäckereien angezeigt: „Bäckerei (auch veraltet. ,kalachnaya‘) ist ein kleines, nicht maschinelles Unternehmen für das Backen und Verkaufen von Backwaren und Süßwaren […]“ steht dann da auf Deutsch.
Der Text ist eine übersetzte Passage vom russischen Wikipedia-Eintrag über Bäckereien.
Redigatur: Sophie Timmermann, Gabriele Scherndl
Transparenzhinweis: CORRECTIV ist seit 2017 in einer Kooperation mit dem Facebook-Konzern Meta, um Desinformation auf dem Sozialen Netzwerk zu bekämpfen. Mehr Informationen zu der Kooperation erhalten Sie hier.
Update, 26. Juni 2023: Wir haben die Antwort des ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme ergänzt, die uns erst nach Veröffentlichung dieses Textes erreicht hat.