Demo in München: Rechte Accounts verbreiten falsches Foto aus Moskau
Bundesweit kommt es aktuell zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Einige Accounts verbreiten auf X zu einem dieser Proteste in München ein altes Foto aus Moskau, scheinbar gezielt. Was steckt dahinter?
Am Wochenende vom 19. bis 21. Januar demonstrierten in Deutschland rund eine Million Menschen gegen Rechtsextremismus. In München kamen am Sonntag, den 21. Januar, laut Polizei mindestens 100.000 Menschen zu einer Großdemonstration. Vorausgegangen waren Recherchen von CORRECTIV zu einem geheimen Treffen am 25. November 2023 in Potsdam, an dem AfD-Politiker, Mitglieder der CDU und Neonazis die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland besprachen.
Anschließend verbreiteten Nutzer, darunter auch einige AfD-Politiker, Falschbehauptungen, wonach Bilder von diesen Demonstrationen manipuliert seien. Außerdem wurde fälschlich suggeriert, unter den Demonstrierenden seien bezahlte Statisten.
Auch mit anderen Mitteln wird offenbar versucht, die aktuellen Proteste zu delegitimieren: Einige Profile streuten ein falsches Foto. „Beeindruckende Bilder aus München. So sieht Widerstand gegen die AfD aus“, heißt es in einem Beitrag vom 21. Januar auf X mit hunderten Likes. Auf dem Bild im Beitrag ist eine riesige Menschenmenge zu sehen.
Doch hinter dem Beitrag mit dem vermeintlich aktuellen Foto steckt ein rechtsextremer Account: Der Nutzer „Abschiebefelix“ verwendet in Profilbild und -beschreibung den rechten Kampfbegriff „Remigration“ – mit diesem Begriff beschrieben die Teilnehmenden des von CORRECTIV aufgedeckten Treffens ihren Plan Millionen von Menschen aufgrund mitunter rassistischer Kriterien aus Deutschland zu vertreiben. Außerdem zeigt das Foto im Beitrag gar nicht München, sondern eine Demonstration 1991 in Moskau.
Falsches Foto wird von rechten X-Accounts geteilt
Dass sich der Nutzer hinter dem Account vermutlich nicht wirklich über die Bilder aus München und den „Widerstand gegen die AfD“ freut, zeigt sich an seinen anderen Beiträgen und Gefällt-Mir-Angaben: Immer wieder sprach er sich für die AfD aus, verbreitete antisemitische, rassistische, antimuslimische und LGBTQ-feindliche Beiträge.
Viele der Profile, die das Bild weiterverbreiten, scheinen ebenfalls die AfD zu unterstützen oder rechte Verbindungen zu haben.
Eines der ersten Profile, die den Beitrag teilten, war der Account „derfaedenzieher“ – manche Nutzer vermuten dahinter den Neonazi Martin Sellner. Der Österreicher nahm an dem Treffen in Potsdam teil und referierte dort über seinen „Masterplan“, Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Sellners X-Profil wurde bereits 2020 gesperrt. Der Nutzer hinter dem Account „derfaedenzieher“ hat sich in mindestens einem Beitrag vom 13. Januar 2024 in Reaktion auf die CORRECTIV-Recherche als Sellner ausgegeben und sich darüber beschwert, dass er „überall zensiert“ sei. Außerdem verwies der Telegram-Kanal Sellners mehrmals auf den X-Account.
Unter den Profilen, die den Beitrag teilen oder liken, findet sich auch der AfD-Politiker Reimond Hoffmann, der wiederum Recherchen zufolge Kontakte zur „Identitären Bewegung“ Sellners pflegt, und der ehemalige Chef der AfD-Jugendorganisation Marvin Neumann. Viele der Accounts verwenden in ihren Profilbildern außerdem einen Rahmen für das „Team #Remigration“, der wiederum von dem Bundestagsabgeordneten und AfD-Mitglied Matthias Helferich beworben wird.
Warum verbreiten die Accounts das falsche Bild der Demo?
Julia Ebner forscht beim Institute for Strategic Dialogue und an der Oxford University unter anderem zu Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung. Wie sie uns in einem Telefonat erklärte, gibt es zwei Möglichkeiten, die Taktik des X-Accounts zu interpretieren: „Zum einen spielt Sarkasmus in der neurechten Bubble eine sehr große Rolle. Es könnte sich also um eine Art Trolling handeln.“
Andererseits könnte es sich um eine gezielte Desinformationstaktik handeln, um den Unterstützenden der Demonstrationen ein falsches Bild unterzujubeln. Solche Umkehr-Taktiken, also das Verkörpern des angeblichen Gegners, um diesen zu diskreditieren, habe beispielsweise die neue Rechte in den USA, die sogenannte Alt Right, schon angewendet. In der Vergangenheit habe es immer wieder Antifa-Accounts gegeben, die zu Gewalt aufriefen. Später habe sich herausgestellt, dass dahinter Unterstützer der Alt Right steckten – eine sogenannte False Flag, erklärt die Forscherin.
Bild zeigt Protest in Moskau 1991
Eine Bilder-Rückwärtssuche zeigt: das geteilte Foto stammt von März 1991 und zeigt Proteste auf dem Maneschnaja-Platz in Moskau gegen den damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow.
Darauf, dass der Account wohl bewusst ein altes Foto von einem anderen Ort verbreitet, weist auch ein Kommentar des Autors unter seinem eigenen Beitrag: „Sogar 1991 hat man solche Bilder manipuliert.“ Zumindest diese Aussage stimmt, denn nachdem das Bild der Associated Press (AP) 2011 im The Atlantic veröffentlicht wurde, fielen einigen Lesern Unstimmigkeiten auf: Ein Teil der Menge wiederholt sich.
Auf Nachfrage erklärte AP später gegenüber The Atlantic ein Bildausschnitt sei kopiert worden um Linsenreflexionen zu kaschieren – das widerspreche den Werten und Prinzipien der Nachrichtenagentur. Inzwischen ist das Foto laut The Atlantic von AP mit dem unbearbeiteten Original ersetzt worden. In der Fotodatenbank Picture Alliance ist weiterhin das manipulierte Bild zu finden.
Das Foto von der Demonstration am Maneschnaja-Platz wurde schon mehrmals im falschen Kontext verbreitet, wie wir 2022 berichteten.
Redigatur: Uschi Jonas, Sophie Timmermann