Hintergrund

Die sogenannte Unterwanderung: Wie Rechte und Verschwörungsideologen die Bauernproteste für sich nutzen

Unter den Protest der Bäuerinnen und Bauern mischten sich auch Akteure, die Verschwörungsideologien und Desinformation streuen oder am rechten Rand stehen. Eine Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt: Auch aus dem inneren Kreis der Organisatoren kamen Falschbehauptungen und Hetze.

von Gabriele Scherndl

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Am 15. Januar endete die Protestwoche der Landwirtinnen und Landwirte. Die Demonstrationen wurden von Falschinformationen begleitet und von Verschwörungsgläubigen und Rechten instrumentalisiert. (Quelle: Countrypixel / FRP / Picture Alliance)

Telegram, 17. Dezember 2023: „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber der Bauernprotest in Deutschland ist so traurig wie lächerlich“, heißt es auf Telegram.

Doch gut einen Monat später, als die Demonstrationen von Landwirtinnen und Landwirten in vollem Gang sind, stellt sich in der Welt der Desinformation kaum noch jemand gegen die Proteste. Im Gegenteil. Sie sehen darin offenbar die Chance der Masse, die sich erhebt, und vor allem: Einen Anlass, den sie für ihre eigenen Ziele nutzen können. 

Dort, wo sich normalerweise über Corona, den Ukraine-Krieg oder Migration ausgetauscht wird, bietet sich ein teils verstörendes Bild: Umsturzfantasien, Gewaltaufrufe und Narrative, die dem rechten Rand nutzen. Aber es gibt auch Skepsis gegenüber den offiziellen Organisatoren. Und Desinformation – die auch von den Organisatoren selbst verbreitet wird. 

Wer protestiert eigentlich bei den Bauernprotesten?

Doch erst ein Blick auf die Straße. Wer protestiert da eigentlich? Eine, die das genauer weiß, ist Birgit Peuker. Für eine Befragung, die das Forschungsprojekt Food for Justice, das die Universität Heidelberg in Kooperation mit dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung durchführt, sprach die Soziologin bei einer großen Bauerndemonstration in Berlin Mitte Januar Teilnehmende an. Sie und andere Forscherinnen und Forscher baten sie, eine Umfrage auszufüllen; 35 Fragebögen kamen später zurück. 

Die zeugen von Frust. Auf die Frage, wie zufrieden sie mit der Demokratie in Deutschland seien, antworteten die meisten „eher oder sehr unzufrieden“. Sehr zufrieden war gar niemand. Das Vertrauen in die Bundesregierung war bei den allermeisten Befragten gering oder gar nicht vorhanden.

Chronologie der Bauernproteste in Deutschland
Am 13. Dezember 2023 einigte sich die Bundesregierung, wie sie das Loch im Bundeshaushalt schließen wolle: Unter anderem, indem sie Steuervergünstigungen für die Landwirtschaft, den sogenannten Agrardiesel, abschafft. Außerdem solle eine KFZ-Steuerbefreiung für Traktoren wegfallen. Schon am Tag danach, am 14. Dezember gab es erste Proteste von Landwirtinnen und Landwirten, etwa in Bamberg und Würzburg.
Nach weiteren lokalen Demos und Aktionen erreichten die Proteste am 18. Dezember einen vorläufigen Höhepunkt: An dem Tag blockierten mehr als 1.500 Traktoren die Straße zum Brandenburger Tor. Auch in anderen Regionen Deutschlands gab es Demonstrationen. Im neuen Jahr rief der Bauernverband zu einer Protestwoche ab dem 8. Januar auf, sie endete mit einer Großdemonstration in Berlin am 15. Januar.

Was genau fordern die Landwirtinnen und Landwirte?

Die grundlegende Unzufriedenheit der Demo-Teilnehmenden ist das eine. Das andere sind die Forderungen, die mit dem Protest einhergehen, das eigentliche Ziel. Der Bauernverband fordert in erster Linie die Rücknahme der von der Bundesregierung geplanten Steuererhöhungen. Zum Teil kam die Bundesregierung den Landwirten hier am 4. Januar entgegen: Sie entschied, die KFZ-Steuerbegünstigung doch nicht abzuschaffen, beim Agrardiesel soll die Abschaffung der Subvention schrittweise erfolgen. 

Es geht also eigentlich um Steuererleichterungen, doch irgendwie geht es auch um mehr. Einerseits um die Bundesregierung – immerhin hingen auf mehreren Demonstrationen Ampeln an Galgen –, andererseits aber auch um „das System“ an sich. 

Felix Anderl, Professor für Konfliktforschung an der Uni Marburg, sagt: „Es gibt da eine Ablehnung von politisch Verantwortlichen, aber ohne einen Plan oder eine Richtung“. Und das lasse Raum offen, den andere Gruppen füllen können. Anderl formuliert das so: „Wenn mein Frame ist: ‚Alles ist schlimm‘, dann können alle, die irgendetwas schlimm finden, sich da anschließen und für die gemeinsame Sache kämpfend wähnen, ohne dass sichergestellt ist, was eigentlich die gemeinsame Sache ist“.

Andere Berufsgruppen schlossen sich den Bauernprotesten an
Nicht nur die Landwirtschaft, auch andere Branchen gingen auf die Straße. Laut Medienberichten schlossen sich etwa Fischerinnen und Fischer an. An den Aktionen beteiligten sich auch Menschen aus den Bereichen Gastronomie, Logistik und dem Handwerk. In lokalen Berichten ist auch von Metzgern, Bäckerinnen und Leuten aus dem Baugewerbe die Rede. 

Bauernproteste als Corona-Demos 2.0?

Der Gedankensprung zu den Corona-Demonstrationen ist da nicht weit. Auch auf Telegram. Dort schreibt eine Person fast nostalgisch über einen Bauernprotest, den sie besucht hatte: „Wir fühlten uns sofort dorthin zurückversetzt“ – und meint damit die Corona-Demonstrationen. 

In vielen Social-Media-Kanälen und -Gruppen, die seit 2020 mit Desinformation zum Coronavirus auffallen, sind jetzt auch die Bauernproteste Thema. Da wird zur Teilnahme aufgerufen und sich mit den Bäuerinnen und Bauern solidarisiert. Und auch jene Falschbehauptungen, die CORRECTIV.Faktencheck oder andere Redaktionen seit Beginn der Bauern-Proteste überprüft haben, werden dort immer wieder geteilt.

Eine Grafik zeigt, dass am 8. Januar 3097 Beiträge zum Schlagwort "Bauernproteste" gepostet wurden.
Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) beobachtet die Themenfelder Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus und analysiert Telegram-Gruppen aus diesen Bereichen. CORRECTIV.Faktencheck hat diese Daten ausgewertet: Sie zeigen, dass das Interesse an den Bauernprotesten in diesen Kanälen am 8. Januar seinen Höhepunkt erreicht hatte – zu Beginn der Protestwoche. (Quelle: Cemas; Grafik: CORRECTIV.Faktencheck)

Darunter auch ein altbekanntes Gesicht: Stefan Magnet, Chefredakteur von Auf1, ein sogenannter alternativer Nachrichtensender aus Österreich, der auch in Deutschland Hetze und Falschinformationen verbreitet. Er fasst die Lage so zusammen: Wenn die Corona-Bewegung mit den „neuen Bauernprotesten“ zusammentreffe, könne das „eine interessante Durchmischung werden“. Auch die Corona-Partei Die Basis solidarisiert sich uneingeschränkt mit den Protesten.

Die Intention dahinter ist recht offensichtlich: Schon einmal wurde der Mittelstand mobilisiert, gingen Leute auf die Straße, die sonst eher nicht zu Demonstrationen gehen. Unter schlichtweg mit den Corona-Maßnahmen unzufriedene Menschen mischten sich auch Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige, um über Systemstürze zu fabulieren und die Pandemie in ein großes Märchen zur Unterdrückung der Massen umzudichten. 

Und das wirkte: Sie bestimmten monatelang das Mediengeschehen und die öffentliche Debatte. Warum soll das nicht noch einmal klappen?

Doch in jenen Kanälen, die CORRECTIV.Faktencheck in der täglichen Recherche immer wieder begegnen, gibt es auch Skepsis gegenüber den Protesten der Landwirtinnen und Landwirte. Etwa gegenüber dem Bauernverband, dem organisatorischen Gesicht der Demonstrationen. So wird in einer Nachricht, die in mehreren corona-kritischen Gruppen kursiert, die Frage gestellt, ob die Bauernverbände schnell „einknicken und brav Pfötchen geben“ würden. An anderer Stelle fragt sich Martin Rutter, Gallionsfigur der österreichischen Corona-Szene, ob es „gelenkter Protest“ oder „ungelenkter Widerstand“ sei. Wieder andere schreiben, die Bauernproteste seien von „Psychopathen inszeniert“. 

Vereinzelt kam es auch zu Gewaltaufrufen. So wird von einem Umsturz der Regierung und Neuwahlen fantasiert, es ist die Rede von einem „Krieg“. An anderer Stelle ging es Ende Dezember erst um „Bastarde“, die hingerichtet werden sollten. Darauf antwortet ein Telegram-Nutzer: „Vielleicht regelt sich das Ganze aber auch schon so, durch die Bauern im Januar!“ Diese zwei Nachrichten sind mittlerweile gelöscht.

Wie nutzen die Bauernproteste auch pro-russischen Narrativen?

Doch nicht nur bei den Corona-Kritikern verfingen die Proteste, sondern auch in pro-russischen Kanälen. Der deutsche Ableger von Russia Today (RT DE) – wegen Sanktionen in der EU eigentlich gesperrt, aber dennoch verfügbar –, berichtet etwa in einem Live-Ticker und in Reportagen. Der pro-russische Kanal „Neues aus Russland“ von Alina Lipp rief am 7. Januar zur Demonstration auf – zweisprachig. Schon zwei Tage später instrumentalisierte sie die Proteste für ihre Zwecke, um gegen deutsche Hilfsgelder für die Ukraine zu wettern. 

In dieses Bild fügen sich auch Beiträge einiger X-Accounts. Ihre Vorgangsweise – die Art, in der sie auf X auftreten und welche Hashtags sie verwenden – stimmt mit den Methoden eines pro-russischen Propaganda-Netzwerkes überein. Es ist, so zeigen Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck, seit Jahren aktiv – erst auf Facebook, mittlerweile eben auch auf X

Auch diese Accounts thematisieren die Proteste und spinnen schiefe Vergleiche zum Ukrainekrieg. In einem Video heißt es etwa, die Lage werde für die Regierung Scholz fatal sein; er lehne es ab, Bauern in Cottbus zu treffen (Anm. d. Red.: Scholz war dort für einen Werksbesuch bei der Deutschen Bahn, Landwirte protestierten vor dem Gelände), plane aber gleichzeitig Besuche bei Selenskyj. Dazu schreibt der X-Account: „Die Ukraine sollte physisch und biologisch zerstört werden“. 

Das genährte Narrativ hinter all diesen Kampagnen: Deutschland versinkt im Chaos und lässt die eigenen Leute allein während andere Länder unterstützt werden.

Wie stiegen Rechte und Rechtsextreme in die Debatte ein?

Und dann gibt es da noch eine Gruppe, die die Bauernproteste für sich entdeckt hat: Rechte und Rechtsextreme. 

Auf1 gab an, am großen Protesttag am 8. Januar mit gleich zehn Teams bundesweit unterwegs gewesen zu sein und berichtete in einer Sondersendung. Der Sender ließ die Proteste auch von Gästen einordnen. Etwa von Martin Kohlmann, Gründungsvorsitzender der Freien Sachsen. Über die Partei schreibt der Verfassungsschutz Sachsen, sie seien eine Gruppe aus Neonazis, NPD-Funktionären und anderen Szene-Angehörigen.

Die Freien Sachsen begannen wenige Tage nach Proteststart, zur Teilnahme aufzurufen. Laut mehrerer Medienberichte meldeten sie auch eine Veranstaltung am Rande der Bauernproteste an, vereinzelt wurden Fahnen der Freien Sachsen gesichtet. Die Partei gibt offen zu, dass es ihnen nicht um die Kernanliegen der Bauern geht – nämlich die drohenden höheren Steuerlasten: „Diese Forderung ist uns, pardon, etwas zu unbedeutend für so viel Aufwand“, heißt es auf Telegram. Stattdessen wird dazu aufgerufen, das „komplette System“ anzugreifen. 

Ein ähnliches Bild bei der rechtsextremen Identitären Bewegung: Martin Sellner, rechtsextremer Aktivist aus Österreich, schrieb am 17. Dezember auf Telegram, die Proteste „hätten Potential“, später löschte er die Nachricht. In einer Audionachricht sieht er am 3. Januar den Vorteil, dass Landwirtinnen und Landwirte im Gegensatz zu „Klimaklebern“ Sympathieträger seien und sagt: „Wir müssen uns diesen Protesten anschließen und sie nach Möglichkeit unterstützen, ohne ihnen durch Vereinnahmung zu schaden.“ Die Bauern würden sich außerdem gegen „den Globalismus wehren“. So gibt Sellner den Protesten einen rechtsextremen, verschwörerischen Anstrich. 

Worum geht es bei der Verschwörungserzählung des Globalismus?

Auf den ersten Blick wird die antisemitische Bedeutung des Wortes „Globalismus“ nicht klar. Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus erklärt auf ihrer Webseite: Das Wort stehe zwar im Zusammenhang mit der Globalisierung, sei damit aber nicht identisch. Es komme von Globalismus, einem „Begriff, der in der rechtsextremen Szene als antisemitisches Codewort im Zusammenhang mit Verschwörungsideologien“ verwendet wird. Mit Globalisten sei in dem Zusammenhang eine internationale Elite gemeint, die angeblich einen „großen Neustart oder eine ‚Neue Weltordnung‘ plant“.

Hinter dieser global operierenden „Elite“ werden, wie in zahlreichen anderen Verschwörungsideologien mit antisemitischen Narrativen, Jüdinnen und Juden vermutet. Bereits im Jahr 2006 arbeitete eine Tochterorganisation der NPD laut der Bundeszentrale für politische Bildung „12 Thesen zum Globalismus“ aus. Eine davon: Die von den Globalisten verursachten Migrationsströme und die Angleichung von Märkten, Produkten und Kommunikation führten zur „Zerstörung gewachsener Sprachen und Kulturen“.

Drei Tage später, am 7. Januar, veröffentlichte der X-Kanal „Bauernprotest“ seinen ersten Beitrag. Der Kanal bewirbt eine Webseite, auf der jeder und jede Proteste melden kann, die dann auf einer Karte dargestellt werden. Im Impressum der Webseite stehen das „Filmkunstkollektiv“, das laut Standard zur Identitären Bewegung gehört und Simon Kaupert, bekannter Rechter und Leiter des „Filmkunstkollektivs“ .

Diese Instrumentalisierung zieht sich durch weite Teile der rechtsextremen Szene. So will etwa die Corona-Querfront, ein Bündnis rund um den in Österreich verurteilten Holocaust-Leugner Gottfried Küssel, von den Bauernprotesten „lernen“, dass man einen breiten Teil des Volkes „erregen“ müsse. Im Kanal der Querfront kursieren neben rassistischen Inhalten Falschbehauptungen, die das Narrativ nähren sollen, die Proteste würden von Wirtschaft und Politik unterdrückt. 

In einem Video des vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Compact-Magazins wird ausführlich ein Landwirt porträtiert, der die Fahne der Landvolkbewegung auf seinen Traktor hisst – sie wird von Fachleuten als antisemitisch, antidemokratisch und völkisch beschrieben. Mit der Parole „Power to the Bauer“ bittet Chefredakteur Jürgen Elsässer um Spenden – für Compact, nicht für die Bauern.  

Wurden die Bauernproteste also unterwandert?

Fragt man die Soziologin Peuker und den Protestforscher Anderl, ob sie glauben, die Bauernproteste seien unterwandert oder würden instrumentalisiert, dann sagt keiner von beiden „Nein“. Und für beide ist das nicht verwunderlich. 

„Die Symbolik des Bauern eignet sich sehr gut dafür, dass rechte Akteure ihre politischen Vorstellungen auf diese Bewegung projizieren können“, sagt Anderl und spricht von Verklärtheit, Nostalgie und einer „Blut-und-Boden-Erzählung“. Peuker erinnert sich an einschlägige Plakate und Parolen bei der Demonstration, auf der sie geforscht hat, sagt aber dazu: „Es ist naheliegend, dass Einzelgruppen auf einer Demonstration für sich Propaganda machen.“ Eine Demonstration sei eine Bühne, das sei nicht nur bei den Bauernprotesten der Fall.

Was ist die sogenannte Blut-und-Boden-Ideologie?
Die Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) bezeichnet die Blut-und-Boden-Ideologie als „zentralen Bestandteil der nationalsozialistischen Weltanschauung und der Organisation der Landwirtschaft“. Sie basiere auf der „Verknüpfung einer eindeutigen ‚reinen‘ arischen Abstammung mit einem vermeintlich dazugehörenden Siedlungsgebiet“. Das Deutsche Historische Museum verbindet den Begriff mit dem von Nationalsozialisten propagierten „Ideal des heimatverbundenen, vorindustriellen Bauerntums als ‚Hauptquell des deutschen Volkes‘“.

Doch Desinformation und rechte Rhetorik kommen nicht nur von außen an die Proteste heran, sie kommen auch von Teilen der offiziellen Organisationsebene.

Welche Organisatoren stimmen in die Desinformation mit ein?

Da fällt zum Beispiel Anthony Lee auf. Er ist Spitzenkandidat der Freien Wähler Niedersachsen bei der EU-Wahl und Sprecher des Vereins Landwirtschaft verbindet Deutschland (LSV). Gemeinsam mit den Landesverbänden und diesem Verein rief der Bauernverband zu einer Demonstration am 15. Januar 2024 auf. Die Taz schrieb 2021 über Lee, er stelle den menschengemachten Klimawandel in Frage und „rede rechtsradikal“.

Auch wenige Wochen vor den aktuellen Bauernprotesten, im Oktober 2023 verwendet Lee in einem Video auf Facebook Formulierungen, wie man sie von Rechtsradikalen kennt. Darin sagt er zwar: „Jeder Mensch ist vollkommen gleich“. Doch dann spricht er über Geflüchtete und darüber, dass junge Männer in das Land „einsickern“ würden, von einer „Invasion“. Er sagt weiter: „Dann lassen wir diese jungen Männer hier los und unsere jungen Frauen sind dann Freiwild“.

Auf seiner Facebook-Seite sind außerdem zahlreiche Videos der Bauernproteste. Darunter eines, auf dem angeblich LKW aus Polen unterwegs nach Deutschland seien. Sind sie nicht

CORRECTIV.Faktencheck bat Lee um eine Stellungnahme dazu, warum er Desinformation teilt und ob er noch immer findet, es sei eine „Frechheit“, ihm vorzuwerfen, er rede rechtsradikal, wie er einst der Taz sagte. Er wollte sich dazu nicht äußern.

Wie distanzierten sich Landwirtinnen und Landwirte von Radikalen?

Die Proteste werden also nicht nur von verschwörungsideologischen Kanälen mit Desinformation angeheizt, künstlich vergrößert und befeuert. Sie bekommen augenscheinlich auch Unterstützung vom neonazistischen Rand der Rechten, die ihre Chance wittern und die breite Masse versammelt sehen. Mit Anthony Lee ist außerdem ein Mann, der mit rechter Rhetorik und Desinformation auffällt, ganz offiziell Teil der Organisationsspitze.

Doch das bedeutet nicht, dass alle Landwirtinnen, LKW-Fahrer und anderen Demonstrierenden, die rund um die Bauernproteste auf den Straßen waren, rechtsextrem oder verschwörungsideologisch sind. Der Bauernverband distanzierte sich schon im Dezember von „Schwachköpfen mit Umsturzfantasien“ und Radikalen, und auch von den Freien Sachsen. Der LSV schrieb am 6. Januar auf Facebook, er lehne antidemokratische Äußerungen ab und warne vor einer Vereinnahmung durch radikale Gruppierungen.

Auf die Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, wie der LSV und Vorstände des Bauernverbands zu Lees rechter Rhetorik stehen und ob sie der Meinung seien, die Verbreitung von Desinformation schade dem Anliegen der Bäuerinnen und Bauern, gaben sie kein Statement ab. 

Aber auch einzelne Landwirtinnen und Landwirte distanzieren sich. Zum Beispiel eine Person, die in einer Mail an CORRECTIV.Faktencheck schrieb, sie würde sich wünschen, Medien würden vermitteln, dass Bauern „selbst nicht toll finden, dass sie da in ein paar Bereichen unterwandert werden“. 

Oder die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die auf Instagram klarstellt: „Wir stehen hinter den bäuerlichen Protesten, aber wir müssen derzeit zusehen, wie unsere Not von Rechts instrumentalisiert wird“. Oder der Landwirtschaftsblogger Bernhard Barkmann, der Vorlagen für Banner zum Download bereitstellt, auf denen steht: „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“. 

Wie geht es weiter mit den Bauernprotesten?

Die große Protestwoche hat am 15. Januar offiziell geendet. Der Umsturz, den viele in Sozialen Netzwerken herbeigesehnt hatten, blieb aus. In Sozialen Netzwerken wird trotzdem schon die „nächste Dimension“ der Proteste besprochen. Da heißt es: „Haltet den Kampf aufrecht“.

Bei Protestforscher Anderl klingt das etwas anders. Er glaubt, die Proteste würden ohnehin bald abflauen – immerhin sei die Zeit im Jahr, in der Landwirtinnen und Landwirte recht gut dem Hof fernbleiben könnten, bald vorbei. Er sagt aber auch: „Damit ist die Wut nicht weg“.

Redigatur: Uschi Jonas, Steffen Kutzner

Korrektur, 30. Januar 2024: Wir haben konkretisiert, dass die Universität Heidelberg nicht das gesamte Forschungsprojekt Food for Justice, sondern lediglich die Befragung auf der Demonstration in Kooperation mit dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung durchgeführt hat.