Warum ein Vergleich der Infektionszahlen von 2020 und 2021 nichts über Wirksamkeit der Impfungen aussagt
Auf Telegram verbreitet sich ein irreführender Vergleich: Trotz Impfungen habe es im Oktober 2021 doppelt so viele Neuinfektionen mit dem Coronavirus gegeben wie im Oktober 2020. Der Vergleich lässt außer Acht, dass im Jahr 2021 die ansteckendere Delta-Variante verbreitet ist und Impfungen vorrangig nicht die Infektionen verhindern, sondern schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle.
Auf Facebook und Telegram verbreitet sich seit Anfang November ein irreführender Vergleich: Trotz 112 Millionen Impfungen habe es am 28. Oktober 2021 doppelt so viele Coronainfektionen gegeben wie am 28. Oktober 2020. Suggeriert wird, das stelle die Wirksamkeit der Impfstoffe infrage. Auf Telegram wurde das Video vom 2. November bereits mehr als 145.000 Mal angesehen (Stand 29. November).
Die zitierten Zahlen sind zwar richtig, der Vergleich lässt aber keine Schlüsse über die Wirksamkeit der Impfung zu. Im Oktober 2020 waren Coronavirus-Varianten verbreitet, die nicht so ansteckend waren wie die aktuell dominante Delta-Variante. Hinzu kommt: Bei einer hohen Impfquote ist nicht mehr allein die Zahl der Neuinfektionen entscheidend, sondern die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle.
Wie aus den Situationsberichten des Robert-Koch-Institus (RKI) vom 28. Oktober 2020 (14.964 Neuinfektionen) und dem 28. Oktober 2021 (28.037 Neuinfektionen) hervorgeht, stimmen die zitierten Zahlen.
Auch die Zahl der Impfungen ist mit 112 Millionen in etwa richtig angegeben. Laut dem Bericht des RKI vom 28. Oktober 2021, wurden zu diesem Zeitpunkt 111.396.022 Impfungen verabreicht. Damit waren laut des Berichts rund 55,3 Millionen Menschen oder 66,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig gegen Covid-19 geimpft.
Ansteckendere Delta-Variante dominiert 2021
Ein Grund, weshalb die Zahlen von Oktober 2020 und Oktober 2021 nicht vergleichbar sind, ist, dass im Oktober 2021 die deutlich ansteckendere Delta-Variante des Coronavirus das Infektionsgeschehen bestimmte. Laut dem Bericht des RKI vom 28. Oktober (Seite 33) lag der Anteil der Delta-Variante in der 42. Meldewoche (18. bis 24 Oktober 2021) bundesweit bei 99,7 Prozent.
Für diese Virusvariante bestehen laut RKI „deutliche Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit“. Die Delta-Variante weise eine höhere „Fallanstiegsrate“ auf, und auch die Zahl der angesteckten Kontaktpersonen durch Infizierte sei höher als bei der vorher dominierenden Variante des Coronavirus (Alpha). Außerdem schützen die Impfungen gegen die Delta-Variante nach bisherigen Erkenntnissen weniger gut. Dennoch ist auch für diese Variante der Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe immer noch sehr hoch, wie wir auch in einem Faktencheck vom 12. November erklärt haben.
Infektionen trotz Impfung sind möglich, ebenso wie Ansteckungen durch Geimpfte
Aktuell (Stand 29. November) liegt die Quote der vollständig Geimpften in Deutschland bei 68,4 Prozent, eine Auffrischungsimpfung erhielten bisher 8,6 Millionen Menschen.
Wichtig ist: Eine Impfung schützt nicht vollständig vor der Übertragung des Coronavirus. Wie wir für einen Faktencheck vom 27. September recherchiert haben, deuten aktuelle Studien darauf hin, dass Geimpfte sich zwar etwas seltener infizieren. Sie können aber dennoch infiziert werden und das Virus auch an andere übertragen. Deshalb können die Fallzahlen auch steigen, wenn viele Menschen geimpft sind. Das heißt nicht, dass die Impfung diese Menschen nicht schützt.
Covid-19-Impfungen schützen vor schwerem Krankheitsverlauf und Tod
Impfstoffe wirken gegen einen schweren Krankheitsverlauf und verhindern somit Todesfälle – auch bei der Delta-Variante. Das schreibt das RKI in seinem aktuellsten Wochenbericht vom 25. November 2021 (Seite 4). Dennoch empfiehlt das RKI Auffrischungsimpfungen, da der Impfschutz mit der Zeit nachlässt.
Das RKI schätzt auf Grundlage der Daten aus den vergangenen vier Wochen, dass die Impfstoffe in der Altersgruppe der 18- bis 59-jährigen mit einer Wirksamkeit von 68 Prozent gegen eine symptomatische Covid-19-Erkrankung schützen, in der Gruppe der Menschen ab 60 Jahren liege die Wirksamkeit bei 65 Prozent. Der Schutz gegen eine Einweisung ins Krankenhaus und gegen Tod sei aber immer noch sehr gut. Einer Grafik des RKI im Wochenbericht ist zu entnehmen, dass die Effektivität der Impfungen gegen eine Einweisung ins Krankenhaus bei 80 Prozent liegt, und die Effektivität gegen den Todesfälle noch etwas höher (je nach Altersgruppe).
Trotz des Anstiegs der Fallzahlen ist in Deutschland zudem aktuell kein gleichermaßen starker Anstieg der Todesfälle wie im Winter 2020 zu sehen (Stand 29. November).
Fazit: Der Vergleich der Fallzahlen zwischen Oktober 2020 und Oktober 2021 suggeriert, dass die Impfungen keinen positiven Effekt hätten. Das lässt sich aus den Zahlen aber so nicht schließen. Im Jahr 2021 ist die ansteckendere Delta-Virusvariante verbreitet. Außerdem reduzieren die Impfungen nachweislich schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle.
Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Situationsbericht des RKI vom 28. Oktober 2020: Link
- Situationsbericht des RKI vom 28. Oktober 2021: Link
- Impf-Dashboard des Bundesgesundheitsministeriums: Link
- Wochenbericht des RKI vom 28. Oktober 2021: Link
- Informationsseite des RKI zu Varianten des Coronavirus: Link
- Wochenbericht des RKI vom 25. November 2021: Link
- Länderprofil von Deutschland auf der Webseite „Our World in Data“: Link