In eigener Sache

200.000 Dollar für acht Menschenleben

Investitionen in investigativen Journalismus sind wichtig. Sie können Menschen retten und sehr viel Geld sparen. Das rechnet ein Stanford-Professor vor.

von Christian Humborg

© Raleigh, North Carolina von James Willamor unter Lizenz CC BY-SA 2.0

Am 5. März 2008 wird Eve Carson, Student der University of North Carolina and Chef des dortigen Studentenparlaments, von zwei Personen ermordet, die auf Bewährung waren. Nach sechs Monaten intensiver Recherche veröffentlicht The News & Observer aus Raleigh (North Carolina) an drei aufeinanderfolgenden Tagen in zehn Artikeln, wie kaputt das Bewährungswesen im US-Bundesstaat North Carolina ist. In seinem neuen Buch „Democracy’s Detectives – The Economics of Investigative Journalism“ analysiert Stanford-Professor James Hamilton den ökonomischen Nutzen dieser Recherche.

Die Zeitung schätzte den Aufwand, im Wesentlichen Personalaufwand, aber auch Kosten für Informationsfreiheitsanfragen, Anwälte und Reisen auf 200.000 Dollar. Ein Reporter hatte sich sechs Monate nur um die Recherche gekümmert, zwei Reporter für jeweils drei Monate, ein Editor drei Monate lang und ein Datenbankanalyst zwei Monate und noch ein Analyst und ein Fotograf für jeweils einen Monat.

Rücktritte und Reformen

Die Mängelliste, die im Dezember 2008 veröffentlicht wird, ist lang: Bewährungshelfer sind überarbeitet und unterbesetzt. Sie wissen oft nicht, wo diejenigen sind, für die sie Verantwortung tragen. In 13.000 Fällen. Strafbefehle werden nicht gestellt. Elektronische Hausarreste werden nicht durchgesetzt, obwohl das Gericht dies entschieden hatte. Und noch viel mehr.

Die üblichen politischen Reaktionen folgen auf die Veröffentlichung. Der Chef der zuständigen Behörde tritt zurück. Politiker geloben eine Besserung des Systems. Auch der Chef des Distrikts, in dem Eve Carson ermordet wurde, tritt zurück. Innerhalb von drei Monaten hat die Gouverneurin des US-Bundesstaates zahlreiche Maßnahmen umgesetzt: mehr Personal, bessere Bezahlung, eine höhere Betreuungsrate, mehr Rechte für Bewährungshelfer gegenüber den ihnen anvertrauten, der Upgrade des Kommunikationssystems, und viel mehr Fortbildung. Bewährungshelfer dürfen alle Akten der ihnen anvertrauten einsehen; dies galt zuvor in Teilen als vertraulich. Schließlich wird ein neuer Risikoabschätzungsprozess für jeden Einzelnen eingeführt.

Im Jahr 2013 beauftragt Stanford-Professor Hamilton einen der damaligen Autoren, alle Daten von 2000 bis 2013 im Vergleich zu analysieren. Im Zeitraum 2005 bis 2009 war der Anteil der Mörder, die auf Bewährung waren (auch für andere Verbrechen) bei 15%. Dieser Anteil sank 2010 auf 12%, 2011 auf 12% und 2012 auf 8%. Hamilton wählte die Prozentzahl als Erfolgsmesser, da viele Gerichtsverfahren mehrere Jahre dauern, was einen Vergleich der absoluten Zahlen problematisch machen. Er fokussiert auf das Jahr 2010, da es das erste Jahr war, in dem die Reformen voll griffen. In diesem Jahr wurden 29 der 239 Morde in North Carolina von Tätern begangen, die auf Bewährung waren. Wäre die Rate nicht auf 12% gesunken, sondern bei 15% geblieben, wären in diesem Jahr 37 Menschen durch Täter, die auf Bewährung waren, ermordet worden. Die Differenz beträgt allein in diesem Jahr acht Menschenleben.

Recherche lohnt sich gesellschaftlich und ökonomisch

Der nächste Schritt in der ökonomischen Analyse der Recherche ist die Bezifferung des ökonomischen Vorteils. Der Wert eines Menschenlebens ist nicht zu beziffern. Daher wird von einem statistischen Menschenleben gesprochen. Das US-Department of Transportation hat in einer Analyse im Jahr 2013 den Wert eines statistischen Menschenlebens mit 9,1 Mio. Dollar angegeben. Immer nur ein statistischer Wert, denn jedes Menschenleben ist unendlich viel wert.

Der Rest der Analyse ist einfach. Acht Menschenleben multipliziert mit 9,1 Mio. Dollar ergibt 72,8 Mio. Dollar. Die 200.000 Dollar aus dem Jahr 2008 waren wegen Inflation im Jahr 2013 schon 216.500 Dollar. Das Ergebnis ist Faktor 287. Für jeden Dollar, den The News & Observer in die Recherche gesteckt hat, hat die Gesellschaft 287 Dollar herausbekommen. Was für eine Rendite!

Sicher kann man die Kausalkette diskutieren. Man kann jeden einzelnen Wert und Rechenschritt hinterfragen. Man kann die zusätzlichen Kosten für den US-Bundesstaat ins Felde führen. Aber dennoch ist der gesellschaftliche Nutzen des investigativen Journalismus unübersehbar. Investitionen, die sich lohnen. Eine Rendite für die ganze Gesellschaft.

Wer das alles nochmal im Original nachlesen will: James T. Hamilton, Democracy’s Detectives – The Economics of Investigative Journalism, 2016, Cambridge, London, The News & Observer Series „Losing Track: North Carolina’s Crippled Probation System“, p. 112-120).