In eigener Sache

Jeder Beitrag könnte der letzte sein

In der Türkei sind mehr als 140 Journalisten inhaftiert. Die offizielle Begründung: Sie hätten terroristische Gruppen unterstützt. Der wahre Grund: Sie haben ihren Job gemacht. Zübeyde Sarı lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie berichtet weiter für #ÖZGÜRÜZ aus der Türkei – als eine der letzten kritischen Korrespondentinnen.

von Marta Orosz

Zübeyde Sarı berichtet über eine Demonstration in Istanbul an dem 100. Verhaftungstag des Journalisten Ahmet Şık.© Sultan Taşar

Kürzlich filmte Sarı in Istanbul eine Mahnwache für inhaftierte Anwälte. Da stürmten plötzlich Polizisten das Gerichtsgebäude und zerschlugen die Versammlung. Sie stand daneben – und entging selbst einer Verhaftung. Aber auch am nächsten Tag machte sie unverdrossen ihre Arbeit. Zübeyde Sarı, 34 Jahre alt, hat keine Lust, sich einschüchtern zu lassen oder sich zu verstecken. Und zeigt in ihren Video-Beiträgen, Live-Schalten und Reportagen, dass Diversität, Meinungs- und Glaubensvielfalt keinen Platz haben in der regierungsgesteuerten türkischen Öffentlichkeit. Zübeyde Sarı arbeitet für #ÖZGÜRÜZ, die türkische Redaktion von Can Dündar und CORRECTIV.

In vielen ihrer Berichte porträtiert Sarı Frauen, die für ihre Rechte – und gegen die geplante Verfassungsreform von Präsident Recep Tayyip Erdoğan kämpfen. Oft berichtet sie live via Periscope, etwa über Demonstrationen der linksgerichteten HDP, auch deren Anführer sitzen im Gefängnis. Sie sprach mit der Aktivistin Kıvılcım Arat darüber, was Erdoğans Referendum für Schwule, Lesben und Transgender-Menschen bedeuten würde. Einige Tage vor dem Interview hatte Kıvılcım Arat zu einer Frauenrechtskonferenz nach Deutschland reisen wollen – und war am Flughafen vorübergehend festgenommen worden.

„Im Zuge des Ausnahmezustandes befinden wir uns nun in einer Zeit, in der alle Oppositionelle oder alternativ Denkende systematisch zum Schweigen gebracht und missachtet werden“, sagt Sarı.

Sie weiß, dass auch sie im Visier der Sicherheitsbehörden steht: „Meine Familie sagt mir: Jedes Mal, wenn du uns anrufst, haben wir Angst, dass dir etwas zugestoßen ist“. Sarı habe viele schlaflose Nächte.

Doch in einer Frage ist sie kompromisslos: Journalismus ist ihr Beruf, und den will sie unabhängig und mit höchster Professionalität ausüben. Zübeyde Sarı hat für BBC Türkei und den Fernsehsender İMC TV gearbeitet. İMC TV wurde vor einigen Monaten im Zuge des Ausnahmezustands geschlossen.

Korrespondenten – unerwünscht 

141 einheimische Journalisten sitzen zurzeit in der Türkei in Haft. In Deutschland ist vor allem der Name Deniz Yücel bekannt, Türkei-Korrespondent der „Welt“. Yücel wurde Mitte Februar in Polizeigewahrsam genommen und sitzt nun in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet: Propaganda für eine terroristische Vereinigung.

Auch die Korrespondenten anderer deutscher Medien werden in ihrer Arbeit behindert. Im April 2016 erhielt ARD-Korrespondent Volker Schwenck Einreiseverbot, nachdem er 12 Stunden lang in Istanbul in Polizeigewahrsam war. Warum die türkischen Behörden ihm die Einreise verweigert haben, haben sie nicht begründet.

„Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim musste das Land im März 2016 verlassen, nachdem seine Presseakkreditierung nicht verlängert wurde. Restriktionen betrafen unter anderem auch zwei Reporter von VICE News, einen Reporter der „New York Times“ und vor einigen Tagen einen italienischen Blogger und Dokumentarfilmer.

Sarı ist eine der letzten, die frei aus Istanbul berichtet. Sie riskiert ihre Freiheit, damit wir alle informiert werden.

Özgürüz.org, die Berliner Redaktion des Journalisten Can Dündar und CORRECTIV ist eine Antwort auf die verzweifelte Lage der Pressefreiheit in der Türkei. Özgürüz – „Wir sind frei“ – wurde im Januar 2017 gegründet und berichtet seitdem kritisch über die Ereignisse in der Türkei. Ziel ist es, vor allem der türkischen Bevölkerung einen Zugang zu unabhängigen Informationen zu bieten. Eine weitere Zielgruppe der Özgürüz-Inhalte sind türkeistämmige Menschen in Deutschland. Die Erdoğan-Regierung hat sofort die Seite in der Türkei gesperrt, die meisten Inhalte erreichen das türkische Publikum auf diversen sozialen Medien. Die Redaktion wirbt um Fördermitglieder zur Finanzierung ihrer Arbeit.