In eigener Sache

Was Rechercheure von Inspektor Columbo lernen können

Strategie statt Intuition: Frage-Profi Dirk Winkelmann zeigte in der CORRECTIV-Redaktion, wie Journalisten Lügen entlarven und besser kommunizieren können

von David Wünschel

Kojak, nicht Columbo: Dirk Winkelmann (hellblaues Hemd)

Kojak, nicht Columbo: Dirk Winkelmann (hellblaues Hemd)© David Wünschel

Wenn Inspektor Columbo früher im Trenchcoat und mit zerzaustem Haar durch Los Angeles schlurfte, wirkte er immer ein wenig schusselig und zerstreut. Der TV-Ermittler besuchte seine Informanten am liebsten in ihrem Zuhause und redete über die Gemälde an der Wand oder die Hobbys seiner Frau. Trotzdem gelangte er stets an die Informationen, wegen derer er gekommen war. Wie machte er das nur?

Dirk Winkelmann nennt diese Technik den „Columbo-Effekt“: Indem der Kommissar über Alltägliches sprach, gab er den Informanten das Gefühl, mit einem interessierten und ungefährlichen Menschen zu reden — und eben nicht mit einem knallharten Ermittler. „Derrick stellte seine Fragen direkt und geradlinig, Columbo kam über Umwege ans Ziel“, sagt Winkelmann, der am Mittwoch den Workshop „Gesprächsführung für Rechercheure“ leitet.  Dr. Winkelmann schult Betrugsermittler in der Führung heikler Recherchegespräche, behauptet aber, seine Techniken funktionieren genauso gut, wenn es darum geht, vom eigenen Kind zu erfahren, was in der Schule los ist.

Rund 15 Teilnehmer haben sich in der CORRECTIV-Redaktion in Berlin zusammengefunden, um zu lernen, in Interview-Situationen besser kommunizieren zu können. Ein Teilnehmer arbeitet im Sozialheim mit Flüchtlingen, aber die meisten sind Journalisten in Print, Radio oder TV. Ich selbst bin hier, weil ich zukünftig bessere Beziehungen zu meinen Gesprächspartnern aufbauen will.

Nach einer kurzen Einführung stellt uns Winkelmann einen Persönlichkeitstest vor. Wir sollen acht Fragen beantworten, an deren Ende wir dann wissen, ob wir eher ein grüner, roter oder blauer Persönlichkeitstyp sind. Grün steht für Kontakt und Empathie, rot für Aktion und Dominanz und blau für Systematik und analytisches Denken. Nach dem Test ist kaum jemand vom Ergebnis überrascht. Eine Teilnehmerin mit roten Persönlichkeitsmerkmalen stellt fest, dass sie im Straßenverkehr doch eher forsch unterwegs ist. Ein Grüner erklärt, dass er auf Partys immer leicht in Gespräche findet, und ich als Blauer merke, dass ich mich manchmal in sinnlosen Gedankenspielen verliere. Der Umkehrschluss des Tests: Wenn man dem Gesprächspartner eine Farbe zuordnen kann, weiß man auch in etwa, in welchem Ambiente er sich wohlfühlt.

„Gerade die roten Typen, die manchmal etwas Narzisstisches haben, brauchen Belohnung in Form von Anerkennung“, sagt Peter Hornung, der beim NDR im Investigativ-Ressort arbeitet. Bisher habe er seine Interviews hauptsächlich intuitiv geführt. „So kommt man zwar auch zum Erfolg“, sagt Hornung: „Aber wenn man diese Techniken wissenschaftlich betrachtet und Struktur hineinbringt, ist das hilfreich.“ Bei ihm habe der Test einen rot-grünen Typus ergeben, was sehr gut zutreffe.

Ich ertappe mich dabei, die anderen Teilnehmer den verschiedenen Farben zuzuordnen. Meist komme ich zu einem Ergebnis, bei Herrn Winkelmann fällt es mir jedoch schwer. Es gibt auch Menschen, bei denen rote, grüne und blaue Merkmale in etwa gleich ausgeprägt sind.

Nach der Mittagspause zeigt Winkelmann uns verschiedene Fragetechniken und erklärt Kennzeichen von wahren und erfundenen Aussagen. Besonders glaubwürdig ist eine Aussage beispielsweise, wenn Einzelheiten geschildert werden, die für das Kerngeschehen eher unnötig sind. Besonders unglaubwürdig ist eine Aussage, wenn bestimmte Teile formelhaft wiederholt werden.

Um diese Merkmale testen zu können, sollen einige Workshop-Teilnehmer Episoden aus ihrem Leben erzählen. Unklar ist, ob sie tatsächlich stattgefunden haben oder erfunden sind. Peter Hornung schildert, wie ihm ein Kosovo-Albaner vor 19 Jahren auf dem Karlsplatz in München in den Bauch schoss. Weil er Aussehen des Täters und Tathergang genau schildert, und sogar anbietet, seine Narbe zu zeigen, glaube ich ihm seine Geschichte aufs Wort. Erfunden ist sie trotzdem — zumindest teilweise. „Ich war nicht das Opfer, sondern der Sanitäter“, sagt Hornung.

Der Wahrheitsgehalt seiner Geschichte — Ort, Tat und Täter — war also sehr groß, der Anteil der Lüge sehr klein. Trotzdem hätte man ihn bei einer längeren Befragung entlarven können, glaubt Workshop-Leiter Winkelmann. „Irgendwann hört die Geschichte auf, vorbereitet zu sein. Das ist der Punkt, an den Sie hinkommen müssen.“

Mir schwirrt der Kopf. Ich weiß jetzt zwar allerhand über Fragetechniken und Lügenmerkmale, aber die Flunkerei konnte ich nicht durchschauen. Vielleicht hätte ich besser aufpassen müssen? Vielleicht ist mir ein wichtiges Detail entgangen? Da sind sie wieder, die typischen Gedankenspiele. Aber ich bin ja ein blauer, analytischer Denker. Es kann also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die vielen Knoten in meinem Kopf wieder entwirren.

David Wünschel hat bei der F.A.Z. hospitiert und studiert an der Hochschule Darmstadt Online-Journalismus. In den Semesterferien geht er am liebsten auf Reisen. Seine Eindrücke hält er in Bild und Text auf dem Blog „Fernweh nach Welt“ fest.