In eigener Sache

Die Kohle der Kommunen

Wie viele NRW-Kommunen haben eigentlich noch Kohlekraftbeteiligungen? Das wollten wir mit einer Crowd-Recherche herausfinden. Schülerinnen und Studenten aus Fridays for Future-Kreisen haben sich an einer breit angelegten Datenerhebung beteiligt. Bei den Anfragen an die Kommunen wurden wir mit Widerständen konfrontiert. Deswegen weiten wir unsere Bürgerrecherche nun aus und machen die Antworten der Kommunen öffentlich.

von Katarina Huth , Bastian Schlange

Der Stromerzeuger Steag betreibt das Steinkohlekraftwerk in Herne. (Foto: Johannes Glöckner / picture alliance)

Mit einem knappen „jeweils negativ“ beantwortet Mülheims Pressesprecher unsere Fragen, ob die Kommune direkt oder über Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften RWE-Aktien hält. Doch diese Auskunft ist falsch – und das Gegenteil leicht zu recherchieren. Mülheims aktuellster Beteiligungsbericht von 2018 gibt an, dass die Kommune über ihre Beteiligungsholding 8,56 Millionen RWE-Aktien besitzt. Das sind bei dem heutigen Aktienkurs mehr als 250 Millionen kommunale Euro, die in der Antwort unter den Tisch gefallen sind. 

Erst als wir ihn mit diesen Zahlen konfrontieren, bestätigt der Pressesprecher die Angaben. Die Frage, warum die Stadt ihre Beteiligung auf unsere Presseanfrage nicht direkt transparent macht, beantwortet er nicht. 

Es wird kein Einzelfall während unserer Crowd-Recherche bleiben, die wir gemeinsam mit einem kleinen Team aus Fridays for Future-Kreisen in NRW gestartet haben.

Transparenz für Energiewende 

Vor ziemlich genau einem Jahr entstand die Idee, die Beteiligungen von Städten und Gemeinden an Kraftwerken und Treibhausgas-Riesen wie RWE flächendeckend transparent zu machen. 

2016 hatte Greenpeace Köln bereits eine Recherche gestartet, um zu erfassen, welche Kommunen noch RWE-Anteile halten, und dafür insgesamt 60 Kommunen untersucht. Es wird allerdings angenommen, dass im Falle von RWE etwa hundert Kommunen in NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland Anteilseigner sind. Das Interessante dabei: Wer genau die Kleinbeteiligungen unter drei Prozent hält, sei selbst dem Konzern nach Aussage der Pressesprecherin nicht bekannt.

Für unsere aktuelle Erhebung haben wir alle 396 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen angefragt. Um diese Transparenz-Offensive starten zu können, brauchten wir mehr Reporter und haben uns für eine Crowd-Recherche entschieden. Wir traten in Kontakt mit Schülerinnen und Studenten, die sich teils bei Fridays for Future engagieren. 

„Es ist sehr wichtig, auch auf die kommunale Ebene zu schauen“, sagt Tom Patzelt von Fridays for Future. Er ist einer von neun jungen Menschen zwischen 18 und 25, mit denen CORRECTIV zu den Kohlekraftwerksbeteiligungen der NRW-Kommunen recherchiert hat. In Sachen kommunaler Energiebeteiligung Transparenz zu schaffen, sagt der 21-Jährige, ermögliche es der Bevölkerung, konkret vor Ort zu reagieren.

Die Crowd-Recherche

Die Bürger- bzw. Crowd-Recherche ist ein neues Konzept des Journalismus, das CORRECTIV durch die Entwicklung des CrowdNewsroom, einer Online-Plattform für gemeinsame Recherchen, vorantreibt. Die Idee dahinter ist, dass jeder Bürger journalistisch tätig sein kann, wenn er die dafür nötigen Methoden sowie Grundlagen der journalistischen Arbeitsweise erlernt. Diese Form der Beteiligung fördert eine aufgeklärte Gesellschaft.

Das junge Bürgerrechercheteam von Fridays for Future bekam die Aufgabe zugetielt, Anfragen an die Kommunen zu stellen. Unter Anleitung der CORRECTIV-Klimaredaktion erarbeitete es das Vorgehen und auch den Fragebogen für die Kommunen. Zu Beginn der Recherche vermittelte die Klima-Redaktion in einem gemeinsamen Workshop die Grundlagen journalistischen Arbeitens. „Selbst an dieser Recherche mitzuarbeiten“, sagt Patzelt, „hat mir vor Augen geführt, wie viele Dinge mitbedacht werden müssen, um die richtigen Daten zu bekommen und wie viel Fleiß dahinter steckt, sauber zu arbeiten. Die Erfahrung ist klasse, und ich bin davon überzeugt, dass Journalismus eine entscheidende Rolle im Kampf für Transparenz und gegen die Klimakrise spielt.“

Als CORRECTIV-Crowd-Reporter verschickte das Team um Patzelt Anfragen an die Pressestellen der fast 400 NRW-Kommunen. Dabei standen sie in engem Kontakt mit unseren Redakteuren, um Mails abzustimmen oder offene Fragen zu klären. 

„Die gesellschaftliche Entwicklung geht immer mehr Richtung Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein“, sagt Lisa Münster. Die 25-Jährige ist die einzige aus dem Fridays-Team, die journalistische Erfahrung mitbrachte. „Dabei wird mit dem Zeigefinger aber entweder auf einzelne Menschen oder auf die große Politik gezeigt“. Die Verantwortung und auch Möglichkeiten der Kommunen würden dadurch bei der Energiewende unterschätzt. 

Rund 250 Kommunen haben bisher auf die Anfragen geantwortet – in fast 700 E-Mails. Die redaktionelle Leitung, die Auswertung der Mails und Veröffentlichung lag bei unserer Klimaredaktion.

Kommunen immer noch im Kohle-Geschäft

Eine erste Auswertung der Antworten hat ergeben: Fast jede fünfte Kommune, die uns aus NRW geantwortet hat, ist direkt, über Fonds oder über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften an Kohlekraftwerken beteiligt. Im Ruhrgebiet häufen sich die Beteiligungen stärker: Hier hat fast die Hälfte der Ruhrgebietskommunen nach eigenen Angaben Verbindungen zu Kohlekraftwerken oder Kohleunternehmen wie RWE. 

Der Wahrheit verpflichtet – eigentlich…

Kommunen sind verpflichtet, der Presse gegenüber wahrheitsgetreue Angaben zu machen. Mülheim zeigt, dass aber auch hier Fehler passieren können. In einigen Fällen haben wir die Angaben der Kommunen stichprobenartig überprüft und sind auf weitere Unwahrheiten gestoßen. Oft waren die Antworten auch überraschend schmallippig, zuweilen arrogant. 

Im Fall von Bottrop war der Tonfall des Stadtsprechers in seinen Antwort-Emails besonders rau. 

In der ersten Antwort aus Bottrop heißt es:

„Sehr geehrte Frau Reemtsma,

es ist immer wieder eine „Freude“ mit CORRECTIV zu tun zu haben…

Gehen Sie davon aus, dass den Kolleginnen und Kollegen der Pressestelle der Stadt Bottrop (u.a.Diplom-Journalisten, Universität Dortmund) die rechtlichen Rahmenbedingungen unseres Berufes nicht nur vertraut sind, ich habe diese Dinge beispielsweise an der Fachhochschule Gelsenkirchen und beim Städtetag vermittelt: Ihrer einleitenden Hinweise auf das Landespressegesetz und Urteile des VG Arnsberg hätte es daher nicht bedurft.“

 

Unser Fragebogen wird von der Stadt Bottrop beantwortet. Unsere Nachfrage, ob die Kommune direkt oder indirekt wirklich keine RWE-Aktien hält, wird klar verneint.

Als wir dann in unserer dritten Presseanfrage auf den Beteiligungsbericht der Stadt 2019 verweisen, in dem 0,007 Prozent RWE-Anteile aufgeführt sind, und erwähnen, dass Bottrop auf der aktuellen Mitgliederliste des Verbands der kommunalen RWE-Aktionäre auftaucht, räumt der Pressesprecher – umständlich verklausuliert – dann doch den Besitz von 45.045 RWE-Aktien ein. Wieso die Anteile nicht von Anfang an genannt wurden, erklärt er nicht.

Pressesprecher Pläsken reagiert auf unsere Nachfrage, warum er Bottrops RWE-Aktien nicht direkt transparent gemacht hat.

Kommunen verschweigen Lünen-Beteiligung

Auch andere Kommunen waren uns gegenüber mit Informationen zurückhaltend. Solingen, Rheine, Mönchengladbach und Steinheim antworteten ebenso wie Herford und Bad Salzuflen unvollständig. Sie gaben auf unsere ersten Anfragen nicht an, dass sie über ihre Stadtwerke oder Tochtergesellschaften ihrer Stadtwerke Beteiligungen an dem Energieversorgungsunternehmen Trianel GmbH besitzen – Solingen erst, als wir sie konkret mit gegenteiligen Informationen konfrontierten. Die Trianel GmbH ist am Kohlekraftwerk Lünen beteiligt. 

Weil wir nicht jede Antwort der Kommunen gegenchecken können, veröffentlichen wir in einer Datenbank den kompletten Schriftverkehr zwischen unserem Rechercheteam und den Pressestellen. Um zu ermöglichen, dass auf der Grundlage unserer Anfragen vor Ort weiter recherchiert werden kann. „Was auf unsere Recherche folgt“, sagt Lisa Münster, „liegt auch in anderen Händen: denen der Kommunen, der Bevölkerung in den Orten, der lokalen Presse.“

Bei Hinweisen und Anregungen schreiben Sie direkt unserer Klimaredaktion: klimawandel@correctiv.org

Einige Antworten der Pressesprecher und Bürgermeister-Büros gingen gar nicht erst auf die Fragen ein, sondern waren in einem arroganten Tonfall verfasst, der junge Menschen, die sich bei den offiziellen Stellen informieren, eher demotiviert. 

Mönchengladbach hat recherchiert

Der Stadtrechtsdirektor der Stadt Mönchengladbach hat der Crowd-Reporterin Josefina Pöpperl (18) hinterher gegoogelt, schreibt ihr, dass er Ferienwohnungen zu ihrem Namen gefunden habe, aber leider keine Artikel und erklärt ihr großzügig Begriffe wie Presse und Reporterin. Allerdings leider falsch.

Der Pressesprecher Mönchengladbachs ist sich unsicher, wie er unsere Anfrage einzuordnen hat.

„Die Antwort, in der meine Legitimation in Frage gestellt und mein Name gegoogelt wurde, war erst mal gruselig – obwohl ich es fast schon gewohnt bin, immer wieder von Männern die angebliche Welt erklärt zu bekommen“, sagt Josefina Pöpperl. „Meine nächsten Gedanken waren, dass es im Prinzip doch total irrelevant ist, wer ich bin. Jede und jeder sollte das Recht haben, solche wichtigen Informationen von öffentlichen Behörden abzufragen. Der Fakt, dass eine diesbezügliche Transparenz nicht von vornherein besteht, ist skandalös.“

Der Städte- und Gemeindebund rät zum Schweigen

Doch nicht nur eigene Recherchen der Städte und Gemeinden sorgten infolge unserer Anfragewelle für Diskussionen: Die NRW-Kommunen suchten auch rechtliche Beratung beim Städte- und Gemeindebund NRW (StGB NRW). Sie wollten wissen, ob sie überhaupt zu einer Auskunft auf Grundlage des Landespressegesetzes verpflichtet seien oder ob sie unseren Fragen ausweichen könnten. 

Der StGB NRW schickte daraufhin einen Brief an alle Mitglieder und riet: „Informationen von Tochterunternehmen als rechtlich eigenständige Personen sind über den presserechtlichen Informationsanspruch nicht herauszugeben.“ Darüber hinaus erklärte er, keine Informationen herauszugeben, die über das IFG, also das Informationsfreiheitsgesetz, hinaus gingen, sprich Informationen, die die Städte von ihren Tochtergesellschaften erst einholen mussten. 

Wir halten diese Rechtsberatung für falsch: Die Aussage widerspricht zwei Urteilen des Verwaltungsgerichts Arnsberg, die die Kommunen zur Auskunft über die RWE-Beteiligungen ihrer Tochtergesellschaften verpflichten (VG Arnsberg – 12 K 136, VG Arnsberg – 12 K 1088). Vorläufig haben wir aber wegen des Veröffentlichungstermins vor der Kommunalwahl von juristischen Schritten dagegen abgesehen.

„Was ich nicht verstehe“, sagt Lucia Parbel (21) von Fridays for Future, „warum so viele Kommunen nicht mit uns kooperieren wollen. Was gegen die Klimakrise zu tun ist, ist ja auch in ihrem Interesse. Vor allem werben viele Kommunen auf ihren Internetseiten mit Nachhaltigkeit – wenn das so ist, was haben sie dann zu verbergen?“

Gemeinsam gegen die Klimakrise

Was als Bürgerrecherche mit dem jungen Rechercheteam aus dem Umfeld von Fridays für Future, soll auch als solche weitergehen. 

„Vielleicht ändert sich mit dieser Recherche an manchen Orten ja das Bewusstsein“, sagt Lisa Münster. Tom Patzelt ergänzt: „Politische Hebel gibt es viele, wir haben jetzt Menschen das Werkzeug an die Hand gegeben, diese wahrzunehmen.“ 

Der Beitrag wurde am 16. September 2020 aktualisiert.

 

 



Update 11.9.2020: Der Text wurde um Details zum Recherche-Ablauf ergänzt.