Klimawandel, Energiewende

Kommunale Kohle-Investments: Mit der Crowd Licht ins Dunkel bringen

Viele Kommunen profitieren nach wie vor vom Klimakiller Kohle. Doch nicht alle wollen dazu stehen. CORRECTIV hat eine Crowd-Recherche gestartet und mit einem jungen Rechercheteam, viele von ihnen aus Fridays for Future Kreisen, zu den Kraftwerks-Beteiligungen der NRW-Kommunen recherchiert. Pressestellen machten falsche Angaben, vergaßen Millionen RWE-Aktien und suchten Rechtsbeistand gegen unsere Anfragen. Die Reaktionen zeigen: Es braucht mehr Transparenz zu den Energiebeteiligungen der Städte und Gemeinden. Deswegen veröffentlichen wir die Antworten der Kommunen.

von Katarina Huth , Bastian Schlange

Ruhrgebiet
Normale Aussichten im Ruhrgebiet: Hier der Blick in Recklinghausen auf ein Steag-Kraftwerk. (Foto: Jochen Tack / picture alliance)

„Wir wollen das Thema Klimaschutz in der Öffentlichkeit diskutieren“, fordert das Bündnis Klimawende Köln. „Wir wollen, dass auch Köln die Klimaschutzziele von Paris einhält.“ Und: „Wir wollen die Politik dazu bewegen, die notwendigen Maßnahmen zügig umzusetzen.“ Dafür hat die Bürgerinitiative Anfang September begonnen, Unterschriften zu sammeln. Im Fokus ihres Bürgerbegehrens steht das Braunkohle-Kraftwerk in Köln-Merkenich. 

Rund 225.000 Tonnen Braunkohle aus den rheinischen Tagebau-Gebieten Hambach und Garzweiler wurden in Merkenich 2018 verfeuert. 

Betrieben wird das Kraftwerk von dem Konzern RheinEnergie, der ebenfalls Anteile an einem Kohlekraftwerk in Rostock hält. Was ein Bürgerbegehren daran ändern könnte? Einiges. Denn die RheinEnergie AG befindet sich zu 80 Prozent in kommunaler Hand.

Die zentrale Frage

„Soll die Stadt Köln im Rahmen ihrer Unternehmensbeteiligungen darauf hinwirken, dass die RheinEnergie AG und deren Tochterunternehmen spätestens ab 2030 nur Strom aus erneuerbaren Energien liefern?“, lautet die zentrale Frage des Begehrens, die die Bürgerinnen und Bürger mit Ja oder Nein beantworten können. 

Diese Frage kann nur gestellt werden, weil die Beteiligungen der Stadt bekannt sind. Diese Transparenz ist entscheidend, damit Bürgerinnen und Bürger politisch handeln können – ob in Form ihres Kreuzes bei der Kommunalwahl, durch die Teilnahme an Demonstrationen oder durch ein Bürgerbegehren wie in Köln.

Intransparenz und Blockaden

Deswegen wollen wir wissen: Welche Kommunen in NRW investieren eigentlich noch in Kohlekraftwerke und verdienen an dem fossilen Brennstoff? Denn davon hängt ab, welche Verantwortung meine Stadt am Kohleausstieg und der Energiewende trägt und auch, ob sie glaubhaft Klimaschutz vertreten kann, wenn sie gleichzeitig an den Kraftwerken profitiert und personell verstrickt ist.

Diese kommunalen Beteiligungen sind für die Bürgerinnen und Bürger nicht umfassend öffentlich und einsehbar. Deshalb haben wir eine Crowd-Recherche gestartet.

Die Crowd-Recherche

Die Bürger- bzw. Crowd-Recherche ist ein neues Konzept des Journalismus, das CORRECTIV durch die Entwicklung des CrowdNewsroom, einer Online-Plattform für gemeinsame Recherchen, vorantreibt. Die Idee dahinter ist, dass jeder Bürger journalistisch tätig sein kann, wenn er die dafür nötigen Methoden sowie Grundlagen der journalistischen Arbeitsweise erlernt. Diese Form der Beteiligung fördert eine aufgeklärte Gesellschaft.

Wir schulten ein junges Rechercheteam aus Schülerinnen und Studenten aus dem Umfeld von Fridays for Future in journalistischen Grundlagen. Unter unserer redaktionellen Leitung hat das Team die 396 NRW-Kommunen angefragt, ob sie direkt oder indirekt an Kohlekraftwerken beteiligt sind oder noch Anteile an Kohlestromunternehmen wie RWE halten. Die Rechercheidee sowie de Auswertung der Anfragen erfolgte unter der redaktionellen Leitung von CORRECTIV.  In den vergangenen zwei Monaten bekamen wir bisher von 241 Kommunen Antwort: Rund 20 Prozent von diesen Kommunen räumten Beteiligungen ein, also jede fünfte. Bei einer Auswertung der Kommunen im Ruhrgebiet war es etwa jede zweite – wobei nicht jede Stadt vollständige Angaben machte, RWE-Anteile verschwieg oder erst auf Nachfrage mitteilte.

Besonders im Ruhrgebiet sind die Verbindungen zwischen den Kommunen und Kohleunternehmen noch immer eng. (Grafik: CORRECTIV)

Die Wahrheit der Kommunen

Genau das ist das Problem: Selbst auf explizite Nachfrage, ob ihre Kommune RWE-Aktien direkt oder indirekt über Tochterunternehmen besäße, antwortete uns zum Beispiel die Pressestelle der Stadt Mülheim lediglich in zwei Worten und drei Punkten: „jeweils negativ…“ Dabei vergaß der Pressesprecher 8,56 Millionen RWE-Anteile zu erwähnen, die sich im städtischen Besitz befinden.

Die Pressestelle der Stadt Bottrop war wortreicher. Hieß es noch nach der ersten Anfrage: „Es ist immer wieder eine „Freude“ mit CORRECTIV zu tun zu haben…“, schloss die Antwort auf unsere zweite explizite RWE-Nachfrage, die ausdrücklich vom Pressesprecher verneint wurde, mit: „Eine Zeitvorgabe, wie die von Ihnen getätigte, ist einfach nur ärgerlich!“, um schließlich – nach unserer dritten Nachfrage mit Verweis auf den Beteiligungsbericht der Stadt – den Besitz von 45.045 RWE-Aktien zuzugeben. 

Nachdem er erst RWE-Beteiligungen deutlich verneint hatte, räumt der Pressesprecher schließlich den Aktienbesitz ein. (Screenshot: CORRECTIV)

Ob die Pressesprecher der beiden Kommunen einfach nur einen schlechten Tag hatten oder vorsätzlich Informationen unterschlugen, also auf unsere Presseanfragen hin gelogen haben, können wir nicht sagen. Fakt ist, dass es für Bürgerinnen und Bürger nahezu unmöglich ist, diese Informationen zu erhalten.

In den folgenden Kapiteln – „Der Trianel-Komplex“ und „Ruhrpott-Ehe RWE“ – werden wir auf einzelne Fälle eingehen und uns fragen, warum RWE-Anteile oder auch Beteiligungen am Steinkohlekraftwerk Lünen verschwiegen wurden. Da wir die Antworten der Kommunen nur stichprobenhaft gegenchecken konnten, machen wir in dieser Suchmaske alle Antworten und E-Mail-Wechsel mit Städten und Gemeinden transparent. 

Mitarbeiter aus Politik und Verwaltung wissen um die Beteiligungen ihrer Kommune. Auch viele Bürgerinitiativen haben sich vor Ort jahrelang mit den Energiegeschäften ihrer Stadt beschäftigt. Gemeinsam können wir die Angaben der NRW-Kommunen überprüfen. Zum Teil haben sie sogar Unterhaltungswert, wenn gesetzte Herren aus kleinen Gemeinden der Schüler-Reporterin die Welt erklären. Aber lesen Sie selbst! 

 

Bei Hinweisen und Anregungen schreiben Sie direkt unserer Klimaredaktion: klimawandel@correctiv.org

 

Der Trianel-Komplex


© Johannes Glöckner / picture alliance
Das Trianel-Kohlekraftwerke in Lünen. (Foto: Johannes Glöckner / picture alliance)

Beginnen wir am Rande des Ruhrgebietes mit dem Steinkohlekraftwerk in Lünen. Hier war es recht einfach, die unvollständigen Antworten der Kommunen aufzudecken.

Betrieben wird das Kraftwerk von der Steag. Zum Hintergrund: Im Zeitraum von 2010 bis 2014 wurde die Steag von der Kommunalen Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co. KG aufgekauft. Ein Zusammenschluss der Stadtwerke Duisburg, Dortmund, Bochum, Essen, Dinslaken und der Energieversorgung Oberhausen. Diese gehören direkt oder über Tochterfirmen den  jeweiligen Städten, die zumindest an den Stadtwerken einen Mehrheitsanteil haben. Das heißt: Die Steag gehört fast ausschließlich Kommunen. Sie betreibt sechs Steinkohlekraftwerke in Deutschland und drei im Ausland. 

Unübersichtliche Verflechtungen

Eigentümer des Kohlekraftwerks Lünen sind die Trianel GmbH sowie 27 Stadtwerke. Die Trianel GmbH hat wiederum mehr als 50 kommunale Gesellschafter. Über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie Partnerschaftsverträge ist Trianel mit mehr als 100 Stadtwerken verbunden. Das Kraftwerk Lünen ist das erste Steinkohlekraftwerk in Deutschland, an dem ausschließlich Stadtwerke und regionale Energieversorger gemeinsam Eigentümer und Betreiber sind.

Diese Verflechtungen sind über den Beteiligungsbericht der Trianel GmbH öffentlich einsehbar, anscheinend aber nicht allen beteiligten Kommunen bekannt – wie unsere E-Mail-Wechsel mit einigen Städten und Gemeinden zeigen.

Unvollständige Angaben

Auf unsere Anfrage nannten die Kommunen Solingen, Rheine, Mönchengladbach, Steinheim, Bad Salzuflen und Herford ihre Trianel-Beteiligungen nicht oder erst auf Nachfrage. Das kann an den zum Teil stark verschachtelten Beteiligungen über Tochter- und auch Enkelgesellschaften liegen oder den geringen Anteilen. Es deckt sich aber damit, dass ein Großteil der Kommunen wenig auskunftsfreudig war. 

Es wurde sogar der Städte- und Gemeindebund (StGB NRW) eingeschaltet, um den Kommunen Rechtsberatung zu unserer Presseanfrage zu geben, welche Auskünfte erteilt werden müssen und welche nicht. Der StGB teilte den Kommunen mit, dass sie keine Auskünfte zu Beteiligungen von Tochtergesellschaften erteilen müssten. Dieser Passus findet sich teils wörtlich in den Antworten an uns wieder. Diese Rechtsauskunft ist unserer Meinung nach falsch, wie diese Urteile des Verwaltungsgerichts Arnsberg belegen (RWE-Urteil VG Arnsberg – 12 K 136, RWE-Urteil VG Arnsberg – 12 K 1088). Aufgrund der Dringlichkeit im Hinblick auf die Kommunalwahl haben wir uns aber vorerst gegen juristische Schritte und für die Veröffentlichung entschieden.

Warum sich die Kommunen derart verschlossen, wurde uns nicht abschließend klar. 

Geht es um das Image, um die öffentliche Debatte oder um Geld? Zu der Wirtschaftlichkeit der Kohlekraftwerke und den Auswirkungen auf die Haushalte der Kommunen – insbesondere der an der Steag beteiligten – kommen wir später. Dann werden wir uns auch die kommunalen RWE-Aktionäre genauer anschauen. 

Vorher werden wir eine Auseinandersetzung zwischen Bürgerinnen und Bürgern, den Stadtwerken und der Trianel aufarbeiten, die knapp zehn Jahre zurückliegt und zeigt, welchen Einfluss die Zivilgesellschaft auf die Energiepolitik ihrer Stadt nehmen kann. Vielleicht liegt hier ein Grund für das Mauern der Städte begraben. Es ging damals um das geplante Trianel-Kohlekraftwerk in Krefeld.

Der Kampf um Krefeld

„Kraftwerk Krefeld: Dachau springt ab“, titelte die Rheinische Post im Sommer 2010 und kündigte damit den Untergang des Kohleprojekt an. Ein halbes Jahr später erklärte eine Pressemitteilung der Stadtwerke Aachen „Keine Beteiligung der STAWAG an einem Steinkohlekraftwerk in Krefeld“. Und schließlich hieß es auf dem WAZ-Portal DerWesten: „Aus für Kohlekraftwerk in Krefeld – Trianel will auf Gas setzen”. 

Was war passiert?

Als die Trianel GmbH zur Jahrtausendwende ihre Pläne für das Kohlekraftwerk bekannt machte, formierte sich massiver Widerstand in der Zivilgesellschaft und übte in den folgenden Jahren Druck auf die jeweiligen Räte und Stadtwerke in den beteiligten Kommunen aus. 22.233 Bürgerinnen und Bürger aus Krefeld und Duisburg unterschrieben einen vorformulierten Beschwerdebrief, für den sich verschiedene Kraftwerksgegner und Umweltinitiativen zusammengeschlossen hatten. Gleichzeitig demonstrierten in Aachen Menschen gegen die Beteiligung der Stadt am neuen Kraftwerk und gaben der Bürgerinitiative „Saubere Energie Aachen“ 8.000 Unterschriften. Und schließlich stimmten in Dachau mit 6.481 Bürgerinnen und Bürger mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten gegen das Kohlekraftwerk und brachten damit das erste Bürgerbegehren auf den Weg, das eine Stadtwerke-Beteiligung an einem Kohlestrom-Projekt kippte. 

Die Stadtwerke Dachau und Aachen konnten aussteigen, weil in Krefeld der Baubeschluss für das Kraftwerk noch nicht gefällt worden war. 

Und so kam es im Sommer 2011 dazu, dass der Stadtwerkeverband Trianel überraschend bekannt gab, doch kein Kohlekraftwerk mehr bauen zu wollen, sondern nun ein Gas-Kraftwerk plane. Offiziell nannte der Trianel-Sprecher damals, „Zeitdruck“ als Grund für die Entscheidung. Die Bürgerinitiativen jubelten trotzdem. 

„Auch wenn es knapp war, wir haben gewonnen“, sagte damals Michael Eisenmann, Sprecher der Bürgerinitiative „Kontra Kohlestrom Dachau“ und Initiator des Bürgerentscheids. „Es zeigt, dass Investitionen in Kohlekraftwerke heute nicht mehr opportun sind.“

Angst vor Milliardenverlusten

Doch nicht nur der Imageverlust und die öffentlichen Proteste sorgen dafür, dass die Kohlekraft als Geschäftsmodell und Wertanlage für die Kommunen immer uninteressanter wird. Die wenigsten Kohlekraftwerke in Deutschland sind rentabel. Trotzdem wehrten sich die Kommunen gegen ein Ende mit Schrecken. Besonders in Lünen wird das deutlich.

Der Kohleausstieg, die verkürzten Lauf- und damit auch Abschreibungszeiten, der Wegfall von einkalkulierten Stromeinnahmen – all das setzt die beteiligten Kommunen unter Druck. Im Zuge der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetz protestierten Steinkohle-Betreiber wie Trianel, Steag aber auch die Oberbürgermeister beteiligter Kommunen: Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), sein Dortmunder Kollege Ulrich Sierau (SPD) und der Bochumer OB Thomas Eiskirch (SPD) warnten in einem gemeinsamen Brief an die Fraktionschefs der Union, es drohten „schwerwiegende Konsequenzen für Stadtwerke und die kommunalen Haushalte“. Damit würden insgesamt „Vermögenswerte im Umfang von über 10 Milliarden Euro vollständig entwertet“, heißt es in dem Schreiben.

Ruhr-Lobbyisten

Die Stadtwerke der drei Revierkommunen sind die größten Eigner der Steag, Bochum hält dazu die meisten Anteile am Stadtwerkeverbund Trianel. Beiden Unternehmen drohen massive Verluste, sollten ihre jüngeren Kraftwerke in Walsum (Steag) und Lünen (Trianel) 2030 per Anordnung vom Netz genommen werden, ohne dass es dafür eine Entschädigung gibt.

Die Lobbymacht dieser Bündnisse oder auch Schreiben im Falle der Ruhr-OBs ist enorm. Wenn sich Oberbürgermeister im Ruhrgebiet parteiübergreifend zusammenschließen, hat ihre Stimme Gewicht. Sie haben direkten Einfluss darauf, wer aus NRW die Chance auf ein Bundestagsmandat bekommt – weil sie die Delegierten auf den Wahlparteitagen beeinflussen können. Im Extremfall verändern die Oberbürgermeister Mehrheiten in den Fraktionen. Die lokalen Bundestagsabgeordneten wissen das. Sie hören in der Regel auf ihre OBs. Normale Firmen würden Millionen von Euro für solche Lobbykampagnen bezahlen, wie sie die Ruhr-Oberbürgermeister für RWE, Trianel oder die Steag vor und hinter den Kulissen fahren.

Geringe Entschädigungen

Laut Ausstiegsgesetz gibt es Entschädigungen für Steinkohlekraftwerke nämlich nur bis 2026: Die Betreiber, die bis dahin freiwillig abschalten, dürfen an einer Ausschreibung teilnehmen – maximal sind zweistellige Millionenbeträge je Kraftwerk drin, deutlich weniger als bei den Braunkohlekraftwerken. Ab 2027 drohen den Betreibern dann Zwangsstilllegungen ohne jede Entschädigung. Das Problem: Allein für sein Kraftwerk in Lünen rechnet Trianel mit einem Verlust von 587 Millionen Euro, sollte es Ende 2030 ohne Entschädigung vom Netz gehen müssen. Außerdem sei die Trianel-Anlage, in die 1,4 Milliarden Euro investiert wurden, nach 17 Jahren nicht annähernd abgeschrieben. Der Verlust betrage hier für die Kommunen rund 800 Millionen Euro

Kommunen sind verpflichtet, immer wirtschaftlich zu entscheiden. Kann da überhaupt eine konsequente Energie- und Klimapolitik vertreten werden? Müssen wir im Angesicht der Klimakrise unsere Grundsätze überdenken? Um die Pariser Klimaschutzziele noch erreichen zu können, muss der Kohleausstieg schnellstmöglich vorangetrieben werden, wie im vergangenen Jahr noch einmal die Studie eines internationalen Forscherteams im Fachmagazin Nature vorrechnete.

Die Macht der Bürger

Eine Möglichkeit, sich nicht allein auf den politischen Willen seiner Stadtspitze zu verlassen, ist direkte Demokratie, sind Bürgerbegehren wie in Köln oder vor zehn Jahren in Krefeld. Wichtig zu wissen ist dabei: „Das Bürgerbegehren muss ausdrücklich kein Konzept für die davon betroffenen Folgeentscheidungen vorlegen“, schreibt das Handbuch „Klimawende von unten“ des Umweltinstituts München. Das heißt, Bürger müssen nicht ausarbeiten, wie es nach dem Verkauf von Kohlekraftwerksanteilen weiter gehen soll. Lediglich eine klare Forderung ist entscheidend, die unmissverständlich mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.

Kommen genügend Unterschriften zusammen, ist der Bürgerentscheid verbindlich und entspricht einem Beschluss des Gemeinde- oder Stadtrats, in den meisten Bundesländern auch einem Kreistagsbeschluss, heißt es weiter. Nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid gebe es eine Frist von ein bis drei Jahren, in welcher die Politik keine gegenteiligen Entschlüsse treffen dürfe. „In der Praxis halten sich die Stadträte auch jenseits der Bindungsfrist meist an den Bürgerwillen.“ Aktuell hat der Radentscheid Essen so zum Beispiel seine Stadt auf ein 200-Millionen-Euro-Projekt zur Verbesserung des Radwegenetzes innerhalb der Stadt festgesetzt.

Umweltthemen haben bei Bürgerbegehren großen Zuwachs erfahren: Jedes fünfte hatte im vergangenen Jahr einen Umweltbezug. Insgesamt 657 Bürgerbegehren in NRW zwischen 2010 und 2020 hat CORRECTIV analysiert. 2019 hat sich der Anteil dieser Umweltbegehren im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht. Im Vergleich zu 2017 sogar verdreizehnfacht. 

Der Anteil von Bürgerbegehren mit Umweltbezug ist so hoch wie nie zuvor. 

 

Ruhrpott-Ehe RWE – eine lange Beziehung


© Rainer Keuenhof / picture alliance
Der RWE-Tagebau Inden. (Foto: Rainer Keuenhof / picture alliance)

Dass dieser Druck aus der Zivilgesellschaft manchmal notwendig erscheint, zeigt auch das Beispiel des Energieriesen RWE, der zu den größten CO2-Emittenten weltweit gehört. Eine umfassende Transparenz, welche Kommunen wie viele Aktien an dem Unternehmen halten, existiert nicht. Nicht einmal Mülheim, neben Dortmund und Essen einer der größten kommunalen Anteilseigner, legte uns seine Beteiligungen an dem Stromkonzern auf mehrmalige Presseanfrage offen. Und selbst Monika Griefahn (SPD), Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland und aktuell OB-Kandidatin in der Ruhrgebietsstadt, will sich uns gegenüber nicht deutlich für oder wider RWE aussprechen. 

Damit führt Griefahn eine lange Tradition im Ruhrgebiet fort.  

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich Städte aus Nordrhein-Westfalen an RWE, damals noch Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk, beteiligt. Mülheim, Essen und Gelsenkirchen gehörten zu dieser Zeit über 30 Prozent des Aktienkapitals. Andere Städte folgten ihrem Beispiel. In der Anfangszeit des Energiekonzerns waren etwa die Hälfte aller Aktien in öffentlicher Hand. 1920 hatten kommunale Anleger sogar eine Aktienmehrheit. RWE und die Kommunen im Ruhrgebiet wuchsen über mehr als ein Jahrhundert miteinander auf, profitierten von dem Stromriesen als Gönner und Versorger. 

Obwohl Kommunen heute bei Weitem keine Aktienmehrheit haben und Renditen in den vergangenen Jahren oft ausgeblieben sind, hat sich an der engen Beziehung nichts geändert. Zwei der drei meldepflichtigen Anteilseigner an RWE sind heute Städte aus dem Ruhrgebiet. Dortmund mit 4,79 Prozent und Essen mit 3,26 Prozent. Eine Recherche von Greenpeace Köln ergab, dass 2019 noch 20 kommunale Anleger bei RWE jeweils über eine Millionen Aktien besaßen. 

So richtig trennen möchte man sich also nicht voneinander, aber genauso wenig offen dazu stehen. Denn Intransparenz lässt immer auch Raum für Schattenspiele. 2014 wäre Mülheim deswegen fast pleite gegangen.

Treue trotz Verluste

Eine halbe Milliarde Euro fehlte damals von heute auf morgen in den Kassen der Ruhrgebietsstadt und trieb den Schuldenberg Mülheims um 120 Millionen Euro über das Vermögen der Kommune hinaus. Grund war der große Wertverlust der RWE-Aktien, der aber in den Abschlüssen der Stadt über Jahre unberücksichtigt blieb und dann auf einen Schlag ein Loch in die Habenseite riss. 

Nachdem die Stadt im Zuge unserer Recherche mehrmals Beteiligungen an RWE verneint hatte, teilte sie uns schließlich mit: „Die städtische Tochtergesellschaft Beteiligungsholding Mülheim an der Ruhr GmbH (BHM) hält 8,56 Mio. Aktien der RWE AG, 4,1 Millionen davon sind stiftungsgebunden.“ Wie man mit den Aktien zukünftig verfahren könne, fragten wir die Mülheimer Ob-Kandidatin Griefahn. Sie sehe zwei Möglichkeiten, erklärt sie: Zum einen einen Teil der Aktien zu verkaufen, um „damit ein echtes Stadtwerk zu schaffen oder unsere Stadtentwicklungsgesellschaft zu stärken“. Zum anderen „darauf zu spekulieren, dass RWE eine Gesellschaft nur mit erneuerbaren Energien wird.“ Allerdings schränkt sie ein: „Wir haben uns nicht endgültig entschieden, wie wir damit umgehen, weil es eben diese beiden Optionen gibt.“ 

 

Dass auch deutlichere Entscheidungen möglich sind, zeigen Beispiele wie Düsseldorf oder Bochum. Das Stichwort heißt: Divestment.

Es geht auch anders

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Städte und Gemeinden von der Kohlekraft losgesagt. Bochum hat 2019 die letzten von etwa 6,6 Millionen RWE-Aktien verkauft. Bereits 2016 entschied sich die Stadt dafür, diese nach und nach zu veräußern. Manfred Busch, ehemaliger Kämmerer der Stadt, war maßgeblich beim Prozess involviert. „Bochum ist ein Positivbeispiel“, sagt er. „Es war eine Leistung. Wir haben uns gegen politische Denkbarrieren durchgesetzt.“   

Sie seien nicht die Ersten gewesen, die sich von RWE-Aktien getrennt haben – andere Städte könnten gerne das Bochumer Modell übernehmen. Denn die Entscheidung hatte wenig mit Idealismus und viel mit Risikobegrenzung zu tun, sagt Busch. „Die Aktien waren mal bei 100 Euro, verkauft haben wir bei 21 Euro. Mit dem Aktienverfall war der Weg geöffnet.“ Aktuell liegt der Kurs bei etwa 33 Euro (Stand: 3. Sept. 2020).

Der Blick vom Rathaus auf die RWE-Zentrale

In vielen Ruhrgebietskommunen gebe es eine wechselseitige Verflechtung zwischen RWE und Kommune. RWE-Mitarbeiter sitzen in Stadtwerke-Vorständen, sagt Busch. Leonora Holling vom Bund der Energieverbraucher führt aus: „Die Kommunen sind zum Teil Minderheitseigner ihrer eigenen Stadtwerke. Der Großteil oder die Hälfte des Anteils liegt dann bei einem Energieversorgungsunternehmen – wie zum Beispiel RWE. Und die technischen Geschäftsführer in den Stadtwerken kommen dann oft aus RWE-Kreisen. Die Kommunen haben auch gar kein Interesse, da Einfluss zu nehmen. Die finanzieren sich ihr städtischen Schwimmbad oder den ÖPNV über die RWE-Beteiligungen.“

Andersherum bekleiden Kommunalpolitiker lukrative Posten in zahlreichen RWE-Beiräten sowie im Aufsichtsrat des Energiekonzern – wie der Dortmunder OB Sierau oder Dagmar Mühlenfeld (SPD), ehemalige Oberbürgermeisterin von Mülheim. 

„In Bochum war das nicht so“, sagt Busch. Eine RWE-Dependance gibt es in Bochum auch nicht. „Anders als in Essen, wo man vom Rathaus direkt auf die RWE-Geschäftszentrale guckt.“

Der Beitrag wurde am 16. September 2020 aktualisiert.