In eigener Sache

Was wir wollen – Ein Plädoyer für eine redaktionelle Gesellschaft

Wir wollen eine Demokratie, an der alle teilhaben können. Wir – das sind die Menschen, die sich um unsere Gemeinschaft sorgen. Die eine Zukunft für unsere Heimat wollen. Wir stehen ein für eine redaktionelle Gesellschaft. Eine offene Gesellschaft, in der sich die Schwachen sicher fühlen. Eine Gesellschaft, die auf Argumente vertraut, auf Einsicht und Verantwortung. Eine Gesellschaft im Ausgleich. Eine Gesellschaft, die immun ist gegen Desinformation. 

von David Schraven

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Die PDF zum Essay „Was wir wollen“ finden Sie zum Download hier. Den Text als handliches Buch können Sie bei uns im CORRECTIV.Shop bestellen: hier.

Wir erleben eine Zeit des Umbruchs. 

Wir werden beeinflusst und entzweit.

Wir werden abgelenkt und zerstreut. 

Unsere Gesellschaft droht gespalten und in Konflikten aufgerieben zu werden.  

Auf der einen Seite manipulieren soziale Medien unsere Emotionen und Sehnsüchte und untergraben unsere Fähigkeit, klare Entscheidungen zu treffen. Auf der anderen Seite setzen die Macher von Desinformationskampagnen darauf, den Meinungsstreit in unserer Gesellschaft zu schüren und bis zu offenen Konflikten zu eskalieren. 

Die Angreifer kommen von überallher. Sie kommen aus China und aus Russland. Sie kommen aus Deutschland, sie kommen von ganz rechts und ganz links. Ihre Ziele sind gleich: Sie wollen Streit entfachen, Misstrauen säen und so die Demokratie schwächen.

 Und wirklich: Sie haben Erfolg. Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt zu. Immer wieder kommt es zu öffentlichen Ausbrüchen von Hass und Gewalt. 

Dabei hätten wir alle Werkzeuge, die wir brauchen, um uns als Gemeinschaft zu einen, zu emanzipieren und zusammen die Probleme unserer Zeit in den Griff zu kriegen. So sehr die Technologie die Spaltung befördert – so sehr könnte sie die Verständigung fördern. 

Denn: Die Grenzen unserer Gesellschaft verlaufen nicht mehr zwischen Parteien und Ideologien. 

Die Grenzen unserer Gesellschaft verlaufen zwischen Sprachlosigkeit und Redegewalt, zwischen Ohnmacht und Macht, zwischen Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit, zwischen Unwissen und Wissen.

Zwischen Zugang und Ausschluss.

Hierin liegt die große Aufgabe für die kommenden Jahre: Um den Ausgleich und Chancengerechtigkeit zu schaffen, müssen wir mehr Menschen in die Lage versetzen, Informationen zu sammeln, auch die Argumente der Gegenseite abzuwägen, sich dann eine eigene Meinung zu bilden und diese fair und klar vorzubringen.  

Das ist die ethische Grundlage des Journalismus: sich informieren, offen und fair die Gegenseite anhören, publizieren.

Auf die Gesellschaft übertragen, könnten diese ideal gedachten Normen und Prinzipien unser Miteinander revolutionieren. 

Frei nach Joseph Beuys: Jede und jeder ein Journalist. Jede und jeder wird zum Chefredakteur der eigenen Geschichte.

Wir brauchen die redaktionelle Gesellschaft. 

Wir sind viele 

Ich mache mir Sorgen. 

Ich stamme aus Bottrop und wohne dort. Die letzte Steinkohlezeche Deutschlands hat dort vor ein paar Jahren dichtgemacht. Die Innenstadt verfällt. Bottrop ist eine Stadt im Niedergang.

Auf dem Busbahnhof stach am 24. September 2022 ein 18-Jähriger auf einen 16-Jährigen ein – aus „nichtigen Gründen“, wie die Polizei mitteilte, nach einer Schubserei unter Jugendlichen. Es war nicht die erste Messerstecherei aus „nichtigen Gründen“. Es wird nicht die letzte gewesen sein. 

Ich sehe in Bottrop Kinder, die kaum einen Bezug zu unserem demokratischen System haben. Ihre Eltern hängen dem türkischen Autokraten Erdoğan oder dem russischen Diktator Putin an. Ihre Familien sind in autoritären Wertesystemen gefangen.

Ich sehe Materialisten, die ihre Ablehnung unserer Gesellschaft in fetten Luxuslimousinen zur Schau stellen. 

Ich sehe Rechtspopulisten, die Hass auf Migranten anstacheln. 

Ich sehe Rapper, die Drogen, Kriminalität und Gewalt verherrlichen.

Ich sehe Junkies, die sich Spritzen setzen in einer der wenigen öffentlichen Toiletten direkt im Herzen der Innenstadt. 

Ich sehe Immobilienhaie, die sich hemmungslos an der Not bereichern, kaputte Straßen, politische Maßlosigkeit, Orientierungslosigkeit und Leere. 

Geschrei, Gemotze, Geprahle. Wer durch Bottrop geht, kann verzweifeln. Es scheint, als zerfalle dort unsere Heimat. 

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. 

Ich sehe in Bottrop genauso Menschen, die sich dem Niedergang entgegenstellen, die Neues aufbauen, die nicht aufgeben. 

Zehn Freunde, die den Kiosk, in dem sie früher ihre Süßigkeiten kauften, zu einer kleinen Brauerei für Bottroper Bier umbauen. 

Eine Händlerin, die am Rand einer Zechensiedlung einen Laden für Kerzen und Keramik eröffnet. 

Eine Gruppe, die ein Musical über ihre Stadt schreibt und aufführt. 

Einen Musiker, der sich für Straßenmusik auf öffentlichen Plätzen einsetzt. 

Ich sehe Bürger, die aktiv werden, um die Innenstadt zu beleben. Die Beteiligung einfordern, Veranstaltungen organisieren, Diskussionen vorantreiben, Menschen zusammenbringen. Ein Festival auf dem Kirchplatz, ein Kunstpreis für eine neue Vision der Stadt, ein bunter Feierabendmarkt. 

Ich sehe Menschen, die sich um die Schwachen kümmern und den Kranken Wünsche erfüllen. 

Ich sehe Lehrer, die sich für ihre Schüler einsetzen. Ich sehe Nachbarn, die einen Park gestalten. Ich sehe Beamte der Stadtverwaltung, die ihre Gemeinde ernsthaft nach vorne bringen. 

Ich sehe Solidarität, Freundschaft, Leidenschaft, Gemeinschaft und Sorge umeinander. 

In Chemnitz, Hildesheim, München, Berlin, Stuttgart oder Mannheim – das Bild gleicht sich überall. Es gibt überall Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen.

Das sind wir. 

Die Demokraten, die Menschen, die sich um unsere Gemeinschaft sorgen. Wir kümmern uns um Jugendliche, wir setzen uns für die Alten ein. Wir sind die Menschen, die eine Zukunft für unser Zuhause wollen. Wir stemmen uns gegen den Zerfall. 

Wir reden und wir hören zu. Wir haben eine Stimme. 

Ja, wir sind viele und wir sind stark. Aber die Mächte, die sich uns entgegenstellen, sind gewaltig. Sie zielen auf den Kern unseres Zusammenlebens. Sie wollen Streit entfachen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie wollen unsere Solidarität zersetzen, um daraus Kapital zu schlagen, in Form von Macht, in Form von Geld. 

Die Stimmlosigkeit 

Wie viele Menschen haben nie gelernt, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen? Haben nie erlebt, dass man ihnen zuhört? Nie gelernt, wie man gemeinsam Wege zu guten Lösungen findet? Haben keine Stimme?

Diese Menschen fühlen sich ausgegrenzt. Auf den Spielplätzen, in den Fußgängerzonen, im Stadtpark. Andere treffen Entscheidungen für ihr Leben. Sie sind ihnen ausgesetzt. 

Gefördert wird dieses Gefühl durch die aufmerksamkeitshaschenden Ablenkungen der sozialen Medien. Im Sekundentakt werden die Nutzer zu immer neuen Attraktionen gezogen. Gerade Kids merken gar nicht, wie sie ihre Zeit vertun, wie sie abgelenkt werden, nichts lernen und immer neuen Moden hinterherrennen. 

Ihre Aufmerksamkeit und ihre Konzentration werden zerrieben von abhängig machenden Belohnungssystemen. Soziale Medien sind so designt, dass Menschen möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringen, manche werden süchtig danach. Gerade bei Jugendlichen kann das zu depressiven Episoden führen. Verschwörungstheorien breiten sich aus.   

Wir müssen uns um die Kinder kümmern, auf sie zugehen, uns Zeit nehmen und uns mit ihnen beschäftigen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, ihre eigenen Wünsche zu entdecken, ihre eigenen Worte zu finden, ihre Träume zu leben. Und dann müssen wir ihnen die Macht geben, für sich selbst zu entscheiden. 

Wir müssen ihnen Auswege zeigen aus den Echokammern des Netzes. 

Denn wer sich einkapselt und dem Austausch entzieht, verliert den Anschluss und verbaut seine Zukunft.

Nur wer sich mitteilen und austauschen kann, wer sich ausdrücken kann und Chancen sieht, kann teilhaben. Dem steht die Gesellschaft offen.

Der Schlüssel zur Teilhabe ist die Fähigkeit zu kommunizieren, zu senden und zu empfangen. Nur wer sich mitteilen kann, kann Wege aus der Abhängigkeit von den sozialen Medien finden. Nur wer sich verständigen kann, wird Wege aus der Einseitigkeit finden. Nur wer lernen kann, wird Neues entdecken.

Es ist ein Paradox: Je freier und gleicher unsere Gesellschaft wird, desto mehr Menschen fordern Mitbestimmung. So wird sichtbar, wo die Demokratisierung bislang stockte. Wegen der Fülle der nun sichtbaren Konflikte denken viele, die heutige Gesellschaft sei rückständiger als je zuvor. Obwohl sie offener geworden ist.

Wenn bislang ausgeschlossene Personen ihren Platz am gemeinsamen Tisch fordern, knallt es. Weil die Neuen ungehobelt sind, weil sie nichts von überkommenen Regeln und ungeschriebenen Gesetzen halten. Sie wollen selbst entscheiden, ob sie Fleisch essen, sich die Haare färben, Auto fahren oder laut fluchen. 

Dass sie mitreden wollen, ist der Fortschritt. Dass sie in den Austausch gehen, ist ein Erfolg. Diesen Menschen ist es egal, wie gesellschaftliche Debatten vor zehn Jahren ausgegangen sind. Sie wollen die kommenden zehn Jahre mitgestalten. Kompromisse müssen mit ihnen immer wieder neu ausgehandelt werden, und das kann unsere Gesellschaft anders formen, als viele bislang dachten. 

Die Krise, vor der wir stehen, ist eine Krise der Sprache, des Austausches, des Zuhörens. Weil wir nicht miteinander sprechen, sondern übereinander. Weil wir versuchen, unsere Identität zum Maßstab für andere zu machen. Weil wir andere nicht akzeptieren, wie sie sind. Weil wir lieber beherrschen als überzeugen. 

Es wird in etlichen Debatten modern, Andersdenkenden zu zeigen, dass sie nicht dazugehören. Ideologien werden an die Stelle der Suche nach Gemeinsamkeiten gesetzt. Das Aussehen ersetzt das Argument. Die Selbstbestätigung wird in der Abgrenzung gesucht, mit Worten und mit Taten. 

Extreme werden betont, nicht Gemeinsamkeiten. Trennendes wird herausgestellt, nicht das, was verbindet. Die Spaltung wird gesucht, nicht die Versöhnung. Das führt zur Polarisierung und zur Lähmung der Gesellschaft. 

Die Mitte droht verloren zu gehen, während sie sich öffnet und vielfältiger wird. 

Auf dem Marktplatz in Bottrop verstehen die Menschen die Auseinandersetzungen an den Universitäten Berlins nicht. Meine Kumpels in der Stadt wollen sich die Diskussionen irgendwelcher heißen Themen in der Hauptstadt nicht mal anhören. Sie drehen sich weg, wenn ich ihnen von den Konflikten um Identitätspolitik erzähle. Ihnen ist klar, dass äußere Merkmale wie Hautfarbe oder sexuelle Identität keine Rolle dabei spielen, ob ein Mensch gut oder schlecht ist. Ihre Frauen wollen sich nicht damit beschäftigen, dass ihr Geschlecht eine soziale Konstruktion sein soll. Sie haben Kinder. Sie arbeiten. Sie tragen Verantwortung. 

Niemand von ihnen hat etwas gegen Gleichberechtigung. Oder gegen gleiche Chancen für alle. Die Leute in Bottrop wissen, wie es ist, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sprache oder ihrer Arbeit diskriminiert werden. Aber die Leute haben andere Sorgen, als sich Gedanken um ihre Identität zu machen. Sie wissen, wer sie sind.

Um ein Gespräch anzufangen, in dem ein Austausch von Positionen möglich ist, muss erst mal ein gemeinsamer Grund gefunden werden, von dem aus debattiert wird. Das ist die Herausforderung. Es geht darum, einfache Worte zu finden, klare Argumente, darum, den anderen nicht zu verurteilen, sondern mitzunehmen. 

Es spaltet die Gesellschaft, Menschen auf Basis von abstrakten Gedankengebäuden in Gruppen einzuteilen. 

Wie groß der Riss zwischen den Regionen, Schichten und Klassen ist, zeigt sich gerade auch bei der Diskussion um den richtigen Weg aus der Klimakrise. Manche gehen so weit, ein Ende des Kapitalismus, ein Ende der Industrien, eine Begrenzung des Verkehrs und der Nahrung zu fordern. Sie wollen Menschen, die heute ihre Familien ernähren können, millionenfach arbeitslos werden lassen. Es geht um Handwerker, Bauarbeiter, Schweißer, Industrieangestellte. Als Alternative ist die Rede von Jobs in der Landwirtschaft, von einer Planwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen einer Mangelwirtschaft im Krieg orientiert.  

Die Ideen vom Abbau des Wohlstandsstaates sind nicht anschlussfähig. Schon gar nicht bei den meisten der Menschen, die sich gerade etablieren. Junge Männer und Frauen, die eine Ausbildung abgeschlossen und nun solide Arbeit gefunden haben. Die Leute, die gerade erst am gesellschaftlichen Tisch einen Platz gefunden haben, die gerade ihre erste eigene Wohnung, ihr erstes Auto, ihren ersten Überseeurlaub erarbeitet haben – sie werden ihren Aufstieg und ihren Lebensstandard mit allen Mitteln verteidigen. Sie lassen sich nicht wieder verscheuchen. Sie werden alles blockieren, was sie als extreme Forderung wahrnehmen.   

Eine gemeinsame Suche nach dem besten Weg aus der Krise ist nicht möglich, wenn ganzen Schichten die Teilhabe am Wohlstand weggenommen werden soll. 

Die Vordenker des Verzichts wirken in dieser Debatte wie die westlichen Trotzkisten in den 1970er-Jahren. Sie wollen die Welt für die Menschen ändern, ihre Lebenswirklichkeit, ihre Einstellungen und Träume – die sie im Grunde verachten.  

Die Vordenker wollen Menschen vorschreiben, wie sie zu denken, wie sie zu leben haben. 

Die Tabu-Errichter wollen aus ihrem Gefühl der moralischen Überlegenheit heraus das System zerstören, das die anderen Menschen erst satt gemacht hat, das ihnen Sicherheit und Bildung gegeben hat. Sie wollen umerziehen und Normen festlegen. Und weil sie nicht überzeugen können, wollen sie Menschen zwingen. Sie wollen Macht, um anderen das aus ihrer Sicht richtige Leben zu diktieren. Sie wollen Kommunikation von oben nach unten. Sie sind damit in ihrem Kern autoritär. 

Das ist ein Irrweg. Die Klimakrise kann nur überwunden werden, wenn alle zuhören und alle mitreden können. Wenn wir einen Grund finden, auf dem wir unsere Gemeinsamkeiten bestimmen. Eine gemeinsame Position, von der aus wir nach neuen Wegen suchen. 

Damit jeder für sich entscheiden kann, auf was er verzichten sollte – und was für ihn und für alle das Richtige ist.

Anders ausgedrückt: Wenn die Arbeiter in Bottrop aufhören sollen, Steaks zu grillen, müssen sie wissen, warum sie kein Fleisch essen sollen, und ihren Verzicht selbst festlegen. Ein Tabu wird nicht reichen, ihnen die Wurst vom Brot zu nehmen.

Denn: Es sind nicht nur die Konzernspitzen oder die anonymen Shareholder, die alles blockieren. Es sind Millionen von Menschen, die ihren Lohn in Chemiefabriken verdienen, Autos bauen oder Kreuzfahrtschiffe. Es sind die Menschen in den Kraftwerken, auf den Baustellen oder in den Stahlwerken. 

Wir dürfen nicht zu schnell zu viel erwarten. Wenn immer mehr Menschen ihre Sprache finden, wird es nicht schön. Alles kommt auf den Tisch. Und zwar chaotisch und durcheinander, weil sich niemand das Wort verbieten lässt. Jeder beurteilt seine Sicht auf die Welt von seinem Standpunkt aus.

Mit dem Streit aber beginnt der Austausch. Warum soll jemand seinen Lebensstil ändern, seine Lebensplanung über den Haufen werfen, seine Ansichten hinterfragen? Menschen wollen überzeugt werden.

Es geht um Argumente. Und oft müssen sie immer wieder wiederholt werden. 

Gleichzeitig müssen wir lernen, viele Entscheidungsprozesse neu zu verhandeln. Es gibt Experimente, wie mehr Menschen in die Entscheidungen einbezogen werden können: vom Bürgerrat, der den Parlamentarismus ergänzt, über Volksabstimmungen bis zu neuen Diskussionsformen auf dem Marktplatz.

Gewiss, Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten wird es weiter geben. Genau wie Benachteiligung und Bevorzugung. Eliten wollen Aufsteiger assimilieren. Aufsteiger wollen eigene Eliten bilden. Jeder will Respekt vor eigenen Besonderheiten. Viele setzen auf Abgrenzung, und die wenigsten sorgen sich um die Schwächsten.  

Die neue Gesellschaft muss diese Spannungen sichtbar machen. Und aushalten. Sie muss Polarisierungen entgegenwirken, ohne Widersprüche zu verschweigen. Sie muss für Maß und Mitte werben und die gemeinsamen Werte verstetigen, die alle in ihrer Vielfalt gemein haben. Aus dem anfänglichen Durcheinander muss nach und nach eine neue Ordnung werden, in der das Miteinanderreden für den Ausgleich sorgt.

Nur so kann die neue Gesellschaft die Probleme unserer Zeit mit Toleranz und der Suche nach den besten Lösungen in Angriff nehmen. Nur so können wir unsere gemeinsame Zukunft gestalten.

Damit das gelingen kann, müssen wir vor allem verstehen, wie wir das Miteinanderreden organisieren.

In Bottrop entstehen gerade neue Medien, die mehr und andere Stimmen hörbar machen. Eine neue Zeitung kümmert sich um die Kleinunternehmer. Gruppen in sozialen Medien organisieren Diskussionen zu vielen Themen aus der Bürgerschaft, organisieren Hilfsprogramme oder Kulturaktionen. Die Haltung ist offen, nahbar, auf Gemeinsamkeiten bedacht. 

Mein Eindruck: Die Zahl der Menschen, die aufeinander zugehen, ist viel höher als die Zahl jener, die einander beleidigen. Wir sehen es nur noch nicht. Die neuen Gruppen lernen, dass sie politischen Einfluss haben. Sei es, wenn es um die Gestaltung von Festen geht oder um Programme zur Wirtschaftsförderung. Die Macht der Verwaltung und der politischen Kaste wird hinterfragt. Nach und nach erkennen immer mehr Bürger, dass sie selbst Dinge bewegen können. 

Ich will ein Beispiel geben. Wir von CORRECTIV haben während der Coronakrise in Bottrop Diskussionen von Angestellten, Wirten und einfachen Beamten organisiert. Die Menschen haben sich zuerst bemüht, festzustellen, wo es Gemeinsamkeiten gibt, was jeder gleich erlebt hat. Sie hatten Verständnis für die Belastungen, Sorgen und Nöte der anderen. Sie haben Interesse gezeigt und nach einem Konsens gesucht. Das war den Menschen wichtig. Dann haben sie gefragt, was geändert werden muss. 

In den Talkshows der Republik wurde gleichzeitig der gesellschaftliche Konflikt geschürt, weil den Programmmachern im Fernsehen die Suche nach extremen Positionen in der Debatte wichtiger war als die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Denn Streit erzeugt wie eine Schulhofschlägerei Spannung, Aufmerksamkeit und Focus. Streit bringt Quote und damit den angeblichen Erfolg. 

Wie langweilig erscheint es dann, wenn Menschen um einen Tisch sitzen und friedlich nach konstruktiven Lösungen für konkrete Probleme suchen. 

Nur Letzteres führt in die Zukunft. 

Der Austausch 

In der bisherigen Gesellschaft wurde aufgeschrieben und diskutiert, was 200 reiche Menschen wollten, hat der Hamburger Publizist Paul Sethe in den 1960er-Jahren einmal polemisierend geschrieben.

Dann kam die digitale Revolution und brach die Konzentration der Meinungsmacht radikal auf. Die Stimmen der Unzufriedenheit und des Begehrens nach Zugang zu gesellschaftlicher Gestaltung haben sich multipliziert. Immer wieder geht es um Deutungshoheit: die Queeraktivisten gegen die Feministinnen. Die vom Abstieg Bedrohten gegen die Aufsteiger. Alt gegen Jung. Bunt gegen unifarben. Doch viel zu oft gleichen die Diskussionsbeiträge den Schlagzeilen der BILD, sie sind grell, vorschnell, verletzend. Argumente basieren viel zu oft auf gefühlten Fakten.

Das müssen wir überwinden. Eine große Bildungsaufgabe.

Künftig muss jeder Einzelne zum Verantwortlichen seiner eigenen Beiträge werden. Jeder Mensch muss lernen, Argumente aufzunehmen, zu verstehen und im gegenseitigen Respekt zu platzieren. Nur so können wir gemeinsame Interessen erkennen und Beeinflussungen widersprechen. Jeder von uns wird zum Chefredakteur seiner eigenen Meinungen in unserer redaktionellen Gesellschaft.

Stellen wir diese Kommunikationsfähigkeit her, dann steht uns eine große Zukunft bevor. Zusammen und auf Wissen basierend werden wir für die größten Herausforderungen die bestmöglichen Lösungen finden. Wir werden konstruktiv diskutieren.

Verlieren wir uns aber sinnlos in einer Welt der Beeinflussungen, wird unsere Gesellschaft nicht in der Lage sein, die wesentlichen Probleme zu lösen. Wir werden von widerstrebenden Interessen zerrieben, partikularisiert und am Ende zerstört. Wir werden unsere Fähigkeit verlieren, in großen Strukturen zu leben. Unsere Basis für friedliche Ordnung und Gemeinschaft wird sich in der Polarisierung auflösen.

Die redaktionelle Gesellschaft muss deswegen eine Gesellschaft sein, in der das Argument und das Individuum im Rahmen eines allgemeinen Ausgleichs geachtet werden. 

Es ist wie in einem großen, von allen gemeinschaftlich betriebenen Café am Markt, in dem jeder gleichzeitig Gast und Mitarbeiter ist. Nicht jeder will einen Cappuccino. Viele bevorzugen einen Pott Kaffee. Aber solange alle friedlich zusammensitzen, die Tische wechseln und miteinander über die Zusammensetzung der Karte für den nächsten Monat diskutieren, auf der sich alle Geschmäcker wiederfinden, läuft es. Erst wenn einer anfängt zu diktieren, dass es nur noch Tee gibt, hauen die Kaffeetrinker ab oder ruinieren die Einrichtung. 

Die redaktionelle Gesellschaft

Die digitale Technologie gibt uns die Möglichkeit, dass sich jeder und jede jederzeit an jeder Debatte beteiligen kann.

Doch bisher haben wir diese Chance zur Emanzipation vertan. Der Grund dafür ist simpel: Um teilhaben zu können, müssen Menschen gebildet werden. Sie müssen lernen, wie sie verlässlich Informationen konsumieren, einordnen und verteilen können. Wir haben uns nicht ausreichend darum gekümmert, möglichst alle mitzunehmen. Die Konsequenz aus diesem Versäumnis ist brutal: Getrieben von den Technologien, werden gerade weniger gebildete Menschen anfällig für Propaganda, Manipulation und Autoritarismus. Anstatt Desinformation zu erkennen, zu brandmarken, zu stoppen, verteilen sie zersetzende Propaganda willfährig selbst weiter.

Die Tools, die Technologien, die unsere Gesellschaft bereichern könnten, drohen sie zu zerstören.

In etlichen Ländern führen Fake News, Lügen und falsch verstandene Meinungsvielfalt zu Zwietracht. Demokratien werden auseinandergerissen. Es gibt Gewalt und Blut. 2022 wurde ein aufgeputschter, auch in den düsteren Ecken des Internets radikalisierter Coronaleugner in Rheinland-Pfalz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Er hatte den Mitarbeiter einer Tankstelle erschossen, der ihn zum Tragen einer Maske aufgefordert hatte.

Um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern, müssen wir die nächste Stufe der Aufklärung erreichen. Wir brauchen eine neue Form der Medienkompetenz.  

Wenn in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten über die Medienkrise gesprochen wurde, ging es zu oft um Trends innerhalb der Branche. Es wurde zu klein gedacht. Es wurde geklagt, das sich weniger Menschen für Zeitungen interessieren und stattdessen Zerstreuung in sozialen Medien suchen. Es wurde diskutiert, welcher Rundfunkbeitrag angemessen ist. Es ging um Sendezeiten, Radiofrequenzen, Digitalisierung, Subventionen.

Viel zu wenig ging es um die Frage, warum die Gesellschaft Kommunikation braucht, wie die Krisen miteinander zusammenhängen und wie sie überwunden werden können. Es ging zu wenig um die Auswirkungen der Medienkrise auf die Demokratie. Und es ging zu wenig um die zentrale Frage:

Verliert die Gesellschaft in der Medienkrise ihre Sprache und im Durcheinander der immer lauteren, vielfältigeren Einzelmeinungen ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation?

Es ging zu wenig um die Frage, was es für die Vielfalt bedeutet, wenn die Menschen aufhören, miteinander über gesellschaftliche Themen zu kommunizieren. 

Es wurde kein Leitbild für die Zukunft entwickelt, nicht diskutiert, wie wir miteinander diskutieren sollten. Warum wir überhaupt diskutieren müssen. Der Blick ging nicht zum Horizont. Es wurde nicht gefragt, was wir erreichen wollen.

Es ging um Symptome – nicht um Ursachen.

Eine Krise ohne Lösungen

Die Folgen dieser Entwicklung sind bekannt. Das bürgerschaftliche Engagement geht zurück, wenn Medien verschwinden und keiner mehr über das Ehrenamt berichtet, heißt es in einer Studie von Danny Hayes und Jennifer Lawless, zwei Forschern aus den USA. 

Die Korruption nimmt zu, wenn niemand mehr das Fehlverhalten lokaler Politiker zu enthüllen droht, schreibt ein Team um Pengjie Gao und Dermot Murphy von der University of Illinois.

In etlichen Gegenden Deutschlands gibt es nur noch eine Zeitung. In etlichen Gegenden droht die lokale Medienöffentlichkeit ganz zu verschwinden. Dort wird berichtet, was Anzeigenkunden wünschen, nicht, was notwendig ist, um etwa die Aufstellung des kommunalen Haushaltes durch Bürgerinnen und Bürger zu überprüfen. Werden die Schulen so gut ausgerüstet, wie es nötig und möglich ist? Wird Geld für die Entwicklung von Gewerbegebieten verbrannt? Sterben Innenstädte, weil die Stadtverwaltungen inkompetent sind? Gibt es Vetternwirtschaft oder Korruption?

Ohne freie Medien funktioniert der Ausgleich der Gesellschaft nicht. Wird die Medienkrise nicht überwunden, bedroht das den Kern unseres Zusammenlebens. 

Viele Politiker hielten sich bislang aus diesen Debatten heraus. Das Thema „Kommunikation“ hatte den Ruch des Nebensächlichen. Und wenn, dann ging es um den Einfluss in Sendehäusern und den klassischen Verlagen. Es ging darum, den Status quo zu verteidigen.

Nur wenige wollten etwas Neues wagen.

Um die Krise zu überwinden, müssen wir groß denken. Wir müssen einen neuen Gesellschaftsvertrag aushandeln.

Wir müssen eine gemeinsame Vision entwickeln. Wir müssen Millionen Menschen darin unterrichten, wie sie Informationen sammeln, wie sie Informationen verarbeiten und verbreiten können. Wir müssen Möglichkeiten zur Beteiligung und zum Austausch schaffen – und wir müssen lernen, einander zuzuhören. Wenn die Medien die Demokratie nicht sichern können, müssen die Bürger übernehmen – und lernen, wie sie Räume schaffen, in denen sie sich frei und fair miteinander verständigen. 

Die Aufklärung muss kleinteiliger, einfacher, nahbarer werden. Es ist eine Generationenaufgabe. Wir müssen Millionen Menschen erklären, warum wir die Demokratie brauchen, was sie selbst davon haben, wie sie mitmachen können. 

Wir müssen Beteiligungstechniken schaffen und Formate entwickeln, die auf Marktplätzen funktionieren, in Turnhallen und in Fußgängerzonen. 

Wir brauchen eine große Idee für die redaktionelle Gesellschaft.

Längst wird doch heute jeder und jede in die öffentlichen Auseinandersetzungen hineingezogen. Über TikTok, WhatsApp, Facebook, Twitter und Co. nehmen die meisten schon lange daran teil. Nur sind sie jetzt den Algorithmen ausgeliefert. Sie verstehen nicht, warum sie etwas sehen. Sie sind Beeinflussungen ausgeliefert, sie werden zerstreut und abgelenkt, sie laufen hinterher. Wie schwer ist es da, die Maximen des eigenen Handelns zu bestimmen? 

Wir müssen die Menschen aus diesem Klammergriff lösen.

Was tun?

Was steckt hinter der Idee einer redaktionellen Gesellschaft? Warum kann sie die Spaltung der Gemeinschaft überwinden? Wie kann der Journalismus dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen?

In den vergangenen Jahren gab es genügend Kongresse, die die Probleme der Medienöffentlichkeit und des digitalen Zeitalters offenlegten. Aber es gab einen Mangel bei der Suche nach neuen Wegen aus der Krise.

Es ging zu wenig um die Frage, wie wir als Gemeinschaft die Lücke füllen, die das Sterben der Lokalzeitungen reißt. Eine Lücke, die auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ausfüllt, weil er nicht flächendeckend berichten kann. Es ging zu wenig um die Menschen, die vor Ort Teil der Kommunikation sind.

Es ging um Symptome, um Geld, Einfluss, Aufgaben. Aber es ging zu selten um die zukünftige Gesellschaft selbst.

Bedrohungen wurden wahr-, aber nicht ernst genommen. Zu viele Medienmacher belächeln noch heute die Einschaltquoten von Bild TV, ohne zu begreifen, dass es hier um etwas völlig Neues geht: die Polarisierung der Gesellschaft im Dienst der Profitmaximierung. Das ist Social Media auf Speed. Ein großer Medienkonzern bemüht sich nicht um Maß und Mitte, sondern setzt auf Konfrontation, um Geld zu verdienen. 

Mit dem Aufbauschen von Konflikten soll aus Aufmerksamkeit Geld gemacht werden.

Da reicht es nicht aus, mehr Mittel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu fordern oder Subventionen für die Zeitungszustellung.

Wenn wir diesem Verfall nicht die Idee eines beteiligenden, konstruktiven Dialogs entgegensetzen, der verbindet und nicht spaltet, dann kann unser Gemeinwesen in der Polarisierung auseinanderbrechen.

Leider lassen wir als Gesellschaft die vielen Leuten allein, die in den neuen öffentlichen Räumen ihre Stimme erheben. Wir bilden sie nicht weiter. Wir geben ihnen kein Wissen um das Wesen von Debatten. Wir lassen zu, dass Demagogen sie in die Echokammern des Netzes treiben. Sie sind leichte Beute für Verführer in Telegram-Kanälen. Sie halten das Teilen von Posts für Beteiligung. Ihnen fehlt das Wissen, mit den Möglichkeiten der neuen Technologie umzugehen.

Hier müssen wir als Gesellschaft eingreifen und aus den vielen einzelnen Strängen ein stabiles Seil binden, an dem wir uns in die Zukunft ziehen. 

Wir müssen die Menschen informieren, damit sie gute Entscheidungen treffen können. Die ihre Gemeinschaft, ihr Leben, das Leben ihrer Kinder betreffen. Sie dürfen nicht nur mit den Ergebnissen der Debatten konfrontiert werden, die von Meinungsführern bestimmt wurden. Sie müssen in die Recherchen eingebunden werden, die den Diskussionen um unsere Zukunft zugrunde liegen. Sie müssen die Methoden begreifen und nachvollziehen können, nach denen Informationsgewinnung funktioniert. Und das muss in einer möglichst einfachen Sprache geschehen. 

Wir müssen schon in den Schulen anfangen, Faktenchecks zu erklären. Wir müssen in der Erwachsenenbildung Wege finden, Millionen Menschen den Unterschied zwischen Meinung und Tatsachen beizubringen. Wir müssen ein wissenschaftliches Fundament errichten, auf dem die Diskussion der Allgemeinheit stattfinden kann. Jeder muss die Grundlagen der Debatte eigenständig nachvollziehen können. Es reicht nicht, an Autoritäten zu glauben.   

Erst dann werden Menschen erleben, dass sie mit ihrer Beteiligung etwas gestalten können. So fassen sie neues Vertrauen.

Aber was heißt das? Wie wird die Idee Wirklichkeit?

In Bottrop haben wir die Jugendredaktion Salon5 aufgebaut. Hier kommen Mädchen und Jungs aus allen Schichten zusammen. Mädchen mit Kopftüchern, Jungen aus Fußballvereinen, Einwanderer und Kinder aus Familien, die schon immer in Bottrop leben. Privilegierte und Benachteiligte.

Schreiben ist die erste Hürde, die wir eingerissen haben. Schreiben können nur die Wenigsten. Reden können alle. Deswegen machen wir mit den Jugendlichen Podcasts und erarbeiten Beiträge für soziale Medien. Wir machen mit ihnen Faktenchecks und vermitteln Nachrichtenkompetenz. 

Schüler aus Gymnasien reden in der Bottroper Redaktion mit Hauptschülern über beider Seiten Probleme, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. 

Sie reden über ihre Stärken und ihre Schwächen, ihre Gemeinsamkeiten und über das, was sie trennt. Über Angst, Schultoiletten oder Berufe. Sie organisieren Talkrunden in der Fußgängerzone, um über den Einfluss der Medien auf unser Zusammenleben zu sprechen – und auf ihre sozialen Beziehungen. In Barcamps sprechen Schulklassen auf dem zentralen Marktplatz darüber, wie sie sich engagieren können. Sie entwickeln Ideen, wie sie erreichen können, dass sich mehr Menschen in Bottrop heimisch fühlen. Sie schreiben Gedichte, sprechen über Bücher und organisieren Sendungen vom Fussballplatz. Sie erheben ihre Stimmen und fordern Gehör ein. 

Das Jugendradio Salon5 gibt ihnen die Möglichkeit, zu lernen und mutig zu sein. Die Jugendlichen finden Worte – und damit Teilhabe.

Von Bottrop aus bauen wir Redaktionen in Hamburg auf, in Greifswald, in Süddeutschland. Wissen wächst. Eine Idee lebt. 

Neue Stufe der Demokratie

Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, in der alle Demokraten wollen, dass sich jeder Mensch frei entwickeln kann. Eine Gesellschaft, die offen ist, die durchlässig ist, in der sich die Schwachen und Schutzbedürftigen sicher fühlen. Eine Gesellschaft, die auf Wissen basiert, die darauf vertraut, dass etwas Gutes entsteht, wenn sich alle an Debatten beteiligen können. Eine Gesellschaft, die auf Argumente vertraut, auf Einsicht und Verantwortung. Eine Gesellschaft im Ausgleich, die sich nicht auseinandertreiben lässt. Eine Gesellschaft, die immun ist gegen Desinformationskampagnen. 

Das Fundament dieser offenen Gesellschaft bilden die Medien. Sie sind wichtiger als jemals zuvor. Sie müssen die Diskussionen in der offenen Gesellschaft organisieren, den breiten Austausch der Ideen und Meinungen. Sie müssen den Menschen jenes Wissen vermitteln, das sie brauchen, um ihre Argumente zu finden und an den Debatten teilzunehmen. 

Dieses Wissen muss überall verfügbar und zugänglich sein. Die Methoden der Informationsverbreitung müssen weitergegeben werden. 

Dazu muss sich das Mediensystem grundsätzlich ändern. Wir alle müssen begreifen, dass jeder Mensch Medienschaffender sein kann. Neben Verlage und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tritt der gemeinnützige Journalismus. 

Menschen erheben ihre Stimme, ganz gleich, wie gebildet sie sind. Deswegen muss das Wissen um das Medienmachen in den Schulen und der Erwachsenenbildung weitergegeben werden. Jeder muss lernen können, egal wo er steht. Das Wissen muss alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen, damit die Diskussion so vielfältig wird wie möglich.

Wir alle müssen dafür sorgen, dass möglichst alle Menschen ihre Stimme entwickeln. Sie müssen selbstbestimmte Verbreiter ihrer eigenen Botschaften werden. Nur wenn wir miteinander reden, können wir gemeinsam etwas gestalten. Wir müssen nicht einer Meinung sein – aber wir müssen die Meinungen der jeweils anderen respektieren.

Und das ist die Idee von der Zukunft: eine redaktionelle Gesellschaft, wie sie Bernhard Pörksen als Utopie gefordert hatte. Sie steht für die Fortentwicklung der offenen Gesellschaft. In der informierte Debatten geführt werden. In der wir gemeinsam unsere Zukunft gestalten. In der das Argument mehr zählt als die Herkunft. Gelingt dies, werden wir uns freier und besser organisieren können als jemals zuvor. Wir werden die Krisen unserer Zeit meistern. Wir setzen die Utopie um. 

Es geht um die Demokratie.

Es geht um uns.