Sinnvolle Vorsorge gegen Kriegspanik: So will die Regierung Deutsche wappnen
Deutschland rüstet sich für den Ernstfall. Das BMI gibt Krisentipps, Alexander Dobrindt will Schülerinnen auf Notlagen vorbereiten. Und ein Leser fragt CORRECTIV: „Muss ich schon Reis im Keller lagern?“ Wie das Innenministerium reagiert – und welche Dinge Sie tatsächlich daheim haben sollten.
„Ich bin kurz davor, alle Powerbanks aufzuladen und auszuwandern.“ So beschreibt ein Leser seine wachsende Kriegsangst in einer Mail an CORRECTIV. Er wisse durch die alarmistische Berichterstattung vieler Medien nicht mehr, was wirklich ernst ist und was „Panikmache“. Eine Frage, die nicht nur ihn umtreibt: Wie sinnvoll ist Vorsorge in Deutschland – einem der sichersten Länder der Welt?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat die Sorgen erkannt und einen Ratgeber für Notlagen veröffentlicht. Keinen gewöhnlichen Krisenratgeber, sondern ein zentrales Instrument für die deutsche Bevölkerung zur Vorbereitung auf vielfältige Katastrophen und Extremsituationen. Inklusive einer erstmals angesprochenen latenten Kriegsgefahr:
„Selbst ein Krieg scheint nicht mehr so ausgeschlossen zu sein wie noch vor einigen Jahren.“
Ratgeber
des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
Damit schließt sich Deutschland nun Schweden, Finnland und Norwegen an, die bereits 2024 Bewohner mittels eines Ratgebers auf einen möglichen Krieg vorbereitet haben. Die schwedische Broschüre trägt den Namen „Wenn Krise oder Krieg kommt“.

Vorsorge gegen Krisen: Was sagen Dobrindt und das BMI?
Wenn es nach Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) geht, kann es aktuell gar nicht genug Krisenvorsorge geben. Jüngst forderte er, das Thema „Krisenvorsorge“ künftig sogar an Schulen behandeln zu wollen. Bei der nächsten Innenministerkonferenz wolle er anregen, dass über mögliche Bedrohungen und den Umgang mit Krisen gesprochen wird.
Die Reaktionen darauf: Die Linke warnte laut Tagesschau vor „Panikmache“ und betonte, Schulen müssten „Schutzräume bleiben“.
Zustimmung habe es dagegen von den Grünen gegeben: Innenexperte Leon Eckert begrüße, dass junge Menschen lernen sollen, „wie sie sich und anderen in Krisensituationen helfen können“. Sein Vorschlag: den bundesweiten Warntag zu einem Übungstag für Krisenvorsorge auszubauen.

Rund zehn Milliarden Euro für den Bevölkerungsschutz
Unabhängig, ob sich Deutschland künftig im Krieg befinden könnte, plant Dobrindt noch weiter: Wie Zeit berichtete, will der CSU-Innenminister bis 2029 rund zehn Milliarden Euro bereitstellen. Dies ist Teil des „Pakts für den Bevölkerungsschutz“ Das bestätigte das BMI auf Anfrage von CORRECTIV.
Auf die Frage, wie das BMI den Zustand des Zivil- und Katastrophenschutzes in Deutschland bewertet, verlautbarte dieses: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe gezeigt, dass Deutschlands Bevölkerungsschutz „auf eine neue sicherheitspolitische Realität vorbereitet sein“ müsse.
Gemeinsam mit dem BBK wolle man deshalb die nationale Resilienz umfassend stärken und den Bevölkerungsschutz an die aktuellen Bedrohungslagen anpassen.
Krisenvorsorge: Haushalt wird um mehr als 200 Millionen Euro aufgestockt
Konkret verweist das BMI auf deutliche Haushaltsaufstockungen – im Jahr 2025 auf 332 Millionen Euro für das BBK (ein Ausgabenzuwachs um 168 Millionen Euro) und 446 Millionen für das Technische Hilfswerk (THW). Also etwa 45 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.
Diese Mittel sollen die Modernisierung von Ausrüstung, den Ausbau der Warnsysteme, verbesserte Notversorgung für Trinkwasser sowie die Erweiterung von Ausbildungs- und Selbstschutzprogrammen ermöglichen.
Außerdem planen laut BMI Bund und Länder neue Schutzräume und 200 THW-Ortsverbände sollen modernisiert werden. Ziel sei ein „moderner, handlungsfähiger Bevölkerungsschutz“, der auf Szenarien wie Stromausfälle, Extremwetter und militärische Konflikte reagieren kann.

Ist Vorsorge Bürgerpflicht?
Ergänzend sind Bürgerinnen und Bürger auch zur Eigeninitiative aufgerufen. Informationen bekommen sie aus dem BBK-Ratgeber. Darin finden sich viele Tipps für die Notfallversorgung (hier einsehen).
Der Kern des Ratgebers: Wer sich vorbereitet, hilft nicht nur sich selbst, sondern entlastet Rettungskräfte, die Menschen unterstützen, die sich nicht selbst helfen können. Verantwortung beginne im eigenen Haushalt.
Dabei gehe es nicht nur um Extremfälle und Kriegsszenarien, sondern schon Extremwetter oder Sabotage könnten die Leitungen für Strom, Wasser, Gas oder Mobilfunk beschädigen. Cyberangriffe könnten die IT-Systeme stören, die im Alltag gebraucht werden, zum Beispiel in Krankenhäusern, Versorgungswerken oder Supermärkten.
Jeder Haushalt sollte sich für zehn Tage selbst versorgen können
Der Leitfaden betont dabei, dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt bleibe – dass aber auch hier Stromausfälle, Cyberattacken oder geopolitische Spannungen den Alltag stören können. Die zentrale Empfehlung lautet: Jeder Haushalt sollte sich grundsätzlich für zehn Tage selbst versorgen können. Auch drei Tage würde schon „sehr helfen“.
Als Richtwert benötige jeder Haushalt etwa zwei Liter Wasser pro Person und Tag, haltbare Lebensmittel, persönliche Medikamente und Hygieneartikel (mehr dazu weiter unten). Das BBK empfiehlt hierzu einen Online-Rechner, mit dem der Vorrat geplant werden kann.

Selbstschutz statt Hysterie: Diese Gegenstände sind zuhause wichtig
Neben der materiellen Vorsorge rät das BBK zu mentaler und digitaler Wachsamkeit: Warn-Apps wie NINA installieren, Nachrichtenquellen prüfen, Sirenensignale erkennen. Auch Hinweise zum Umgang mit Falschinformationen, zu Notfallausweisen und Dokumentensicherung finden sich im Ratgeber.
Stromlos kochen bis Seelsorge: Womit Sie sich laut BBK-Ratgeber für Notlagen im eigenen Zuhause vorbereiten sollten
Für Menschen mit Beeinträchtigungen:
Die Vorbereitung sei „sehr individuell“. Wichtig seien: Ersatzbatterien, Ladegeräte, Medikamentenvorrat, Notfallausweis mit Infos zu Krankheiten, Allergien, Kommunikation. Nachbarschaft und Familie sollten außerdem wissen, wie sie helfen können. Tipp des BBK: „Viele Smartphones bieten die Möglichkeit, einen Notfallausweis digital anzulegen.“
Warnungen erhalten und verstehen:
Das BBK rät dringend, die Warn-App NINA zu installieren. „Warnungen enthalten wichtige Informationen, um sich selbst und andere zu schützen.“
Weitere Kanäle: Radio, Sirenen (Heulton = Gefahr, Dauerton = Entwarnung), Lautsprecherwagen und Infotafeln. Bei Stromausfall funktioniere vieles nicht – daher immer alternative Wege zur Information sichern.
In der Krise informiert bleiben:
Wenn Internet oder Mobilfunk ausfallen: Powerbank bereithalten, wichtige Telefonnummern auf Papier haben, Kurbel- oder Autoradio für Informationen nutzen. „Radiosender funktionieren auch dann noch“, erinnert das BBK – auch bei Stromausfall.
Desinformation erkennen:
Das BBK warnt: „Desinformation ist gerade in Notfällen und Krisen sehr gefährlich.“ Empfehlung: Nachrichten kritisch hinterfragen, bevor man sie teilt.
Checkliste des BBK: Ist der Absender seriös (Impressum, Klarname)? Stimmen andere Quellen überein? Werden Fakten und Quellen belegt?
Mit Ängsten und Sorgen umgehen:
„In einer Gefahr ist es normal, sich hilflos zu fühlen“, steht im Ratgeber. Empfohlen wird: Kontakt halten, Routinen pflegen, Bewegung, Pausen, Entspannung. Nachrichtenkonsum dosieren. Hilfe: Telefonseelsorge 0800 111 0 111 oder 116 123.
Mit Kindern über Krisen sprechen:
Kinder reagieren unterschiedlich – von Albträumen bis Rückzug. „Beantworten Sie Fragen offen und ehrlich“, schreibt das BBK. Eltern sollen Sicherheit vermitteln („Wir sind gut vorbereitet“), aber keine Gespräche aufzwingen. Rat: www.nummergegenkummer.de
Medizinische Notfälle selbst behandeln:
Eine Hausapotheke ist Pflicht: Persönliche Medikamente (10-Tage-Vorrat). Schmerzmittel, Wundversorgung, Fieberthermometer. Anleitung zur Druckverband-Anlage bereithalten. Tipp: „Wiederbelebung durch Herzdruckmassage zu lernen, ist nicht schwer.“ www.wiederbelebung.de
Ohne Strom kochen:
Alternativen: Fondue-Set, Stövchen, Gaskocher (innen nur, wenn zugelassen), Gasgrill oder Campingkocher nur im Freien. „Eine Kohlenmonoxidvergiftung ist lebensgefährlich“, warnt das BBK. Empfohlen: geprüfte Kohlenmonoxid-Melder. Rezepte: www.bbk.bund.de/notfallkochbuch
Wenn die Heizung ausfällt:
„Ohne Strom funktioniert vielleicht auch Ihre Heizung nicht“, steht im Ratgeber. Hilfen: warme Kleidung, Decken, Schlafsäcke, Gas- oder Petroleumheizer (nur zugelassene Geräte). Wichtig: regelmäßig Stoßlüften.
Reagieren, wenn es brennt:
„Löschen Sie nur, wenn Sie sich nicht in Gefahr bringen“, rät das BBK. Wichtig: Türen schließen, Nachbarn warnen, Feuerwehr 112 rufen. Rauchmelder und Feuerlöscher seien Pflicht. Fettbrände nie mit Wasser löschen.
Dokumente sichern:
„Bei Brand oder Hochwasser können wichtige Unterlagen verloren gehen“, schreibt das BBK. Deshalb: Originale in feuer- oder wasserdichten Behältern. Digitale Kopien auf USB-Stick, externer Festplatte oder Cloud.
Notgepäck griffbereit haben:
Inhalt laut BBK: Kleidung, Schuhe, Hygiene, Medikamente, Powerbank, Bargeld, Dokumente, Trinkflasche, Erste Hilfe.
Schutz suchen:
Je nach Lage. Chemieunfall: in obere Stockwerke, Fenster schließen. Radioaktivität oder Explosion: in Keller oder Tiefgarage. Hochwasser: in obere Etagen, Keller meiden. Im Freien: Auto mit geschlossener Lüftung kann Schutz bieten.
Schutz vor Explosionen:
„Innenliegende Räume ohne Fenster bieten wirksamen Schutz“, so das BBK. Regel der „zwei Wände“: Zwei massive Wände zwischen sich und der Außenwand erhöhen die Überlebenschance. Auch Schulen, Museen oder Tiefgaragen seien geeignete Schutzorte.
Wer fürchtet sich vor Krieg? Das sagen die Zahlen
Laut einer neuen Umfrage des Markt- und Sozialforschungsunternehmens Ipsos halten 27 Prozent der Deutschen einen Krieg zwischen Deutschland und Russland in den kommenden sechs Monaten für wahrscheinlich. Also mehr als jede vierte Person.
61 Prozent würden das hingegen für unwahrscheinlich halten. Der Rest sei unentschlossen. Die Befragung fand vor dem Hintergrund vermehrter Drohnensichtungen unbekannter Herkunft im NATO-Luftraum statt.
Bemerkenswert sind laut dieser Erhebung die Unterschiede zwischen Alters- und Wählergruppen:
- Unter Anhängerinnen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sehen 41 Prozent einen Krieg als wahrscheinlich,
- bei AfD-Wählern sind es 31 Prozent.
- In den Reihen von Union, SPD, Grünen und Linken liege der Anteil stabil bei rund einem Viertel.
- Deutlich skeptischer würden jüngere Menschen in die Zukunft blicken: Nur 18 Prozent der über 60-Jährigen rechnen mit einer Eskalation, während 35 Prozent der 18- bis 39-Jährigen das befürchten.
Im europäischen Vergleich ist die Sorge in Polen vor „militärischem Konflikt zwischen Staaten“ mit 36 Prozent ausgeprägter – wohl auch wegen der geografischen Nähe zur Ukraine. In Ungarn liegt die Angstquote hingegen deutlich niedriger, obwohl es hier ebenfalls eine rund 137 Kilometer lange Grenze zur Ukraine gibt. Im Vereinigten Königreich habe sich Kriegsangst binnen eines Jahres verdoppelt.
Auch Statista teilt diese Zahlen, in Berufung auf die internationale Ipsos-Umfrage „What worries the world“.
Text und Recherche: Samira Joy Frauwallner
In Zusammenarbeit mit: Ulrich Kraetzer
Redigat: Till Eckert, Martin Böhmer
Faktencheck: Martin Böhmer