MeToo

Was bei Axel Springer kein Karrierehindernis ist

Konzernchef Mathias Döpfner hat in den vergangenen Wochen mehrere enge Vertraute in Führungspositionen gehoben. Zuletzt machte er diese Woche Jan Philipp Burgard zum Chefredakteur der WELT. Eines von mehreren Beispielen, die zeigen, wie wenig Döpfner aus der Reichelt-Krise gelernt hat.

von Anette Dowideit

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Jan Philipp Burgard (Mitte), der neue WELT-Chefredakteur – Konzernchef Döpfner sieht in ihm die beste Besetzung für den Posten. Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV ( Vorlage: picture alliance & unsplash.com )

Im Oktober 2021 brach im Berliner Axel Springer-Verlag ein Vulkan aus. Hinter der Fassade hatte es schon lange gebrodelt, und nun wurde es für alle Welt sichtbar: Der damalige Chefredakteur der BILD, Julian Reichelt, hatte seine Machtstellung im Konzern immer wieder benutzt, um sexuelle Beziehungen zu Mitarbeiterinnen aufzubauen – zu Frauen, die von ihm beruflich abhängig waren.

Die Negativnachrichten häuften sich, ständig kamen neue Details ans Licht, und andere Medien leuchteten aus, ob es ein „System Springer“ gebe, das genau solche Auswüchse fördere. Zum Beispiel, weil Kontrollsysteme nicht funktionierten. Döpfner mühte sich nach Kräften, die Schmuddel-Geschichten um den BILD-Chef nicht auf seine Person abfärben zu lassen. Es gelang ihm – bis heute –, recht gut, sich selbst als Opfer seines ehemaligen Vertrauten Reichelt darzustellen. Die Botschaft nach innen und außen sollte lauten: So etwas dulden wir nicht.

Vor diesem Hintergrund verwundert es viele Mitarbeitende im Unternehmen – vor allem weibliche –, welche Personalentscheidung Döpfner in den vergangenen Wochen getroffen und am Dienstag hat verkünden lassen: Er setzt den seit langem umstrittenen Chefredakteur der WELT-Gruppe, Ulf Poschardt, ab – und ersetzt ihn durch den bisherigen Chefredakteur der untergeordneten Sparte WELT TV, Jan Philipp Burgard.

Burgard ist einer breiteren Öffentlichkeit bisher vor allem dafür bekannt, dass er auf seinem Sender Politikerinnen und Politiker vom rechten und linken Rand ausführlich zu Wort kommen lässt – was dem Sender hohe Quoten und der Marke WELT bezahlte Abos verschafft: Erst lud er vor der Landtagswahl in Thüringen Björn Höcke zum TV-Duell ein, kürzlich inszenierte und moderierte er ein Wortgefecht zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht.

Verwundert und teils schwer verärgert sind Teile der Belegschaft deshalb: Burgard ist gerade keiner, mit dem Döpfner den erklärten Kulturwandel besonders glaubhaft machen könnte. Das hat zwei Gründe – einer liegt in seiner Zeit als WELT TV-Chef, ein anderer in einer Vorgeschichte:

Die Moderatorinnen

Da ist zunächst der Umgang Burgards in den vergangenen Jahren damit, welche Fernsehmoderatorinnen wann bei WELT TV auf Antenne durften. Natürlich gehört es zu den Aufgaben eines TV-Chefs, für ein attraktives Erscheinungsbild des Programms zu sorgen, das sich auch an Zuschauerinteressen orientiert. Die Frage ist, nach welchen Kriterien man entscheidet – und wie man darüber kommuniziert.

Im vergangenen Frühjahr veröffentlichte der Spiegel einen Text über die damalige WELT TV-Moderatorin Franca Lehfeldt, Ehefrau von Christian Lindner. Lehfeldt, stand dort, habe eine Vorzugsbehandlung genossen, unter der andere Moderatorinnen gelitten hätten: Burgard und sein Führungsteam bei WELT TV hätten die Schichtpläne rund um die Bedürfnisse Lehfeldts gebaut, was unter anderem dazu geführt habe, dass Kolleginnen frühmorgens, spätabends und an Wochenenden arbeiten mussten.

Sie haben weitere Hinweise zu möglichem Fehlverhalten bei Axel Springer, etwa zu problematischem Umgang mit Compliance-Fällen? Schreiben Sie uns: hinweise@correctiv.org

Informationen von CORRECTIV zufolge war das aber nur jener Teil der Auseinandersetzungen um Moderatorinnen, der öffentlich sichtbar wurde. CORRECTIV hat mit drei Personen aus dem Unternehmen gesprochen, die gut darüber informiert sind, was eigentlich hinter der Auseinandersetzung stand. Sie schildern übereinstimmend glaubhaft: Burgard habe nicht nur Lehfeldt, sondern auch andere Moderatorinnen, die einem eher klassischen und wohl auch seinem Schönheitsideal entsprechen, gezielt ins Programm gehoben und andere so gut es ging vom Bildschirm genommen. Dies habe er auch mehrfach recht konkret und mit teils fragwürdigen Ausdrücken im Hinblick auf Äußerlichkeiten wie körperliche Negativmerkmale oder vermeintlich typisch weibliche Charaktereigenschaften geäußert.

Die Gesprächspartner von CORRECTIV, die mit diesen Vorgängen eng vertraut waren, sagen auch, damals habe sich der Betriebsrat mit diesem Thema befasst. Die Redaktion hat die Vorsitzenden des WELT TV-Betriebsrats dazu befragt. Sie schreiben, ihnen sei keine solche Beschwerde über Burgard bekannt. Der Betriebsrat ist in dieser Aufstellung allerdings auch erst seit Mitte letzten Jahres im Amt.

CORRECTIV hat Burgard und dem Springer-Verlag eine Reihe von Fragen zur Berufung Burgards geschickt. Beide kommentierten den konkreten Sachverhalt nicht. Der Axel Springer-Verlag schrieb stattdessen nur zwei allgemeine Sätze: „Wir legen bei der Auswahl und Berufung von Mitarbeitern auf jeder Ebene strenge Maßregeln an, die nicht nur mit unserem Code of Conduct, sondern auch mit den Werten von Axel Springer im Einklang stehen. Die ist auch bei den aktuellen Personalveränderungen beachtet worden.“

Der sogenannte Code of Conduct hat im Konzern durchaus Gewicht; schon Auszubildende bekommen ihn zu Beginn ihrer Laufbahn ausführlich vorgestellt. Darin heißt es:

„Wir dulden keine sexuelle, diskriminierende oder andere Form von Belästigung, Mobbing oder Einschüchterungen am Arbeitsplatz – weder durch Äußerungen noch durch andere Verhaltensweisen. Wir treten für ein kollegiales Arbeitsumfeld ein und jeglicher Art von Belästigung entschieden entgegen. Dabei übernehmen wir Verantwortung, indem wir ganz konkret Fehlverhalten ansprechen und uns gegenseitig unterstützen.“

Vor dem Hintergrund dieser entschiedenen Formulierungen mag es verwundern, dass sich damit befasste Personen im Unternehmen zwar sehr konkret an die Diskussion erinnern, ob Burgard sich abfällig über Moderatorinnen geäußert habe – zumindest beim aktuellen Betriebsrat aber niemand etwas davon zu wissen scheint. 

Burgard wiederum ließ als Reaktion auf die CORRECTIV-Fragen zu seiner Berufung einen Anwalt einen Brief an die Redaktion schicken. Dieser warnt davor, durch eine Berichterstattung die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten in rechtswidriger Weise zu verletzen. Es bestehe kein „öffentliches Berichtsinteresse“ und es sei nie zu irgendwelchen „rechtswidrigen Handlungen“ durch seinen Mandanten gekommen.

Der zweite Grund, warum Döpfner die Berufung imagemäßig auf die Füße fallen könnte, liegt in Burgards beruflicher Vergangenheit.

Der MeToo-Vorwurf beim alten Arbeitgeber

Döpfner ist der Vorgang, um den es geht, seit längerem bekannt. Er musste also wissen, dass Burgards jetzt erfolgte Beförderung eine Gefahr dafür bedeutet, einen Kulturwechsel im Unternehmen glaubhaft zu machen. Burgard wurde vor seinem Wechsel zu Springer bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem WDR, wegen eines MeToo-Vorwurfs degradiert. 

Eigentlich schien die Karriere des heute 39-Jährigen längst eingetütet: Burgard war schon seit 2017 – also mit 32 Jahren – stellvertretender Leiter des Washingtoner Büros der ARD, das vom WDR betrieben wird.

Dann aber gab es jenen Vorfall, und zwar Mitte 2020. Eine Frau fühlte sich von Burgard bedrängt. Die Betroffene war ebenfalls Journalistin, früher Hospitantin beim WDR, stand jedoch in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu Burgard. Der Vorfall soll sich auf offener Straße abgespielt haben, nach einem Abendessen mit anderen Leuten, das bestätigen beide. Es soll ein Flirtversuch von Burgard gewesen sein. Erst danach gehen die Schilderungen laut vertraulichen Dokumenten auseinander. Sie sagt, sie sei bedrängt worden und er habe versucht, sie zu küssen. Er sagt, ja, er habe versucht, sie zu küssen, aber das sei kein Übergriff gewesen, sondern eben ein Flirtversuch. 

Was wirklich passiert ist, können wir von CORRECTIV mit den Mitteln der Recherche nicht abschließend ermitteln.

CORRECTIV hat mit drei Personen gesprochen, die mit dem mutmaßlichen Opfer in engem Kontakt stehen beziehungsweise damals standen. Sie sagten, ihnen sei die Schilderung der Frau als äußerst glaubhaft erschienen.

Fest steht: Der WDR leitete damals rasch eine Untersuchung ein. Am 26. August 2020 stellte der Sender Burgard eine „Ermahnung“ zu, unterschrieben von der damaligen stellvertretenden Intendantin des Senders, Eva-Maria Michel, und Personalchef Kurt Schumacher.

Das Schreiben, das CORRECTIV vorliegt, liest sich für solche Fälle ungewöhnlich deutlich, aber ausgewogen. Darin heißt es: „In Folge des Abends sind Sie bei der Verabschiedung körperlich übergriffig geworden. (…) Sie haben sich in Folge für Ihr Verhalten in aller Form entschuldigt und versichert, dass sich ein solches Verhalten nicht mehr wiederholen wird. (…) Dennoch müssen wir Sie darauf hinweisen, dass ein solches Verhalten nicht akzeptabel ist.“ Burgard, so zumindest liest es sich, muss den Vorfall damals eingeräumt haben. Weiter heißt es: „Wir ermahnen Sie hiermit eindringlich, sich künftig beruflich wie privat korrekt zu verhalten.“

Das Schreiben endet mit einer klaren Personalentscheidung: „Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir Ihnen ab sofort die Funktion des stellvertretenden Studioleiters entziehen.“ Burgard ging nicht arbeitsrechtlich gegen diese Degradierung vor, er akzeptierte sie. Sein Karrierepfad im WDR war damit zu Ende. Wenig später zog er offenbar selbst die Konsequenz und wechselte 2021 zu WELT TV.

Die interne Aufarbeitung und der Mantel des Schweigens

Bei seinen Einstellungsgesprächen erwähnte Burgard den Vorgang nicht. Dazu besteht arbeitsrechtlich auch keine Verpflichtung. Konzernchef Döpfner und der Rest des Vorstands erfuhren somit von der Sache erst deutlich später, und zwar nach Informationen von CORRECTIV im September 2022 – mitten in der heißen Phase der Reichelt-Affäre. Damals schickte die Zeit einen Fragenkatalog zum Vorfall in Washington an die Pressestelle des Konzerns. 

In der Kommunikationsabteilung des Konzerns und auf der obersten Führungsebene rund um Döpfner brach den Schilderungen mehrerer Beteiligter zufolge damals Hektik aus: Was war von den Vorwürfen zu halten? Warum hatte Burgard davon vor seiner Einstellung nichts gesagt, wenn sie doch haltlos gewesen sein sollten? Wie solle man jetzt damit umgehen: Flucht nach vorne, alles öffentlich machen und sich selbst als Geschädigter eines Managers positionieren, der einem durch sein Schweigen einen potenziellen Imageschaden zugefügt habe? Oder selbst schweigen? 

In der Springer-Chefetage bemühten sich jetzt mehrere Personen, die sich verantwortlich fühlten, um interne Klärung. Informationen von CORRECTIV zufolge gab es Versuche, sich mit der betroffenen Frau auszutauschen, die sich aber nicht äußern wollte. Auch eine Stellungnahme Burgards wurde demnach informell angefordert.

Die lieferte er – und erklärte, er habe den Vorgang als harmlos wahrgenommen. Er habe auch erst durch die formelle Aufarbeitung beim WDR überhaupt erfahren, dass die Frau seinen Annäherungsversuch als unangemessen empfunden habe.

Döpfner, berichten mehrere, die das Ganze miterlebten, habe damals entschieden, gnädig den Mantel des Schweigens über der Sache auszubreiten. Nach Reichelt nun noch einen weiteren unangenehmen Fall mit seinem Unternehmen öffentlich verteidigen zu müssen, wäre ja auch äußerst ungünstig gewesen. Gerade auch gegenüber den angelsächsischen Investoren in Springer, KKR und CPP Investments, die damals zu großen Teilen den Ton im Unternehmen angaben. Mittlerweile stehen sie kurz vor dem Ausstieg aus dem Konzern. 

Weder Springer noch Burgard äußerten sich konkret zu den Fragen dieser Redaktion zum Washington-Komplex. Was stimmt, können wir im Rahmen dieser Recherche nicht abschließend klären. Alles kann möglich sein.

Zur Veröffentlichung in der Zeit kam es damals übrigens nicht, zum Glück für den Springer-Verlag und für Burgard. Der Grund war Informationen von CORRECTIV zufolge, dass das mutmaßliche Opfer seine Zustimmung dafür letztendlich nicht gab – aus Sorge, identifiziert und Teil einer öffentlichen Schmutzkampagne zu werden.

Nimmt man wohlwollend an, dass es Döpfner damals nicht nur um die Bewahrung des eigenen Rufs ging – oder dem, was davon noch übrig war –, sondern vor allem auch darum, Burgards Karriere nicht leichtfertig zu beschädigen, ist aus heutiger Sicht vor allem die Frage wichtig: Ließ sich denn im Konzern kein Nachfolger auf Ulf Poschardt für die Spitze einer der bekanntesten Medienmarken im Land finden, der glaubhafter für den beteuerten Imagewechsel hin zum Saubermann-Konzern stehen könnte? 

Das Buddy-Netzwerk

Dass der Springer-Chef Burgard auf den Posten setzt, erscheint trotz allem wenig überraschend, wenn man Döpfner kennt*: In den vergangenen Wochen setzte er mehrere Vertraute auf verantwortungsvolle Positionen. 

Drei Beispiele: Die Unternehmenskommunikation leitet seit Kurzem Peter Huth – ein Döpfner-Freund und Journalist, aber kein Experte für Konzernkommunikation. In den Vorstand stieg Claudius Senst auf, der mit Döpfner häufig auf Networking-Partys auftaucht und so gar nicht als jemand gilt, der dem Chef auch mal Kontra geben würde. Den Aufsichtsrat (das Gremium, das eigentlich den Vorstand kontrollieren soll) wird bald Döpfners enger Vertrauter Jan Bayer führen. Dagegen schied die einzige Frau an der Spitze aus, die im Grunde in den Vorstand geholt worden war, um als Leiterin des Bereichs „People and Culture“ dafür zu sorgen, dass Machtgehabe und Ellenbogen keinen Platz im Unternehmen mehr haben sollten.

Döpfner sagte zu diesem Umbau an der Spitze (bezogen auf den neuen Vorstand): „Ja, das sind drei Männer, aber ich bin überzeugt, dass das das richtige Team für die nächste Phase im Unternehmen ist.“ 

Dass er seinen im Konzern „Boys Club“ genannten Machtzirkel zuletzt derart ausgebaut hat – trotz der Reichelt-Affäre, die unter anderem wegen mangelnder Kontrollsysteme lange nicht angegangen wurde, mag damit zusammenhängen: Er muss nicht mehr auf die Befindlichkeiten der Investoren KKR und CPP Investments achten, in deren angelsächsischer Kultur Sex- und andere Schmuddel-Geschichten gar nicht gut ankommen. 

CORRECTIV hat dennoch die beiden Investmentfirmen zu ihrer Sicht auf die Beförderung an der WELT-Spitze befragt. Denn trotz ihres angekündigten Ausstiegs: Noch sind sie in Springer investiert, und Anrüchiges könnte auf sie abfärben. Ob sie als Anteilseigner vorab über die Image-Risiken informiert wurden, die Burgards Beförderung mit sich bringt, beantworteten beide Firmen nicht.

*Offenlegung: Die Autorin hat vor ihrem Wechsel zu CORRECTIV im Axel-Springer-Verlag für die WELT gearbeitet. Unsere Redaktion hat diskutiert, ob dies einen Interessenkonflikt darstellt. Wir kamen zum Schluss, dass dies nicht der Fall ist, weil es bei dieser Recherche um belegbare Fakten geht, die auch andere Mitglieder unserer Redaktion nachgeprüft haben.

Redaktion: Justus von Daniels
Faktencheck: Till Eckert
Illustration: Ivo Mayr