Wo Deutschland seinen Problemmüll versenkt

In Tschechien hat die Atomindustrie strahlende Uranschlammteiche hinterlassen. Unternehmen verdienen gut daran: Sie stopfen die kontaminierten Löcher mit Müll, darunter Altreifen aus Deutschland und andere, teils giftige Abfälle.

In der Abfallbranche gibt es eine Redensart: Müll sucht sich immer das billigste Loch. Und genau so ein Loch liegt mitten in Europa, hinter der bayerischen Grenze, am Rande des tschechischen Dorfes Mydlovary. Das Loch verströmt einen fauligen Gestank. Tote Birken ragen aus dem Wasser, dazwischen treiben Autoreifen und Schuhsohlen mit den Logos diverser Luxusmarken und der Aufschrift “made in Italy”. Am Ufer türmt sich eine Hügellandschaft in Grau und Schwarz auf – noch mehr Reifen und jede Menge anderer Gummireste. 

Solchen Müll auf Deponien zu entsorgen, ist in Deutschland verboten. Doch eine exklusive Recherche von CORRECTIV.Europe zeigt: Entsorgungsfirmen aus Deutschland und weiteren europäischen Ländern liefern trotzdem teils giftige Abfälle über die Grenze. Von den Behörden – sowohl in Deutschland als auch in Tschechien – wird das Geschäft geduldet. Denn der Müll wird gebraucht, um ein noch größeres Problem verschwinden zu lassen.

 

Alte Reifen und andere Gummiabfälle bedecken die Wasseroberfläche in einem der Uranschlammteiche am Rande von Mydlovary.
Alte Reifen und andere Gummiabfälle soweit das Auge reicht. Credits: Michael Billig

Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden in Mydlovary Millionen Tonnen von Abfall versenkt – darunter auch jede Menge Müll aus Deutschland, einem Land, in dem Mülltrennung und Recycling gesetzlich verankert sind. Mydlovary, so sagt es der Geschäftsführer eines deutschen Entsorgungsbetriebs gegenüber den Reportern, sei “das größte Loch” für Müll in Europa. Ein anderer Abfallhändler berichtet: “Für mich ist Mydlovary ein Loch, wo jeglicher Mist reingeschmissen wird.” Er erzählt, dass die Entsorgung deutscher Abfälle in Mydlovary in der Branche ein “offenes Geheimnis” sei; “da hat jeder hin geliefert, zig Firmen.” Seine Begründung: Den Müll in Mydlovary abzukippen ist schlicht viel billiger als die korrekte Verwertung in Deutschland. Diese Annahme bestätigen auch noch weitere Quellen gegenüber den Reportern. Ein Unternehmer spricht von 80 Prozent Ersparnis im Vergleich zur Entsorgung in Deutschland.

 

“Das ist eine tickende Zeitbombe”


Mehrere deutsche Entsorgungsfirmen, die CORRECTIV.Europe kontaktiert hat, räumen Lieferungen ein. Doch das sei lange her. Mittlerweile, so teilten sie mit, hätten sie diese Exporte eingestellt. Doch unsere Recherchen zeigen, dass das Geschäft noch 2025 läuft.  

Auf dem Gelände in Mydlovary haben wir haufenweise Abfall entdeckt, der augenscheinlich aus Deutschland stammt, darunter auch Material mit dem Logo eines deutschen Reifenherstellers. Und auf einer Frachtenbörse im Internet haben wir verdächtige Exporte untersucht. Auf dieser Börse schreiben Speditionen Transportaufträge aus. Sie geben ein, wo die Fracht abgeholt und wo sie entladen werden soll. Allein zwischen Oktober und Dezember 2024 haben wir 119 gelistete Abfalltransporte aus nahezu allen Bundesländern Deutschlands dokumentiert. Ihr Ziel: Mydlovary oder eines der anderen Dörfer am Rande des Lochs. Ihre Ladung laut Frachtenbörse: “geschredderte Altreifen”, “altes Gummi”, oder schlicht “Abfall lose”. Damit konfrontiert, winden sich einige der Firmen um klare Antworten, stattdessen verweist ein Subunternehmer auf den nächsten.

 

 

In Deutschland dürfen die meisten Abfallarten schon seit 2005 nicht mehr auf Deponien entsorgt werden. Denn Mülldeponien gefährden das Grundwasser und setzen das Treibhausgas Methan frei. Stattdessen gilt in Deutschland die Vorgabe, “Abfälle zu vermeiden und zu verwerten”. Ausgediente Reifen etwa müssen geschreddert und recycelt oder zur Energiegewinnung verbrannt werden. Ein Fall wie Mydlovary ist in dieser Verwertungslogik wohl nicht vorgesehen. Deutsche Behörden äußerten bereits vor Jahren erhebliche Bedenken an den Lieferungen nach Mydlovary: Sie seien “mit der europäischen Abfallhierarchie und dem Ziel einer schadlosen und hochwertigen Verwertung nicht vereinbar”, waren sich Vertreter von Bundes- und Landesbehörden schon bei einem Treffen 2016 einig.

Wie kann es sein, dass trotzdem bis heute Mülltransporte über die Grenze nach Mydlovary rollen? Zur Wahrheit gehört auch, dass der tschechische Staat ein Interesse am Müll aus Deutschland hat. Denn mit Müll lassen sich Löcher stopfen. Und das Loch am Rande von Mydlovary strahlt eine besondere Gefahr aus.

 

Überall stehen Warnschilder mit der Aufschrift "Überwachtes Gebiet mit Quellen ionisierender Strahlung". Credits: Michael Billig
Schilder warnen vor der radioaktiven Strahlung aus den alten Uranschlammteichen. Credits: Michael Billig

An einem sonnigen Apriltag parkt der Chemiker Jaroslav Švehla sein Auto vor einer Schranke. Der 62-Jährige kennt die Gegend seit seiner Kindheit, Südböhmen ist seine Heimat, berühmt für das gute Bier und die vielen Karpfenteiche. Weit weniger bekannt sind die kontaminierten Teiche, die wie eine offene Wunde in der malerischen Landschaft klaffen. Švehla, der inzwischen am National Institut of Public Health arbeitet, ist zurückgekehrt, um uns diesen Ort zu zeigen. Rostgesprenkelte Schilder mit dem schwarz-gelben Strahlenschutzsymbol warnen vor erhöhter Radioaktivität. Doch Švehla läuft unbeirrt los, vorbei an massiven Eisenrohren, die auf Betonfüßen über einen Deich verlaufen. Im Hintergrund wummert eine Pumpanlage. Jaroslav Švehla nähert sich dem Ufer, wo die Autoreifen und Schuhsohlen treiben. Er sagt: “Alles in diesem Wasser stirbt.”

 

Der Chemiker Jaroslav Švehla an einem der Uranschlammteiche, in der Hand hält er eine der vielen Gummischuhsohlen, die hier abgeladen wurden. Credits: Michael Billig
Der Chemiker Jaroslav Švehla an einem der Uranschlammteiche. In der Hand hält er eine der vielen Gummischuhsohlen, die hier abgeladen wurden. Credits: Michael Billig

Als die Tschechische Republik noch Teil der früheren Tschechoslowakei war, wurde hier, am Rande des 300-Seelen-Dorfes Mydlovary, Uranerz für das sowjetische Atomprogramm aufbereitet. Über Jahrzehnte wurden Millionen Tonnen Gestein aus Uranminen herangekarrt. 

Archivanfragen von CORRECTIV.Europe bei den zuständigen Bergbauämtern haben außerdem ergeben: In den 1980er Jahren wurde sogar aus Westdeutschland über den Eisernen Vorhang hinweg Uranerz zur Aufbereitung hierher geliefert – einige tausend Tonnen aus einer Mine im Schwarzwald und einem Erkundungsbergwerk in Oberfranken.

In Mydlovary wurde das Uran mit Hilfe von Laugen und Säuren aus dem Gestein gelöst. Zurück blieben geschätzte 36 Millionen Kubikmeter Uranschlämme und Abwässer, im Bergbaujargon “tailings” genannt. Damit flutete man alte Kohlegruben, manche bis zu 38 Meter tief. So entstand eine kontaminierte Teichlandschaft, die sich über eine Fläche von 285 Hektar erstreckt. Das sind ungefähr 400 Fußballfelder.

  

Eine Landschaft in grau und schwarz: Mit gebrauchten Reifen, Aschen aus Verbrennungsanlagen und Schlacken aus Stahlwerken werden die Uranschlammteiche abgedeckt. So soll eine weitere Kontamination der umliegenden Äcker und Dörfer verhindert werden. Credits: Michael Billig
Eine Landschaft in grau und schwarz: Mit gebrauchten Reifen, Aschen aus Verbrennungsanlagen und Schlacken aus Stahlwerken werden die Uranschlammteiche abgedeckt. So soll eine weitere Kontamination der umliegenden Äcker und Dörfer verhindert werden. Credits: Michael Billig

Wie aufwändig, langwierig und teuer die Sanierung solcher Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft ist, weiß man auch in Sachsen und Thüringen. Seit der Wende kümmert sich dort die bundeseigene Wismut GmbH um das strahlende Erbe der DDR. Die Uranschlammbecken in Ostdeutschland werden nach Angaben der Wismut mit Abraum aus dem früheren Uranbergbau und Abrissmaterialien ehemaliger Betriebsgebäude abgedeckt. Die Verwendung von “nicht bergbaulichen Rückständen” wie etwa Altreifen sei “rechtlich nicht gestattet”. Das Mammutprojekt Wismut-Sanierung wird voraussichtlich noch bis 2050 andauern und bis dahin schätzungsweise insgesamt rund neun Milliarden Euro Steuergeld kosten. Allein die Sanierung der Schlammteichbecken wird laut Wismut 1,2 Milliarden Euro kosten.

In Mydlovary hingegen entschied man sich für eine andere Methode – zu einem Preis von geschätzt 130 Millionen Euro, so der tschechische Staatsbetrieb Diamo. Er wurde beauftragt, den Uranmüll der Atomindustrie abzudecken – mit anderem Müll. Aus Sicht von Diamo ist das zulässig, weil der Müll auf diese Weise “verwertet” und nicht “entsorgt” werde. Insgesamt wurden die Uranschlammteiche von Mydlovary laut Diamo bislang mit rund 13 Millionen Tonnen Abfall verfüllt. Ein wohl beträchtlicher Teil dieser Abfälle stammt aus dem Ausland. Gummimüll aus Italien wird dort ebenso versenkt wie schwermetallbelastete Stahlwerks-Schlacke aus Österreich. Wie viel von all dem Müll aus Deutschland kam, kann die Betreiberfirma nicht sagen.

 

Eine wilde Mischung gummihaltiger Abfälle, darunter Reifen, Dichtungen, Schläuche und andere Autoteile. Credits: Michael Billig
Eine wilde Mischung gummihaltiger Abfälle, darunter Reifen, Dichtungen, Schläuche und andere Autoteile. Credits: Michael Billig

Die Abfallbranche hat die strahlende Altlast in ein Geschäftsmodell verwandelt. In Mydlovary wird zu Dumpingpreisen entsorgt, was in Deutschland sehr teuer ist. Ein Beispiel: Eine Werkstatt will alte Reifen loswerden. Sie gibt die Reifen an ein Entsorgungsunternehmen, das dafür bis zu 300 Euro pro Tonne kassiert. Um die Reifen legal in Deutschland verwerten zu können, muss wiederum der Entsorger zahlen. Selbst das Verbrennen von Reifen, etwa im Hochofen eines Zementwerks, kostet den Entsorger rund hundert Euro pro Tonne. In Mydlovary hingegen werde man Reifen zu einem Bruchteil dessen los, so erzählen es uns verschiedene Akteure aus der Abfallbranche. Das steigert die Gewinnmargen. Einer von ihnen sagt: „Da haben sich manche eine goldene Nase verdient.“

 

Die Idylle trügt: Mydlovary und andere Dörfer waren über Jahrzehnte der Strahlung aus der nahegelegenen Uranerzaufbereitungsanlage ausgesetzt. Um diese Kontamination einzudämmen, werden die Uranschlammteiche mit Millionen Tonnen Müll abgedeckt. Credits: Michael Billig
Die Idylle trügt: Mydlovary und andere Dörfer waren über Jahrzehnte der Strahlung aus der nahegelegenen Uranerzaufbereitungsanlage ausgesetzt. Um diese Kontamination einzudämmen, werden die Uranschlammteiche mit Millionen Tonnen Müll abgedeckt. Credits: Michael Billig
Wenn die LKW den Abfall abgeladen haben, rollen Radlader heran. An vielen Stellen schieben sie, wie hier im Hintergrund zu erkennen, eine graue Schicht aus Aschen über die Abfälle, um die Müllmassen zu verdichten und die damit abgedeckten Uranschlämme zu binden. Credits: Marius Münstermann
Wenn die LKW den Abfall abgeladen haben, rollen Radlader heran. An vielen Stellen schieben sie, wie hier im Hintergrund zu erkennen, eine graue Schicht aus Aschen über die Abfälle, um die Müllmassen zu verdichten und die damit abgedeckten Uranschlämme zu binden. Credits: Marius Münstermann

“Und das gilt offiziell als Sanierung”, sagt Jaroslav Švehla kopfschüttelnd mit Blick auf die Müllmassen. Wenn Švehla das Wort “Sanierung” benutzt, zeichnet er mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. “Niemand weiß genau, was hier alles entsorgt wurde”, sagt er. Nach unten hin habe man die Tailings nie abgedichtet, allein der lehmige Boden trennt die Schlammteiche vom Grundwasser. Švehla fürchtet, dass der Cocktail aus giftigem Müll und Uranrückständen in die Trinkwasserbrunnen der Bevölkerung sickern wird. Er sagt: “Das ist eine tickende Zeitbombe.”

Die tschechische Umweltschutzorganisation Arnika kritisierte bereits 2004, dass für die Sanierung der Uranschlammteiche auch Aschen aus Verbrennungsanlagen verwendet werden. Diese Aschen seien hochgiftig, unter anderem enthielten sie große Mengen an Dioxinen. Der damalige Bürgermeister von Mydlovary betonte: “Die Anwohner haben Angst vor einer weiteren Belastung der Umwelt. Wir sind bereits von genügend Giftstoffen umgeben.“ Und Greenpeace Tschechien stellte fest: “Die Betreiber von tschechischen Uranabfalldeponien versuchen oft, sich zusätzliche Einnahmen zu sichern, indem sie weitere gefährliche Abfälle importieren und dort abladen.”

 

“Völlig ungeeignet”

 

Die Altlast in Tschechien beschäftigte sogar das deutsche Umweltbundesamt (UBA). Grund war eine Schätzung, wonach jedes Jahr rund 100.000 Tonnen Gipskartonplatten von Baustellen und Gebäudeabrissen aus Deutschland in Mydlovary entsorgt wurden. Der saugfähige Gips sollte die Uranschlämme binden. Das UBA kam in einer Studie von 2017 jedoch zu dem Ergebnis, Gips sei für die Stabilisierung der Uranschlämme “physikalisch-technisch völlig ungeeignet”. Er sei sogar eine Gefahr für die Gesundheit: Wenn Gips mit anderen Stoffen vermischt wird, kann Schwefelwasserstoff entstehen – ein Gas, so warnte das UBA, das “in geringen Konzentrationen zu Geruchsbeeinträchtigungen führt, in hohen Konzentrationen allerdings tödlich ist.” Tatsächlich beschwerte sich die Bevölkerung in Mydlovary und anderen umliegenden Dörfern vor einigen Jahren wiederholt über einen Gestank wie von faulen Eiern, der von den Schlammteichen in ihre Häuser zog.

Auf Anfrage von CORRECTIV.Europe bestätigt der Staatsbetrieb Diamo Probleme durch den Einsatz von Gips, man verzichte inzwischen darauf. Gerne hätten wir uns von Diamo selbst die Sanierungsarbeiten zeigen lassen. Ein Interview oder eine Betriebsbesichtigung lehnte die Pressestelle jedoch ab. 



Tartanreste, augenscheinlich von alten Sportplätzen, dahinter noch mehr Reifen und andere Gummiabfälle. Credits: Marius Münstermann
Tartanreste, augenscheinlich von alten Sportplätzen, dahinter noch mehr Reifen und andere Gummiabfälle. Credits: Marius Münstermann
Grüner Punkt in einem Meer aus Grau und Schwarz: Augenscheinlich wurden vereinzelt auch Reste von alten Kunstrasenplätzen in Mydlovary entsorgt. Credits: Marius Münstermann
Grüner Punkt in einem Meer aus Grau und Schwarz: Augenscheinlich wurden vereinzelt auch Reste von alten Kunstrasenplätzen in Mydlovary entsorgt. Credits: Marius Münstermann

Bei unserer Recherche in den Müllbergen von Mydlovary haben wir neben unzähligen alten Reifen auch Schläuche und weitere Autoteile gefunden, außerdem zu dicken Klumpen geschmolzenes Gummi, in einigen Ecken auch Tartan-Bruchstücke wie von Sportplätzen und Reste von Kunstrasen. 

Liegt in Mydlovary Müll, der über die Frachtenbörse gehandelt wurde? 

Unter den Speditionen, deren Transportausschreibungen wir einsehen konnten, ist mindestens eine Firma, die sich auf das Recycling von Kunstrasen und Tartan spezialisiert hat. Diese Firma war am Rückbau des Kunstrasens beteiligt, der im vergangenen Jahr zur Fußball-Europameisterschaft auf der Berliner Fanmeile ausgelegt worden war. Auf Nachfrage bestätigt die Firma Transporte nach Mydlovary. Teile des Kunstrasens aus Berlin seien aber “definitiv” nicht darunter gewesen.

Bei den Transporten, die auf der Frachtenbörse ausgeschrieben werden, dürfte es sich nur um die Spitze des Müllbergs handeln: Eine einzige Entsorgungsfirma aus Sachsen-Anhalt hat allein im Jahr 2022 rund 5.600 Tonnen Gummiabfall nach Tschechien exportiert, wie die zuständige Landesbehörde auf Anfrage angibt. Abnehmer war eine tschechische Firma, die im Auftrag von Diamo auch die Teiche in Mydlovary verfüllt. Häufig wissen deutsche Umweltkontrolleure jedoch nicht einmal, wie viel exportiert wird. Das UBA erklärt auf Nachfrage: “Gipskartonplatten aus dem Gebäudeabbruch und Altreifen unterliegen nicht der besonderen abfallrechtlichen Überwachung. Somit liegen zur grenzüberschreitenden Verbringung auch keine Mengenangaben vor.“

 

Mutmaßlich ein Stück von einem Skier, "hergestellt in der DDR".
Absurder Fund: Mutmaßlich ein Stück von einem Skier, "hergestellt in der DDR". Credits: Marius Münstermann

Zumindest einige Firmen haben inzwischen Skrupel, ihren Müll dorthin zu liefern: So hat der Reifen-Konzern Continental nach eigenen Angaben seinen Geschäftspartnern diesen Entsorgungsweg seit 2020 “ausdrücklich” untersagt. Man bewerte das Sanierungsprojekt in Mydlovary als “deponieähnliche Verfüllung”. Deswegen will der Konzern nicht, dass seine Abfälle dort landen. Continental habe den “Anspruch, die Abfallhierarchie des deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetzes konsequent umzusetzen – mit klarer Priorität für Vermeidung, Wiederverwendung und hochwertige Verwertung vor Beseitigung”, so ein Sprecher des Konzerns auf Anfrage von CORRECTIV.Europe. Der Weg nach Tschechien entspreche nicht diesen Anforderungen. 

Zwar finden wir in den Müllbergen von Mydlovary Abfälle mit dem Aufdruck des Reifenherstellers, außerdem ein Produktblatt von Matador, einer Marke von Continental. Doch als Hersteller habe man “keine direkte Kontrolle über die Entsorgungswege von Altreifen oder anderen Materialien, die über externe Werkstätten, Reifenhändler oder Sammelsysteme in Umlauf gebracht werden”, erklärt der Sprecher des Unternehmens. Continental nähme “solche Hinweise sehr ernst”, der Konzern habe eine interne Prüfung eingeleitet.

 

Ob es sich bei diesem Abfall um Produktionsausschuss aus einem Werk von Continental handelt, konnte der Konzern nicht klären, so ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von CORRECTIV.Europe: "Das Label-Fragment mit dem Continental-Schriftzug könnte Teil einer Verpackung oder eines technischen Etiketts gewesen sein – hier ist nicht erkennbar, wo genau es ursprünglich angebracht war." Credits: Marius Münstermann
Ob es sich bei diesem Abfall um Produktionsausschuss aus einem Werk von Continental handelt, konnte der Konzern nicht klären, so ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von CORRECTIV.Europe: "Das Label-Fragment mit dem Continental-Schriftzug könnte Teil einer Verpackung oder eines technischen Etiketts gewesen sein – hier ist nicht erkennbar, wo genau es ursprünglich angebracht war." Credits: Marius Münstermann
Continental gibt an, der Konzern habe seine Abnehmer seit 2020 angewiesen, keine seiner Produktionsabfälle in Mydlovary entsorgen zu lassen. Was allerdings nach ihrem Lebensende mit den Produkten des Reifenherstellers passiert, kann der Konzern nach eigener Auskunft nicht nachverfolgen. So ist etwa der Reifen der Continental-Marke Matador, der mit diesem Etikett ausgeliefert wurde, offenbar in Mydlovary entsorgt worden. Credit: Marius Münstermann
Continental gibt an, der Konzern habe seine Abnehmer seit 2020 angewiesen, keine seiner Produktionsabfälle in Mydlovary entsorgen zu lassen. Was allerdings nach ihrem Lebensende mit den Produkten des Reifenherstellers passiert, kann der Konzern nach eigener Auskunft nicht nachverfolgen. So ist etwa der Reifen der Continental-Marke Matador, der mit diesem Etikett ausgeliefert wurde, offenbar in Mydlovary entsorgt worden. Credit: Marius Münstermann

Sogar eine deutsche Behörde teilt die Einschätzung von Continental: Das bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) hat die Entsorgung von Altreifen in Mydlovary “als Beseitigung eingestuft”, also Deponierung, die letzte Stufe der Abfallhierarchie und damit nach deutschem Recht illegal. Doch offenbar kann das LfU nichts dagegen ausrichten. Zuständig sind jedenfalls andere. In Bayern etwa die Regierungsbezirke, in Tschechien unter anderem das Umweltministerium und die nationale Umweltbehörde. Sie alle lassen die Exporteure gewähren. 

So rollen auch im September 2025 wieder Abfalltransporte aus Deutschland Richtung Mydlovary, um alte Reifen und andere Gummiabfälle in den Uranschlammteichen zu versenken. Noch. Im kommenden Jahr nämlich soll auch der letzte Uranschlammteich in Mydlovary verfüllt worden sein. Nach über zwanzig Jahren und Millionen Tonnen Müll wird bald im wortwörtlichen Sinne Gras über diese fast vergessene Altlast der Atomindustrie wachsen. Über das, was der Wissenschaftler Švehla eine tickende Zeitbombe nennt. Die Müllmassen, die bislang in Mydlovary entsorgt wurden, werden wohl weiterhin anfallen. Die Müllschieber aus Deutschland werden sich dann das nächste Loch suchen müssen.
 

Tyres, shoe soles and other rubber waste floating amongst dead trees on the shore of the last remaining uranium sludge ponds. Credits: Michael Billig
Reifen, Schuhsohlen und andere Gummiabfälle schwimmen auf einem der letzten Uranschlammbecken in Mydlovary. Credits: Michael Billig

Credits

Text und Recherche: Marius Münstermann, Michael Billig
Mitarbeit: Zuzana Vlasatá
Redaktion: Frida Thurm, Justus von Daniels
Faktencheck: Lilith Grull
Fotos: Michael Billig, Marius Münstermann
Video: Michael Billig
Datenvisualisierung: Luc Martinon
Kommunikation: Katharina Roche

Die Recherche wurde von JournalismFund Europe gefördert.
A description of the photo