TTIP: EU-Chefverhandler fordert stärkere Rolle der Parlamente
Der Chefverhandler der Europäischen Kommission, Ignacio Bercero, hat gefordert, die nationalen Parlamente in die TTIP-Expertenräte einzubinden. „Künftig wollen wir mit den USA gemeinsam Gesetze vorschlagen, um unterschiedliche Standards zu vermeiden. Dabei sollten aber die Parlamente involviert werden“, sagte er in einem Gespräch mit dem Recherchezentrum CORRECT!V. Die Rolle dieser Expertengremien ist eines der strittigsten Themen bei TTIP. Sie sollen Vorschriften harmonisieren, etwa um gemeinsame Industriestandards auszuarbeiten.
Kritiker befürchten, dass diese Expertenräte die Demokratie schwächen könnten, weil Unternehmen leichter Zugriff auf die Planung von Gesetzen hätten. „Wenn Gesetzesinitiativen weit weg von den Parlamenten in Expertengremien beraten werden, nützt das vor allem den Konzernen“, sagte die US-Verbraucherschützerin Melinda St.Louis gegenüber CORRECTIV. „Handelsabkommen sind dazu da, Zölle abzuschaffen. In diese Verträge gehört aber nicht, wie demokratische Entscheidungsstrukturen aussehen sollen.“
Weiter drängte der EU-Chefverhandler darauf, dass die USA den EU-Staaten die Textentwürfe über das Handelsabkommen TTIP übermitteln. „Wenn wir das bis Ende des Jahres nicht schaffen, bekommen wir ein Problem“, sagte Ignacio Bercero am Donnerstag gegenüber CORRECTIV.
Am Freitag endete die 11. Verhandlungsrunde über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA in Miami. Über 120 Verhandler hatten sich dort getroffen, um über den weitreichenden Abbau von Handelshemmnissen zu beraten. Schwerpunkte in den fünf Verhandlungstagen waren der vollständige Abbau von Zöllen und der Zugang zum jeweils anderen Dienstleistungsmarkt. Darunter fallen Banken und Airlines, aber auch die Versorgung der Bürger mit Strom und Wasser, also die kommunale Daseinsvorge. Strittig ist, wie weitgehend Privatunternehmen hier Zugang bekommen sollen.
Beide Seiten hätten intensiv am Thema Dienstleistungen gearbeitet, sagte Bercero. Dazu werde es bald einen ersten gemeinsamen Textentwurf geben. Die Verhandler wollen möglichst viele Beschränkungen für Dienstleister aufheben. Über die Regulierung von Banken werde aber separat verhandelt, da sich beide Seiten noch nicht einig seien, ob der Finanzsektor vom Abkommen umfasst werden soll. In Deutschland befürchten einige Kommunen, dass sie in Zukunft nicht mehr selbst bestimmen können, was als öffentliche Aufgabe gelten kann. Sowohl die EU-Kommissarin Cecilia Malmström als auch die USA versichern bisher, dass es keine Einschränkung der kommunalen Daseinsvorsorge geben werde.
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Abbau von Zöllen. Beide Seiten haben jeweils ein Angebot vorgelegt, bei dem 97 Prozent aller Zölle fallen sollen. Die EU erhofft sich zudem, dass die USA mehr Zugeständnisse bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen machen. In den USA müssen öffentliche Aufträge vorrangig an US-Firmen vergeben werden. Es habe dazu Gespräche gegeben, sagten die beiden Chefverhandler auf einer Pressekonferenz am Freitag. Detaililerte Verhandlungen dazu soll es aber erst im Februar geben,
Die Chefverhandler der EU und der USA äußerten die Hoffnung, bis Ende 2016 einen fertigen Vertragsentwurf vorzulegen. „Wir wollen bis Anfang nächsten Jahres in fast allen Bereichen einen ersten Textentwurf haben, um den Vertrag möglichst noch in der Amtszeit von US-Präsident Obama zu beschließen“, sagte Bercero.
Die EU-Regierungen können die Textentwürfe allerdings nur sehr eingeschränkt in den US-Botschaften lesen. In Miami forderte EU-Vertreter Bercero mehr Einsatz der Amerikaner: „Die US-Seite sollte einen vernünftigen Zugang ermöglichen“, sagte er. Bis Ende des Jahres müsse hier eine Lösung mit der US-Regierung gefunden werden.
Gefragt nach dem VW-Skandal, antworteten beide Verhandler, dass die Vorwürfe gegen VW die Gespräche über die Anerkennung von Standards bei Autos in keiner Weise berührt hätten. Im Bereich Emissionen gebe keine Verhandlung über eine gegenseitige Anerkennung, sagte Bercero.
Amerikanische Verbraucherverbände hielten mehrere Protestveranstaltungen ab. Sie forderten die US-Regierung auf, die amerikanischen Verhandlungspositionen zu veröffentlichen. Im Gegensatz zur EU-Kommission bleiben die Verhandlungsangebote der Amerikaner geheim.
Über die umstrittenen Investitonsgerichte wurde in dieser Woche nicht verhandelt — also die Frage,wer künftig Handelsstreitigkeiten schlichten soll. Die EU-Regierungen erörtern derzeit einen überarbeiteten Vorschlag, der die Einrichtung eines Investitionsgerichts vorsieht. Verhandlungen dort wären öffentlich und könnten, wie bei normalen Gerichten, in zweiter Instanz angefochten werden. Bislang sah TTIP vor, dass nicht-öffentliche Schiedsgerichte Handelsstreitigkeiten schlichten sollen.
Die nächste Verhandlungsrunde wird nach Angaben aus Verhandlungskreisen im Januar nächsten Jahres stattfinden.