CORRECTIV.Ruhr

Die schwarze Flotte – eine Recherche wird Bühnenstück

Mit dem Stück „Die schwarze Flotte“ erfindet Intendant Kay Voges das politische Theater am Schauspielhaus Dortmund neu: Eine journalistische Recherche wird Bühnenstück, der Schauspieler zum Reporter – mehr noch: zum Detektiv, dem das Publikum auf seiner Suche nach der Wahrheit durch den Abend und dabei um den halben Globus folgt. Ein Experiment, das Dank des Schauspiel-Titanen Andreas Beck gelingt.

von Bastian Schlange

Schauspieler Andreas Beck während der Aufführung "Die schwarze Flotte"© Theater Dortmund/Birgit Hupfeld

Ehrlich gesagt: Ich hatte erwartet, mich am Premierenabend zu langweilen. Die Grundlage für „Die schwarze Flotte“ ist eine Recherche aus unserem Haus. Über ein halbes Jahr hatte ein Reporter-Team von CORRECTIV den geheimen Routen und Netzwerken der Menschenschmuggler im Mittelmeer nachgespürt. Ich kannte die Texte, die Recherche, die Protagonisten – was sollte mich noch überraschen?

„Die schwarze Flotte“ allerdings ist etwas Neues geworden: „In der digitalen Moderne gehen dem Theater die narrativen Erzählformen verloren. Journalisten haben ein ganz ähnliches Problem“, sagt Kay Voges, Intendant des Schauspielhauses Dortmund und verantwortlich für Regie und Bühnenbild der Inszenierung. Ein Zusammenspiel beider lag also nahe. Neue Erzählformen – ob Comic, Bookzine oder Podcast – CORRECTIV versucht genau das: Den Journalismus aus seinen festgestanzten Bahnen zu befreien, um aufrecht in die Zukunft zu gehen. Im Endeffekt die Metapher des Abends. Aber der Reihe nach.

Zum Plot: Ein zerknitterter Journalist Marke Michael Moore, eine Mischung aus den adaptierten Bühnen-Egos der Correctiv-Reporter, in seinem Büro: Bücher, Schultafeln, Videoleinwände, Satellitenbilder, Matrix-mäßige Datensätze – Informationsflut aus aller Welt. Die Nachricht: Zwischen 2014 und 2015 tauchen immer mehr abgewrackte Schrottfrachter auf, die in ihren Laderäumen Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa bringen. Die Frage: Wer steckt dahinter? Schließlich sind 70 Meterlange Stahlkolosse keine Schlauchboote. Sie gehören Reederern, haben Handelsrouten, Netzwerke. Wenn Geld fließt, gibt es immer ein System. So die Ausgangssituation. Ein Verdacht, eine Wand. Jetzt gilt es den Riss in der Mauer zu finden und auf die andere Seite zur Wahrheit zu stoßen.

Die Recherche, die bis zum syrischen Diktator Assad führte, dauerte über ein halbes Jahr. Auf der Bühne sind es knapp zwei Stunden, 110 Minuten, ein Mann, ein Monolog, ein Bühnenbild. Und es funktioniert. Sogar mehr als das, das Stück hat mich mitgerissen. Und das obwohl ich bereits jede einzelne Station der Recherche kannte. Was wiederum mit dem Team des Dortmunder Theaters zusammen hängt: Allen voran Kay Voges, Visionär. Anne-Kathrin Schulz, die als Autorin dem Stoff zusätzliche Stränge, Dramaturgie, Witz einwebte. Die Analogie zu Lucy, dem ersten Menschenaffen, der sich aufrichtete, um in ein neues Zeitalter zu schreiten.

Und natürlich mit Andreas Beck – ein Schauspiel-Titan, der sich wie einer der stählernen Frachter durch den Abend pflügt und dabei eine beeindruckende Leichtigkeit beweist, die Zeit und Raum vergessen lässt. Der WDR lobt Beck: Seine Leistung sei nicht einfach nur „großartig“. Es gehe mehr zu „Preiset seinen Namen“. 

„Ein großer Vorteil von Theater ist das kollektive Erleben eines Textes“, sagt Beck. „Und dass man sich diesem Narrativ nicht so schnell entziehen kann.“ Das ist Journalismus auf einer anderen Ebene des Erlebens – intensiver, bewegender. Eins plus Eins wird hier mehr, mehr als Journalismus, mehr als Theater. „Der Inhalt wird dadurch transportiert, dass hier ein Mensch versucht, diesem Inhalt Herr zu werden. Ich als Zuschauer vereine mich mit ihm, weil ich auch diesem Inhalt folgen können möchte“, sagt Voges. „Diese Zurückführung auf den Menschen – in diesem Fall auf den Journalisten – schafft einen neuen Blick auf die Welt. Das ist die Kraft des Theaters.“

Am Ende steht der aufrechte Gang: Lucys Skelett wurde Pinselstrich um Pinselstrich freigelegt und so die Evolution bewiesen. Beck trägt auf der Bühne in einem erlebten Recherche-Krimi Stück für Stück die Wahrheit in unserer komplexen, komplizierten, globalisierten Welt zusammen, um zu zeigen, dass man aufstehen muss statt einzuknicken in der Informationsflut der Moderne. Und der Journalismus hat den Schritt auf die Bühne geschafft. Einen Schritt in die Zukunft – vielleicht nicht die Lösung für die Journalismus-Krise aber ein Beweis für seine Freiheit.

Und darum geht es am Ende immer.


Die nächsten Veranstaltungen: 29.10., 10.11., 17.11. jeweils um 19:30 Uhr, 4.12. um 18 Uhr, sowie am 13.12. als Gastspiel in Friedrichshafen. Zu den Tickets.

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Theater Dortmund/Birgit Hupfeld


Pressestimmen:

„Was Andreas Beck in diesen zwei Stunden dort abfackelt, das ist mit dem Begriff großartig unzureichend beschrieben. Das geht schon ein bisschen in die Richtung: Preiset seinen Namen!“

Stefan Keim, WDR 3-Theaterrezension

„Fast spielerisch wirkt dieser Schauspieler selbst dann, wenn es um komplizierte Zusammenhänge geht. Und wie er da das Textkonvolut im Griff hat, lässt er an entscheidenden Stellen auch den Humor nicht zu kurz kommen. Das „großartig“ zu nennen, wäre noch stark untertrieben.“

Arnold Hohmann, Der Westen

„Schauspielchef Kay Voges erfindet mal wieder ein neues Format, das Dokumentarspiel.“

„Vor allem aber lebt dieser Abend vom grandiosen Protagonisten Beck, der diese gewaltige Textmenge spricht, mit einer Selbstverständlichkeit, als plaudere er gerade nur so daher.“

Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger

„Die Schwarze Flotte“ ist sowohl ein innovatives Journalismus-Format als auch ein spannendes Theaterexperiment. Treffen Presse auf Bühne zusammen, kann daraus etwas Neues, Interessantes entstehen.

Ulrike Märkel, Ruhrbarone


Im Namen von CORRECTIV möchte ich dem Schauspielhaus Dortmund für diese großartige Leistung danken: dem Ensemble – besonders Andreas Beck, Anne-Kathrin Schulz, Kay Voges, Tommy Finke für die Musik, Michael Eickhoff – Dramaturgie, Mona Ulrich – Kostüme, Julia Gründer, Tobias Höft und Mario Simon – Video Art.