CORRECTIV.Ruhr

Chaostage bei der AfD

Beim Wahlparteitag der NRW-AfD an diesem Sonntag in Rheda-Wiedenbrück geht der Machtkampf innerhalb der Partei munter weiter. Trotz heftiger Manipulationsvorwürfe will die AfD ihre Kandidatenliste weiter aufstellen. Doch der Chef der AfD in NRW, Marcus Pretzell, hat keine Mehrheit mehr. Damit schwindet auch der Einfluss von Pretzells Lebensgefährtin Frauke Petry in der Bundespartei. Sie bekennt sich: Die AfD muss entscheiden, wem sie folgen will.

von Marcus Bensmann

© Marcus Pretzell auf dem AfD-Listenparteitag / Foto: Marcus Bensmann

Schlechte Nachrichten für die AfD in NRW: Die Mehrheit der AfD-Delegierten misstraut der Landesliste für den kommenden Landtagswahlkampf. Der Verband ist tief gespalten und der AfD-Spitzenkandidat Marcus Pretzell hat keine Mehrheit mehr. Allein die Geschäftsordnung für die Wahlversammlung der AfD in Rheda-Wiedenbrück rettete Marcus Pretzell, den Chef der AfD-NRW, bisher vor dem eigenen Untergang.

Die private Verbindung zwischen der AfD-Bundeschefin Frauke Petry und ihrem Lebensgefährten Pretzell bekommt nach den im „Stern“ diese Woche veröffentlichten Protokollen einer WhatsApp-Gruppe auch politische Brisanz. Aus den Papieren geht hervor, wie Strippenzieher aus dem Pretzell-Lager mit rüden Methoden die bisherigen Wahlgänge zur Landesliste gesteuert hatten. Mikrofone wurden besetzt, Fragerunden manipuliert und Kandidaten unter Druck gesetzt. Zudem wurde bekannt, dass eine Wahlhelferin Stimmzettel vernichtet hatte. Pretzell selbst sprach von „Wahlfälschung“ und drohte mit dem „Staatsanwalt“.

Ein Angriff auf Petry

Die innerparteilichen Gegner von Frauke Petry nutzen die Affäre nun für einen offenen Angriff auf den AfD-Landesverband in NRW und damit auf die Machtbasis der Parteisprecherin. Die Anführer des völkischen Flügels in der AfD, Alexander Gauland aus Brandenburg und Björn Höcke aus Thüringen, beklagen in einer offiziellen Stellungnahme die Zerrissenheit der Partei in Nordrhein-Westfalen. Die Machtkämpfe würden mit „unlauteren Mitteln“ ausgetragen, die Methoden widersprächen dem Geist der AfD. Gauland und Höcke forderten die Schiedskommission der Partei auf, die Vorwürfe zu überprüfen.

Das Duo Petry und Pretzell ist seither in der Defensive. Ihr Schicksal hängt an der Wahlversammlung in Rheda-Wiedenbrück. Petry eilte am Samstagabend in die westfälische Kleinstadt. Im Gespräch mit CORRECTIV.Ruhr warf sie Höcke und Gauland vor, mit ihren Angriffen direkt auf sie zu zielen. Petry distanzierte sich von der Rhetorik des völkischen Politikers Höcke. Im September hatte Petry noch behauptet, es gebe keine „inhaltlichen Unterschiede“. Auf die Frage, wie der Machtkampf ausgehen werde, antwortete Petry nun, diese Frage müsse von den Mitglieder entschieden werden. Nur diese könnten festlegen, in welche Richtung sich die Partei bewege. Petry bezog sich in der Halle von Rheda-Wiedenbrück erneut auf Höckes Ausführungen zum „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ im Winter 2015. Höcke hatte diese Theorie während eines Vortrages in einem rechtsvölkischen Institut entwickelt. Petry sagte nun, der von Höcke gewählte Begriff sei „völliger Unsinn“. Bereits damals hatte die AfD-Chefin Höcke für die „Ausbreitungstyp“-Aussagen scharf kritisiert. Höcke scheint die Kritik nicht zu beeindrucken. Erst vor wenigen Wochen bestand er in einem Facebook-Post erneut darauf, dass er mit dem Bergiff „des lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyps“ Recht gehabt hätte.

Partei außer Kontrolle

In Rheda-Wiedenbrück geriet die AfD in NRW außer Kontrolle. Eine Mehrheit der knapp 400 Delegierten der Landeswahlversammlung wollten am Samstag einen Kurswechsel. Sie lehnten in einer offenen Abstimmung die Absprachen ihres Landesvorsitzenden und Spitzendanditen Marcus Pretzell ab. Die bisherige Landesliste sollte wegen der im „Stern“ veröffentlichten Manipulationsvorwürfe für ungültig erklärt werden. Eine neue Liste sollte gewählt werden.

Nur mit Glück konnte sich Pretzell durchsetzen. Die Geschäftsordnung schreibt vor, dass die Delegierten die Tagesordnung hätten ändern müssen, um über die Ungültigkeit der bisher gewählten Listenplatze abzustimmen zu können. Für diese Änderung hätten Zweidrittel der Delegierten stimmen müssen. Es war aber nur eine einfache Mehrheit gegen die Liste. Somit konnte Pretzell weiter die Kandidatenlisten wählen lassen, ohne die bisherige Liste ändern zu müssen.

Jeder Kandidat, der über die Liste in den Landtag einzieht, kann mit Bruttoeinkünften von insgesamt rund 500.000 Euro rechnen, sollte die AfD bei den Wahlen im kommenden Mai über fünf Prozent kommen. 

Doch trotz dieses knappen Sieges offenbarte die Abstimmung über die Tagesordnung eine neue Realität in der AfD. Der im September im Streit um die Spitzenkandidatur knapp gegen Pretzell unterlegende Thomas Röckemann brachte den Antrag auf Änderung der Tagungsordnung ein. Er bekam nun die Mehrheit der Stimmen. Pretzell, der gegen die Änderung der Tagesordnung sprach, hatte keine Mehrheit mehr.

Pretzell sagte, die in den WhatsApp-Gruppen verabredeten Mauscheleien seien nicht schön, aber doch der Beweis, dass in der AfD anders als in den Altparteien noch um Mehrheiten gerungen würde. Für diese Bemerkung erntete der AfD-NRW-Chef höhnisches Lachen im Saal.

Ein Pyrrhussieg

Pretzell sagte, er habe von diesen WhatsApp-Gruppen nichts gewusst. Sie würden die Legitimität der bisherigen Wahlen auch nicht in Frage stellen. Und auch die vernichteten Wahlzettel bei einem Wahlgang hätten keinerlei Auswirkung auf das Ergebnis und damit der Gültigkeit der bisherigen Wahlen gehabt.

Die Argumente verfingen allerdings nicht. Die Mehrheit der Delegierten wollte die Neuwahl. Das Vorstandsmitglied David Eckert trat daraufhin in einer emotionalen Rede aus dem Landesvorstand der AfD-NRW zurück. Anders als Pretzell befürwortet Co-Sprecher Martin Renner die Rücknahme der Liste. Damit wurde der tiefe Riss im Vorstand des Landesverbandes offensichtlich.

Nachdem kurze Zeit später die Abstimmung zwar eine einfache Mehrheit ergeben hatte, eine Zwei-Drittel-Mehrheit aber verfehlt wurde, waren viele Delegierte sauer. Mehrere Dutzend von ihnen verließen die Versammlung.

Das sei ein Pyrrhussieg für Pretzell, sagt ein Vorstandsmitglied der AfD-NRW zu CORRECTIV.Ruhr. Die Partei gehe nun mit einer Landesliste in den Wahlkampf, die von einer Mehrheit der eigenen Delegierten abgelehnt werde, sagte das AfD-Mann. Das sei ein Geschenk für den politischen Gegner. Auch befürchtet der AfD-Funktionär rechtliche Konsequenzen. Es sei schon bedenklich, dass eine Zweidrittel-Hürde eine Diskussion über eine politische Entscheidung verhindere, die mit einfacher Mehrheit beschlossen werden könne. Das AfD-Vorstandsmitglied kritisierte, dass eine Formalie die politische Willensbildung in der AfD behinderte.

Die Bundessprecherin Petry lässt diesen Einwand gegenüber CORRECTIV.Ruhr nicht gelten. Es gebe gute Gründe dafür, dass eine Änderungen der Tagungsordnung nur mit einer Zweidrittel Mehrheit möglich sei. Ansonsten könnten zuvor gemachte demokratische Beschlüsse überfallartig ins Gegenteil verwandelt werden. Die bisherigen Ergebnisse für die Liste seien der Erfolg eines „demokratischen Prozessen“, sagt Petry. Diese könne man nicht einfach so kippen.

Pretzell ohne Mehrheit

Nach der Debatte um die Tagungsordnung wurde weiter gewählt. Und wieder offenbarte sich die Machtlosigkeit des AfD-NRW-Chefs Marcus Pretzell. Die Parteigranden hatten sich am Abend zuvor bei einer kurzfristig einberufenen Krisensitzung in Essen auf Wunsch von Pretzell auf eine gemeinsame Vorschlagsliste geeinigt, die in Rheda-Wiedenbrück durchgesetzt werden sollte. Aus dem Vorstand hieß es dazu, diese Liste sollte nach den Manipulationsvorwürfen rund um die WhatsApp-Gruppen und die verschwundenen Stimmen die Einheit des Verbandes sichern. Die Vereinbarung sah vor, dass jeder, der bisher einen aussichtsreichen Platz für die Landtagswahl ergattert hatte, diesen behalten dürfe. Die Listenplätze danach wurden für die Kandidaten von 23 bis 40 zwischen den Lagern abgesprochen.

CORRECTIV.Ruhr veröffentlichte die Liste vor Beginn der Wahlversammlung in  Rheda-Wiedenbrück. Damit war bekannt, wer Vorteile aus der Mauschelei ziehen sollte.

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Die gescheiterte Mauschelliste der AfD-NRW

Spannend waren an dieser Liste vor allem zwei Dinge:

  1. Auf der Liste steht kein Vertreter der Arbeitnehmer in der AfD und auch der Bergmann Guido Reil ist nicht vorgesehen, obwohl der Gewerkschafter Reil aus Essen erst vor kurzem aus der SPD zur AfD übergetreten war und für die Partei Stimmen besonders im Ruhrgebiet mobilisiert. In den Protokollen der WhatApp-Gruppe erscheint Reil wie ein nützlicher Stimmenfänger, der Wähler anlocken, aber dafür nicht belohnt werden soll.
  2. Weit oben auf der Liste steht der rechtsvölkische Michael Schild auf Platz 24. Er unterlag bei der ersten Wahlversammlung in Soest im September bei der Besetzung des dritten Listenplatz gegen das Vorstandsmitglied Frank Neppe. Und ausgerechnet bei einem der Wahlgänge für diesen Listenplatz wurden mehrere Wahlzettel in einer Urne vergessen und später von einer Wahlhelferin vernichtet. Eine Wahlhelferin hatte dies eingestanden. Pretzell selbst hatte dies als „Wahlfälschung“ bezeichnet und mit dem „Staatsanwalt“ gedroht. Schild hätte wegen dieses Vorganges gegen die ganze Liste klagen können.

Dazu hätte er Grund haben können. Wie die WhatsApp Protokolle zeigen, unternahm damals das Pretzell-Lager fast alles, um den Einzug des rechten AfD Politiker zu verhindern. Ein Beispiel:

„Am 07.09.16, 17:08:21: Gabriele Walger-Demolski: Think big Schild sollte unsere Konzentration gelten. Wenn wir hier versagen ist der Fraktionsfriede schon vor Antritt gefährdet.“

Die Pretzell-Truppe wollte auch verhindern, dass sich Schild einen abgeschlagenen Platz ergattert:

„07.09.16, 18:27:40: Jörg Schneider: Aber was machen wir konkret, wenn wir am So abend auf 35 den verdienten, etwas introvertierten  kreisschatzmeister von Porz-Süd aufstellen — und plötzlich Schild aus der Deckung kommt.“

(Die gesamten WhatsApp-Protokolle gibt es hier zum Download:


WhatsApp Protokolle AfD NRW (640,0 KB)

)

Nach den Manipulationsvorwürfen gegen das Pretzell-Lager war nun der Chef der AfD-NRW, Marcus Pretzell, bereit, genau diesen Michael Schild, der zuvor noch bekämpft wurde, auf einem sicheren Listenplatz zu hieven. Mit diesem Angebot sollte offenbar der Frieden erkauft werden, um die bisher erreichten Listenplätze für das Pretzell-Lager nicht zu gefährden.

Ein gescheiterter Plan

Doch der Versuch, damit den Landesverband zu befrieden, dürfte misslingen. Denn das völkische Lager kocht. Mit diesem Deal habe Schild die Seiten gewechselt, sagte Matzke von der patriotischen Plattform nun CORRECTIV.Ruhr. Schild sei „unten durch“.

Am Sonntag Morgen nun erklärte Michael Schild, nicht für den Platz 23 antreten zu wollen. Die Mauschelliste sei zu einer Mäkelliste geworden. Es sei zwar ein guter Versuch gewesen, den Landesverband zu befrieden, sagte Schild, aber er wolle lieber „im freien Gewässer“ auf einem anderen Platz um den Einzug in den Landtag NRW kämpfen. Er tritt schließlich für den 25. Listenplatz an. Ausgerechnet gegen den nationalen Sozialdemokraten Guido Reil. Schild sagte weiter, er wolle in jedem Fall nicht gegen die Aufstellung der Kandidatenliste klagen.

Ist Pretzells Liste also gescheitert?

Die von CORRECTIV veröffentlichte Liste wird unter den Delegierten heftig diskutiert. „Ich könnte kotzen“, ruft einer ins Mikrofon.  Ein anderer Delegierte beschwert sich, dass die Wahl diesmal mit geheimen Listen manipuliert werden solle.

Pretzell wehrt sich. Dies sei lediglich eine „Wunschliste“, jeder Delegierte könne frei abstimmen, sagt Pretzell, es sei der Versuch, den Verband zu befrieden. Dann platzt Pretzell der Kragen. Erst werde ihm vorgeworfen, die gegnerischen Lager auszugrenzen, und jetzt, diese einzubinden, das mache doch keinen Sinn. Und tatsächlich platzt die Liste schon beim erste Anlauf. Der auf Platz 23 gesetzte Wunschkandidat Bernd Rummler (97 Stimmen) verliert die Stichwahl gegen die Anwältin Verena Wester (204 Stimmen) haushoch.

Diese Entscheidung ist brisant. Denn Wester ist Tochter des Richters Michael Balke. Und ausgerechnet dieser Balke leitete im Frühjahr 2015 die von der damaligen AfD Spitze noch unter Bernd Lucke eingesetzte Untersuchungskommission zum seltsamen Finanzgebaren von Marcus Pretzell. Damals hatte das Finanzamt in NRW aufgrund von Pretzells Steuerschulden ein Parteikonto gepfändet. Balke diagnostizierte damals bei Pretzell „private chaotische Zustände“.

Vater Balke war nach Luckes Abwahl und Petrys Durchmarsch im vergangenen Jahr aus der AfD ausgetreten. Seine Tochter Verena bekannte sich in ihrer Vorstellungsrede nun deutlich zu ihrem Vater, der Pretzells Fehlverhanten offenbart hatte. Und wurde dafür mit einer großen Stimmmehrheit belohnt.

Der Abgang

AfD-NRW-Landeschef und Spitzenkandidat Pretzell steht im eigenen Landesverband ohne Mehrheit da. Seine Mauschelliste ist gescheitert. Wie sich die neuen Mehrheiten in der AfD-NRW zusammensetzen, ist vollkommen offen. Selbst wenn nun in Rheda-Wiedenbrück tatsächlich eine Landesliste gewählt werden sollte, muss jeder Kandidat damit rechnen, dass diese Liste keinen juristischen Bestand hat. Wahlkampf wird zur Glückssache. Wichtige Stimmenfänger wie Guido Reil aus Essen wurden von den Pretzell-Leuten verprellt. Sie versuchten stattdessen Ihr Glück auf eigene Faust und Reill konnte sich tatsächlich gegen einen Pretzell-Mann in einer Stichwahl auf Platz 26 durchsetzen.

Fazit: Marcus Pretzell hat seine Landespartei in das Chaos geführt. Wenn er stürzt, könnte dies auch das Ende von Frauke Petry bedeuten.

Disclaimer: Bei dem Listenparteitag der AfD handelt es sich um ein sehr dynamisches Ereignis. Dinge können sich schnell ändern. Wir passen dies hier im Text an. Größere Änderungen machen wir kenntlich.