CORRECTIV.Ruhr

Der Arbeiterkampf in der AfD

Guido Reil und der Arbeitnehmervertretung der AfD, AVA, gelang es nicht am 1. Mai eine eigene Demonstration in NRW zu organisieren. In Erfurt versammelten sich dagegen 1200 Höcke-Anhänger zu einem völkischen Marsch. Sie gründeten einen eigenen Arbeitnehmerverband. Es droht die Spaltung der AfD in Ost und West.

von Marcus Bensmann

AfD-Demo am 1. Mai in Erfurt

Höcke-Prozession statt Arbeiterdemo. Der völkische Flügel marschiert am 1. Mai in Erfurt© Marcus Bensmann

Deutschland- und Preußenfahnen wehten unter Höcke-Portraits. In Erfurt marschierten am 1. Mai 1200 Anhänger der AfD und gründeten den alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland mit dem Namen ALARM.

Damit erreicht der Machtkampf zwischen den populistischen Realos um die Bundesvorsitzende Frauke Petry und den völkischen Fundamentalisten um Björn Höcke den Arbeitnehmerflügel in der AfD. Mit der Gründung von ALARM drohe eine Spaltung der AfD in Ost und West, warnt ein hochrangiger Parteifunktionär.

Pickel am Popo

Bisher sind in der ehemaligen neoliberalen Professorenpartei mit AidA und AVA zwei Arbeitnehmervertretungen tätig. Der AVA unter dem Vorsitzenden Uwe Witt aus Nordrhein-Westfalen ist es gelungen, dem Wahlprogramm der AfD eine sozialpolitische Prägung zu geben. Im Wahlprogramm fordert die AfD die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II, auch Hartz IV genannt. Ohne Absprache mit den beiden Vertretungen wurde in Erfurt nun  ALARM gegründet.  Der neue Verband aus Thüringen sei „so sinnvoll wie besagter Pickel am Popo“, wird der AVA-Chef Uwe Witt in den Medien zitiert. Noch hofft Witt, dass es sich bei ALARM lediglich um eine Art Gewerkschaft handelt und es zu keiner Konkurrenz zu den bestehenden Arbeitnehmervertretungen in der AfD komme.

Guido Reil isoliert

Die Gründung des völkischen Arbeitnehmerverbandes in Thüringen ist vor allem ein Rückschlag für den selbst ernannten Arbeiterführer der AfD in NRW Guido Reil. 

Das Kalkül der AfD in NRW unter dem Spitzenkandidaten Marcus Pretzell war, die enttäuschten Arbeiter aus dem Ruhrgebiet mit Hilfe des Bergmannes Reil bei der Landtagswahl am 14. Mai zur AfD zu ziehen. Reil war im Sommer 2016 von der SPD zur AfD gewechselt.

Reil machte bisher seinen Wählern das Versprechen, dass er nichts mit rechtsradikalem und völkischen Gedankengut gemein habe. Beim Wahlkampfauftakt der AfD in Altenessen im April sagte Reil, dass er sich von Höcke, den er „Geschichtslehrer“ nannte, klar abgrenze, und dass in der AfD für solche Leute kein Platz wäre. „Ich möchte ganz deutlich machen, jemand der den Holocaust und die Nazigräuel versucht klein zu reden oder gar zu leugnen, oder anders darzustellen, so jemand hat in der AfD nichts zu suchen“, sagte Reil in Altenessen.

Die Nazis und der 1. Mai

Aber genau das passierte in Erfurt am 1. Mai.  Der Spitzenkandidat der AfD aus Thüringen für den Bundestag Stephan Brandner eröffnete die Abschlusskundgebung des völkischen Marsches mit einem Nazibezug. Der 1. Mai sei seit 1933 gesetzlicher Feiertag in Deutschland, sagte Brandner,  „woraus man folgern könnte, dass die Gewerkschaften auch nicht alles schlecht finden, was in der Geschichte so passiert ist“. Das „auch“ macht den Satz skandalös und die Menge grölte und jubelte. 

Aber von den Grundsätzen zur „Wahrheit“ hat sich Reil längst distanziert.

Seit dem AfD-Parteitag in Köln haben sich die Machtverhältnisse in Reils neuer Partei gedreht. Die Bundesvorsitzende Frauke Petry scheiterte, die AfD auf einen realpolitischen Kurs festzulegen und die AfD gegen nationalistisches und völkisches Gedankengut zu positionieren. Petry wurde von ihrem Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen auf offener Bühne gedemütigt.

Die 180-Grad Wende

Seither sucht Reil die Nähe zum völkischen Lager um Höcke. In Köln schlug er sich auf die Seite von Meuthen, und sagte,  Meuthen habe den Parteitag „gerockt“. 

Am 1. Mai sagte Reil gegenüber CORRECTIV, dass Höcke wohl in der Partei bleiben werde, und er damit auch keine Problem hätte, denn in der AfD hätten viele Menschen Platz. Der Bergmann Reil vollzieht damit seine erinnerungspolitische 180-Grad-Wende und geht auf Konfrontation zu Frauke Petry und dem Landesvorsitzenden in NRW Marcus Pretzell. Beide halten weiterhin den Rauswurf des ehemaligen Gesichtslehrers Höcke aus der AfD für notwendig.

Björn Höcke hatte Anfang des Jahres in Dresden das Berliner Holocaust-Denkmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische 180-Grad-Wende“ gefordert. Das von Petry federführend verfasste Parteiausschlussverfahren wirft Höcke zudem vor unter Pseudonym für NPD-Zeitschriften geschrieben zu haben. 

Unter Polizeischutz

Aber nicht nur der Seitenwechsel belastet den Bergmann. Reil bringt in NRW  keine Menschen auf die Strasse. Die geplante 1. Mai Kundgebung der AVA, auf der Reil auftreten sollte, wurde kurzfristig abgesagt. Angeblich, um die Polizei zu entlasten. Aber es ist eher anzunehmen, dass anders als in Erfurt eine Kundgebung von Bergmann Reil und der Arbeitnehmervertretung AVA in NRW kaum Anhänger angelockt hätte.

Reil ging stattdessen unter Polizeischutz auf die normale 1. Mai-Demonstration in Essen mit. Seither wird er von seinen AfD-Freunden angegiftet. Ein Foto zeigt Reil lächelnd unter einem Anti-AfD-Plakat.

„Ich bin nervlich heute am Ende“, sagt Reil, eine „Hundertschaft Polizei“ hätte ihn schützen müssen und die „Hälfte der AfD forderte wegen des Fotos meinen Rauswurf“, sagte Reil gegenüber CORRECTIV.

Der Stern des Bergmanns aus Essen sinkt zehn Tage vor dem Wahlgang im bevölkerungsreichsten Bundesland. 

Höcke-Prozession 

Anders als Reil und der AVA gelang es dem völkischen Flügel in Erfurt über 1200 Menschen zu mobilisieren. Doch der völkische Arbeitnehmerverband ALARM hat keine erkennbare sozialpolitische Agenda.

Der Gründer von „Alarm“ ist der Höcke-Mann und Rechtsanwalt Jürgen Pohl, der auf Platz zwei der Landesliste aus Thüringen für den Bundestag kandidiert. Für ein Interview stand Pohl nicht bereit. Die einzige Aussage,  die auf dem Marsch der AfD in Erfurt zum 1. Mai einen sozialpolitischen Aspekt hatte, war die wolkige Parole „Wohlstandslohn statt Mindestlohn“. 

Der völkische Zug, der durch Erfurt marschierte, glich eher einer Höcke-Prozession denn einer Arbeiterdemo. 

Der amerikanische Traum

Der umstrittene AfD-Politiker Höcke führte den Aufmarsch. Das Führungsplakat zierte die Fotos des AfD-Vorsitzenden aus Thüringen. Die Aktivisten sammelten Unterschriften gegen das Parteiausschlussverfahren von Höcke. Immer wieder skandierten die völkischen Aktivisten auf dem Marsch  „Höcke, Höcke“. Der ehemalige Geschichtslehrer übte sich auf der Abschlusskundgebung in Kapitalismuskritik, wetterte gegen „neoliberale Heuschrecken“ und gegen die  Amerikanisierung. Der „amerikanische Traum ist nicht unser Traum“, sagte Höcke, und redete von dem Zunftgedanken, der bis heute bei dem deutschen Arbeitnehmer und Handwerker zu finden sei. 

Antisemitisches Geraune

Die Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl Alice Weidel kam bei den völkischen Aktivisten in Erfurt schlecht weg. Höcke-Anhänger empörten sich, dass Weidel bei Goldmann Sachs gearbeitet habe, „der Judenbank“, wie ein Demonstrant sich ereiferte. Der Mann aus Erfurt wurde nicht zurecht gewiesen, sondern die Umstehenden applaudierten der Einschätzung. Der Aktivist empörte sich, dass Weidel einen Wohnsitz in der Schweiz habe. Wenn Höcke aus der Partei ausgeschlossen werde, könne er nicht mehr AfD wählen, sagte der Mann und marschierte dann hinter einem Plakat, auf dem stand: “Merkel weg, Amis raus.“

Mit Arbeitnehmerrechten hatte der Aufmarsch der AfD in Erfurt wenig zu tun, aber er zeigte die Menschen mit denen der Bergmann Reil in einer Partei sitzt.