Alte Apotheke

Gepanschte Krebsmedikamente: Tausende Menschen in sechs Bundesländern betroffen

Der Fall der falsch dosierten Krebsmedikamente des Bottroper Apothekers Peter S. betrifft weitaus mehr Menschen als bisher bekannt. Mehrere Tausend Patienten in sechs Bundesländern erhielten über Jahre hinweg teils wirkungslose Arzneien. Ein Großteil der Betroffenen ist darüber noch nicht informiert. Der Skandal wirft damit auch zunehmend ein schlechtes Licht auf die Behörden. Die verließen sich darauf, dass Ärzte und Kliniken die Patienten unterrichten.

von Bastian Schlange , Oliver Schröm , David Schraven

Von der Alten Apotheke in Bottrop aus vertrieb Peter S. seine gepanschten Medikamente.© Correctiv.Ruhr

Durch zwei Mitarbeiter waren die Machenschaften des Bottroper Apothekers Peter S. im vergangenen Jahr aufgeflogen. Über Jahre hinweg hatte der Apotheker Krebsmittel entweder stark verdünnt oder mit falschen oder gar keinen Wirkstoffen angemischt. Peter S. besaß eine spezielle Zulassung für die Herstellung individueller Chemotherapien – sogenannter Zytostatika.

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Panschte über Jahre Krebsmedikamente: der Bottroper Apotheker Peter S.

Correctiv.Ruhr

Bisher ging man davon aus, dass sich der Skandal auf wenige belieferte Praxen in Bottrop und Teile des Ruhrgebiets beschränkte. Insgesamt sind jedoch sechs Bundesländer von dem Arzneimittelskandal betroffen.

37 Praxen und Kliniken bundesweit

Wie die verantwortliche Staatsanwaltschaft in Essen nun bestätigte, gehen die Ermittler bundesweit von rund 3700 Betroffenen aus. 37 Arztpraxen und Kliniken seien demnach in den vergangenen fünf Jahren von dem Bottroper Apotheker mit falsch dosierten Krebsmedikamenten beliefert worden. Die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Es gab allerdings auch Abnehmer in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen und Niedersachsen.

Die Staatsanwaltschaft hat bislang nur die vergangenen fünf Jahre ausgewertet, der für eine Anklage wegen Abrechnungsbetrug relevant ist. Fälle aus der Zeit davor wären strafrechtlich verjährt.

Damit könnte die Zahl der mutmaßlich betroffenen Patienten noch weit größer sein. Nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama und des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV hat der Apotheker seit 2005 mehr als 7300 Menschen mit den 49 Wirkstoffen, die sich derzeit auf der Liste der manipulierten Wirkstoffe des Bottroper Gesundheitsamtes finden, beliefert.

Ärzte in der Pflicht

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeigte sich erschüttert, als er im Interview mit Panorama erfuhr, dass auch neun Monate nach Bekanntwerden des Skandals noch immer ein Großteil der betroffenen Patienten nicht unterrichtet ist. Die Dimensionen des Falles seien nicht bekannt gewesen. „Wir werden uns jetzt sofort darum kümmern, dass wir an die Adressen dieser Menschen kommen und dann werden wir sie selbstverständlich informieren“, sagte Laumann. „Wenn die Behörden, die Ärzte und Krankenhäuser, die die Medikamente verabreichten, informiert haben, dann ist es auch deren Aufgabe, ihre Patientinnen und Patienten zu informieren. Ich finde, das ist für einen Behandler schlicht die Pflicht, dieses zu tun.“

Der Fall des Bottroper Apothekers

Der Bottroper Apotheker Peter S., Erbe einer Familiendynastie von Bottroper Apothekern, war im November vergangenen Jahres festgenommen worden. Die Buchhaltung des Apothekers war ein deutliches Indiz für Unregelmäßigkeiten. Sie zeigte, dass deutlich mehr Medikamente verkauft als eingekauft wurden. Bei einzelnen Medikamenten wurde nur ein Fünftel des Wirkstoffes eingekauft, den die Patienten eigentlich erhalten sollten.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Apotheker vor, über Jahre Chemotherapien und Antikörper-Infusionen für Krebspatienten zu niedrig dosiert und sogar Therapiebeutel gänzlich ohne Wirkstoff ausgeliefert zu haben. Dadurch haben tausende Krebspatienten vermutlich wirkungslose Medikamente bekommen und sind so zu Schaden gekommen.

Die Staatsanwaltschaft konnte in erster Linie den Betrug zur Strafanzeige bringen: Peter S. wurde wegen gepanschter Krebsmedikamente in 60.000 Fällen angeklagt. Der entstandene Schaden beläuft sich auf 56 Millionen Euro. Peter S. hat sich bisher zu den Vorwürfen nicht geäußert.