Alte Apotheke

Alte Apotheke: Kampf um Gutachten

Die Verteidiger von Peter Stadtmann greifen den zentralen Baustein der Anklage gegen den Alten Apotheker an. Sie behaupten, es sei gar nicht möglich, Krebszubereitungen zu analysieren, wie es das Landeszentrum für Gesundheit NRW (LZG) in seinem Gutachten getan hat. Das LZG hatte erhebliche Mängel bei den Arzneizubereitungen durch den Bottroper Apotheker festgestellt. In den Krebsmedikamenten waren viel zu wenig Wirkstoffe. Bei ihren Angriffen stützen sich die Verteidiger auf ein Gutachten des berühmten Pharmazeuten Fritz Sörgel. Doch sie verdrehen dabei die Schlussfolgerungen Sörgels maßlos – wie CORRECTIV herausfand.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

Peter Stadtmann und seine Verteidiger am 2. Prozesstag© correctiv.org

Am fünften Prozesstag wollen die Verteidiger von Peter Stadtmann den Sachverständigen Christoph Luchte knacken. Der Laborleiter im Landeszentrum für Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG) tritt im Prozess um die gestreckten Krebszubereitungen als Gutachter auf. Die Ablehnung Luchtes stützen die Anwälte von Peters Stadtmann auf das Gutachten des bekannten Pharmazeuten Fritz Sörgel. Doch dabei überziehen sie maßlos. Nach Recherchen von CORRECTIV stellt der Professor aus Nürnberg die Untersuchungen Luchtes nicht generell in Frage, so wie es die Anwälte von Stadtmann behaupten. Im Gegenteil: Sörgel kritisiert lediglich, dass dem Bericht des LZG einige Dokumente fehlen, die genau nachzeichnen, wie die Analyse der Krebszubereitungen abliefen.

Luchtes Gutachten und Aussagen sind im Prozess zu den gestreckten Krebsmitteln aus der Alten Apotheke Bottrop das Herzstück der Anklage gegen Peter Stadtmann.

Der LZG-Laborleiter Luchte begleitete im November 2016 die Razzia im Zyto-Labor der Alten Apotheke und schrieb das Gutachten zur Wirkstoffprüfung der beschlagnahmten Krebstherapien. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Apotheker vor über 60.000 Krebsmittel gestreckt zu haben.

Zweifel an Untersuchungen

Die Anwälte von Stadtmann bezweifeln, dass die Untersuchungen der beschlagnahmten Infusionen, die vom LZG und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) durchgeführt wurden, als Beweis genutzt werden können.

Anders gesagt: Stadtmanns Anwälte wollen die Aussagen des Apothekers Luchte zu Fall bringen. Sie stützen sich dabei auf ein Gutachten von Fritz Sörgel. Der Professor vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg hat sich zu den Untersuchungsergebnissen des LZG und des PEI kritisch geäußert. Und Sörgel ist nicht irgendwer. Er ist eine international geachtete Koryphäe und bekannt wegen seiner Einschätzung zu Dopingkontrollen.

Die Anwälte von Stadtmann interpretieren in Sörgels Gutachten viel hinein und nutzen es für die generelle Behauptung, dass die Analysen der beschlagnahmten Krebszubereitungen durch das PEI und LZG unbrauchbar seien. Stadtmanns Anwälte behaupten, es gebe keine Versuchsmethode, mit deren Hilfe die Dosierung der Krebsmittel in Zubereitungen nachgewiesen werden könne. Das klingt erst einmal wie ein Fallbeil für die Vorwürfe der Anklage.

Kritik richtig verstehen

Dabei zielt Pharmazeut Sörgel auf etwas ganz anderes. Nach Informationen, die CORRECTIV vorliegen, verweist der Fachmann lediglich auf formale Mängel im Untersuchungsbericht des LZG und PEI. Sörgels Kritik: Im Gutachten fänden sich nur die Ergebnisse der Untersuchung, aber nicht der detaillierte Weg, wie man zu diesen Ergebnissen gekommen sei. Ohne diesen Weg sei es für Sörgel nicht möglich, die Analyse der Wirkstoffe durch das PEI und das LZG nachzuvollziehen. Für den Gutachter fehlt die konkrete Dokumentation der Untersuchung, sogenannte Standardarbeitsvorschriften (SOP).

Die SOPs sind Alltag in der Pharmazie. In diesen Vorschriften werden alle wichtigen Schritte einer Untersuchung dokumentiert. Wer macht was? Wie wird es gemacht? Eine SOP muss alles beinhalten, von der Größe eines Reagenzglases bis zur Eichung eines Messgeräts. Auf Anfrage von CORRECTIV haben PEI und LZG bestätigt, dass SOPs zu ihren Arbeitsstandards gehörten.

Man muss aufpassen: Die Kritik von Sörgel zu dem Gutachten vom LZG heisst nicht, dass es diese Dokumentation nicht gibt, sondern nur, dass diese vom LZG nicht dem Gutachten für die Staatsanwaltschaft beigelegt worden sind.

Grundlegendes Problem

Sörgels Hinweis betrifft nicht nur das Gutachten zu den gestreckten Arznei-Zubereitungen aus der Alten Apotheke. Experten sagen gegenüber CORRECTIV, dass dies ein generelles  Problem vor Gericht sei. Forschungsinstitute würden unzureichende beziehungsweise unvollständige Gutachten liefern, die nur das Ergebnis der Untersuchung aufzeigen, aber nicht den Weg, wie das Institut zu diesem Ergebnis gekommen ist.

Sörgel sieht die Wirkstoffanalysen des LZG und des PEI generell als sinnvoll an. So habe das PEI Methoden angewendet, die dem Stand der Technik entsprechen und auch der Fragestellung gerecht würden. Sie seien aber für Sörgel nur nachvollziehbar, wenn diese mit den SOPs dokumentiert würden.

Das LZG antwortet auf eine Anfrage von CORRECTIV, dass alle Gutachten des Institutes auf Basis von SOPs erstellt werden. Aber sie seien nicht an die Staatsanwaltschaft geschickt worden. „Die Benennung einzelner Vorgabedokumente im Gutachten ist nicht vorgesehen oder erforderlich“, schreibt eine Sprecherin des LZG, die SOPs lägen für die Untersuchen konkret vor.

Eine einfache Widerlegung

Sollte das Gericht, wie die Anwälte von Stadtmann, Zweifel an dem Zustandekommen von Luchtes Analysen haben, müssten sie das LZG und das PEI auffordern, diese Dokumente nachzuliefern. Nach Informationen von CORRECTIV könnten zwei unabhängige Fachleute durch Stichprobenuntersuchungen in wenigen Tagen die Unterlagen prüfen. Die Behauptungen der Verteidiger würden sich in Luft auflösen.