Der Prozess

Der Prozess, Tag 3

Der dritte Verhandlungstag in einem der größten Medizinskandale der Nachkriegszeit: Das Gericht lehnt eine Prozessverlegung an das Schwurgericht ab. Als Reaktion auf Recherchen von CORRECTIV beantragen die Nebenkläger, Mitarbeiter von Hexal als Zeugen zu laden. Außerdem fordern sie eine Aussetzung des Prozesses. Stadtmanns Anwälte schießen ein Eigentor, und ein Kripobeamter wirkt unsicher. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

© Correctiv.Ruhr

Der Medienrummel der ersten Tage ist vorbei. Nur wenige Journalisten begleiten den Prozess am dritten Tag. Dafür wird es auf der linken Seite des Saales langsam eng. Denn dort sitzen die Nebenkläger und -klägerinnen. Ihnen ist es wichtig jeden Prozesstag zu begleiten.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Der Angeklagte hört aufmerksam zu. Während der Vernehmung des Zeugen Björn Tröster, Wirtschaftsexperte der Kripo, macht Stadtmann sich Notizen. Immer wieder flüstert er seinen Anwälten Informationen zu, als im Gerichtssaal über Wirkstoffe und Lagerbestände diskutiert wird.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Die Nebenklägerinnen tragen auch am dritten Verhandlungstag weiße Rosen und wollen damit ihre Verbundenheit ausdrücken. Sie verfolgen den Verlauf des Prozesstages akribisch und melden sich sogar zweimal selbst zu Wort.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Neuer Schöffe und mögliche Aussetzung des Verfahrens: Gleich zu Beginn der Verhandlung erklärt der Vorsitzende Richter Johannes Hidding den Schöffen Heinz-Jürgen Kranfeld  auf Antrag einiger Nebenkläger für befangen. Er scheidet damit aus dem Prozess aus. Kranfeld hat selbst als Apotheker in Bottrop gearbeitet. Seine Ehefrau wird aktuell in der onkologischen Praxis von Dirk Pott zur Krebsnachsorge behandelt. Die Praxis von Pott gehörte zu den wichtigsten Kunden von Stadtmann. Die Verteidiger von Peter Stadtmann sehen in dem Arzt einen Entlastungszeugen. Für den ausgeschiedenen Schöffen Kranfeld rückt der dafür vorgesehene Ergänzungsschöffe Frank Laskowski nach.
  • Gefahr für Prozess: Das bedeutet allerdings, für die beiden aktuellen Schöffen gibt es jetzt keinen Nachrücker mehr. Das ist eine Gefahr für den ganzen Prozess. Der Prozess wird lange dauern. Sollte zu irgendeinem Zeitpunkt ein weiterer Schöffe ausfallen, gäbe es kein Ersatz mehr für ihn. Dann müsste der Prozess neu angesetzt werden. Sollte dies nach vier bis fünf Monaten passieren, könnte die Verteidigung von Peter Stadtmann sogar fordern, dass der Angeklagte dann aus der Untersuchungshaft entlassen werden müsse.
  • Lieber früh als spät: Dies wollen die Anwälte der Nebenklage verhinden, und lieber jetzt am Anfang des Prozesses die Notbremse ziehen. Der Prozess ist erst drei Tage alt, das neue Verfahren könnte innerhalb von einer Woche neu aufgestellt werden und dann gleich mit zwei Ersatzschöffen. „Es muss dann nur noch mal die Anklage neu verlesen werden und die zwei Zeugen gehört werden“, sagt der Anwalt der Nebenklage  Khubaib-Ali Mohammed. Die Tagungstermine seien ja schon terminiert.  Dann sei sicher, sagt Mohammed, dass der Prozess nicht später platzen würde und Stadtmann dann womöglich auf freien Fuß käme.
  • Kein Schwurgericht aber Verurteilung wegen Tötungsdelikts möglich: Die von der Nebenklage geforderte Verlegung an das Schwurgericht lehnt die Kammer ab. Der Prozess wird weiterhin vor der Wirtschaftskammer des Landgerichts Essen verhandelt. Nur der Angeklagte Peter Stadtmann habe das Recht eine Verlegung des Prozesses  während des Verfahren zu fordern, sagt der Richter Johannes Hidding. Aber auch die Wirtschaftskammer kann ein Urteil wegen eines Tötungsdeliktes verhängen. „Die Kammer hat die Rechtsmacht, jedwede Sanktion auszusprechen“, sagt Hidding am dritten Prozesstag.
  • Nebenkläger wollen Mitarbeiter von Hexal als Zeugen: Nachdem CORRECTIV.Ruhr seine Recherchen zu den Schwarzkäufen und den Fakeretouren sowie die Dementis des Pharmaunternehmens Hexal veröffentlicht hat, beantragt die Nebenklage den Hexal-Vertreter Wilfried Harseim und einen weiteren Mitarbeiter der Firma als Zeugen zu hören. Sie sollen bezeugen, dass die Behauptungen von Stadtmanns Verteidigern falsch sind. Die Anwälte hatten behauptet, Stadtmann habe regelmäßig Schwarzmedikamente aus dem Kofferraum heraus von dem Hexal-Vertreter gekauft. Außerdem habe der Apotheker mit Wissen der Pharmafirmen von Fakeretouren profitiert. Das heißt, er habe Retouren angemeldet und verbucht, die Waren aber weiterhin in der Apotheke für Zubereitungen verwendet.
  • Eigentor für Stadtmanns Anwälte: Der Vorsitzende Richter entlarvt ein zusätzliches Entlastungsargument der Verteidigung. Neben angeblichen Schwarzkäufen, Vorratslagerungen und Fakretouren sind auch „Verwürfe“ ein Posten für Stadtmanns Anwälte, der belegen soll, dass in der Alten Apotheke mehr Krebsmittel waren, als die Buchhaltung verzeichnet hatte. „Verwürfe“ sind die Restmengen aus einer Packung, die eigentlich vernichtet werden müssen. Die Verteidigung sagt, Stadtmann habe die Restmengen für andere Therapien genutzt und will so die Differenz zwischen eingekauften und verkauften Wirkstoffmengen rechtfertigen. Der Richter bemerkt allerdings einen logischen Fehler in dieser Argumentation, denn die „Verwürfe“ seien ja nicht zusätzlich, sondern sie müssten wie die ausgegebenen Therapien Teil der gelieferten Einkaufsmenge sein. Wegen dieser „Verwürfe“ müssten die Einkaufsmengen sogar höher sein als die Verkaufsmengen, weil angebrochene Packungen eigentlich entsorgt werden müssten.
  • Kripobeamter Tröster sagt als Zeuge aus: Heute sagt der Polizeibeamte Björn Tröster vor Gericht als Zeuge aus. Er berät die Kripo in Fällen von Wirtschaftskriminalität. Tröster war als gelernter Betriebswirt am Morgen der Razzia in der Alten Apotheke zuständig für die Sicherung des Buchungssystems. Das zentrale Indiz der Anklage. Der Zeuge wirkt auf Nachfragen der Verteidigung, wie schon der Kriminalhauptkommissar Ulrich Herold, unsicher. In der Befragung wird deutlich, dass die Ermittler der Verteidigung mehrere Angriffspunkte bieten. Ein Beispiel: Tröster berichtet über die Nachmeldung von Lieferungen durch den Pharma-Großhändler Noweda aus Essen. Der Ermittler muss auf Nachfrage der Verteidigung einräumen, dass er andere Hersteller nicht zu eventuellen Nachmeldungen befragt habe.

Video

Berichterstattung:

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag am 20.11.2017:

Das Gericht muss entscheiden, ob der Prozess mit zwei Ergänzungsschöffen neu aufgesetzt wird. Außerdem soll einer der Laborleiter des Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen, Christoph Luchte als Zeuge aussagen. Er war verantwortlich für die Wirkstoffprüfungen der beschlagnahmten Medikamente. Die Verteidigung will seine Ernennung zum Sachverständigen verhindern und wird versuchen, die Wirkstoffanalysen der beschlagnahmten Medikamente zu entkräften.