Der Prozess

Der Prozess, Tag 11

Am elften Prozesstag in einem der größten Medizinskandale der Nachkriegszeit berichtet eine Nebenklägerin, wie der Vater des Angeklagten bei einer Andacht für Betroffene Mitgefühl zeigte. Die geladenen Mitarbeiter des Zyto-Labors schweigen – wie erwartet. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal. *Update: Anwalt des Vaters bestreitet nach Erscheinen dieses Berichtes, dass der Vater von Peter Stadtmann gesagt habe, dass im leid tue, was den Betroffenen widerfahren sei.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann , Cem Bozdoğan

Mitarbeiter der Alten Apotheke verweigern die Aussage© Correctiv.ruhr

Auch am heutigen Tag ist die Zuschauertribüne mäßig besetzt, ungefähr 15 Leute nehmen Platz. Außerdem sind mehrere Medienvertreter und ein Kamerateam vor Ort. Der Prozesstag wird ständig unterbrochen, weil sich die Kammer zu den eingehenden Anfragen der Nebenklage beraten muss. Diese stellt zunächst das Auskunftsverweigerungsrecht der Zeugen in Frage, danach fordert sie die Entfernung des Zeugenbeistands. In den Augen einiger Anwälte der Nebenklage machte heute der Staatsanwaltschaft Rudolf Jakubowski den Job der Verteidiger von Peter Stadtmann.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Peter Stadtmann trifft heute das erste Mal seit der Razzia Ende November letzten Jahres auf seine Mitarbeiter. Bei der Vernehmung vermeidet Stadtmann den Blickkontakt zu seinen Ex-Kollegen – sein Blick wandert ständig weg vom Zeugentisch. Zum Schluss des Prozesstages wirkt Stadtmann versteinert, als die Nebenklage vom Treffen mit Stadtmanns Vater berichtet.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Einige der Nebenklägerinnen werden auch heute von einem Kamerateam begleitet und anschließend interviewt. Sie sind sichtlich enttäuscht, dass die Mitarbeiter des Zyto-Labors nicht vor Gericht aussagen. Besonders bei der Vernehmung einer Zeugin, welche zuvor bereits bei der Kriminalpolizei aussagte, nun aber die Aussage verweigert, geht ein Raunen durch die Menge.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Der Vater des Angeklagten zeigt Mitgefühl: Im Prozess berichtet die Nebenklägerin Heike Benedetti von einer Begegnung mit dem Vater von Peter Stadtmann. Er habe an einer Andacht für Betroffene und Angehörige in der Kirche teilgenommen und Benedetti gesagt, es täte ihm leid, was den Betroffenen widerfahren sei. „Er sah sehr betroffen und bedrückt aus“, sagt Benedetti. Dieses Ereignis soll in der Beweisaufnahme berücksichtigt werden, fordert ein Anwalt der Nebenklage. Ein Verteidiger Stadtmanns schüttelt den Kopf. Der Richter teilt mit, dass die Eltern von Peter Stadtmann für den 15. Januar 2018 als Zeugen geladen sind. Allerdings haben sie ein unbeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht. Sollten sie der Kammer mitteilen, dass sie davon Gebrauch machen, müssten sie nicht vor Gericht erscheinen.

  • —– *Update: Nachdem dieser Artikel erschienen ist, meldete sich ein Rechtsanwalt der Kanzlei Höcker im Auftrag des Vaters von Peter Stadtmann bei uns. (Die Kanzlei ist auch schon für Mitarbeiter der Alten Apotheke und den Steuerberater von Peter Stadtmann tätig geworden.) Der Rechtsanwalt forderte uns auf zu löschen, dass es dem Vater von Peter Stadtmann leid tue, was den Betroffenen widerfahren sei. Er habe diese Worte nicht an Heike Benedetti gerichtet. Ihm tue es nicht leid. Stattdessen habe er Heike Benedetti gesagt, dass er auch Betroffener sei und an Krebs erkrankt gewesen sei. „Das war ein würdiger Gottesdienst.“

  • Wir haben bei Heike Benedetti nachgefragt. Sie schildert den Ablauf in der Kirche so. „Ich und einige andere Betroffene sahen den Vater von Peter Stadtmann in der Kirche. Er sah sehr traurig aus. Während der Messe konnten wir Zettel beschriften und in eine Klagemauer stecken. Dabei wurde ein trauriges Lied gespielt. Dabei kamen uns Tränen. Ich schaute unwillkürlich zu Herrn Stadtmann, der uns sehr betroffen ansah. Wir setzten uns wieder in die Bank und schauten zu Herrn Stadtmann hin, der sehr traurig dort hinten allein saß. Im weiteren Verlauf der Messe konnten wir Kerzen anzünden und bekamen dafür ein Kärtchen worauf stand, „fasse Mut“. Ich verlangte zwei Kärtchen, ging zu Herrn Stadtmann und gab ihm eins. Er bedankte sich dafür. Als die Messe zu Ende war, ging ich zum Ausgang wo Herr Stadtmann stand, reichte ihm die Hand und bedankte mich mit den Worten: „Schön, dass Sie bei uns waren“. Er sagte darauf: „Danke, dass ich dabei sein durfte. Es tut mir leid, was Ihnen widerfahren ist.“ Darauf ging er zur Türe und sagte mir im Hinausgehen. „Ich war auch mal an Krebs erkrankt“.

  • Der Bericht von Heike Benedetti wird von Christiane Piontek gestützt. Christiane Piontek war Zeugin der Szene: „Nach Ende des Gottesdienstes ging ich hinter Heike Benedetti in Richtung Ausgang. Wir sahen dort Herrn Stadtmann. Frau Benedetti sprach ihn an. Sie reichte ihm ihre Hand und sagte, „Danke, dass Sie hier waren Herr Stadtmann.“ Er erwiderte ihren Dank mit den Worten: „Danke, dass ich dabei sein durfte.“ Weiter sagte er, dass es täte ihm Leid täte was uns widerfahren sei. Ich bekam Tränen in die Augen. Frau Benedetti verließ schon mal die Kirche. Ich unterhielt mich noch kurz mit einer Mitbetroffenen über das, was gerade passiert ist. Vor der Türe traf ich dann auf eine fassungslose Frau Benedetti.“ —– Update Ende

  • Dürfen die Mitarbeiter der Alten Apotheke schweigen? Am elften Verhandlungstag streiten sich Richter, Nebenklage, Staatsanwalt und Verteidigung über das Recht der Mitarbeiter Stadtmanns, die Aussage zu verweigern. Weil die Staatsanwaltschaft mittlerweile auch gegen zwei Mitarbeiterinnen des Zyto-Labors ermittelt, haben nach Ansicht der Kammer alle aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter der Alten Apotheke ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht. Zudem ging der Staatsanwalt in der Anklageverlesung von einer Mittäterschaft der Mitarbeiter der Alten Apotheke aus. Das heißt, sie müssen sich vor Gericht bis auf ihre Personalien nicht äußern. Der Anwalt der Nebenklage Khubaib-Ali Mohammed widerspricht dieser Sichtweise. Ein vollumfängliches Verweigerungsrecht gebe es „a priori“ nicht. Der Nebenklage dürfe das Recht zu Fragen nicht genommen werden. Rechtsanwalt Andreas Schulz führt zwei Beispiele für mögliche Fragen auf, die nicht vom Recht zu Schweigen betroffen seien: Fragen nach dem Betriebsklima oder nach einem Hund in der Apotheke. Die Kammer könne ja bei jeder einzelnen Frage entscheiden, ob sie zulässig ist, sagt der Anwalt Mohammed. Der Staatsanwalt gibt der Verteidigung indes eine Steilvorlage, als er die „Mosaiktheorie“ anführt. Diese Theorie besagt, dass einzelne Fragen von Zeugen nicht beantwortet werden müssen, wenn die Gesamtheit der Fragen eine Aussageverweigerung rechtfertigen würde. Im Klartext: Damit soll verhindert werden, dass das Recht zu Schweigen durch unzählige Detailfragen ausgehebelt wird. Denn alle Details zusammen können das Mosaik ergeben, zu dem man schweigen darf. Die Verteidigung schließt sich dieser Ansicht des Staatsanwaltes prompt an. Das Gericht wird über die Frage bis zum nächsten Verhandlungstag am achten Januar entscheiden.

  • Ein Anwalt, fünf Zeugen: Fünf der sechs für heute geladenen Mitarbeiter der Alten Apotheke werden vom gleichen Anwalt vertreten. Der Anwalt der Nebenklage Mohammed sieht mögliche Verstöße gegen berufsrechtliche Vorschriften. Es sei nicht klar, ob die Mitarbeiter die selben Interessen haben. Eventuell würden einige gerne aussagen, andere lieber schweigen. Daraus ergebe sich ein möglicher Interessenkonflikt des Anwaltes. Deshalb beantragt Mohammed, den Anwalt der Zeugen des Saales zu verweisen. Während sich alle Nebenkläger dem Antrag anschließen, enthält sich der Staatsanwalt, die Verteidigung ist dagegen. Der Richter lehnt den Antrag ab. Im Beisein ihres Anwaltes erklären alle fünf Mitarbeiter nacheinander, dass sie nicht aussagen werden. Überraschenderweise verweigert auch die sechste Zeugin, die ehemalige PTA Alexandra H. die Aussage, obwohl sie bei der Polizei ausgesagt hatte. 

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Nach der Weihnachtspause geht es erst am Montag, den 08.01.2018 mit dem Prozess weiter. Für diesen Tag sind zwei Zeugen geladen. Ein Fahrer, der für die Alte Apotheke auslieferte und eine ehemalige Mitarbeiterin der Alten Apotheke.    

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 08.01., 11.01., 15.01., 18.01., 24.01., 29.01., 31.01., 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.