Der Prozess

Der Prozess,Tag 12

Am ersten Verhandlungstag im neuen Jahr im Fall der gepanschten Krebsmedikamente aus der Alten Apotheke in Bottrop geht es um Gerüchte, Frauen und die Mutter des Angeklagten. Es sagen zwei Mitarbeiter der Alten Apotheke aus. Fahrer Kim F. nimmt seinen ehemaligen Arbeitgeber in Schutz. Die ehemalige Mitarbeiterin Stefanie M. berichtet allerdings von Gerüchten in der Belegschaft, dass es bei der Zubereitung der Krebsmittel nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

von Marcus Bensmann , Hüdaverdi Güngör

Die Menschen im Gerichtssaal erheben sich vor dem Richter.© correctiv.ruhr

Am heutigen Verhandlungstag ist die Zuschauertribüne gut besetzt. Etwa 30 Menschen verfolgen den Prozess. Während des Verhandlungstages kommt es immer wieder zu kleineren Wortgefechten zwischen den Anwälten der Nebenklage und denen der Verteidigung. Ursprünglich war am 12. Prozesstag die ehemalige Mitarbeiterin Sonja U. als Zeugin vorgesehen, deren Exmann hatte bereits 2013 Peter Stadtmann angezeigt, Krebsmedikamente zu panschen. Die Anzeige verlief damals im Sande. Ihre Vernehmung findet an einem anderen Tag statt. Die Eltern des Angeklagten nehmen von ihrem Recht der Zeugnisverweigerung Gebrauch und werden nicht im Prozess aussagen. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Nach den Feiertagen wirkt Peter Stadtmann noch schmaler. Die Mundwinkel sind fast durchgehend nach unten gezogen, sein Blick geht oft ins Leere. In Verhandlungspausen berät er sich intensiv mit seinen Verteidigern. Peter Stadtmann studiert Notizen, die er mit rotem Kugelschreiber in einem Schulheft verfasst hat. Dem Fahrer Kim F. nickt er während einer Verhandlungspause wohlwollend zu.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Von den 44 Nebenklägerinnen und Nebenklägern sind weit über die Hälfte erschienen. Sie beteiligen sich aktiv an der Befragung der Zeugen. Der Gerichtstag ist für sie ein Wechselbad der Gefühle.  Bei den Aussagen des Fahrers Kim S. schütteln sie mit dem Kopf, die Aussage der ehemaligen Mitarbeiterin Stefanie M. ermutigt sie.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Die Eltern von Stadtmann werden nicht aussagen. Der Richter sagt, dass die Eltern des Angeklagten das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen.

  • Der Pharmavertreter von Hexal wird Zeuge. Die Verteidigung von Stadtmann hat in einem Schreiben an den Richter behauptet, dass ein Pharmavertreter von Hexal Stadtmann schwarz aus dem Kofferraum Krebsmittel verkauft hätte. Hexal und der Vertreter wiesen diesen Vorwurf zurück, nun wird der Mann am 08.02. als Zeuge vernommen.

  • Der Fahrer Kim S. und die Familie in der Alten Apotheke. Der Fahrer Kim S. hat als Fahrer die zubereiteten Krebsmittel zu den Praxen gefahren. Morgens sei er in die Apotheke gekommen und hätte die Boxen mit den Infusionen eingeladen. Diese seien ihm von den Mitarbeitern ausgehändigt worden. Der Fahrer S. sagt, dass er es nicht mitbekommen hätte, dass mal eine Infusion kurz vor der Auslieferung wegen Mängel aus der Box genommen worden sei. Vor der Verhaftung von Stadtmann haben für die Alte Apotheke 22 Fahrer gearbeitet. Aufgrund der Schließung des Zyto-Labor seien aktuell nur noch fünf beschäftigt.  S. ist seit Juli krankgeschrieben. Der Fahrer geht nach einem Unfall an Krücken und kratzt sich immer am Bein. Sein Verhältnis zu Stadtmann sei gut gewesen, er könne nichts Schlechtes über ihn sagen, sagt der Fahrer.  F. bezeichnet das Arbeitsklima in der Alten Apotheke wie in einer großen Familie. Nach der Verhaftung von Peter Stadtmann sei man zusammengerückt.  Der Fahrer sagt, dass er zuvor von keinen Gerüchten in der Belegschaft zu möglichen Streckungen von Krebsmedikamenten gehört habe. Auch nach der Verhaftung hätte sich die Belegschaft nicht über die Vorwürfe unterhalten. Der Fahrer informiert sich über den Fall aber bei CORRECTIV. Nach Aussagen des Fahrers, sei Stadtmann auch länger in Urlaub gefahren, auch mal für drei Wochen. F. habe dann Stadtmann zum Flughafen nach Düsseldorf gefahren, Stadtmann hätte ihm aber nicht gesagt, wo er Urlaub machen würde. Nur einmal sei er nach München geflogen. Er habe auch Stadtmann nach Hause gefahren, und manchmal sei er in Damenbegleitung gewesen. Stadtmann nickt dem Fahrer im Zeugenstand wohlwollend zu.

  • WhatsApp Gruppe und das Protokoll im Handy. Die Fahrer der Alten Apotheke haben sich über eine Whatsappgruppe verständigt. Auch am Tag der Verhaftung. Die Anwälte der Nebenklage beantragen daraufhin, das Handy des Fahrers im Gerichtssaal zu beschlagnahmen. Das Gericht lehnt diesen Antrag ab.

  • Keine Sicherheitskleidung Die Aussagen von Kim F. bestätigen zumindest den Aspekt der mangelnden Hygiene im Labor der Apotheke. Er habe Stadtmann mehrfach in Straßenkleidung in den Räumlichkeiten des Labors gesehen.

  • Gerüchte über Unregelmäßigkeiten. Anders als der Fahrer berichtete die ehemalige Mitarbeiterin Stefanie M. über Gerüchte in der Belegschaft über Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung der Krebsmedikamente. Stefanie M. wurde als Zeugin berufen, da ihr Exmann im Dezember 2016 ausgesagt hatte, dass sie eine enge Vertraute von Stadtmann gewesen sei, die Krebsmittel hergestellt und viel Geld verdient hätte. Die Zeugin widerspricht der Aussage ihres Exmannes. Stefanie M. hat mit Unterbrechung von 2007 bis im Juli 2017 in der Alten Apotheke gearbeitet. Sie sei im Handverkauf tätig gewesen und hätte die Belieferung der Altenheime übernommen. Die Mitarbeiterin hätte nie Krebsmittel zubereitet, aber bei der Dokumentation schon mal in den Zytolabors ausgeholfen. Sie berichtet von Gerüchten in der Belegschaft. So soll die Schwester einer Labor-Mitarbeiterin an Krebs erkrankt sein. Daraufhin soll die Mitarbeiterin gebeten haben,  die Therapien für ihre Schwester nicht von Peter Stadtmann anfertigen zu lassen.  Weiter erzählt die Zeugin von einer Situation im Labor. Eine Mitarbeiterin hätte sich gewundert, warum von vier Flaschen eines Krebsmittels, die eigentlich hätten verbraucht sein müssen, noch eine im Kühlschrank gestanden hätte. Aufgefallen sei Stefanie M. auch, dass die Apotheker, die im Zytolabor gearbeitet hätten, häufig gewechselt hätten. Einer von ihnen habe von heute auf morgen die Apotheke verlassen, sagt die Zeugin.

  • Offene Labortüren und Straßenkleidung. Die Zeugin sagt, dass in der Apotheke die Sicherheitsvorkehrungen bei der Zubereitung von Krebsmitteln nicht beachtet worden seien. Die Türen zu den Labors hätten offen gestanden, sie hätte Stadtmann nicht in Sicherheitskleidung gesehen, und Handschuhe hätten die Mitarbeiter auch nicht immer getragen. Wenn sie Stadtmann auf die Mängel aufmerksam gemacht habe, hätte dieser sie abgewiesen, sagt Stefanie M.

  • Straffe Hierarchie und der letzte Dreck. Für die Zeugin Stefanie M. hat in der Alten Apotheke eine strenge Hierarchie geherrscht. Reinigungskräfte seien wie der „letzte Dreck“ behandelt worden. Seine Mitarbeiterinnen hätte Stadtmann mit dem lateinischen Ausdruck für den Beifuß „artemisia vulgaris“ herbeizitiert. Alle Mitarbeiter des Zytolabors hätten nach der Razzia ihren Job in der Alten Apotheke behalten und die Überstunden abfeiern können, sagt die Zeugin. Den meisten Fahrern wurde allerdings sofort gekündigt.

  • Dominante Mutter und Liebesbeziehungen in der Alten Apotheke. Stefanie M. berichtet von einer dominanten Mutter, die sich in alle Angelegenheiten der Apotheke eingemischt hätte, auch nachdem Peter Stadtmann die Apotheke übernommen hatte. Die Mutter hätte auch die Patientenzuzahlungen und Privatrechnungen für die Krebszubereitungen kontrolliert. Sie hätte nach der Verhaftung von den Mitarbeitern gefordert, sich nicht zu dem Fall zu äußern. Die Mutter hätte sie einmal in den Rücken geboxt, sagt Stefanie M. Die Zeugin berichtet auch von Gerüchten, dass Stadtmann Beziehungen zu Mitarbeiterinnen hatte.

  • Marc F. Stadtmanns wichtigster Mitarbeiter. In einem waren sich die beiden Zeugen einig. Sowohl der Fahrer als auch Stefanie M. sagten, dass Marc F. für Stadtmann der wichtigste Mitarbeiter und dessen rechte Hand war. Marc F. hat vor dem Gericht das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch genommen. Er hat bis zur Verhaftung von Peter Stadtmann das Zytolabor geleitet und leitet nun die Buchhaltung der Alten Apotheke.

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Am  11.01. wird der Sachverständige des Paul-Ehrlich-Instituts als Zeuge aussagen. Das PEI hatte die beschlagnahmten Infusionen mit teuren Antikörpern untersucht und darin erheblichen Mindergehalt festgestellt. 

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 11.01., 15.01., 18.01., 24.01., 29.01., 31.01., 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.