Der Prozess

Der Prozess Tag 17

Der Richter verpflichtet die Amtsapothekerin zur Aussage. Sie hält Zyto-Proben für nicht untersuchbar. Die Nebenklage spricht von bandenmäßigem Betrug. Ein PTA-Lehrer informierte die Amtsapothekerin im April 2016 über mögliche Missstände in der Alten Apotheke.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

© correctiv.ruhr

Am heutigen Verhandlungstag sitzt mit der Amtsapothekerin erstmals eine Vertreterin der aufsichtspflichtigen Behörde der Alten Apotheke im Gerichtssaal. Die Nebenklage-Anwälte haben entsprechend viele Fragen. Vier Journalisten und knapp 15 Zuschauer sitzen im Publikumsbereich. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Als die Amtsapothekerin ins Gericht kommt, schaut Stadtmann sie flüchtig an und dann wieder weg. In den Pausen unterhält er sich mit seinen Anwälten.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Für die Betroffenen ist der Versuch der Amtsapothekerin, vor Gericht nicht aussagen zu müssen, schwer erträglich. Die Amtsapothekerin gibt sich, nach dem der Richter sie zur Aussage verpflichtet, defensiv. Auf Nachfragen der Nebenklage antwortet sie teilweise patzig.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Amtsapothekerin will nicht aussagen: Der Prozesstag beginnt mit einem Schlag ins Gesicht aller Betroffenen des Skandals um die gestreckten Krebsmedikamente. Die zuständige Amtsapothekerin Hanneline Lochte möchte die Aussage verweigern. Ihr Anwalt beruft sich auf ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht. Die Stadt Bottrop und der Kreis Recklinghausen wollen sich wegducken. Was haben sie zu verbergen? Der Vorsitzende Richter Johannes Hidding reagiert verwundert: „Wir sehen nicht wo hier die Befürchtungen der Frau Lochte bestehen, denn dazu müsste eine Straftat vorliegen und dafür sehen wir keine Anhaltspunkte.“ Lochtes Anwalt argumentiert, es sei unerheblich, ob die Zeugin sich tatsächlich strafbar gemacht habe. Seine Mandantin müsse sich durch ihre Antworten nicht einmal einem Anfangsverdachts aussetzen, auch wenn dieser unbegründet wäre. Außerdem zitiert er zwei Schreiben des Nebenklage-Anwalts Andreas Schulz an die Stadt Bottrop und den Kreis Recklinghausen. Darin forderte Schulz detaillierte Informationen zu den erfolgten Kontrollen in der Alten Apotheke und will die Stadt Bottrop in Amtshaftung nehmen. Diese Anfragen sieht der Anwalt als Grund für ein Zeugnisverweigerungsrecht. Stadtmanns Anwälte unterstützen den Antrag der Amtsapothekerin auf Zeugnisverweigerung. Während der Diskussion darum kommt es zu einem spannenden Wortwechsel. Ein Verteidiger von Stadtmann sagt, dass die Amtsapothekerin wegen des Verdachts der möglichen Mittäterschaft bei Körperverletzung die Aussage verweigern könnte. Der Anwalt Andreas Schulz wirft ein, dass es in einem solchen Fall einen Haupttäter geben müsse. Und genau das habe die Verteidigung ja bisher bestritten. Der Richter entscheidet schließlich, dass die Amtsapothekerin aussagen muss. Sie könne nur einzelne Fragen verweigern. Ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht stehe ihr nicht zu. Trotzdem ist ein fataler Eindruck entstanden. Die Amtsapothekerin und Stadtmanns Verteidiger kämpfen auf der gleichen Seite.

  • Angekündigte Kontrollen und schnell beseitigte Mängel: Die Amtsapothekerin Hanneline Lochte ist nach eigener Aussage für circa 250 Apotheken in Recklinghausen, Bottrop und Gelsenkirchen zuständig. Davon seien fünf Zyto-Apotheken, die Alte Apotheke mitgezählt. Sie sagt, sie sei von 2011 bis 2016 ständig in Kontakt mit der Alten Apotheke und Peter Stadtmann gewesen. Wegen der Eröffnung der Filialapotheke Grand Arc in Düsseldorf, einer neuen Apothekenbetriebsordnung im Jahr 2012, der Errichtung des neuen Zyto-Labors und weil Peter Stadtmann Prüfer in der PTA-Schule war. Ihre Kontrollen in der Alten Apotheke habe sie immer angekündigt. Bei einer Kontrolle zur Erteilung der Betriebserlaubnis des neuen Zyto-Labors im Januar  2016 habe sie drei wesentliche Mängel festgestellt. Konkret ging es laut der Amtsapothekerin um schriftliche Bekleidungsvorschrift, die nicht eindeutig genug erklärten, wie man sich umziehen müsse, fehlende Angaben in Herstellungsprotokollen und Reinigungsmittel. Stadtmann meldete laut Lochte kurz darauf schriftlich, diese Mängel seien beseitigt. „Peter Stadtmann hat Mängel immer sofort behoben, meist vor dem gesetzten Termin.“ Es sei üblich, dass sich Amtsapotheker das Beheben von Mängeln per Unterschrift bestätigen lassen und nicht selbst vor Ort noch einmal kontrollieren.

  • Bandenmäßiger Betrug? Die Nebenklage möchte der Amtsapothekerin Fragen zu einem abgelaufenen Krebsmedikament stellen, dass nach Informationen von CORRECTIV im Dezember 2016, also nach der Razzia, in der Alten Apotheke verkauft wurde. Der Richter hält die Frage für unzulässig, weil Peter Stadtmann zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft saß. Daraufhin erklärt der Nebenklage-Anwalt Schulz, er gehe von einem bandenmäßigen Betrug zwischen Peter Stadtmann, seiner Mutter und einzelnen Mitarbeitern aus. Diesen Vorwurf habe er nur noch nicht in das Verfahren eingebracht, weil man noch weitere Informationen sammele.

  • Kontrolle von Krebszubereitungen erst 2012 vorgesehen. Laut Aussage der Amtsapothekerin war die Kontrolle von Zyto-Zubereitungen erst mit einer neuen Apothekenbetriebsordnung im Jahr 2012 behördlich überhaupt vorgesehen. Bis zur Ausarbeitung konkreter Anweisungen für die Umsetzung dieses neuen Paragraphen habe es aber bis Januar 2015 gedauert.

  • „Sie kann dich am Arsch lecken“ Die Nebenklage hält der Amtsapothekerin ein Foto eines Dokumentausschnitts vor, auf dem handschriftlich vermerkt ist: „Sie kann dich am Arsch lecken“. Die Amtsapothekerin sagt, sie kenne dieses Dokument nicht und wisse nicht, ob es zu einem ihrer Begehungsprotokolle passe. Wir haben ausführlich darüber berichtet.

  • „Zyto-Proben können nicht untersucht werden“ „Ich habe nirgendwo Zyto-Proben gezogen, weil die nicht untersucht werden konnten“, sagt die Amtsapothekerin vor Gericht aus. „Es gab kein Labor, dass diese Proben in Deutschland hätte untersuchen können“, sagt Lochte. Der Nebenklage-Anwalt Goldbach verweist auf die Untersuchungen des LZG und des PEI. Die Amtsapothekerin relativiert, diese hätten Vorlaufzeit gehabt und hätten die Verfahren zunächst validieren, also auf ihre Eignung hin testen, müssen. Der Kommentar der Amtsapothekerin zur Eignung der Untersuchungsverfahren ist ein gefundenes Fressen für die Verteidigung. Sie stellen Nachfragen und wollen damit ihre Strategie untermauern, die die Untersuchungsergebnisse des LZG und des PEI anzweifelt. Die Amtsapothekerin sagt, auf Nachfrage von Stadtmanns Anwälten, ohne Validierung könne nicht gesagt werden, ob eine Analyse stimmig sei. Auf Nachfrage des Richters, ob sie nicht nach dem Arzneimittelgesetz sogar verpflichtete gewesen sei Proben zu ziehen, beruft sich die Amtsapothekerin auf einen Erlass des Gesundheitsministeriums. Das Gesetz sage, Proben seien zu ziehen. Der Erlass sage, Proben zu ziehen, sei möglich.  „Ich muss nicht zwingend Proben nehmen.“, sagt sie. Das Ziehen von Zyto-Proben sei „insgesamt problematisch“. Man nehme damit einem Patienten die Infusion, es müsse gekühlt zu einem vorbereiteten Labor gebracht werden und man könne in diesem Fall nicht mit einer Gegenprobe arbeiten. Sie fügt hinzu: „Ich stand in engem Kontakt mit Peter Stadtmann. Wir haben Punkt für Punkt besprochen, wie man das umsetzen kann. Das ist auch eine Form der Überwachung.“

  • Amtsapothekerin bestätigt Anbrüche in der Alten Apotheke. Die Zeugin Lochte beschreibt, dass sie am Tag der Razzia in der Alten Apotheke Anbrüche gesehen habe, die nicht mit dem Datum des Anbruches gekennzeichnet waren. Als Anbrüche bezeichnet man in der Zytostatika-Zubereitung Wirkstoffbeutel, die bereits geöffnet wurden und in denen ein Rest übrig geblieben ist. Sie müssen eigentlich weggeworfen werden. Außerdem habe es einen weiteren Raum gegeben, den sie nicht kannte. Dieser Raum sei offiziell kein Apothekenbetriebsraum gewesen. Darin hätte sich die ganze Dokumentation und auch Arzneimittel befunden. „Ich war überrascht. Es war von außen nicht erkennbar, dass dies ein Apothekenraum war.“

  • Das Projekt ZYTOK Die Anwälte der Nebenklage wollen der Amtsapothekerin Fragen zum Projekt ZYTOK stellen. Im Rahmen dieses Projektes wurden 2012 in ganz NRW Wirkstoffgehalte von Zytostatika überprüft. Die Stadt Bottrop berief sich auf datenschutzrechtliche Bedenken und die Alte Apotheke entging der Kontrolle. Das bestätigt auch die Amtsapothekerin. „Es sind keine Proben aus Bottrop und der Alten Apotheke untersucht worden“, sagt sie. Generell sei die „Aussagekraft des Projektes enorm geschmälert, weil 80% der Proben extra für das Projekt hergestellt wurden“,so Lochte. Die Nebenklage möchte wissen, warum die Stadt Bottrop und die Alte Apotheke nicht am Projekt Zytok teilnahmen. Nach Beratung beschließt der Richter, dass die Frage, nicht zulässig ist. Es bestehe kein Sachzusammenhang zum Fall, weil ja keine Proben aus der Alten Apotheke untersucht wurden.

Wusste die Amtsapothekerin von Missständen? Der Nebenklage-Anwalt Andreas Schulz befragt die Amtsapothekerin zu einem Hinweis, den sie von einem PTA-Lehrer erhielt. Lochte sagt, dass im April 2016 ein Lehrer aus einer PTA-Schule in ihr Büro gekommen sei und im Beisein des Mitarbeiters Uwe Müller gesagt habe, dass in der Alten Apotheke Anbrüche nach Verfallsdatum verbraucht würden. Die Antwort der Amtsapothekerin Lochte: „Ich habe ihm gesagt, dass das bekannt ist und bundesweit so gemacht wird.“ Die Amtsapothekerin erklärt, dass sie nicht wisse, wer die Quelle des Lehrers sei. Sie wisse nur, dass dieser Lehrer mit einem Mitarbeiter der Alten Apotheke befreundet sei. Durch Nachfragen der Nebenklage ergibt sich, dass der Mitarbeiter der Amtsapothekerin Uwe Müller und der Mitarbeiter der Stadt Bottrop Jan-Philipp Kruppa im Zuschauerraum den Prozess verfolgen. Müller wird für die Dauer der Aussage zum Thema des PTA-Lehrers des Saales verwiesen, weil er als Zeuge in Frage käme.

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Der nächste Verhandlungstag ist schon morgen, am 01.02.2018. Dann sollen eine Mitarbeiterin der Techniker Krankenkasse und ein Mitarbeiter der AOK vor Gericht aussagen.

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.