
Diese für Audio optimierte Kompaktfassung des täglichen Spotlight-Newsletters ist von einer KI-Stimme eingelesen und von Redakteuren erstellt und geprüft.
Liebe Leserinnen und Leser,
mit dem Lieferkettengesetz der EU ist es ein bisschen wie mit dem Kölner Dom: extrem lange Bauphase – dann bei der Fertigstellung schon wieder so bröckelig, dass schon nach kürzester Zeit renoviert werden muss. Und dabei ist kein Ende absehbar.
Die Idee des Gesetzes war es, die Globalisierung ein Stück weit einzuhegen: Immer mehr Waren werden immer schneller von einem Kontinent zum anderen verschifft. Und am Ende einer verschlungenen Lieferkette lässt sich häufig nicht mehr nachvollziehen: Welcher Zwischenhändler auf dem Weg zum fertigen Konfektionsanzug oder Auto war denn jetzt dafür verantwortlich, dass in Fabriken in Bangladesch oder Brasilien auf Menschenrechte und Umweltstandards gespuckt wurde?
Jahre hatte die Entwicklung des Gesetzes gedauert, seit vergangenem Sommer war es endlich eingeführt – und jetzt ist das Gesetz in dieser Form schon wieder Geschichte. Was irgendwie auch gut ist, denn selbst der Grünen-Politiker Robert Habeck sagte mal über dieses Bürokratie-Monster-Gesetz: Er habe Lust, „die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen“.
Darüber kann man geteilter Meinung sein. Problematisch ist jedenfalls, auf welche Weise „das Ding weggebolzt“ wurde: mit Zutun der Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament. Mehr im Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: In der „Leserfrage der Woche“ beantwortet unser Team die Frage, weshalb es in TV-Talkshows keine Live-Faktenchecks zu Politiker-Aussagen gibt. Morgen, im Wochenend-SPOTLIGHT, geht es unter anderem um die Frage: Wie können wir richtig streiten?
Bevor ich es vergesse: Vergangene Woche hatte ich das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium gefragt, ob sie in der Sache „Rückkehr nach Syrien“ den Vorschlag für machbar halten, den unsere Leserinnen und Leser hier diskutiert haben – eine Art Pendler-Lösung, damit Syrer mit unserer Unterstützung ihr Land aufbauen können.
Antwort: nein. Das Bundesinnenministerium schrieb mir: Nach eingehender Prüfung dagegen habe man sich dort „dagegen entschieden, kurzzeitige Heimreisen für Syrerinnen und Syrer ohne Auswirkungen auf den Schutzstatus zu ermöglichen“.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende – und schreiben Sie mir gern: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Kettensäge gegen Lieferkette
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
CORRECTIV Events: Live-Faktencheck und Exiljournalismus
Faktencheck: Iran: Hijab-Pflicht wurde nicht aufgehoben
CORRECTIV-Werkbank: Halbzeit auf der Weltklimakonferenz COP – was war und wird wichtig?
Grafik des Tages: So viele Fossil-Lobbyisten sind auf der Klimakonferenz
Beim Lieferkettengesetz der EU geht es darum: Große Firmen müssen seit Sommer 2024 dokumentieren, bei wem sie einkaufen – und bei wem die Zwischenhändler eingekauft haben, von denen man die Waren bezieht. Klingt kompliziert, ist es auch.
Mit „großen Firmen“ sind alle über 1.000 Mitarbeitern und mehr als 450 Millionen Euro Jahresumsatz gemeint.
Dieses Dokumentieren bedeutet viel Arbeit, und darüber beschweren sich die Chefinnen und Chefs der betroffenen Firmen seit Einführung des Gesetzes. Die Tagesschau betitelte kürzlich einen Bericht über das Gesetz mit der Frage: „Bürokratiemonster oder Schutz von Menschenrechten?“ – was eigentlich keine gute Frage ist, denn es ist ja kein Widerspruch.
Nur, wenn Firmen klar dokumentieren, bei wem sie ihre Waren einkaufen, kann man nachverfolgen, ob in den Herkunftsländern unter menschenwürdigen und klimaverträglichen Bedingungen produziert wird. Und das macht eben Arbeit.
Jedenfalls wird das Gesetz nun wesentlich verändert.

Was vorgesehen ist:
Das EU-Parlament plant, dass die Dokumentationsregeln künftig erst ab 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro gelten.
Und: Die betroffenen Unternehmen müssen künftig nicht mehr ihre gesamte Lieferkette kontrollieren. Stattdessen sollen sie sich auf einzelne Zulieferer konzentrieren, bei denen sie ein hohes Risiko für Verstöße gegen Menschenrechte vermuten. Woher sie das wissen sollen? Das ist bisher noch recht schwammig.
Wie die Gesetzesänderung zustande kam:
Das ist der Knackpunkt. Die EVP (also quasi das Pendant der CDU auf EU-Ebene) ist die stärkste Fraktion im EU-Parlament. Sie arbeitet aber – anders als bei uns im Bundestag – nicht in einer festen Koalition. Stattdessen tut sie sich für jedes einzelne Gesetzesvorhaben mit jeweils anderen Partnern zusammen.
In diesem Fall nun hat sie mit den Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament gemeinsam gestimmt und so das Lieferketten-Gesetz in dieser Form abgeschafft.
Darüber gibt es nun verständlicherweise Diskussionen. Die Grünen-Handelsexpertin im EU-Parlament, Anna Cavazzini, sagte, dies sei der „erstmalige Bruch der Brandmauer“ bei solch einem wichtigen Gesetz auf EU-Ebene.
War es wirklich so heikel?
Über genau diese Frage gab es heute in unserer Redaktionskonferenz eine heiße Diskussion.
Unser AfD-Experte Marcus Bensmann findet (ähnlich wie dieser Kommentator in der FAZ): Nein. Hier ginge es um eine Sachfrage, die man durchaus argumentieren könne. Unsere Klimareporterin Gesa Steeger dagegen sagt (ähnlich wie dieser Kommentator in der taz): Doch, das ist ein Riesenproblem, für Klimaschutz und für Demokratie.
Lesen Sie hier die Einschätzungen der beiden:
Marcus Bensmann:
Die AfD isoliert sich durch ihre extremen Positionen, völkische Ideologie und Nähe zu Russland selbst. Das ist die Brandmauer. Diese hängt nicht von Abstimmungen im Europaparlament zu nicht-rechtsradikalen Themen ab.
Im Gegensatz zum Bundestag ist im EU-Parlament der Fraktionszwang nicht so zentral. Eine große Mehrheit im Europäischen Parlament wollte das Lieferkettengesetz verändern. Es wurde als zu bürokratisch und Belastung für die Wirtschaft empfunden. Die EVP hat vergeblich versucht, dies mit den Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen zu tun. Dieser Versuch ist gescheitert. Daher hat die EVP die Änderung zur Abstimmung gegeben und sich durchgesetzt. Warum sollte die EVP gegen ihre eigene politische Überzeugung und gegen die vorhandene Mehrheit handeln?
Die Veränderung des Lieferkettengesetzes ist kein Ausdruck rechtsradikaler Politik. Wenn die Grünen und Sozialdemokraten verhindern wollen, dass dies mit rechten Stimmen im EU-Parlament geschieht, müssen sie akzeptieren, dass sie mit ihren Positionen dazu keine Mehrheit haben. Sie sollten ihre Politik anpassen, anstatt immer wieder von einer Brandmauer zu rufen, um Positionen, für die es keine Mehrheit mehr gibt, zu retten. Die Empörung darüber kennt nur einen Gewinner: die AfD.
Gesa Steeger:
Die EVP– zu der auch CDU und CSU gehören – hat vor der jetzigen Zusammenarbeit mit den extremen Rechten alle zuvor angebotenen Kompromisse der Liberalen und Sozialdemokraten abgelehnt. Die Botschaft dahinter: Wenn ihr nicht für uns stimmt, dann suchen wir uns die Mehrheiten Rechtsaußen.
Hier stellt sich nicht nur die Frage nach der Brandmauer, sondern auch nach dem Unvereinbarkeitsbeschluss der Union: So heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Koalitionspartner schließen auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien aus.“
Eine Prämisse, die für die Union auf EU-Ebene offenbar nicht mehr gilt.
Der Schaden ist nicht nur ein politischer: Durch den nun beschlossenen Vorschlag werden die Standards für den Schutz von Menschenrechten und Klima deutlich abgesenkt.
Wie sehen Sie es?
Stimmen Sie eher mit Gesa Steeger oder Marcus Bensmann überein? Schreiben Sie es uns: spotlight@correctiv.org.
Korruptionsskandal in den Kreisen Selenskyjs
Ein Vertrauter des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj soll, laut dem Nationalen Antikorruptionsbüro, an Geldwäsche und der Bildung einer kriminellen Einigung beteiligt gewesen sein.
tagesschau.de
Koalitionsausschuss: Ticketsteuer im Luftverkehr soll sinken
Der Koalitionsausschuss aus CDU/CSU und der SPD einigte sich am gestrigen Abend auf mehrere Maßnahmen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Demnach soll unter anderem ein Industriestrompreis eingeführt werden. Außerdem soll die Ticketsteuer im Luftverkehr sinken.
deutschlandfunk.de
Lokal: Polio-Wildviren im Hamburger Abwasser entdeckt
Bei einer routinemäßigen Abwasseruntersuchung in Hamburg wurden erstmals seit zehn Jahren wieder Polio-Wildviren (Kinderlähmung) entdeckt. Eigentlich ist Polio in Deutschland dank früherer flächendeckender Impfung längst verdrängt. Das Impfquoten-Monitoring des Robert-Koch-Institutes zeigte jedoch, dass im vergangenen Jahr nur noch drei Viertel aller Kinder in Deutschland geimpft wurden.
mopo.de/ndr.de
CORRECTIV: Die seltsame Beziehung eines AfD-Mitarbeiters zum russischen militärisch-industriellen Komplex
Er machte einen Job-Deal mit einem zukünftigen AfD-Abgeordneten, dann fing er als Geschäftsentwickler bei einer Firma an, die eng mit russischen Staatsfirmen verbunden ist. Nach der Europawahl wechselte Sergej Erler als Drohnenexperte als Mitarbeiter der AfD ins Europäische Parlament. Seine Beziehungen nach Russland werfen Fragen auf.
correctiv.org

Leserfrage der Woche

SPOTLIGHT-Leserin Gabriele M. hat uns gefragt: Weshalb werden Falschaussagen in Politik-Talkshows nicht zu Beginn der nächsten Sendung richtiggestellt?
Laut einer Studie des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft verbreiten vorrangig Politiker der AfD, aber auch von BSW und Unionsparteien Falschaussagen, online oder in Talkshows. Demnach ist „Desinformation fest in der Kommunikation einiger politischer Akteure und Parteien verankert.“
Laut Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen sind die Sender zu Transparenz verpflichtet. Wie also gehen die Sender mit diesen Falschinfos um?
Wir haben bei verschiedenen Politik-Talkshows nachgefragt. Der Pressesprecher der Show von Caren Miosga erklärt: „Generell verhält es sich so, dass unwahre Tatsachenbehauptungen oder nicht eindeutige Aussagen bereits in der Sendung, in der diese aufgestellt werden, durch die Moderatorin (im Zusammenwirken mit der Redaktion) richtig gestellt beziehungsweise hinterfragt werden.“ Es solle außerdem nach jeder Sendung einen intensiven Faktencheck durch die Redaktion geben.
Auch die Show von Sandra Maischberger weist auf die zentrale Schwierigkeit hin: „Nicht immer lassen sich alle Aussagen der Gäste live überprüfen.“ Allerdings werde nach der Sendung ein Faktencheck durchgeführt. „Sandra Maischberger selbst weist oft schon im Laufe der Sendung auf diesen Faktencheck hin, meist wird der Hinweis auch eingeblendet.“
Allerdings stoße das an Grenzen: „Die Aufarbeitung der ungeklärten Punkte aus der Sendung ist mitunter komplex. Die Redaktion möchte das Publikum noch einmal mitnehmen und die problematische Passage einer Sendung darstellen. Dafür braucht es in der Regel zahlreiche Quellen und oft auch Experten, um die offenen Punkte fundiert einzuordnen. Dies wäre so umfassend in einer Folgesendung nicht möglich“, so der Pressesprecher.

CORRECTIV Events

CORRECTIV.Faktenforum: Live-Faktencheck, online
Am 20. November findet wieder ein Online-Workshop des CORRECTIV.Faktenforum statt: Gemeinsam können die Teilnehmenden lernen zu recherchieren und potenzielle Falschbehauptungen zu erkennen, einzuordnen und richtigzustellen.
Anmeldung
Exile Talk: Geschichten aus dem Südsudan, Köln
Der Südsudan – das jüngste Land der Welt – zählt zu den gefährlichsten Orten für Journalistinnen und Journalisten. Gewalt, Korruption und Repression zwingen viele ins Exil. Über den Exiljournalismus sprechen Reporterinnen und Reporter aus dem Südsudan am 20. November in Köln.
Anmeldung

Faktencheck

Auf X heißt es, im Iran sei das Tragen des Kopftuches für Frauen jetzt freiwillig. Das stimmt nicht – ein Video, das dieses Gerücht belegen soll, ist drei Jahre alt.
correctiv.org
Endlich verständlich
In einer verdeckten Recherche untersuchten CORRECTIV.Schweiz und WOZ Die Wochenzeitung, wie Banken, Kanzleien und kantonale Steuerämter ausländischen Superreichen helfen, Steuern zu sparen. Denn mit einem Wohnsitz in der Schweiz und ohne dort zu arbeiten, profitieren sie von einer Sonderbehandlung: der Pauschalbesteuerung. Einige Bänker schwärmen geradezu über die „Steuerdeals“, die sie mit den Schweizer Behörden machen.
correctiv.org
So geht’s auch
In den Sozialen Netzwerken herrscht oft ein rauer Ton – Hasskommentare sind weit verbreitet. Im Interview mit Julia Bauer vom Verein #ichbinhier, der sich gegen Hass im Internet einsetzt, spricht unsere Jugendredaktion Salon5 über mögliche Gründe, welche Gruppen vor allem betroffen sind und wie wir Diskussionen in Sozialen Netzwerken wieder konstruktiver führen können.
spotify.com
Fundstück
Forschende der Universität Cambridge fanden heraus, dass moderne Fassaden an neuen Gebäuden, die meist in Form von vielen Linien und Rastern gebaut werden, das menschliche Gehirn sehr stressen. Runde und unregelmäßige Formen (wie bei Altbaugebäuden) wirken im Gegensatz dazu ruhig und lösen nahezu keinen Stress im Hirn aus. Zwar setzt die Studie selbst lediglich auf KI-Modelle, was die Aussagekraft reduzieren dürfte. Als Debattenbeitrag zur Wirkung von Architektur ist sie aber dennoch lesenswert.
instagram.com/repository.cam.ac.uk
Halbzeit auf der Weltklimakonferenz COP30 in Belém – und überraschende Versuche einer Allianz aus Brasilien, Kolumbien, Kenia, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Dänemark, den globalen Fahrplan für den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl (TAFF) vom Schlagwort zur echten Verbindlichkeit zu machen. Doch Öl- und Gasstaaten blockieren den Ausstieg, und die USA glänzen durch Abwesenheit. Präsident Lula griff das Thema zum Auftakt der COP auf, obwohl seine Regierung weiter Öl- und Gaslizenzen vergibt.
Kommenden Dienstag will die brasilianische Umweltministerin Marina Silva das TAFF-Papier veröffentlichen. Gelingt es bis dahin, genügend Staaten hinter den Vorstoß zu versammeln, könnte Belém tatsächlich Bewegung in den globalen Ausstieg bringen.
Parallel gibt es bei einem anderen Thema ein wichtiges Zeichen: Zehn Staaten verpflichten sich erstmals offiziell, Klima-Desinformation zu bekämpfen. Die „COP der Wahrheit“ reagiert damit auf eine Desinfo-Welle: zwischen Juli und September stieg COP-bezogene Desinformation um 267 Prozent, fossile Interessen und KI-Fakes inklusive.
Die Frage bleibt: Liefert Belém Substanz oder bleibt es bei Symbolik? Unsere Klimaredaktion hält Sie kommende Woche an dieser Stelle im SPOTLIGHT auf dem Laufenden.

Rund 1.600 Lobbyistinnen und Lobbyisten der fossilen Energien haben Umweltorganisationen auf der diesjährigen Weltklimakonferenz gezählt. Damit haben die Öl-, Kohle- und Gaskonzerne dort mehr Personal als die Länder mit den größten Delegationen – mit Ausnahme des ausrichtenden Gastgebers Brasilien. Anders gerechnet: Auf jeden Lobbyisten kommen 25 Delegierte.
handelsblatt.com
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt, Ulrich Kraetzer und Jule Scharun.
CORRECTIV ist spendenfinanziert
CORRECTIV ist das erste spendenfinanzierte Medium in Deutschland. Als vielfach ausgezeichnete Redaktion stehen wir für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürgern an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.


