Die Weine des Waffenhändlers

Eine Geschichte über internationale Rüstungsgeschäfte – und teure Geschenke in Berlin. Eine gemeinsame Recherche
von CORRECTIV, Frontal21 und Stern

24. September 2019

Die Weine des Waffenhändlers

Eine Geschichte über internationale Rüstungsgeschäfte – und teure Geschenke in Berlin. Eine gemeinsame Recherche von CORRECTIV, Frontal21 und Stern

24. September 2019

Der libanesische Geschäftsmann Ahmad El Husseini war für die deutsche Rüstungsindustrie lange Zeit der Türöffner bei den Mächtigen im Nahen Osten. Dann fiel er plötzlich in Ungnade. Über den Verbleib von über 60 Millionen Euro gibt es seitdem Streit.

Für ThyssenKrupp sollte El Husseini die Bewaffnung von Fregatten für Algerien vermitteln. Doch warum erledigte der Konzern das nicht selbst? War bei einem der größten deutschen Rüstungsgeschäfte der letzten zehn Jahre Korruption im Spiel?

El Husseini pflegte Kontakte nicht nur bei Herrscherfamilien und Waffenkunden im Nahen Osten – auch in Berlin war er gut vernetzt. El Husseini ließ Präsentkörbe an mehrere Spitzenpolitiker der SPD verteilen. Seine sündhaft teuren Weine könnten jetzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Bedrängnis bringen.

Wer ist der Geschäftsmann Ahmad El Husseini? Was wollte er mit seinen teuren Geschenken erreichen? Eine Spurensuche zwischen Kiel und Düsseldorf, zwischen Abu Dhabi und Singapur – und vor allem in Berlin.

Teil 1

Das Geschäft

Von Kiel nach Düsseldorf – über Singapur und Abu Dhabi
Es war einer der größten deutschen Rüstungsdeals der letzten zehn Jahre: 2011 verkaufte ThyssenKrupp für etwa zwei Milliarden Euro zwei Fregatten nach Algerien. Die Marinesparte TKMS baute die Schiffe in Kiel, die Bundesregierung förderte das Geschäft mit einer Bürgschaft.
Deutschland rüstet Algerien auf, obwohl der Staat beherrscht wird von einer undurchschaubaren Elite aus Militärs und Geheimdienstlern. Korruption ist weit verbreitet.
ThyssenKrupp sollte die Kriegsschiffe samt Bewaffnung liefern. Doch die Munition kaufte TKMS nicht direkt bei Herstellern in Deutschland, Frankreich oder Italien. TKMS legte einen Umweg ein, der heute sehr seltsam erscheint. Der Konzern wandte sich an Ahmad El Husseini.
Der libanesische Geschäftsmann führte lange Zeit einen Baukonzern in Abu Dhabi und war auch im Energiesektor aktiv. Sein Partner dort war eines des mächtigsten Mitglieder der Herrscherfamilie des ölreichen Emirats.
Zunächst wollte TKMS ein Munitionspaket von etwa 300 Millionen Euro in Abu Dhabi bei der Firma Federal Development kaufen. Ihr Geschäftsführer: El Husseini. Das Merkwürdige: Ein Kieler TKMS-Manager bot an, den Mittler selbst bei Munitions-Herstellern in Frankreich und Italien einzuführen: „Unser Team ist gewillt, Federal mit dem ersten direkten Kontakt bei einem der Hersteller zu helfen“, schrieb er im Juni 2012.
Offenbar besaß der Manager selbst Kontakte für den Munitionskauf. Trotzdem wandte er sich an den Mittelsmann El Husseini. Ende 2012 schloss TKMS einen Vertrag mit Federal über die Beschaffung der Munition. Doch Federal kaufte die gesamte Munition einfach über einen anderen deutschen Rüstungskonzern ein: Rheinmetall. Ein fragwürdiges Kettengeschäft.
Schmiergeld ist in der Rüstungsindustrie weit verbreitet. Der Export deutscher Kriegsschiffe ist keine Ausnahme. Ein Mittelsmann ist für Korruptionsexperten immer ein Warnsignal: er könnte zur Tarnung dubioser Zahlungen eingeschaltet sein.

Professor Oliver Scholz, Korruptionsexperte an der Berliner Hochschule HTW: „Das ist ein Klassiker, es sieht nach einem Umgehungsgeschäft aus. Es gibt hier ganz viele Stellen, an denen Rechnungen geschrieben werden. Und wo Rechnungen geschrieben werden, hat man bei der Differenz zwischen Einkauf und Verkauf Manövriermasse, um Mittel für andere Zwecke zu generieren.“

ThyssenKrupp wickelt den Verkauf von Kriegsschiffen schon seit den 2000er Jahren im Ausland ab. In London gründete der Konzern eine Tochter für den Vertrieb von U-Booten. Eine weitere Tochter in Singapur verkauft Überwasserschiffe wie Fregatten. Diese war es auch, die El Husseini einschaltete.

Die Londoner Tochter schloss schon in den 2000er Jahren Beraterverträge mit El Husseini. Fünf Prozent Kommission sollte er verdienen für U-Boot-Verkäufe in den Nahen Osten, schon damals auch nach Algerien.

Prüfer wunderten sich später, warum die Gelder auch über Briefkastenfirmen fließen sollten. Und warum mit El Husseini ein Berater eingeschaltet wurde, der in Algeriennicht einmal ein Büro unterhielt. Die U-Boot-Geschäfte kamen letztlich nicht zustande.
Trotz der früheren Bedenken riss die Verbindung zu El Husseini offenbar nicht ab. Schließlich beauftragte TKMS Singapur 2012 Federal mit ihrem Geschäftsführer El Husseini mit dem Munitionseinkauf für Algerien. Ein ganz schöner Umweg.
ThyssenKrupp sagt, dass man „nicht regelkonformes Verhalten“ bei einer Einschaltung von Dritten nie ganz ausschließen könne. Eine Überprüfung des Algerien-Geschäfts durch externe Anwälte habe keine konkreten Hinweise auf Korruption zutage gefördert.
Ein fragwürdiger Mittler, ein Umweg über Singapur – trotzdem unterstützte die Bundesregierung den Fregattenverkauf an Algerien mit einer milliardenschweren Bürgschaft. Der grüne Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner kritisiert das.
Ein weiteres Geschäft zeigt, wofür die deutsche Rüstungsindustrie El Husseini im Nahen Osten brauchte. Rheinmetall rüstete Kriegsschiffe der Vereinigten Arabischen Emirate mit Geschützen aus. Doch es gab Probleme: die Marine war unzufrieden mit ihrer Treffgenauigkeit und weigerte sich, die vereinbarten 80 Millionen Euro zu zahlen.
Um die Probleme zu lösen, setzte auch Rheinmetall auf die Dienste von El Husseini. Für Erfolgsprämien in Höhe von 15 Milllionen Euro sollte das Problem mit den Geschützen aus der Welt geschafft werden. Bei Rheinmetall hieß das so.
Was aus dem Geschäft wurde, ist unklar. Rheinmetall wirft El Husseini vor, die vereinbarte Erfolgsprämie unerlaubt von einem Sperrkonto entfernt zu haben und stellte Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg folgte den Argumenten des Rüstungskonzerns und hat El Husseini wegen Betrugs angeklagt. Ein Anwalt für El Husseini weist die Vorwürfe zurück. Das Landgericht Lüneburg prüft die Anklage noch.

Auch bei dem Algerien-Geschäft von ThyssenKrupp fehlt Geld. Am Ende des merkwürdigen Geldkreislaufs über Singapur und Abu Dhabi kamen knapp 50 Millionen Euro nicht bei Rheinmetall an, landeten stattdessen unter anderem im Libanon und in Hongkong. Der Konzern fordert davon noch 37 Millionen Euro von Federal Development. Rheinmetall soll gegen die Firma aus Abu Dhabi vor ein Schweizer Schiedsgericht gezogen sein.

Insgesamt ist also bei Geschäften zwischen Rheinmetall und El Husseini der Verbleib von über 60 Millionen Euro unklar. Ein Anwalt für El Husseini wollte sich wegen laufender Verfahren nicht äußern. Auch Rheinmetall lehnte eine Stellungnahme zu Details ab, wies aber jeglichen Verdacht von möglicher Weise unsauberen Geschäften zurück.

Teil 2

Die Geschenke

Eine Spurensuche in Berlin

Das Luxuskaufhaus KaDeWe ist weit über Berlin hinaus bekannt. Anspruchsvolle Kunden aus Berlin und aus aller Welt kaufen hier ein. Und einmal im Jahr erledigte hier ein ganz besonderer Kunde seine Weihnachtseinkäufe: Ahmad El Husseini.
Deutsche Rüstungskonzerne setzten auf den Geschäftsmann wegen seiner Beziehungen in Nahost. Doch, und das ist ungewöhnlich in der diskreten Welt der Vermittler, El Husseini verfügte auch in Berlin über beste Kontakte. Und beschenkte diese reichlich.
CORRECTIV und seinen Recherchepartnern liegen Bestelllisten aus dem Inneren des KaDeWe vor. Sie zeigen, dass das Kaufhaus von El Husseini in den vergangenen Jahren den Auftrag erhielt, teure Weine an einige seiner Kontakte in Berlin zu senden. Die Unterlagen gehen bis in die frühen 2010er Jahre zurück.
Auf den Listen stehen sechs Adressaten, darunter auch der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Als Außenminister war Steinmeier ab Herbst 2013 auch mit der Genehmigung von Rüstungsexporten befasst.

Ein Beispiel aus dem Jahr 2015: Steinmeier sollte Weine im Wert von 1.299 Euro zu Weihnachten erhalten. Drei Flaschen des italienischen Spitzenweins Ornellaia, 97er Jahrgang, und drei Flaschen französischen Champagner. Dazu ein Christstollen. Zu liefern an die SPD-Fraktion im Bundestag, Platz der Republik 1.

Bundesminister müssen Geschenke über einem Wert von 150 Euro bei der Regierung anmelden. Das hat Steinmeier nicht getan, wie eine Auflistung des Bundeskanzleramts zeigt.

Steinmeier war als Außenminister zugleich Bundestagsabgeordneter. Für Geschenke fehlen klare Regeln. Spenden und Zuwendungen müssen Bundestagsabgeordnete erst melden, wenn ihr Wert in einem Jahr 5.000 Euro überschreitet.

Steinmeier teilt mit, dass er El Husseini vor über zehn Jahren zwei oder drei Mal begegnet sei. Es lasse sich nicht mehr nachvollziehen, ob der Rüstungslobbyist Präsentkörbe an sein Abgeordnetenbüro geschickt habe. In der Vorweihnachtszeit seien alle Geschenke an Mitarbeiter oder öffentlichen Einrichtungen verteilt worden. Und: „Herr El Husseini hat zu keiner Zeit Einfluss auf politische Positionierungen oder Entscheidungen des Abgeordneten oder Außenministers Frank-Walter Steinmeier gehabt.“

Die SPD sagt, dass sie Präsentkörbe als Geschenke und nicht als Spenden betrachtet. Die Bundestagsverwaltung, die die Regeln für Parteispenden überwacht, sieht das anders. Der Unterschied ist wichtig: Wenn die Präsentkörbe Spenden sind, hätte Steinmeier sie laut SPD-Regeln der Partei übergeben müssen. Die Partei hat keine Körbe bekommen und von El Husseini oder seiner Berliner Firma auch keine Spenden erhalten.
CORRECTIV liegen keine Hinweise auf einen engen Kontakt zwischen El Husseini und Steinmeier vor. Oder darauf, dass die Geschenke Entscheidungen der Bundesregierung beeinflusst hätten. Doch El Husseini hatte Grund, für gute Stimmung zu sorgen. Denn von den Fregatten-Geschäften, die die Bundesregierung genehmigte, profitierte er als Munitionsbeschaffer.
Engen Kontakt pflegte El Husseini zu zwei anderen, ehemaligen Größen der SPD: Gerhard Schröder und Otto Schily. Auch für sie wurden – nach ihrer Amtszeit – Weine, Champagner und Christstollen bestellt.
Der Waffenhändler aus Abu Dhabi und der ehemalige deutsche Innenminister verstanden sich offenbar so gut, dass sie sich zum Palio di Siena trafen, ein alljährliches Pferderennen in der norditalienischen Stadt. Schily ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Bei seinen Besuchen in Deutschland begegnete El Husseini auch immer wieder Gerhard Schröder. Auch der Ex-Kanzler ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Während sich El Husseini also um das Nahost-Geschäft der Rüstungsindustrie kümmerte, pflegte er gute Kontakte zu Spitzenpolitikern der SPD. Jener Partei, die öffentlich immer wieder Rüstungsexporte kritisierte. Mitten in der Kür einer neuen Parteispitze sieht sie sich jetzt mit verborgenen Kontakten zur Rüstungslobby konfrontiert.

Teil 3

Die Fragen

Oder: das Schweigen Berlins

Sind die teuren Weine von Ahmad El Husseini nicht Kleinigkeiten, die zur Großzügigkeit eines reichen Geschäftsmanns gehören? Es ist schwer vorstellbar, dass solche Geschenke politische Entscheidungen beeinflussen.

Die Geschenke, so viel steht fest, dienten der Pflege eines Netzwerks. Es ermöglichte einer undurchsichtigen Figur aus der Rüstungsindustrie Zugang zu deutschen Spitzenbeamten. Ein Zugang, über den viele in Berlin heute am liebsten schweigen.

Ein Beispiel: Ende 2014 schließen Angola und Deutschland ein Militärabkommen. Eine angolanische Delegation besucht die Bundesregierung und deutsche Rüstungskonzerne.
El Husseini schaltet einen ehemaligen Marineoffizier ein, L. Der trifft sich mit einem Mitarbeiter der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. L. soll die Gespräche zwischen Angola und der Bundesregierung offenbar im Sinne von El Husseini beeinflussen. Der Offizier schreibt dem Lobbyisten.
L. scheint die Episode heute unangenehm zu sein. Unter verschiedenen Ausflüchten lehnt er ein Gespräch ab. Das Verteidigungsministerium sagt, man habe keine Kenntnisse von dem Lobbyistentreffen im Auftrag des Waffenhändlers.
Ein zweites Beispiel zeigt, wie El Husseini in Berlin seine Kontakte zu ehemaligen Spitzenpolitikern nutzte. 2014 erhielt er einen Termin zum Mittagessen mit Gerhard Schröder und Dieter Haller. Der Diplomat war zwei Mal deutscher Botschafter in Saudi-Arabien, einem der wichtigsten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.
Zum Zeitpunkt des Termins war Haller im Auswärtigen Amt für deutsche Rüstungsexporte zuständig. Was Haller, der Ex-Kanzler und El Husseini besprachen, ist nicht bekannt. Haller beantwortete eine Anfrage nicht. Das Auswärtige Amt will sich dazu nicht äußern. Steinmeier sagt, nichts von dem Treffen zu wissen.
Auf den Bestelllisten im KaDeWe finden sich auch die Namen von drei ehemaligen Spitzenbeamten aus der Regierung Schröder. Einer von ihnen bestätigt, dass das KaDeWe im Auftrag von El Husseini die Präsentkörbe verschickte.
Am Pariser Platz 4a, an der ersten Lobby-Adresse in Berlin und direkt am Brandenburger Tor, unterhielt El Husseini jahrelang ein opulentes Büro. Beobachter fordern jetzt Aufklärung, wofür genau El Husseini seine Kontakte in Berlin gebraucht hat.
Für LobbyControl zeigt der Fall, dass die Politik in Berlin transparenter werden muss, wie Timo Lange sagt.
El Husseini soll sich heute im Libanon aufhalten. Sein Umfeld sagt, dass El Husseini ein Opfer der großen Politik im Nahen Osten sei. Das sunnitische Herrscherhaus in Abu Dhabi habe den schiitischen Geschäftsmann im Frühjahr 2017 plötzlich vertrieben.
Jemand, der El Husseini kennt, beschreibt ihn als eine charmante, aber verschlossene Persönlichkeit, die immer alles für sich behalten hat. Man hat den Eindruck, dass das politische Berlin – und insbesondere die SPD – hofft, dass es für immer so bleibt.

Sie haben Fragen, Anmerkungen oder Hinweise? So erreichen Sie unseren Reporter Frederik Richter. Messaging App Signal: +4917675628865. Threema: J5A6SWPY. Wenn Sie über diese Recherche auf dem Laufenden bleiben wollen, abonnieren Sie unseren Newsletter zum Thema Korruption.

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Autoren: Frederik Richter (CORRECTIV), Christian Rohde, Ulrich Stoll (Frontal21), Hans-Martin Tillack (Stern) Design: Benjamin Schubert Umsetzung: Benjamin Schubert, Michel Penke Mitarbeit: Anne-Lise Bouyer, Simon Wörpel, Jonathan Sachse Fotoredaktion: Ivo Mayr

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