Faktencheck

Nein, Polen hat die Grenze zur Ukraine nicht kurz nach Weihnachten geschlossen

Warum gab es an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine zum Jahreswechsel 2023 lange Schlangen? Anders als behauptet, lag das nicht daran, dass Polen die Grenze schloss. Gründe waren Blockaden durch polnische Spediteure und Grenzkontrollen der Ukraine.

von Matthias Bau

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Am Grenzübergang Medyka zwischen Polen und der Ukraine kam es am 15. Januar 2024 zu langen Staus (Quelle: Dominika Zarzycka / Zumaspress.com / Picture Alliance)
Behauptung
Polen habe nach Weihnachten die Grenze zur Ukraine geschlossen. So hätten Ukrainerinnen und Ukrainer nicht mehr aus der Ukraine ausreisen können. Das sei durch ein Video belegt, das einen Stau zeigt.
Bewertung
Falsch. Polen hat die Grenze zur Ukraine nach Weihnachten nicht geschlossen, wie uns die zuständigen Behörden mitteilten. Für Staus sorgten Blockaden polnischer Spediteure und verschärfte Ausreisekontrollen der Ukraine. Genau diese Situation ist auch in dem Video zu sehen.

Um den Jahreswechsel herum hieß es in Sozialen Netzwerken, Polen habe nach Weihnachten die Grenze zur Ukraine geschlossen, Ukrainerinnen und Ukrainer hätten so nicht mehr aus der Ukraine ausreisen können. „Die Ukrainer wollen nach Weihnachten zurück nach Polen…Aber die Polen machen die Grenzen zu‼️ Ist das geil?!“, heißt es zum Beispiel am 2. Januar 2024 auf X. Mehr als zweitausend Accounts gefiel das. 

Um ihre Behauptungen zu belegen, verbreiten Nutzerinnen und Nutzer auf X, Tiktok und Facebook ein Video, das das Geschehen an der Grenze zeigen soll. Darin sind Menschen und Autos zu sehen, die sich auf einer Straße stauen. 

Unter anderem auf X kursiert dieses Video, das belegen soll, dass Polen die Grenzen zur Ukraine nach Weihnachten geschlossen habe
Unter anderem auf X kursiert dieses Video, das belegen soll, dass Polen die Grenzen zur Ukraine nach Weihnachten geschlossen habe (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Polnische Behörden dementieren Grenzschließung

Wir haben uns zunächst angesehen, welche Grenzübergänge es zwischen Polen und der Ukraine gibt. Auf ihrer Webseite listet die polnische Steuerverwaltung mehrere Grenzübergänge. Zuständig für diese sind die Steuerverwaltungskammern in Lublin und Rzeszów.

Grenzübergänge zwischen der Ukraine und Polen, die der polnische Zoll aufführt und die wir über Google Maps abgebildet haben.
Grenzübergänge zwischen der Ukraine und Polen, die der polnische Zoll aufführt und die wir über Google Maps abgebildet haben. (Quelle: Google Maps; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Wir haben beide Behörden per Mail gefragt, ob die Grenzübergänge zur Ukraine nach Weihnachten geschlossen wurden. Für das Amt in Lublin schrieb uns Pressesprecher Michał Deruś am 12. Januar 2024, an allen Straßengrenzübergängen zur Ukraine sei die Kontrolle von Personen und Gütern „regelmäßig“ passiert. So auch zwischen dem 27. und 31. Dezember 2023. 

Für die Steuerverwaltungskammer in Rzeszów schrieb uns Pressesprecherin Edyta Chabowska am 12. Januar 2024, an den polnisch-ukrainischen Grenzübergängen würden laufend Personen und Fahrzeugen abgefertig. Vom 24. Dezember 2023 bis zum 12. Januar 2024 hätten die Zoll- und Steuerbeamten fast 76.000 Fahrzeuge im Personenverkehr und 20.000 Fahrzeuge im Güterverkehr kontrolliert. 

Davon, dass die Grenzen geschlossen gewesen seien, schreiben Deruś und Chabowska nichts. Vom ukrainischen Zoll erhielten wir keine Rückmeldung. 

Polnische LKW blockierten aus Protest wiederholt die ukrainische Grenze

An den Grenzübergängen zwischen Polen und der Ukraine kommt es seit Monaten immer wieder zu Staus. Das liegt unter anderem daran, dass polnische Speditionsunternehmen die Grenzübergänge blockieren, weil sie sich durch eine Regelung der EU benachteiligt sehen.

Die EU hatte im Juni 2022 erstmals entschieden, dass ukrainische Spediteure keine Genehmigungen mehr benötigen, um Güter aus der Ukraine in oder durch andere Länder des Staatenverbunds zu transportieren. Diese sogenannten Solidaritätskorridore sollen der Ukraine dabei helfen, ihre Wirtschaft trotz des russischen Angriffskrieges aufrechtzuerhalten. 

Polnische Spediteure demonstrieren gegen die niedrigeren Preise der ukrainischen Konkurrenz, durch die sie sich benachteiligt sehen. Seit dem 6. November kommt es deswegen immer wieder zu Blockaden der Grenzübergänge, die für kilometerlange Staus sorgen. Das war zum Beispiel auch an Weihnachten 2023 der Fall und dazu kam es auch im neuen Jahr.

Video zeigt ukrainischen Grenzort, Stau entstand durch Ausreisekontrollen

Neben den Blockaden auf polnischer Seite kam es aber auch auf ukrainischer Seite zu Verzögerungen. Das belegen ukrainische Medienberichte (hier, hier und hier), die wir durch  eine Bilder-Rückwärtssuche mit einem Ausschnitt aus dem Video fanden. In den Berichten vom 31. Dezember 2023 und vom 1. Januar 2024 heißt es, Grenzbeamte hätten ihre Kontrollen verschärft, nachdem gefälschte Dokumente gefunden worden seien. Einige wehrpflichtige Männer, die versuchten, das Land zu verlassen, seien aufgehalten worden. So sei es zu Staus gekommen. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land in der Regel nicht verlassen.

Die österreichische Webseite nachrichten.at schreibt, das Video zeige Aufnahmen aus dem ukrainischen Orts Schehyni, der wenige Kilometer vom polnischen Grenzübergang Medyka entfernt liegt. Das ist richtig, wie ein Vergleich von Standbildern daraus und Aufnahmen auf Google Maps zeigt. Das Video zeigt also tatsächlich die polnisch-ukrainische Grenze, hat jedoch nichts mit Grenzschließungen durch Polen zu tun. 

In einem Video über die angebliche Grenzschließung Polens sind eine Tankstelle und mehrere Schilder zu erkennen
In einem Video über die angebliche Grenzschließung Polens sind eine Tankstelle und mehrere Schilder zu erkennen (Quelle; Facebook; Screenshots, Collage und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)
Aufnahmen von Google Maps aus dem Jahr 2015 zeigen, dass das Video auf Facebook aus dem ukrainischen Ort Schehyni stammt
Aufnahmen von Google Maps aus dem Jahr 2015 zeigen, dass das Video auf Facebook aus dem ukrainischen Ort Schehyni stammt (Quelle: Google Maps; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Max Bernhard, Sophie Timmermann

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